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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 121 - No. 130 (24. Mai - 4. Juni)
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dem Kirchhofe kere Tiaottaiss trug der Redacteur Lissa-
garay von der Grand Bataille einen großen Kranz, um
ihn auf dem Grabe der am 28. Mai 1871 erschossenen
Revolutionäre niederzulegen, Vallant erfaßte den Kranz
und riß ihn in Stücke; andere nahmen dafür den Kranz
des Jntransigant, zerrissen denselben unter dem Rufe:
Nieder mit Boulanger. Sonst ist Alles ruhig verlaufen.
Dänemark.
Kopenhagen, 29. Mai. Der Kronprinz-Rezent er-
ließ eine Verordnung betr. eine neue Veranstaltung zur
schnellen Mobilisirung der Kriegsmacht.
Schweden-Norwegen.
Christiania, 29. Mai. Bei der Budgetbrrathung
in Storthing wurden auf Antrag der Linken die 3000
Kronen für Stipendien, über die bisher das Kultus-
ministerium zu befinden hatte, den Stipendiaten direct
überwiesen und die Schlußfassung über die Verwendung
von 12,000 Kronen für Volksschullebrer abgesetzt.
Serbien.
Belgrad, 29. Mai. Die Ernennung der
Königin Natalie zur Inhaberin des 2. Re-
giments ist vom Könige geschehen in Würdigung und An-
erkennung der großen menschenfreundlichen Dienste, die
seine Mutter in den letzten drei Kriegen den verwundeten
serbischen Kriegern geleistet habe.
Montenegro.
Cetmje, 29. Mai. Zwischen den Bewohnern von
Skutari und einer Schaar Miriditen kam ein Zu-
sammenstoß vor, wobei 5 Personen getödtet wurden.
Der Vali und eine Truppenabtheilung haben sich nach
dem Thatort begeben.
Rußland.
Petersburg, 29. Mai. Der Kais er oonMußland
und die kaiserliche Familie ist gestern Abend von Moskau
nach Petersburg abgereist. Die Blätter veröffentlichen
die Worte, die der Kaiser an die Deputationen, die ihn
in Moskau begrüßten, richtete; sie berühren nicht die Politik.
Australien.
Melbourne, 29. Mai. Eine Konferenz der Premier-
minister der australischen Kolonien beschloß, einen Gesetz-
entwurf vorzubereiten, wodurch ein einheitliches
System für die Banken geschaffen und dis Emission
von Bankbillets beschränkt werden soll.
Amerika.
Washiuglou, 29. Mai. Meldung des Reuter'schen
Bureau: Nach einer Meldung der „Sun" äußerte der
Konsul der Union in China, Ashton, die chinesische Re-
gierung habe den Staatssecretär Gresham benachrichtigt,
daß alle Beziehungen zur Union abgebrochen und alle in
China weilenden Amerikaner ausgewiesen würden, falls
die Univnsregierung Maßnahmen zur Ausführung des
Gesetzes betreffend die Ausweisung der nicht registrirten
Chinesen treffen sollte. Der Handelsverkehr beider Länder
würde gleichfalls aufhören.
Die Reichstags Wahlbewegung.
Karlsruhe, 29. Mai. Nunmehr ist auch die Cen-
trumscandidatur im zweiten Reichstagswahlkrcise bekannt
geworden: Pfarrer Wacker von Zähringen hat
dieselbe angenommen, und ist dadurch dem Baron Horn-
stein ein sehr gefährlicher Gegner erwachsen. — Es wird
jetzt von allen Seiten bestätigt, daß die conservatioe Kan-
didatur v. Stockhorner im 10. Wahlkreise, wie die
nationalliberale des Gutspächters Wießner im 13.
Wahlkreise auf höheren Wink zurückgezogen wurden. Wie
aus dem letzteren Bezirke verlautet, ist man im national-
liberalen Lager daselbst ganz kopflos geworden.
Karlsruhe, 29. Mai. Oberamtsrichter Köhler
von Waldshut übernimmt die freisinnige Kandidatur für
den Wahlkreis Sinsheim-Eppingen, Wiesloch-Bretten.

