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Volksgemeinschaft: Heidelberger Beobachter, NS-Zeitung für Nordbaden (6) — 1936 (Juli bis Dezember)

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https://doi.org/10.11588/diglit.9507#0701

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?«!ts 11

Unterlialtung

M s/rriM man,,'LüemnLtr«^ /

«nös4st ^«tte»-/ttao^s

Verlio, 16. August

kaufmännischcn Bricfcn spricht man oft vom
itz-?^rzeich „ e t e n"! Wir sind abcr der Ansicht-
>tn./b richtiger ist, vom „llnterzeich n e n d e n" zu
sj^lhen. Wir bitten um Auskunft, ob unsere An-
richtig P und ersuchen Sie, Jhre Antwort cin
wenig zu begrunden. T-Heringshandelsgesell-
th" Tag fiir Tag lauscn bei der Deutschen
" ch b e r a t u n g s st e l l e Briefe ähnlichen
»vn ^ in Fülle cin. In Steglih, cinem Vorort
^ Berlin, liegen die Räume dieser Sprachbera.
tz^stelle, die, 'in der Allgemeinheit noch viel zu
kxjwg rekannt. cine autzerordentlich wichtige Tätig-
V^^ltei. Kostenlos gibt sie alle Auskünfte über
bi-TMbfragen Rechtschreibung, Aussprache, Na-
^kunde, Verdeutschung, Zeichensetzung, Sprachlehre
Sprachgeschichte.

Jahren wurde die Deutsche Sprachbe,

^ss^gsstelle gegründet. Einzig und allein durch 'den
sj^ °lismus eines Mannes ins Leben gerufen, der
sj-^ute noch in ehrenamtlicher Weise leitet, hat sie
^ uach und nach zum grötzten Wortarchiv
hz ^ Welt entwickelt. „Fünfzehn Jahre Arbeit
s^öen an diesem Archiv" sagt uns Dr. B a s l e r,
ej? ^eiter und geistiger Vater und deutet dabei aus
^j/egal in riesigen Ausmatzen. „Zweieinhalb
"wnen Wörter sind hier registriert sowohl in al-

^Negal

pKwnen ,—...

- °etlscher Folge, als auch dcn Quellen nach, sodatz

z.,>e Fächer insgesamt 5 Millionen Wortbelege ent-
Die deutsche Sprache, das kostbarste Äut un-
Volkes, ist in fast lückenloser Vollständigkeit in
>>k^^.^uzahl von kleinen Zetteln sestgehalten. Bis
sh -^ahr 806, dem Eeburtsjahrhundert der „deut-
stz u Laute, reichen sie zurück, spiegcln dcn ganzen
lz^°egang des Deutschen wider, den Sprachschatz der
!>i ,Mmanischen Periode, Lehn- und Fremüworter,
^öangssprache, abcr auch dic abseitigen Wörter
°r „Berusssprachcn".

^^nothpistin wird gerechtfertigt

>» E" wievielen Fällen ist der unbekannte Mann
jk.^adt und Lanü oft im Zwcifel, wie dieses oder
Wort richtig geschrieben wird", erzählt uns Dr.
e^Wr. ,.Man wird einwenden. das könnte man
Iki^.aus einem Wörterbuch erfahren. Aber Sie mlls-
^ bedenken, dag es sich hicr häufig um einfachs
ixj^chen handelt. um Holzfällcr, Schäfer, Hilfsar-
die mit der Erammatik und dem Duden nicht
hZ'°3ehen verstehen, meist auch keines dieser Bücher
tz^n. sehen Sie. da fragt ein niederdeutscher

an, ob es richtig „Baue rscha ften" oder
e ^ " schaften" heißt und zieht interessanterweise
Vergleich heran, datz man die Maschinen bauer
tz; nicht die Maschinen bauern satzt. Diesem
?N, der sich so erfreulich ernst mit semem Beruf
hyN wäre nun nicht viel gedient, wenn man ihm
hej^ch geschrieben hätte, datz es „Bau ern schaften"
mutz. Die Sprachberatungsstelle hat ihm
!tz,ch°hr ausführlich die Ableitung des Wortes er-
^nd damit weitere Anregung zum Studium der
^^nchgeschichte gegeben."

