Msl,
Unterliciltung
^Dolksgemei'nschafl"
Douucrötag, dcn 1S. Oktoder 19UK
SUe^- / «v«. Ac-u sr»«»M
^»rh^ -^lempner Wichert Lbte sein ZaiÄwerk tm
Er zog mit seinem Lötkasten und
^lh ^^^^ase durch die kleinen Dörfer und fragte
D. die ihm die Bäuerinnen gern aufho-
war ein altes trockenes Ltannwesen, ein
der in seinem Heimatstädtchen eine
Msib E bewohnte. Wenn der rauheste Winter des
? Erzgebirges einzog, blreü er im Keller
^ kin?-^Ees an der Rutzflamme und klempnerte
» un>,b- Wurde im Februar der Schnee wieder
kam wie Brei oon den Tannenhöhen ins
? Tal hinabgeflossen, dann klappte er
.Vnn^^ben zu, stopfte sein Zeug zusammen und
Ausmarsch. Er hatte vierzig Lebens-
^ipp^erbracht, wurde im Kriege dürr wie das
sn^olz, das droben in der letzten armen Ein-
aber er blieb eisern. Als die derben Soh-
?ivsi»„ er Nagelschuhe zur schlimmsten Zeit zer-
r SUp,' ^akf er sich mit einem Blechbeschlag, den
^tzbxfs rknsteigen reibeifenartig aufrauhte. Diese
^°»eb^'°ung gefiel ihm wegen ihrer Billigkeit
d«!MtUend, und er blieb dabei, als längst kein
^>uh mxhr auf den Straßen klapperte.
^hip^ZHch kam sein letzter Tag; anädiq und fanft
i°. om eine ruhebietende Hand den Lötkasten und
Vlechschuhe fort. Es war still in seiner
ej ' Herbstregen troff. Am Fenster hockte
^ist^u°w Kalender ein junger Bursche, sein ver-
r^din/ Effe, den er vor einigen Monaten zu sich
^u und im Handwerk unterwiesen hatte.
i'itbx^h der hoch, fand ein verfinkendes Eesicht
^lgi," M den rotweißen Kissen und kam leise
Avi is'^er Alte klappte den Mund, zeichnete mit
Äl 'Marzen Zeigefinger etwas in die Luft. Ein
>Mft ,'wme rochelte dem Iungen die letzte Bot-
- is da, wenn de nich arbeetst. De Schuhe
FZu de Arbeit. Jmmer loofen, loosen, latz mr
i.'Us>K wbel nich derheeme stehn. An die Schuhe
E">ip^u Elück heerste Karl. de werscht's erlähen.
koofen, fleehig uff de Törfer, immer um
- ! Des erbste! De Schuh' sin a pa«r
Ichuh —werscht's erläben".
der Alte begraben war, sah der Siebzehn-
das harte Leben vor sich hingestreckt. Die
A ^Zuhe hatte er viele Male m Handen getzabt
uchtlich wieder in die Ecke gcknallt. Diefe
^»tt^u rotzledernen Vehälter unter deren Es-
oie Eassenjungen mobil wurden, würde er
?k>z 5gen! Arheiten wolle er fchon, und laufen,
Npt°°'5 Fütze trugen, aber ein junaer Mensch
7?.ch nicht hinter sich herlachen lassen? Die
^ Mädel — sollten sie in den Türen
">itzte kichern, wenn er heimWärtslärmte? Was
°er alte Knochen, wie hart Easfengespött tut!
s>, C .
^-'ug aus Furcht vor der Einsamkeit noch in
lp.äten Herbst auf Wauderung, trug seine
s»ie„LUefel, die leise genug gingen; ja, bald
5s äe lautlos geschliessen von den Steinbrocken
Der dünne Rest erweichte im ersten
,!>ih jp°u Schnee. Es war kein glücklicher Anfang;
^ der Winter anf das arme Land und gebot
wkehr. Hungrig kroch er in die eisbezapfte
^»ich Ude zurück und verfiel in Erübelei. Der Vor-
?>, Utz den er sich erinnerte und ihn um Hilfe
''>>ei5pU.4te, jhn beim Klempner des Städtchens
'>X>lhMringen. Der verlangte indes Lehrzeit nnd
v und hatte Lberdies Einwände gegen den
Vagabunden und verpfuschten Klempner. Es wurde
eine schwere Zeit mit Eelegenheitsarbeit da und
dort, mit mitleidig zugeschobenen Mahlzeitsresten.
