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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 141 - No. 150 (17. Juni - 28. Juni)
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ein Mann uver Bord, wurde jedoch gerettet. Die heutige
Kanalfahrt des Kaisers geht bis Rendsburg. In Le-
vensau findet die feierliche Grundsteinlegung der Hoch-
brücke um l l l/4 Uhr statt.
Oesterreich-Ungarn.
Wien, 21. Juni. Clerikale Blätter in Wien und
Graz bestätigen, daß sich die Dynastie Luremburg-Nassau
dem Katholisirungszwange bezüglich der Nachkommenschaft
unterworfen habe, um die Vermählung des Erbgroßherzogs
mit der Prinzessin von Braganza zu ermöglichen. Als
gestern der Großhcrzog Adolph und die Gemahlin des
Erbgroßherzogs im Schlosse Fischhorn eintrafen, spielte
eine Militärkapelle die Hymne Wilhelmus von Nassauern
Von Wien nahmen an der Festlichkeit theil: beide
Brüder des Kaisers, ferner der Erbgroßherzog von Baden
mit feiner Gemahlin, einer Schwester des Bräutigams.
— Das „N. W. Tgbl." sagt, die Ernennung des
Cardinals Kopp zum Vicepräsidenten eines österreichischen
Landtages, wo es oft zu heftigen politischen Auseinander-
setzungen komme, zeige, wie fest das Freundschaft s-
bündniß zwischen Oesterreich und Deutschland sei.
Es habe kein Bedenken Vorgelegen, einen preußischen
Staatsrath auch zu einer österreichischen Amtsthätigkeit
zu berufen. Der Fürstbischof hätte sicherlich verzichtet,
wenn er einen Jnteressenkonflikt vorausgesetzt hätte. Das
„Tageblatt" setzt voraus, daß eine Verständigung mit
Berlin vorangegangen sei. — Der Botschafter Prinz
Reuß wird am Freitag aus Gastein hier erwartet. Er
reist aber am 27. Juni mit seiner Gemahlin nach Nor-
derney. — Die serbische Anleihe mit der Länderbank
beträgt 44 Million Franken zum Kurse von 76.
Frankreich.
Paris, 21. Juni. Der Leiter der „Cocarde", Ducret
erklärt in seinem Blatte folgendes: Wir haben durch die
Mittel, die wir, wenn nithig, vor einem Schwurgericht
oder einem Untersuchungsausschuß angeben werden, aus
einem Schranke der englischen Botschaft in Paris außer-
ordentlich wichtige diplomatische Schrift-
stücke gestohlen. Aus ihnen ergibt sich, daß der fran-
zösischen Regierung sehr bedeutsame Acten entwendet, ab-
geschrieben und der englischen Regierung ausgeliefert
wurden durch einen französischen Politiker,
der von England Geld erhielt. In den ent-
wendeten Papieren befinden sich sehr viele andere äußerst
schmerzliche Dinge. Man muß harte Opfer der Noth-
wendigkeit bringen, feinem Vaterland einen Dienst zu
leisten, aber die volle Wahrheit soll bekannt
werden. — Or. Brouardel und vr. Charcot sind um
5 Uhr in London angekommen; wenn es möglich ist,
werden sie ihren Bericht über den Zustand von Cornelius
Herz vor der morgigen Kammersitzung schicken. Man
spricht nur von den Schriftstücken der „Cocarde". Mille-
voye sagt auf eine Anfrage: „Ich besitze Staatsgeheimnisse
mit denen ich gewisse Personen treffen kann. Ich werde
aber im Einvernehmen mit der Regierung vorgehen. Ich
würde geneigt sein, auf meine Interpellation zu verzichten.
Wenn Clemenceau mich aber herausfordert, werde ich
Erklärung abgeben."
Paris, 21. Juni. Millevoye wurde heute vom
Ministerpräsidenten empfangen, um sich mit ihm über die
Anfrage zu unterhalten, welche er morgen wegen Cornelius
Herz stellen wird und über die Schriftstücke, die er vor-
bringt. Heute Morgen war Millevoye in Begleitung von
Meres beim Minister des Aeußern und theilte ihm die
Schriftstücke mit, von denen die „Cocarde" sprach.
Paris, 21. Juni. Der gemischte Ausschuß für die
F'reilassung von Charles de LessepS ist heute
zusammengetreten, wird aber seine Entscheidung erst Ende
der Woche bekannt geben.

Kopenhagen, 21. Juni. In den hiesigen Hofkreisen
gilt es für sehr wahrscheinlich, daß der König und die
Königin am 29. Juni morgens von Csbjerg aus an
Bord des „Danebrog" nach England abreisen. Der
„Danebrog" werde von der Kreuzercorvette „Walküre"
begleitet werden, an deren Bord der Prinz Waldemar als
Capitän an der Reise theilnehmen werde.