G Handschuhsheim, 30. Mai. Die gestern Abend
hier stattfindende freisinnige Versammlung im „Grünen
Hof" war gut besucht. Nach Eröffnung derselben durch
Herrn Maschinenfabrikanten Schlicksupp, hielt Herr
Dr. Gehrke eine 1 Vistündige Rede, in welcher er sein
freisinniges Candidaten-Programm betreffs Militärvorlage,
Steuerprojecte u. s. w. in klarer Weise darlegte. Nach-
dem hierauf Herr Prof. Ost ho ff kurz auf die vor-
liegenden freisinnigen Zielpunkte hingcwiesen und bei
Erörterungen über gegnerische Parteien u. a. die konser-
vativen damit gekennzeichnet hatte, daß dieselben um so
mehr staatserhaltend seien, je mehr sie vom Staat er-
halten, suchte ein der Versammlung anwohnender Heidel-
berger Student der Oekonomie, Herr Lilienth.al aus
Holstein, Einspruch zu erheben, indem er sich als Kon-
servativen und den Sohn eines preußischen Grundbesitzers
bekannte. Ohne eine Widerlegung jenes Vorwurfs be-
züglich der Konservativen bekannte er schließlich, allge-
meine Heiterkeit veranlassend, daß er politisch noch un-
geschult sei und die Versammlungen aller Parteien besuche,
um sich ein Urtheil bilden zu können, wem er am 15.
Juni als Wahlberechtigter seine Stimme geben solle. Nach-
dem ihn hierauf Herr Prof. Osthoff zurechtgewiesen, brachte
Letzterer noch ein Hoch auf das deutsche Vaterland aus.
Damit schloß die Versammlung.
Stuttgart, 29. Mai. Gestern fanden im Lande
zahlreiche Wählerversammlungen statt. Den ein-
gelaufenen Berichten zufolge ist die Stimmung für die
Volkspartei überall gut. Oekonom Krauß nahm dir
deutschparteiliche Kandidatur für Balingen an.
Nürnberg, 29. Mai. Lehrer Weiß hier wurde als
freisinniger Kandidat für Fürth-Hersbruck-
Erlangen aufgestellt.
Kassel, 29. Mai. Der Bund der Landwirthe
hat auf einer Versammlung zu GunterShausen be-
schlossen, in Kassel-Melsungen den konservativ-antisemi-
tischen Professor Hüpeden zu unterstützen.

Aus WcrH unö Jern.
* Karlsruhe, 29-Mai. Der Land wirth sch afts-
rath, der heute unter dem Vorsitz des Herrn Klein-
Wertheim zusammentrat und dem der Minister Eisenlohr
und ein Regierungsvertreter anwohnten, beschäftigte sich
in der Vormittagssttzung mit dem Futtermangel. Ein
Antrag, bei der Beschaffung von Futtermitteln Frachter-
mäßigung eintreten zu lassen und den Gemeinden Vor-
schüsse zu gewähren, eventuell bei dringender Noch von
einem Ersatz ganz abzusehen, wurde angenommen, des-
gleichen der Antrag auf Verhinderung der Schlachtung
zuchtfähiger Thiere bei allenfalls nothwendig werdender
Verminderung des Rindoiehstandes. Die Regierung steht
den Anträgen freundlich gegenüber.