Wenn im Easthof Tanzvergnügen war, stand er mit
finstren Augen an einem Fenster und lugte in den
Glanz. Er war ein gutmütiger Junge; das Ausge-
stotzensein von der Freude grub die ersten Hatzker-
ben in seinen Charakter.
Allmählich begriff er, datz es ber jedem Leben.
das sich behaupten wollte, einen Zweikampf mit der
Umwelt galt. Nichts wollte nur um Haaresbreite
rücken, damit ein junger Mensch Futter fand; er
mutzte die Ellenboaen und die Füge stemmen und
zuweilen auch die Zähne zeigen.
Datz die Mädchen ihn nicht ansahen, ob mit oder
ohne Blechsohlen, wenn der ganZe Kerl schon vor
Hunger klapperte, rückte ihm sacht vor Augen und
schürte den Trotz.
Eines Morgens zerrte er die Elücksschuhe
Wicherts aus der Ecke, beklopfte sie, wie der Reiter
sein Rotz und stieg hinein. Sie waren schwer wie
Metallktumpen; doch ihr Leder schien mit einer ge-
heimen Kraft durchzoqen. Weirige Tage hatte er sie
an den Fützen, du stellte man ihn in Arbeit auf
einem Bau an. Dann kam der Frühling; er nahm
des Alten Rucksack und schlepperte davon, den Verg-
gemeinden entgegen. Die jungen Frauen und auch
die nicht mehr jungcn fühlten stch mütterlich zu dem
hübschen Klempner hingerufen; es gab Teilnahme,
Arbett und Essen. Da kam was Eläubrges über
thn; mochten die Schuhe klirren, als führe er einea
ganzen Topfladen über die Landstratze; Elück haf-
tete doch daran.
Ein Lahr gmg hiir; der zweite Winler war mit
Vrot durchwärmt. Noch trat er aus keinen Tanz-
boden, staiid noch immer drauhen im Lichtschlitz der
Saalvorhänge und sühlte das Drängen zu Lust
und Aufgetansein. Nur Vitterkeit war nicht mehr
in ihm. Da waren ja so manche, die drautzen stehen
mutzten, und MLdchen lugten auch hinein und reg-
ten spitz-lustig die Zungen-
Als der Herbst des zweite Jahres die Tannen-
wälder durchstürmte und letztes Blattgesetze in die
Eisluft wirbelte, kam er heim und sah, oatz es mit
den Schuhen Wicherts nun zu Ende ging. Rüster
nnd Flicken hin und her, und die vrelgelöteten Soh-
len wollten auch nicht mehr mittun. Mihmutig
klopfte er daran herum und bedachte seine Zukunst.
Vagabund! Wie der Alte! höhnte Eehörtes in ihm
nach. Ein Vater hatte die Worte zu seinem Mädel
gesprochen. Uird er liebte das Mädel! — Kein Va-
gabund! Ehrliches Vrot — murmelte er und holte
die Zange aus dem Kasten. Er begann, die Be-
sohlung zu lösen; er wollte den Blechbeschlag ganz
zu erneueru suchen.
Als er das zernarbte Metall abschälte, kam da-
runter eine saubere zweite Sohle zutage, die recht
wie eine Kassette mit Stiften der starken Brandsohle
aufgenietet war. Ein Gedanke kam, wie ein Ruf von
irgendwo-
Glücksschuhe-llnd er ritz die zweite Sohle
auf. Da lag das Elück; was ein armer Teufel zum
wenigsten Giick heitzen kann-von dem alten
Schelmen verwahrt: Gute alte Geldstücke, Zwan-
M-Mlii-k-Münzen, sauber gereiht, je dreitzig unter
;edem Futz —' --
Der wikde Wein verblutet an den Mauern.