»b^eber vielcs gibt ein gutes Wörterbuch Ausschlutz,
nicht Lber dlles. Imd da setzt dann immer die
>»s - ngsstelle ein, deren Adresse man cigcntlich bis
^ Zetzte Dorf hinaus bekannt machen mützte. Ein
,tz N°r will wissen, ob es „Forstaufs i ch t samt" oüer
ezch>ichtamt" heigt, ein Schreibmaschinenfräulein,
sh,?nn alles „Nötige" grog oder klein schreibt. Sie
^we es grog und ser deshalb von ihrem Chef aus-

gelacht worden. Nun, man schreibt es grotz und der
Herr Vorgesetzte hat sich in Unrecht darüber lustig
gemacht.

Wieviel find „rund l Oüü Mkark"

Wie spricht man Chemie, Orchester, China,
Chemnitz? Die Beratungsstelle gibt Auskunft, er-
schöpft sich aber nicht darin, zu sagen, datz man Che-
mie und China w i e „ch" spricht, wahrend „Or-
chester" und „Chemnitz" mit „k" gesprochen werden,
sondern teilt auch gleich mit, warum man eg so
spricht. Die Krankenkasse eines bestimmten Eewer.
bcs ist sich über ihren langen Titel nicht im klaren.
So wird sie beraten, wie sie sich besser, verständlicher
und kürzer nennen könnte. Alles, was irgendwie
unsere deutsche Sprache angeht, wird von der Sprach-
bcratungsstelle, die eng mit dem Deutschen Sprach-
verein zusammenarbeitet, begutachtet. „Jn dem
neuen Reichsjagdgesetz wird das Wort „feilbieten" ge-
braucht. Es interessiert mich, ob das Wort mit „an-
preisen" gleichzusetzen ist, oder ob es dem Sinne
nach die abgeschlossene Handlung des Verkaufeng mit-
einschlietzt." So schreibt ein Hamburger Kaufmann.
Lr ist Waffenhändler und eine mitzverständliche Aus-
legung des Wortes „feilbieten" könnte unter Umstän-
Len unangenehme Folgen haben. Also wird er be-
raten, datz „feilbieten" die Handlung des Verkaufens
nicht unbedingt mit einschlietzt. Vorher aber mutz-

ten, bis man diese Auskunft geben konnte, erst Ee-
setze und Eesetzeskommentare durchgearbeitet werden.

„Stenotypistinnen, Grotzindustrielle, Buchdrucker,
Handwerksmeister, Arbeiter, Bauern, aber auch öf-
fentliche Stellen und Behörden find unsere „Kun-
den", sagt Dr. Basler, „und keine Anfrage bleibt
unerledigt." Manchmal spielen die Auskünfte sogar
ins Juristische hinüber. So ist die Sprachberatungs-
stelle vor einigen Wochen in einem Rechtsstreit zu
Rate gezogen worden, bei dem es sich um die ein-
wandfreie Feststellung der Höhe cines Be-
trages von „rund 1000 Mark" handelte. Da
mutzte sich der Sprachforscher dann darauf berufen,
datz die „numerus rotundus" eine aus lauter Zeh-
nern, Hundertern und Tausendern bestehende Zahl
bedeutet und die Schwankungen von „rund tausend
Mark" also HLchstens zehn Mark nach oben oder un-
ten betragen können.