* Karlsruhe, 29. Mai. Das von Landwirthschafts-
inspektor Schmid-Tauberbischofsheim über den Änerben-
rechts-Gesetzentwurf erstattete Referat legt, wie die „Bad-
Korr." ersähst, großes Gewicht darauf, daß das zu er-
lassende Gesetz den bestehenden Verhältnissen und Ge-
wohnheiten in den verschiedenen Landestheilen thunlichst
angepaßt wird. Dabei wäre nach Ansicht des Referenten
von den in Ziffer 2 zu 8 1 des Entwurfes genannten
sonstigen landwirthschaftlichen Wohnungen einschließlich
Scheuer, Hof und Hausgärten gänzlich abzusehen, viel-
mehr der Gesetzesschutz lediglich auf die geschlossenen
Hofgüter und auch auf diejenigen landwirthschaftlichen
Anwesen auszudehnen, welche schon kraft bestehender
Sitte ebenfalls ungetheilt an einen Erben überzugehen
pflegen. Letzteres läßt sich aus den Grundbüchern fest-
stellen. In Bezug auf die einheitliche Bestimmung,
welcher Erbe beim Anerbenrecht in Betracht zu kommen
habe, wünscht der Referent, daß Rücksicht darauf ge-
nommen werde, daß nicht ausschließlich das Minorat,

sondern jeweils der herkömmlichen Sitte entsprechend,
sowohl das Minorat wie auch das Majorat als ge-
setzlich berechtigt anerkannt werde. Der Referent will
ferner, daß bei der Gutsabschätzung dem Anerben nicht
der Kaufwerth, sondern der ErtragSwerth ungerechnet und
bei Auflösung einer ehelichen Gütergemeinschaft erwachsene
Söhne der Ehefrau in der Berechtigung, die Uebergabe
des Gutes zu verlangen, vorgezogen werden.
* Karlsruhe, 29. Mai. Obgleich die Tollwuth,
welche bei sämmtlichen Hausthieren aufzutreten vermag,
dank der gründlichen Ausrottung der Seuchenherde in den
siebziger Jahren fast gänzlich verschwunden ist, kann eS
doch vorkommen, daß die Krankheit durch Hunde aus
fremden Ländern zugereister Personen eingeschleppt wird
und manchem Hausthierbesitzer einen nicht unbeträchtlichen
Schaden verursacht. Da nun bei der Erkrankung son
nutzbaren Hausthieren an Tollwuth den Besitzer in der
Regel keine Schuld treffen kann und es andererseits doch
erwünscht sein muß, beim Erscheinen eines wuthkranken
und Herumirrenden Thieres alsbald zu erfahren, welche
nutzbaren Hausthiere gebissen oder sonst verletzt worden
sind, die gedachte Ermittelung aber durch die Aussicht
auf Entschädigung bei rechtzeitiger Anzeige von dem Vor-
fälle wesentlich erleichtert wird, so wird dem Badischen
Landwirthschaftsrath, wie die „Bad. Corr." erfährt, die
Frage zur Erwägung unterbreitet, ob bei einer Revision
der Entschädigungsgesetze nicht allein für rotz-, lungen-
seuche- und milz-(rausch) brandkranke Thiere besonderer
Gattung, sondern auch für tollwuthkranke Thiere aller
Gattungen der nutzbaren Hausthiere (Hunde und Katzen
ausgenommen) Entschädigung geleistet werden sollte. Für
diese Fälle könnte die Staatskasse die Entschädigung über-
nehmen, weil es sich hier weniger um den Schutz der
Thiere gegen die Verseuchung, als um den Schutz des
Menschen gegen eine der schrecklichsten Krankheiten handelt,
welche von den Thieren auf Mensche« übertragen werden.
Bei der großen Seltenheit der Tollwuth unter den nutz-
baren Hausthieren würde als Entschädigung für tollwuth-
kranke Thiere der Staatskasse nur eine ganz unbedeutende
Last erwachsen.
Eppelheim, 30. Mai. Der hiesige Turnverein
begeht am 11. Juni d. Js. sein Fest der Fahnenweihe,
das verbunden sein wird mit Schauturnen. Aus dem
Festprogramm ist ersichtlich: Am Samstag, den 10.
Juni, Abends 8 Uhr findet ein Zapfenstreich statt.
Sonntag Morgen 5 Uhr Tagreveille. Hierauf Empfang
der auswärtigen Vereine, um 10 Uhr ein Preisturnr
des festgebenden Vereins und um 2 Uhr Festzug nach
dem Festplatz, wo die Fahnenübergabe und turnerischen
Vorführungen stattfinden. Eine Anzahl auswärtiger Vereine
hat bereits die Betheiligung zugesagt und herrscht sowohl
seitens des festgebenden Vereins wie der hiesigen Ein-
wohnerschaft größte Rührigkeit, um alle Vorbereitungen
aufs Beste zu treffen. Wenn auch noch der Wunsch,
daß das Wetter ein günstiges sein möge, in Erfüllung
geht, dürfte das Fest den wohlgelungensten und schönsten
Verlauf nehmen.