Jn letzter Farbe steben bunt die Wälder.
Wie grotze HaUen ünd die Stoppelielder.
Durch deren Einiamkeit die Winde schauern.
Roch einmal geht der Vauer binterm Pflug,
Jm Duft von Kraut und ausgewüblten Schollen-
Jndes die letzten Wagen beimwärts rollen.
Nun stedt bald alles kahl. was Früchte trug.
Schon knistern wieder Scheite im Kamin.
Ein frühes Dunkel schleicht stch in die Räume
llnd weckt die alten. winterlichen Träume. .
Der Sommer ging wie über Nacht dabin. ^
Eottfried Lochmann.
-Ier Tste im / >»«, R-,««».
Schier endlos zog sich die Lreite Mvbaltstratze
von San Giuliano nach Treviso. Dabei alübte
mein Körver vom Sonnenbrand. den ich mir am
Lido aeholt hatte. und die Augen glasten im Fie-
ber. Es batte schon gedämmert. als mich das Mo-
torboot von Venedig über die Lagune brachte.
Nun war die Nacht bereingebrochen. Wie blau-
schwarzer Samt lag sie über dem Sumvf zu bei-
den Seiten des Stratzendammes. Jrgendwo in der
Ferne blinkten Lichter. Sonst nirgends ein Zei-
chen von Leben in dieser endlosen Schlickwüste.
Soweit der Blick das Dunkel durchbobren konnte.
war Scklamm. braunarauer. ekelbaft riechender
Schlamm. dessen Oberfläche von der langen Trok-
kenbeit barst.
Bleiern lag die Müdigkeit in den Ekiedern.
Wieviel Kilometer lagen nun schon b'nter mir?
Jch wütztü es nicht. Endlich kamen Felder. Mais-
balme raschelten im leichten Nachtwind. Don BSu-
men kam sützer Duft reiser Anrikosen .lleber allem
lag das Eezirv unzäbliger Zikaden. Und bier stand
endlich ein k>aus. ein Bauernöaus. bart an der
Greme zwischen Sumvf und Acker, zwischen Tod
und Leben.
Jch trat durch das Eartentor. Aus einem Fen-
ster drang noch der blasie Schein einer Funiel.
Eine alte Frau Lffnete aus mein Klonken. Von
dem Wortsckwall. mit dem sie mich emvirng. ver-
stand ich wenig. Ich zeigte ibr meinen Patz. ..Ab.
ua reckesco!" Jch sollte nur bereinkommen. meinte
die Alte. Nein. schlafen möchte ich. nur aill Strob
schlafen, ick sei hundemüde. Sie trat aus der Tür.
Führte mich zu einem Schober. Stroh war hier
links und rechts, in der Mitte ein freies Rechteck.
Die Frau zog ein vaar Bündel herunter. richtete
sie aus den Boden. Jch dantte. Sie wünschte „buona
notts" und verschwand.
Endlich ein Lager! Stockflnster war es hier.
Drautzen. vor dem Schuvven. reckten Bäume die
fruchtschwangeren Aeste zum schwarzblauen Him-
mel. Die Stümme verschwammen im Dunkel. Da-
binter mutzte der Sumvf liegen. Der Wind trug
Svuren des Schlammgeruchs herüber. Leise strich
er durch die Zweige. spielte mit den Blättern.
Sonsi kein Laut, autzer dem aleichförmigen Zika-
dengesang. an den sich das Obr schnell gewöhnt.