Eine Frage wiederholt sich in allcn Vriefen am
meisten. Schreibt man beim deutschen Grutz das
„deutsch" grotz oder klein? Und die Antwort
darauf ist von der Sprachberatungsstelle vorsorglich
gleich vervielfältigt worden: „Man schreibt in die-
sem Fall das „Deutsch" gro tz," heitzt es darin.
„Wcnn wir heute bewutzt „mit Deutschem Erutz"
sckireiben, so meinen wir den bestimmten Deutschen
Erutz, der zugleich eine Bejahung des neuen Reiches
in sich schlietzt."


2e» / 'k«. ü«- Ttü»

2n seinem grotzen Osmanischen Reich zeigte der
Sultan den Ehrgeiz, weder in der Wissenschaft noch
in der Kunst hinter den kulturell hochstehenden Völ-
kern des Abendlandes zuriickzubleibcn. llm cinc na.
tioNale Litergtur zu schaffen. die den Vergleich mit
derjenigen andercr Völker voll aushielt, beschlotz der
Herrscher schlietzlich, einen Eelegeicheitspoeten, von
welchem bi? dahin nur in einigeir Zeitungen Ee-
dichte erschienen waren und dcr im Hauptberuf
Steuerbeanrter wqr. nach Wien, Berlin und Paris
zu schicken, um dort „Poesie" zu studieren.

Selim hietz der Eliickliche. Er verbrschte seine
ganze Zeit in Wein- und Bierlokalen der Welt-
städte, wo ihm das Studium anscheinend am meisten
zusagte. Nach einem Jahr kehrte er nach Konstan.
tinopel zurück und meldete sich bei seinem Sultan.
llnd dann machte er sich mit aller Energie an das
Dichten — —

Nach kurzer Zeit schon zeigte sich jedoch, datz kein
einziger Türke Jnterefse an Selims Vüchern hatte.
Die Mehrzahl konnte ohnedies weder lesen noch
ichreiben — und die Eebildeten lasen deutsche, eng-
liiche und französische Bücher. Selim blieb nichts
anderes übr-ig, als seinen hohen Eönner um Hilfe
anzugehen. wenn er nicht Hungers sterbcn wollte.
Bereitwilligst griff der Sultan ihm unter die Arme
— und Selim dichtete weiter.

Als aber der Sultan zu wiederholten Malen Se-
lims Pegasus auf die Beine helfen mutzte, wurde
ihm die Sache zu dumm. Eines Tages öerief er
den Dichter zu sich.

„Die Söhne Allahs haben keinen Sinn für Kunst,
für Bücher, für Poesie. Du aber, Selim, als Dich-
ter, kennst die Volksseele und wirst wohl am besten
wissen, wo du den Menschen anpacken kannst, um
deinen Nutzen aus ihm zu ziehen. Wähle einen an-
deren Beruf'^ schlotz der Sultan scine kurze Reüe,
„ein-en Beruf, der dich auch ernähren wird — und
ich will dir auch an die Hand gehen."

„Hoher Herr und Gebieter, wenn ich einen
Wunsch aussprechen darf", entgegnete Selim, „so gc-
statte mir, von jedem deiner männlichen llnter.
tanen, der sich unter dem Pantoffel seiner Frau be-
findet, einen Silberling einzutreiben".

Der Sultan schaute Selim erstgunt an. Da er
aber Spatz verstand, lachtc er und war damit ein-
verstanden. „Man merkt, datz du dcinen ersten Ve-
ruf noch nicht verlernt und vergessen hast. Steuer-
einziehen scheint nach deiner Ueberzeugung doch mehr
einzubringen als das Dichten!"

Selim verlietz den Palast — und der Sultan
hörte nichts mehr von ihm.

Eeraume Zeit verfloß, da fiel dem Herrscher sein
verkrachter Poet wieder ein. Als er sich nach des-
sen Schicksal erkundigte, erfuhr er zu seinem grötzten
Erstaunen. datz es lselim sehr gut ging, datz er ein
eigenes Haus am goldenen Horn besatz, einen gro-
tzen Harem, Eunuchen und Diener und datz er aus
grotzem Futz lebtc.