* Ladeuburg, 29. Mai. Kommenden Sonntag
findet das 50jäbrige Jubiläum des dortigen „Gesang-
Vereins" statt. Aus diesem Anlaß findet Nachmittags
3 Uhr in der eigens für diesen Zweck errichteten Fest-
halle ein großes Concert statt, an welchem sich mehrere
Gesangvereine der Umgebung (etwa 500 Sänger) be-
theiligen. Von Mannheim wirken mit die Liedertafel,
der Liederkranz und die Flora. Festdirigent ist Herr
Hofkapellmeister Ferd. Langer. Orchester die voll-
ständige Kapelle des 2. Bad. Gren.-Reg. Nr. 110, unter
Leitung des Herrn Kapellmeisters Vollmer. Al-
Solisten treten in diesem Concerte auf die Herren Th-
Nettler (Tenor), Ja c. Groß und Hein r. Küllmer
(Bariton). Um 2 Uhr findet ein Festzug und Abends
8 Uhr großes Bankett statt. Da» Fest verspricht nach

Als Dahlen sich von seiner Ohnmacht erholt hatte, theilte
er Walter alles mit, was Georgine gesagt. — Walter zweifelte
nicht eine Sekunde an der Wahrheit ihrer Behauptung. Ihn
schmerzte weniger der Verlust des Erbes, als daß er jetzt
kein Recht hatte, Dahlen seinen Vater zu nennen. Um keinen
Preis der Welt hätte er etwas beanspruchen mögen, was
ihm nicht von rechtswegen gebührte.
Auch Dahlen dachte zu edel, um seinem Neffen das ihm
gebührende Erbe zu entziehen. So schwach und elend er sich
auch fühlte, ließ er doch sofort seinen Rechtsanwalt kommen,
um alle Bedingnisse sicher zu stellen. Für Walter sorgte er
in großmüthiger Weise, denn sein Privatvermögen war groß
genüg, um für Walter, wenn auch nicht eine glänzende, doch
eine angenehme, geordnete Existenz sicher zu stellen.
Nachdem Walter und Dahlen sich einmal ausgesprochen
hatten, kam Georginen's Name nicht mehr über ihre Lippen.
Sie hatten abgeschlossen mit der Frau, die sie Beide so lange
beherrscht und förmlich unterjocht hatte.
Die Liebe der beiden Männer zu einander hatte durch
Georginen's Enthüllungen nicht erschüttert werden können,
im Gegentheil, der Schmerz bildete ein noch festeres Band
zwischen ihnen.
Dahlen wußte, daß seine Tage gezählt seien; die letzte
Erschütterung war zu mächtig gewesen. Mit größter Ruhe
und Umsicht traf er alle seine Anordnungen, er besprach sich
noch mit seinem Neffen, der inzwischen, seinem Rufe folgend,
gekommen war, und wenige Wochen nach Georgine's Abreise
schloß er seine müden Augen für immer. Er starb mit einem
Segenswunsche für Walter auf den Lippen, die schuldbeladene
Frau schien seinem Gedächtnisse gänzlich entschwunden zu sein.
Walter's Schmerz um den Todten war tief und auf-
richtig ; dennoch M es ihn nicht lange auf Schloß Dahlen,
obgleich der jetzige Besitzer ihm in freundlichster Weise Gast-
freundschaft angeboten hatte. Es war nicht Stolz, was

Walter hinderte, diese Einladung anzunehmen, der Gedanke
an Melitta trieb ihn in die w'Ate Welt.
Dadurch, daß Georgine Herrn von Molttor als seinen
Vater bezeichnete, waren die Dinge wieder in ein anderes
Stadium getreten. Walter wußte nicht, was er glauben
sollte — war Melitta doch seine Schwester, war sie es nicht
— dieser Zweifel brachte ihn fast dem Wahnsinn nahe. Seine
Aufgabe mußte es nun sein, die Wahrheit zu ergründen —
kaum wagte er zu hoffen, daß sich noch alles glücklich lösen
konnte; eines stand aber bei ihm fest, war Melitta seine
Schwester, dann blieb ihm nichts anderes übrig, als der Tod.