Doch — da raschelte es ganz laut im Stroh. Jch
borchte. Hatte ich mich getäuicht? Nichts war zu
bören. Es war sicher das Fieber. Jch breitete die
Decke über mein Strohlager. Da — ich hielt den
Atem an — es kroch etwas auf mich zu. Lcise kni-
sterte das Strob. Ein Traum, Lberreizte Pbanta-
sie? Schwerer Atem war börbar. Leise röchelte
ein Mensch. Jch räuiverte mich. Was war das —
sollte ich rusen — schreien? Eedankeu Lber Ee-
danken iagten durL mein Hirn. Hinlegen. schla-
fen, schlafen. das war doch das beste. Jch warf
mich auk das Stroh. Kaum hatte ich mich in die
Decke gewickelt. raschelte es wieder. Dickt neben
mir. Die fiebriaen Auaen bobrten sich ins Dun-
kel. Breit und schwarz lag da ein Etwas. wollte
»ssenbar auf mich zukriechen. Das Blut stieg mir
zum Koof und wich wieder zurück. Die Schläse"
bämmerten. Leise stand ick auf. tastete mich zur
gegenüberlieaenden Stroksichütte. Der Voden war
glatt. Festgestampster Lehm. Doch jetzt stietz mein
Fuß auf ein Hänfchen Strob. Jch griff mit der
Hand danach. Tuchfetzen lagen üier. Bielleicht
Kleider. Ein vaar Augenblicke blieb ich stehen.
Eanz ruhig war es. Selbst der schwere Atem. vas
leise Röcheln hatte ausgebört. Jch tastete wetier.
Lrschrocken zog ich die Hand zurück — was war
bier — etwas unbeimlich Kaltes. Starres hans
ich ergrisfen. Ein Schauer lies mir über den Rük-
ken. Tief ging mein Atem. Eetäuscht konnte ich
mich nicht baben. Das war kein Fiebertranm meür.
Ich bückte mich. Leickienbast weitz schimmerte das
Etwas aus dem Dunkel. Nochmals sühlte ich da«
nach. Sob es auf. Der Futz eines Menschen! Jch
Haarwasche« — «nd dann in's Kino? Mer natür-
lich, Sie waschen das Haar einfach trocken mit
Schwarzkopf-Trocken-Schäumpon, dann gibt es keine
Erkältung. Leicht pudern, kräftig ausbursten: in 3
Minuten ist das Haar locker und duftig, und Sia
sehen aus wie frisch fristert! Dabei kostet eine solchs
Trockenwäsche nur wenige Pfennige!
schüttelte. Nickts rübrte sich. Scknell lieh ich den
kalten. wachsbleichen Menscheniuk fallen. Ein To-
ter — bier sollte ich schlaien! Neben einer Leiche?
Mir schauderte. Fort. dcchte ich. nur fort von bier!
Nein. wo sollte ich denn bin. Die Alte da vorns
bolen! Die schlief aber sicker schon längst. Was
konnte die auch machen. Vielleicht wutzte sie schon
vorher davon. Vielleicht würde sie über mich la«
chen. Jch sah sie schon durch die Zahnluken zischent
,.O, das ist nnr der Knecht. der hat sich beute
abend erhängt. Morgen verscharren wir ibn da
drautzen im SÄlick." Oder was war es sonst. Jch
ging zu meinem Lager. Tote braucht man nicht zu
fürchten. redete ich mir ein. Aber unbeimlich war
es doch. Eeivensteraeschichten iaaten durch meinen
fiebernden Kovf. JL wickelte mich in die Decke.
Die Müdiakeit übermannte mtch, ich fiel in einen
tiefen Schlaf.
Strablende Sonne weckte mich am früben Mors
oen. Mit Schaudern dachte ich an die vergangens
Nacht. Scknell suhr ich auf. Das Strobbäuschen an
der gegeiiüberliegenden Wand war leer. Sie bat»
ten ibn sicher sckwn fort. Jch aing vor. in das Saus.
Die Alte wünschte guten Morgen. Wer das da
drautzen gewesen wäre. heute Nacht. wollte ich
wissen. Ob. Sianore. das war ein Jtaliener. ern
Hausierer. Der kam schon vor dir. er ist schon wie-
der fort." „So". iagte ich. ..der mutz ia geschlasen
baben wie ein Murmeltier". und lachte.