Neugierig lietz ihn der Sultan zu sich kommen.
„Wie geht es dir, Selim?" fragte er ihn gönnerhqft.

„Da ich von der Schwäche der Männer lebe,

scus irwsI Wsltisilsn, v O r-> ^tlss vsO St s I ii sl I s n

' ^rtsetzung

^e^Zcht den in dieser Silvesternackit in Sckmce und
glitzenden Park auch? Die kleine verschla-
»h . ^lm? Das „Römische Haus" da drüben mit
Tj„Auen Erinnerungen? Und die so blechern die
kündende llhr vom Bastilleturm des
N, Ms auch? — Eehört nicht vielleicht gerade
Poei?t^ergrund dieses alten Weimar. die ganze

»öriin kleinen Eoethestadt dazu, um ihre Er-
»iei-IO» glaubhast zu machen? Werden sie nicht
»ij-Zfscht anderswo verblasien? Nüchtern und un-
Ä'ch erscheinen?

Ach. ich liebe Herbert Dürenfort doch!
az,T°ne aufregende Träume schläst Renate von
t»»t °»n dem neuen Leben, der neuen sernen Hei-
»ntgegen.

^Wieder schmückte sich Schloh Breitenfclde mit
»!>>^°Ziweigen und Lichterglanz und abermals
8rau Allstedt gegen Abend zur Bahn. um
-Nbzuholen. Aber sie nahm diesmal nicht
vchlitten, sondern schachtelte sich mit vielen
«ie„,°n und männiglichen Stotzseuszern ihrer Be-
^ng in der „Kalesche" «in

..Kiilesrsvt»" prni» ^

als ob er durch einen unglücklichen Zufall
8anz fertig geworden war. Zumindest sehlte
?» ^.?ck> vorne zu die rechte Breite. — Statt des-
»cy, ,°lbte sich ein Dach über dem Kutschersitz. das
lressenden Rosselenker einigen Sckutz.gegen
SxZ»n und Wind bot. — Frau Allstedt fubr nicht
i>, T>n der Kalesche, wenn schon diese traditionell
!^i?Z»itenfelde gebörte. von der Nachbarschast ge-
»>l,rk und mit heimlichem Lächeln hoch geehrt
aber um ein ansehnlicheres Eefährt. ins-
»re ein Auto anzuschassen. dazu war sie zu
Autzerdem bei den oft schlechten. ver-
»k«j, niten Wegen schafsten die vorsintflutlichen
!»>,-„ ..Räder der Kalesche mehr, und wenn man
!>ej »fn?ärts auch einschaukelte. wie ein Segelkutter
>» yeckf'ndstärke zwöls. man kam doch nicht so leicht
iZlnhr. umzukivven oder sonst zu verunglllcken.
Neujahr war das herrliche verschneite Win-
»ig^^le.r umgeschlagen in entsetzlchem Matsch. Föh-
»Iit . nde hatten das Eis sast mit Gewalt ausge-
' rrieben es dic Elbe cntlang zum Mccr und

Kalesche" war eine Art Landauer. der so

verbarrikadierten mit Schollen die kleinen Küsten-
sliisse, so dah ihr Wasser in stetem Steigen die
Wiesen iiberschwemmte. — Dazu setzten Regen und
Schneeböcn cin. wechselten ab mit kurzen, trügeri-
schen Sonnenblicken. Sturm zerrte an kahlen Bäu-
men und dicke Nebelschwaden hingen in den trop-
senden Aesten. Kein schönes Wetter sür Leute.
die aus dem geschützten, kultivierten Stadtleben sich
in die ländliche Einsamkeit wagten. Eigentlich
auch keine rechte Iahreszeit hierfür. Aber Frau
Eva ANstedt war doch guter Dinge. Sie sreute sich
auf ihre Eäste. Eerade in solchen unfreundlichen
Tagen war ihr Haus ja besonders behaglich. und
wenn sie den Aerger von Weihnachten dank ihrer
glücklichen Natur auch srst verwunden hatte. sie
war doch des Alleinseinz müde und emvfand reich-
liches Mittellungsbedürsnis. Zunächst natürlich
gegen Renate. — Aber dah deren Wirtin, Frau
von Schratt. mitkam, war ihr auch nicht unlieb.
Sie nahm sich vor, die alte Dame recht gut zu vfle,
gen und herauszufuttern. was ihr bei Stadtleu-
ten immer als erste Pslicht erschien. Damit wiirde
sie dann wohl Renate einen Eefallen tun.