Holland.
Amsterdam, 21. Juni. Der Justiz-Minister hat
anläßlich der Furcht vor ansteckenden Krankheiten
und der zunehmenden Zahl russischer Einwohner die An-
ordnung getroffen, nur solche Auswanderer über die hol-
ländische Grenze passiven zu lassen, welche mit Ueber-
fahrt-Billets nach Amerika der holländisch-amerikanischen
Dampfschifffahrts-Gesellschaft versehen und im Besitze aus-
reichender Mittel sind, um ihren Unterhalt während ihres
kurzen Aufenthalts in Holland bestreiten zu können. Dem
Minister wurde gemeldet, daß in der nächsten Woche noch
50000 Einwanderer an der holländischen Grenze ein-
treffen werden.
England.
London, 21. Juni. In Konstantinopel werden große
Vorbereitungen zu einem prächtigen Empfang des
Khedivs getroffen, der am 4. Juli dort anlangt. Der
Besuch soll sich auf Konstantinopel beschränken.
Serbien.
Belgrad, 21. Juni. Zwischen den Führern der
Liberalen und der fortschrittlichen Partei schweben Ver-
bandlungen zur Verschmelzung beider Parteien in eine
neue conservative Partei, die sich Volks Part ei nennen
soll. Wenn die Verhandlungen das gewünschte Ergebniß
erzielen, werden die Abgeordneten der fortschrittlichen
Partei aus der Skuptschina ausscheiden.
Rußland.
Petersburg, 21. Juni. Zugleich mit dem Abschluß
eines russisch-französischen Zollabkommens,
das bekanntlich für eine Reihe von Artikeln gegenseitig
den Minimaltarif bewilligt, ist auch der neue russische
„Mari m altarif" festgestellt worden, der dieser Tage
veröffentlicht werden soll. Die Oberpreßverwaltung hat
nun im Auftrage des Ministers des Innern den Re-
dactionen streng verboten, bei der Besprechung des neuen
Marimaltarifs sowie des russisch-französischen Zollab-
kommens dieser auch nur im entferntesten einen politischen
Charakter aufzudrücken. Es handle sich dabei einzig
und allein um eine Maßregel, die im Interesse des
russischen Handels und der Industrie getroffen sei, und
sie entbebre vor allem jeglicher Spitze gegen Deutschland,
was auszusprechen dem einen oder dem anderen russischen
Blatte einfallen könnte. Die Zeitungen hätten sich selbst
dann jeder politischen Aeußerung über diesen Fall zu
enthalten, wenn sie durch Auslassungen der ausländischen
Presse etwa hierzu herausge,"ordert werden sollten. Ein
jeglicher darauf bezüglicher Zeitungsstreit werde von der
Regierung als „schadenbringend" erachtet und biermit
auf das allerstrengste untersagt.
Die Reichstags Wahlen.
sZ Heidelberg, 22. Juni. Die Gefahr einer neuen
Kartellmehrheit ist nach dem neuesten Wahler-
gebniß noch näher gerückt. Das Wölfische Telegraphen-
bureau selbst berechnet, daß aus den beiden konservativen
Parteien, den Nationalliberalen, dem Bund der Land-
wirthe und den Antisemiten 82 Abgeordnete gewählt
sind, während sich noch 168 in Stichwahl befinden.
Darnach würden also in dem für das Kartell günstigsten
Falle 250 Kartellmitglieder gewählt werden können. Zu
einer Kartellmehrheit aber reichen schon 199 Abgeord-
nete aus.
O Heidelberg, 22. Juni. Das Ergebniß der

veröffentlicht. Es ergiebt sich daraus, daß 180 Stich-
wahlen erforderlich und 217 Abgeordnete endgültig ge-
wählt sind. Die Gewählten vertheilen sich auf die ver-
schiedenen Parteien, wie folgt:
Conservative 49,
Deutsche ReichSpartci 11,
Nationalliberale 15,
Centrum 81,
Freis. Vereinigung 3,
Freis. Volkspartei 0,
Socialdemokraten 24,
Süddeutsche Volkspartei 4,
Polen 12,
Welfen 0,
Antisemiten 3,
Elsässer 9,
Dänen I,
bei keiner Fraction 5,
An den Stichwahlen sind betheiligt:
Conservative 51,
Reichspartei 23,
Nationalliberale 74,
Centrum 34,
Freis. Vereinigung 12,
Freis. Volkspartei 31,
Socialdemokraten 82,
Süddeutsche Volkspartei 10,
Polen 11,
Welfen 9,
Antisemiten 16,
Elsässer 2,
bei keiner Fraction 5.