Donnerstag, der 1S. Oktober 1S3K
lKriedrich Nietzsche, 1844 geb.; Frieörich Luö«
wig Iahn. 1852 aest.s:
Alle verschwiegene» Wahrheiten werden giftig.
Friedrich Nietzsche.
Der Mensch gedeiht oft besier beim Brot i«
der Fremde und er wächst srischer uud sreier,
wo ih» kei» steises Herkommen cinengt, noch
das Eeregel der Verlebtheit frühzeit verdutzt
und oerstutzt.
Friedrich Ludwig Jahn.
Üer ftuf vom un-em Hfer
's..
, ,/"setzung
'E'" bitzchen müde, abgespannt?* fragte zur
».e x-5,w:iter. „Na ja, es war heute wieder mql
'KbjHiacht." Er sah das Mädchen prüfend an.
mal energisch, Fräulein Schrader.
K"^.wer!
^ gegesien und gefrunken, wie es sich ge-
!>- üli>5'bnstlicher Befehl."
5>i5?^>narie gab sich gehorsam Mühe, und zur
lobte: „So gefallen Sie mir. llnd mir
. tz. lchmeckt's umso besser."
iählte sich ganz offensi
s>» war lebhaft, aufgeräumt, heiter, brachte
sühlte sich ganz offensichtlich wohl in seiner
» » e war lebhaft, aufgeräumt, heiter, brachte
?>i»°'>chwingtes Eespräch zustande, frag.-e nach
-»bx.^.aries persönlichen Jnteressen, ihren Lieb-
»e j-Ne» und Veschästigungen, wollte wisien, wie
?»»"» .freien Sonntage verbringe. Er blickte ihr
, > sie den Tisch abdeckte, wie sie hin uno
'^>s? A dachte: das Mädchen hat Scharm, feins,
D^»wegungen. es tut gut. ihr zuzusehen.
bat er: „Gestatten Sie, datz ich rauche?
^»H,5>ur unter der Bedingung, dah Sis mit-
!?»ti° ihr das geöffnete Etui hin, und Anne-
> "^befangen jetzt und dadurch sicherer ge-
"»L-' siert« sich nicht, nabm eine Zigarett« und
wit anmutvoller Gelasienheit.
Z». sehr glücklich.
Linden aber dachte: hübsche, schlanke, ge-
^>>t 5? .Finger, die meine Briefe schreiben und
. )l„5'"en Eedanken vertraut stnd.
?»>> 55»»mittelt sprang der Wunsch anf, heute hier
»»Ij,w-n Plänen zu reden, ihnen lebendsge Ee-
k tzx sieben durch das gssprochene Wort.
?tilj^ blickte einen Augenblick lang hinter seinen
»Ux 53läsern prüfend über Annemarie hin und
»anach mit jähem Entschlutz:
S möchte Jhnen etwas ganz Neues zeigen,
»d-Ä'E» allein. Es steckt noch derart in den
»tex^Zuhen, datz es noch nicht spruchreif ist für
^ »aitungen in einem gröheren Kreis."
-.>land auf, ösfnete die Schreibtischschublade
^ilö5°"e etn blaues Heft hervor, hielt es dem
w hin.
s11c».p^lu.i.ss berg
Annemarie las auf dem weitzen Schildchen die
Aufschrift: „Jade".
Fragend hob sie den Kopf.
„Jade, Herr Doktor?"
„Jawohl, mein Kind. Der Jadebusen, der Zhnen
von Wilhelmshaven her nicht unbekannt sein
dürfte."
„Nun, und?"
Jhren Augen sah er an, datz fie noch keineswegs
ahnte, worauf er hinauswollte.
„Denken Sie mal ein bitzchen nach, Fräulein
Annemarie. Wo waren wir letzten Sonntag?"
„Am Zuidersee."
„Und die Woche vorher?"
„Auch da."