Renate! Ja, hosfentlich blieb das Mädchen nun
hier. — Der Peter tat zwar nicht gut und die bei-
den hatten sich ja immer gezankt, aber man konnte
nicht wissen, vielleicht verliebte er sich in Renate.
und sie erzog ihn zum Landmenschen.

Man mußte ihn so ganz unaufsällig nur öster
über Sonntag herauskommen lassen. Wek weih,
was da alles geschah!

Vielleicht würden noch Enkel sie hier umspie-
len.

Eerade als die sorgende Mama bei diesem Ee-
danken angekommen war, an den sich die lieblichen
Zukunftsbilder wie Rosenranken schlossen, hielt die
Kalesche ganz sonderbarerweise in ihrem gewohn-
ten Schlingen inne! Machte aber statt dessen einen
Svrung und legte sich danach sanft auf die Seite.
Es war da anscheinend eine Erhöhung, die ihr
Halt bot, aber Fellberg blieb vor dem Sturz in
den Cbausieegraben nur bewahrt durch das kramvs-
hafte Anklammern an eine Telegraphenstange.

„Fellberg — zum Donnerwetter. hätt' hei sich
was dahn?"

„Wie?"

„Jck mein'. ob sin Knochen noch heil sün!"

„Woll'n mal sehn. gnä Fru! — Ja, ja. dat's
noch gut abgangen, bloh die Nees hat eens as-
kriegt!"

„Na. dann slav er nich, sondern puh uss'n Weg!"

Mit kurzem Ruck rih Eva Allstedt di« ächzende
Tiir der Kalesche aus. Kletterte aus die Strahe,
mitten hinein in schier unergründlichen Lehm. —
Hilfreiche Hände sanden sich. die das auf die schiefe
Ebene geratene Eesährt wieder aus den rechten
Weg brachten. — Edlere Teile. auher einer zer-
brochenen Elasscheibe. waren nickit verletzt. Den
Dreck sah man im Dunkeln nicht. Die Fuhrc konnte
also wcitergehen.

„Süh eins, wenn das mit'm Auto wesen west,
dann wär'n wir all perdü!" brummtelte Fellberg
weise, in Erinnerung an all das Aergerliche, was
er neulich hinter seinem Rücken gehört hatte.

Die Eedanken seiner Herrin waren ähnliche. —
Jedenfalls im Augenblick weit entsernt von dcn
Rosenketten. die sie vorhin gesponncn hattc.

Notdiirstig schachtelte sie sich wieder zurecht und
verhängte das zerbrochene Fenster, durch das der
Sturm wahre Regengüsse schllttete, mit einer Jacke.

Eine halbe Stunde später, als sie ihre Eäste in
Empsang genommen hatte, und man nunmehr eng.
wie die Heringe in der Tonne.. in dem traditio-
nellen Breitenfelder Gefährt sah, war ihr Humor
aber wieder obenauf, und sie lieferte eine blüten-
reiche Schilderung des Abenteuers. wobei der etwas
ängstlichen, und des Landlebens ganz ungewohn-
ten Frau von Schratt eine Eänsehaut nach der
anderen Lber den Rücken lief.