Theilt man die bereits gewählten Abgeordneten in
Gegner und Freunde der Militärvorlage, so ergeben sich
einstweilen 119 Gegner und 98 Freunde der Borlage.
In den Stichwahlen stehen 168 Gegner und 192 Freunde
der Vorlage. Ueber den Ausfall der Stichwablen aber
lassen sich keine Vermuthungen anstellen, Ueberraschungen
sind dabei ebenso wenig ausgeschlossen, wie bei der Haupt-
wahl. Bemerkenswcrth ist, daß auch die Welfen zum
ersten Male keinen ibrer Kandidaten durchgebracht haben,
während die Polen schon 12 Mandate besitzen und noch
11 Mal in Stichwahlen kommen. In keinem Wahl-
kreise der Provinz Posen — wo sonst bei jeder Haupt-
wahl zwei bis drei Deutsche gewählt worden waren —
hat diesmal ein deutscher Kandidat gesiegt.
Im Allgemeinen stehen in den Stichwahlen die Chancen
der Gegner der Militärvorlage erheblich günstiger als die-
jenigen ihrer Freunde. Wenn also die Gegner de-
Militarismus die politische Einsicht besitzen, fest zu-
sammen zu halten, so wird es ein Leichtes sein, eine
Kartellmehrheit zu verhindern und damit
unser deutsches Volk vor weiteren Steuer-
lasten und weiterer Schmälerung seiner
Rechte und Freiheiten zu schützen.
Karlsruhe, 21. Juni. Der engere Ausschuß der
freisinnigen und der Volkspartei empfiehlt in einem Auf-
ruf, bei den Stichwahlen nur Gegner der Militärvorlage
zu wählen.
— Mannheim, 21. Juni. Die demokratische Partei
beschloß, in der Stichwahl zwischen Dr. Bassermann
(natl.) und Dreesbach (Soz.) für den Sozialisten
zu stimmen.
Kaiserslautern, 20. Juni. Die CentrumS-
part ei beschloß, in der Stichwahl für den Kandidaten
der Volks Partei Philipp Mayer von Ramsen, ein-
zutreten und die Agitation für diesen sofort aufzunehmen.
Nürnberg, 21. Juni. Im Wahlkreise Fürth tritt
das Centrum für die Kandidatur Weiß ein. Die
Cvnservativen enthalten sich der Abstimmung.
Berlin, 21. Juni. Als Parole zu den Stichwahlen

die sich zu einer kurzen Unterhaltung dein Liebespärchen
täglich bot — denn daß wir ein solches hier vor uns haben,
werden meine freundlichen Leser und Leserinnen längst ge-
merkt haben —eigentlich gänzlich überflüssig; wir Alle wissen
ja — theils ans eigener Erfahrung, theils vom Hörensagen,
daß Liebende sich immer nicht nur viel zu sagen, sondern auch
viel zu schreiben haben, und daß ein heimlicher Briefwechsel
einen ganz besonderen Reiz hat.
Nach einem dem Schreiber zugenickten freundlichen Ab-
schiedsgruße trat das junge Mädchen wieder den Rückweg
an. So lange noch der Saum ihres Kleides sichtbar war,
schaute der Liebende unter freudigem Herzklopfen ihr nach,
dann ließ er sich mit einem tiefen Seufzer wieder an seineni
Schreibtische nieder und nahm seine unterbrochene Arbeit, die
Abschrift eines Aktenstückes, wieder auf.
Auf den freundlichen Maitag folgte ein eben so köstlicher
Abend. Die Sonne neigte sich hinter einem leichten, weißen
Gewölk, dessen Ränder von ihren Strahlen vergoldet wur-
den, ihrem Untergänge zu; derGesang derVögcl vcrsi nnmte
mehr und niehr, nur eine Nachtigal schmetterte noch ihren
herzerquickenden Gesang inmitten eines blühenden Flieder-
busches, als ein Jüngling am Rande des frisch belaubten
Waldes sichtbar wurde und seine Schritte nach dem Amt-
garten zu lenkte. Wenige Augenblicke nachher war er iu den
schattigen Gängen desselben verschwunden. Er ließ sich auf
einer von dichtem Gebüsch umgebenen und tief versteckt an-
gebrachten Bank nieder, und in großer Unruhe und Unge-
duld sich bald nach rechts, bald nach links niederbengend,
suchten seine Blicke das Dickicht zu durchdringen, um den
Gegenstand seiner Erwartung zu erspähen. Es schien, als
ob er denselben herzaubern wolle und könne, denn bald da-
rauf ließ sich auf dem Kieswege ein leises Geräusch von
Schritten vernehmen, die Zweige rauschten und — ein freund-
liches Mädchenantlitz wurde plötzlich hinterdemselbensichtbar,
in welchem wir jenes junge Mädchen wieder erkennen, welches

niit dem Schreiber den geheimen Briefwechsel unterhielt,
in welchem der Rosenbusch unter dem Fenster des Amthauses
die Stelle des Postbureaus vertrat.