„Eut. Dämmert es jetzt? Sie können sich doch
denken, datz ich nicht aus reinem Vergnügen, um
den Mynheers schöne Augen zu machen, so ostda-
hin gefahren bin. Jch habe da doch wie einÜuchs
herumgesvürt, ich habe Aufzeichnungen gemachr
und Jhnen allerlei diktiert, das wird doch alles
seinen Zweck gehabt haben."
Er redete hastig, die Worte überstürzten sich,
die Vlicke hafteten mit eindringlicher Kraft aus
dem Eestcht des Mädchens.
Annemaries Augen öffneten sich weit in un-
gläubigem Staunen.
„Sie wollten, Herr Doktor...?"
„Ja. natürlich. Was die Holländer können,
kriegen wir noch lange fertig."
Er sprang auf, ging heftig rauchend mit ra-
schen Schritten in der Stube auf und ab; über
sein Wesen war ungestüme Erregung ausgegos-
sen.
„Fräulein Schrader, den Jadebusen trockenle-
gen wie die Holländer ihren Zuidersee. Be dc sind
ihrer Entstehung nach das gleiche, Wunden, die
das Meer dem Lande gerisien hat. Eine Fläche
von 190 Quadratkilometer Boden wäre da zu ge-
winnen, eine klerne Provinz für unser Volk ohne
Raum."
Er hielt inne, überwältigt, so schien es dem
MLdchen, öffnets das Fenster, wars die glim-
mende, halb zu Ende gerauchte Zigarette in wei-
tem Bogen hinaus, atmete tief die kühl ins Zim-
mer strömende Nachtlust. Seine Erregung ver-
ebbte: rubiger geworden, sehte er sich wieder an
den Tisch zu Annemarie.
„Dve geographische Aehnlichkeit beider Vuchten
sprang mir ins Auge". erklärte er weiter. ..da mutz
doch auch in Deutschland zu machen sein, was den
Holländern gelungen ist. Jch habe bisber rein
tbeoretisch an Hand von Atlanten, Verechnungen
von Boden- und Meevesbewegungen ausgearbeitet.
sehen Sie hier" — er schlug das Hest aus. wies
sauber gezeichnete Landkarten, lange Zahlentabel-
len vor, Lber die des Mädchens Vlicke gierig hin-
glitten —, „das ist selbstverständlich nur eine
halbe Sache ohne die Besichtigung an Ort und
Stelle."
Annemarie blickte auf. sab jetzt deutlich die
Svuren langer Nachtarbeit aus dem Eesicht des
Mannes. Zärtlichkeit quoll in ibr boch.
„Wann tun Sie das alles? Jn der Nacht?"
„Natürlich. Sie wissen so gut wie ich, datz ich
anders keine Zett habe."
Man mutz aus ihn aufpasien, dachte Anne-
marie bekümmert, «r richtet sich zugrunde. er treibr
Raubbau.
Aber sie batt« kein Recht, ihn zu mahnen. sie
war nur seine Sekretärin. die danküar sein mutzte
füv das Vertrauen. das der Cbes ihr schenkte.
Die Frau! Sve allein hätt« Recht und Pflicht.
ihm derartiges zu sagen.
Vrennend beih fiel ihr der Eedanke an die
Frau auss Herz.
Warum sagt« der Chef kbr ntchts. Warum war
sie, Annemarie. seine Vertraut«?
Die Frage quälte, brannte lange noch. nachdem
der Lbes sie entlaffen hatte, raubte den Schlaf.
Den nächsien Tag hetzte zur Linden die Arbeit.
veitschte die Leute an. gönnte sich selber keine
Atemvause.
Aber am Nachmittag erklärte er Annemarie:
„Jch bin für diese Woche hier fertig. Jch fahre
jetzt zur Jade. Wollen Sie mit?"
Zur Jade? Das hietz auch: zur Mutter. nach
Hause. Ob sie wollte!
Aber es war Samstagnachmittag. Morgen nachi
spätestens mutzte man wieder an der Our sern. das
war unmöglich, wenn man zur Zade subr. Doch
sie wagte, als sie in des Chefs hart entschlossenes
Gesicht sah, nicht den Etnwand zu machen. Sie
nickte nur ein beklommenes Ja, leicht war ihr
nicht zumute.