Renate war still. — Zum Kuckuck, warum war
sie so ruhig? Es vahte nicht zü ihr, nicht in ihrer
Tante Kram. — Ueber Renate stürmten aber er-
neut schwere Eedanken. — Schon das langsame
Vorwärtsbimmeln in der Bahn durch die dunkle
Landschaft, der Regen, der wie eine Schütte Erb-
sen gegen die Fenster vrasselte, die verregneten
kleinen Haltestellen mit ihrer dürftigen Beleuch-
tung, was hatte das alles in ihr aufgerührt. Jetzt
die Fahrt in der altbekannten, so herrlich schlin-
gernden Kalesche, Fellbergs andauerndes „Hüh",
mit dem er die Pferde antrieb. der Emvfang von
all den alten Dienstboten vor dem hellerleuchteten
Schloh, Tantes Zärtlichkeit! — „Heimat" ries es in
ihr. „Heimat!" und immer wieder „Heimat!" —
Wo war Weimar mit seiner Poesie! Wo Jndien mit
seinem Zauber? Wo. vor allem, die sehnsüchtige
Liebe für „Jhn", dem sie sich verschrieben hatte.

Was bis jetzt glaubhaft war in ihrem Leben.
hier paßte es nicht her. So unendlich weit war es
ab, dah cs kaum zu greifen war. Nur Breitenfelde.

,^Solksgemet«schast^

Montag, deu 17. August 1WO

nicin Herrscher". antwortcte Selim lächelnd, „geht
es mir sehr gut! Denn die Frauen stnd zwar dis
bessere Hälfte — dafür sind die Männer aber doch
— das schwache Eeschlecht!"

Der Sultan lachtc. „Erzähle mir von deinen
Erlcbnissen und Erfahrungen" verlangte er.

Selim erzählte bereitwilligst dies und das und
begann dann plötzlich von einer Frau zu schwärmen,
die er gestcrn gesehen hätte.

„Sie lüftete ihren Schleier und da erblickte ich
sie zufällig", crzähltc cr. „Elaube mir, mein er.
habener Herrscher, niemals sah ich ein so schönes
Weib! Jhre Augen waren so dunkel wic die Nächte
über dem Bosporus und ihre Haut zart und jung
und frisch wie dcr Morgenhimmel, wenn er in sei,
nen Perlmutterfarben uber der Hagia Sofia cr-
glänzt. Jhr Mund war wohl das..."

Der Sultan, der schon qeraume Zeit nervös war
und unruhig auf seinem Divan hin- und herrückte,
gab ihm ein Zeichen zu schweigen. Selim aber war
jo hingerissen von seiner Erzählung, datz er nichts
merkte — oder nichts merken wollte und mit noch
mehr Schwung weitererzählte:

„.. .war wohl das Schönste, was ich je gesehen.
Niemals habe ich, oh mein Herrscher, ein so schö-
nes Eedicht gedichtet, niemals auch uur diese Schön.
heit geahnt, die ich nun vor mir sah. Jch kann
wohl sagen, datz dieses Weib..."

Der Sultan konnte sich vor llnruhe kaum noch
beherrschen. Er hörte, wie Sinaide, seine Lieb.
luigsfrau, die sich im Nebenraum aufhielt. an der
Tllr horchte. Jeden Augenblick mutzte sie den Vor-
hang aufreitzen — das eitle. schöne Geschöpf —, um
dem Dichter ihre Schönheit zu zeigen. Aber Selim
fuhr unbeirrt fort:

„...datz dieses Weib iiberhaupt das schönste un-
ter der Sonne..."

Da hielt ihm der Sultan mit Eewalt den Akund
zu. „Um Allahs Willen, Selim!" flüsterte er rasch,
„hör doch auf! 2m Nebenraum befmbet sich Si-
naide — die schöne Sinaide — wenn ste das hört.
dann mutz ich mir nachher ihre Vorwürfe gefallen
lassen —"

Selim lächelte. Er stand auf, verneigte sich vor
scinem Herrscher und sprach: „Hoher Eebieter, darf
ich meine mir vpn dir erlaubte Steuer eintrei.
ben —? Du zahlft aber — zwei Silberlinge!"