Fräulein Alma von Minden ging in ihrem eleganten
Boudoir ruhig auf und ab. Sie erwartete einen Besuch, der
ungebührlich heute lange ausblieb. Alma von Minden war
eine üppige Brünette mit dunklen-. Teint und feurigen Angen,
sie mochte dieMme der zwanziger Jahre erreicht haben und
war im ganzen eine eben so auffallende, als elegante Er-
scheinung. Fräulein von Minden besaß schon längst keine
Eltern mehr; sie lebte selbstständig und gefiel sich in noblen
Passionen, die sie sich in Anbetracht ihres große» Reichthums
sehr gut gestatten konnte. Unbeständig, launenhaft, exentrisch
hatte sie eine Zeit lang eine gewisse Vorliebe für Walter von
Dahlen gefaßt, welche von seiner Mutter geschickt erkannt
und ausgebeutet wurde. Alma von Minden wäre für Frau
Georgine die richtige Schwiegertochter gewesen. Sobald man
der jungen Dame in ihre» Passionen Freiheit ließ, kümmerte
sie sich um alles andere nicht und Georgine sah voraus, daß
sie nicht nur auf Schloß Dahlen, sondern auch auf Schloß
Minden herrschen würde. Dann lockte sie auch Alma'sReich-
thum. So wenig Alma auch en Sparsamkeit gewöhnt war,
sie zehrte ihre jährliche, große Einnahme doch nicht auf —
sie war daher unter allen Umständen eine brillante Partie
und Georgine schürte das glimmende Flämmchen emsig an
— bei ihr stand es fest, Alma mußte Walter's Frau werden.

Und doch vielleicht hätte sie sich verrechnet, denn es war noch
nicht so ausgemacht, daß Alma „ja" sagte, wenn Walter um
sie geworben hätte. Das hing ebenfalls von der jeweiligen
Laune ab, Alma hatte schon unzählige Male in ihrem Leben
zu lieben vermeint, und wenn es dazu kam, ernstlich an eine
Verbindung zu denken, dann immer gefunden, daß sie sich
in ihren Empfindungen getäuscht habe. Die Nachricht von
Walter's schwerer Erkrankung hatte sie ziemlich kalt gelassen
und nicht gehindert, den Winter in der Residenz recht lustig
zu verbringen. Aber gerade diesmal machte sie in der Resi-
denz eine Bekanntschaft, die für sie viel bedeutend, verhäng-
nißvoll werden sollte. Bei einem jener großen Elitebälle,
die jetzt so modern sind, lernte sie einen Mann kennen, dessen
Erscheinung tieferen, nachhaltigeren Eindruck als sonst auf ;
ihr leicht empfängliches Herz gemacht hatte. Herr von Mo-
litor war kein ganz junger Mann mehr, aber sein Benehmen
war so gewandt, so einschmeichelnd, sein Aeußeres so bestechend,
daß Alma vergaß, daß sie eigentlich ganz gut seine Tochter
sein könnte. Sie begann mit Molitor ein kokettes Spiel;
aber sie mußte bald erkennen, daß er nicht der Mann sei, -
mit sich spielen zu lassen. Das reizte sie nur noch mehr; sie
setzte einen besonderen Ehrgeiz darin, diesen Mann zu ihren
Füßen zu sehen, und je weniger sicher sie ihrer Sache war,
desto mehr entflammte sie sich für dieselbe. Molitor sprach
nie von seinen Privatverhültnissen, doch erzählte man sich
leise, daß er eine erwachsene Tochter besitze, die in klöster-
licher Abgeschlossenheit lebe. Er machte keinen übermäßigen
Aufwand, aber ans seinen Gehaben war zu sehen, daß ec
sich in günstigen, wohlgeordneten Vermögensverhältnissen
befand, sein ganzes Auftreten zeigte den Mann von Welt
und Bildung. In ihren seltenen, stillen Stunden hatte sich
Alma von Minden gar oft gesagt, daß, wenn es Molitor ei«-
fiele, um sie zu werben, sie mit Freuden seine Frau werden
möchte.
/Fortsetzung folgt.) 3.7 I8ct
 
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