Zur Linden lieh den Schosför zurück, steuerts
selbst und nabm ein lebensgesäbrliches Temvo.
Annemarie mutzte vorn neben ibm sitzen. nicht wie
sonst binten. er wllnschte ganz offenbar ihre Ee«
sellschaft. Zuweilen schrie er mitten in das Srn-
gen des Motors herein ihr etwas zu, das rm Lärm
der Maschine, im Sarrsen des Fahrtwindes unge»
hört verhallte. Aber das sroh erregte Gesicht des
Mannes, die lachenden Augcn redeten ihre eigene.
sehr deutliche Svrache, und Annemarie nickte, ob-
wohl sie kein Wort verstanden hatte. strahlend zu«
rück. eine Antwort. die den Fragenden völlrg zu
besriedigen schien.
Spät in der Nacht saben sie das rote Lrcht des
Leuchtturms in der Vinnenjade. Zur Lrnden fuhr
aber nicht aus Wilhelmshaven zu, sondern bog ein
nach Dangast.
„Der Platz ist wichtig. Hier müsien wir vor»
erst bleiben."
Die nächsten Tage verbrachte er mit Vermes»
sungen, Zeichnungen rrnd Verechnungen, fuhr der
Küste entlang nach Osten zu. setzte sich in Eck-
warderhörne fest.
Er war still, wortkarg, ganz in sich verschlos-
sen, kaum. datz er zu diktieren wünschte. Er ging
immsr allein, duldete Annemarres Begleitung
nicht. satz bis in die frühen Morgenstunden übcr
Rrssen und Plänen.
Aber zu den Mahlzeiten mutzte sie erscheiueu.
dirrfte ihm vorlegen. ihn ein wenig betreuen. Lr
redete auch hier nichts. sab sie mit Angen an. dis
durch sie hindurchzugeben schienen. aber er lieh sick
doch ihre Fürsorge gefallen.
Was ist nur, worauf soll es hinaus? dachte
Annemarie beunruhigt, wenn sie in das Eesicht
tznukenSisprsisi/vsrt
o///^ bsi Aeck
^cilL-gs 2Ss
dss Mannes sah, dem die Unrast gedankenaufwüh-
lender Arbeit, der Mangel an Schlaf so deutlich
ihren Stempel aufgeprägt hatten.
Die Baustellen an der Our und auf dem We«
sterwald warten. Der Chef ist unerreichbar, kein
Mensch weitz, wo er steckt, er hot mir verboten,
seine Anschrift hier bekanntzugeb n.
Fortsetzung folgt. ,
Unterliciltung
^Dolksgemei'nschafl"
Douucrötag, dcn 1S. Oktoder 19UK
SUe^- / «v«. Ac-u sr»«»M
^»rh^ -^lempner Wichert Lbte sein ZaiÄwerk tm
Er zog mit seinem Lötkasten und
^lh ^^^^ase durch die kleinen Dörfer und fragte
D. die ihm die Bäuerinnen gern aufho-
war ein altes trockenes Ltannwesen, ein
der in seinem Heimatstädtchen eine
Msib E bewohnte. Wenn der rauheste Winter des
? Erzgebirges einzog, blreü er im Keller
^ kin?-^Ees an der Rutzflamme und klempnerte
» un>,b- Wurde im Februar der Schnee wieder
kam wie Brei oon den Tannenhöhen ins
? Tal hinabgeflossen, dann klappte er
.Vnn^^ben zu, stopfte sein Zeug zusammen und
Ausmarsch. Er hatte vierzig Lebens-
^ipp^erbracht, wurde im Kriege dürr wie das
sn^olz, das droben in der letzten armen Ein-
aber er blieb eisern. Als die derben Soh-
?ivsi»„ er Nagelschuhe zur schlimmsten Zeit zer-
r SUp,' ^akf er sich mit einem Blechbeschlag, den
^tzbxfs rknsteigen reibeifenartig aufrauhte. Diese
^°»eb^'°ung gefiel ihm wegen ihrer Billigkeit
d«!MtUend, und er blieb dabei, als längst kein
^>uh mxhr auf den Straßen klapperte.