„Dank, tausend Dank, liebe Auguste, daß Da gekommen
bist!" ries, von seinem Sitze sich erhebend, der junge Mann
mit gedämpfter Stimme freudig aus. „Mit welcherSehnsucht
habe ich Dich erwartet! Die Minuten wurden mir zu Ewig-
keiten! Fast fürchtete ich schon. Du würdest nicht mehr
kommen."
Bei diesen Worten schloß er sie in seine Arme and zog sie
neben sich aus die Bank.
„Fast wäre ich auch nicht gekommen, lieber Ferdinand,"
erwiderte das junge Mädchen, ihm die Wange streichelnd,
„denn die Mutter wünschte, daß ich dem Doctor Kreising,
der, seit er unser Hausarzt geworden ist, uns mit seinen
häufigen Besuchen fast lästig wird, Gesellschaft leisten möchte,
weil sie noch mit der Wäsche zu thun hatte; zum Glück kam
aber der Vater von seinem Spaziergange zu Haus, und da
habe ich denn selbstverständlich die Gelegenheit benutzt, mei-
nem Versprechen gemäß, Dir einen guten Abend zu sagen."
Die Stirn des Jünglings verfinsterte sich.
„Es Null mir gar nicht gefallen," sagte er, „daß der
Doctor fast alltäglich zu Euch kommt. Sollte er mit seinen
Besuchen keine besondere Absichten verbinden, da er doch
weiß, daß Niemand im Hanse krank ist und seiner Hülfe be-
darf?"
„Was für besondere Absichten sollte er dabei haben?"
fragte Auguste; „wie soll man sich seine täglichen Besuche
anders als aus übertriebenem Pflichteifer erklären? Er ist
noch ein junger Mann, der mit den Lebeusverhältnissen noch
wenig vertraut ist und also auch keine Ahnung davon hat,
daß er lästig werden kann."
Der Schreiber schüttelte mit dem Kopfe und starrte ge-
dankenvoll vor sich nieder. Dann ergriff er dieHände desMäd-
chens und, indem er dieselbe mit beiden Händen fest umschloß,

entgegnete er: „Was für besondere Absichten, fragst Du?
Er kommt Deinetwegen!"
„Meinetwegen?" fragte sie betroffen, und blickte ihn mit
ihren schönen Augen verwuuderungsvoll an. „Wenn Du
das glaubst, Ferdinand, so werde ich mich niemals wieder
vor ihm sehen lassen."
„Das wird nicht anszuführen sein, liebe Auguste; auch
würde solches absichtliche Fernbleiben leicht den Verdacht bei
Deinen Eltern erwecken, daß — daß Dein Herz nicht mehr
frei ist. Aber Recht habe ich doch: er kommt Deinetwegen;
und dieser Umstand macht mir schon seit einigen Tagen große
Sorge und Unruhe."
„O, Du Aermster!" entgegnete das junge Mädchen
lächelnd, indem sie die Falten seiner Stirn zu glätten sich
bemühte; „wie bist Du zu beklagen! Also Eifersucht quält
Dich? Dieser Gedanke wäre mir freilich nie gekommen; ich
meine, Du solltest mich und meine Liebe zu Dir bester kennen,
als bemüht sein, in unbegründeten Selbstqualen Dir das
Leben zu verbittern. Kennen wir uns etwa erst seit gestern,
daß Dein Vertrauen noch nicht festere Wurzel geschlagen
hat?"
„Mein Vertrauen zu Dir steht felsenfest; das weißt Du
anch selbst, Geliebte; aber die gesellschaftlichen Verhältnisse
und fremder Wille find oft stärker als unsere glühendste
Liebe. Wir kennen uns seit Kindesbeinen an und unsere
Jugendliebe hat sich mit den Jahren wahrlich nicht verringert.
Nach dem Tode meiner Eltern, die mich als einen armen,
hülsloseZ Knaben zurückließen, erbarmten sich Deine guten
Eltern sich meiner und gaben mir Obdach und Nahrung. Ob
sie mir aber die Hand ihrer einzigen Tochter schenken uud
mich zu ihren, Sohne machen werden, ist sehr fraglich uud
um so zweifelhafter, wenn mir ein Nebenbuhler wie der
Herr Doktor Kreising in den Weg tritt."
(Fortsetzung folgt.) 5,1 18
 
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