Der Sultan sah ihn eincn Augenblick verständ,
nislos an, dann begriff er, lachte und — zahlte.
„Bei mir hast du wohl den grötzten Erfolg gehabt,
du Gauner!" meinte er in bcster Laune.

Selim schüttelte traurig den Kopf. „Es ist schade,

datz ich nicht auch mich selbst besteuern krnn.-

Daran würde ich am meisten verdicuen!"

Wer kiilkt Isik'en ^lie^en?

ÜbsresLcksna gul» Li-tnlgs b«>eckt!g»n
ra nousi- kloünung. v!o Illtrerlkinge^
KrlelsieillquvIIe l>onnto!n v!«I»n
ke!ksn. vesgon L!o Ikken -trrt unU loooen
L!s olck >1!» 12oo!t!go Lnoscküns »üder-
k!ngen ArIs!ke!ljqus>!s" kcstsnlor sckicksn.

tckinskslbi-unoen ösck Übvvlüngsn

bloh die seuchte Luft drauhen, das Toben der
Sturmes war noch Wirklichkeit.

Kurz entschlosien össnete sie ihren Koffer. Ent-
nahm ihm das Bild ihres Verlobten. Baute es
ostentativ auf die kleine Biedermeierkommode ihrcs
Zimmers und sand, dah es bier nfcht herpahte.
Das schöne Männergesicht darauf. mit den zwin-
genden klugen Augen. es kam ibr plötzlich sremd
vor.

Also zuriick damit in den Kosser! Nein. doch nicht.
Man muhte sick, gewöhnen. — Und dann, Tante
Eva sollte es sehen.

Die Beichte. die jetzt bcvorstand, ergab stch leich-
ter an Hand dieses Bildes.

Es war nicht viel Beichte nötig. Als Renat«
mit dem Bild unterm Arm unten am Kamin an-
kam, sahen da zwei alte Damen mit feuchten
Augen. Frau van Sckratt hatte ibr das Erzäblen
abgenommen. Hatte schon berichtet. Auherdem.
nachgeiagt! Aus Weimar war da ein endloses Te-
legramm. — Colombo! Mit bezahlter Rllckant-
wort für ein Telegramm von ebensolcher LLnge.

„Erledige das lieber gleich. Der Bote sttzt drau-
hen in der Kiiche und alles ist in Aufregung. So
etwas von Devesche bat man hierzulande noch nicht
erlcbt!"

„2a, Frollein. dann müht man Sie dat Eeld
wieder retourgeben wat der Herr for umsonst he-
zyhlt hat. Aber so vielle hab' ich jarnich hei
mir!" bemerkte der Postbote besorgt. als die Ant-
wort nur halb so lang wurde.

„Schretb doch noch mebr!" riet Tante Eva.

Was schreibt man an einen Verlobten. d«r
einem vlötzlich so im Wesenlosen verschwindet?

„So. und den Rest Geld, den bebalt er nun man
für die Radpartie bei diesem Wetter!" sagte Tan»
Eva.

„Dat Eeld is auf der Post!"

„Na. schön, dann latz er sich's da geben!"

„Ja. dann möt das Frollein dat mir aberstel
bescheinigen!"

Was für ein Umstand um das Telegramm einet
Verlobten.

Renate bescheinigte, froh, endlich die Sache bin-
ter stch zu haben.

„Dein Doktor Dürenfort muh ja ein sebr rei-
cher Mann sein. und dich unendlich lieben! Bist du
denn glücklich. Kind?" meinte Tante Eva, als man
Arm in Arm ins Zimmer zurückging.

„Ja, sehr glücklich!"

Renate glaubte es nun wieder selbst. Auch das
Bild tat nun das seine.

Fortsetzung folgt.
 
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