^hip^ZHch kam sein letzter Tag; anädiq und fanft
i°. om eine ruhebietende Hand den Lötkasten und
Vlechschuhe fort. Es war still in seiner
ej ' Herbstregen troff. Am Fenster hockte
^ist^u°w Kalender ein junger Bursche, sein ver-
r^din/ Effe, den er vor einigen Monaten zu sich
^u und im Handwerk unterwiesen hatte.
i'itbx^h der hoch, fand ein verfinkendes Eesicht
^lgi," M den rotweißen Kissen und kam leise
Avi is'^er Alte klappte den Mund, zeichnete mit
Äl 'Marzen Zeigefinger etwas in die Luft. Ein
>Mft ,'wme rochelte dem Iungen die letzte Bot-
- is da, wenn de nich arbeetst. De Schuhe
FZu de Arbeit. Jmmer loofen, loosen, latz mr
i.'Us>K wbel nich derheeme stehn. An die Schuhe
E">ip^u Elück heerste Karl. de werscht's erlähen.
koofen, fleehig uff de Törfer, immer um
- ! Des erbste! De Schuh' sin a pa«r
Ichuh —werscht's erläben".
der Alte begraben war, sah der Siebzehn-
das harte Leben vor sich hingestreckt. Die
A ^Zuhe hatte er viele Male m Handen getzabt
uchtlich wieder in die Ecke gcknallt. Diefe
^»tt^u rotzledernen Vehälter unter deren Es-
oie Eassenjungen mobil wurden, würde er
?k>z 5gen! Arheiten wolle er fchon, und laufen,
Npt°°'5 Fütze trugen, aber ein junaer Mensch
7?.ch nicht hinter sich herlachen lassen? Die
^ Mädel — sollten sie in den Türen
">itzte kichern, wenn er heimWärtslärmte? Was
°er alte Knochen, wie hart Easfengespött tut!
s>, C .
^-'ug aus Furcht vor der Einsamkeit noch in
lp.äten Herbst auf Wauderung, trug seine
s»ie„LUefel, die leise genug gingen; ja, bald
5s äe lautlos geschliessen von den Steinbrocken
Der dünne Rest erweichte im ersten
,!>ih jp°u Schnee. Es war kein glücklicher Anfang;
^ der Winter anf das arme Land und gebot
wkehr. Hungrig kroch er in die eisbezapfte
^»ich Ude zurück und verfiel in Erübelei. Der Vor-
?>, Utz den er sich erinnerte und ihn um Hilfe
''>>ei5pU.4te, jhn beim Klempner des Städtchens
'>X>lhMringen. Der verlangte indes Lehrzeit nnd
v und hatte Lberdies Einwände gegen den
Vagabunden und verpfuschten Klempner. Es wurde
eine schwere Zeit mit Eelegenheitsarbeit da und
dort, mit mitleidig zugeschobenen Mahlzeitsresten.
Wenn im Easthof Tanzvergnügen war, stand er mit
finstren Augen an einem Fenster und lugte in den
Glanz. Er war ein gutmütiger Junge; das Ausge-
stotzensein von der Freude grub die ersten Hatzker-
ben in seinen Charakter.
Allmählich begriff er, datz es ber jedem Leben.
das sich behaupten wollte, einen Zweikampf mit der
Umwelt galt. Nichts wollte nur um Haaresbreite
rücken, damit ein junger Mensch Futter fand; er
mutzte die Ellenboaen und die Füge stemmen und
zuweilen auch die Zähne zeigen.
Datz die Mädchen ihn nicht ansahen, ob mit oder
ohne Blechsohlen, wenn der ganZe Kerl schon vor
Hunger klapperte, rückte ihm sacht vor Augen und
schürte den Trotz.
Eines Morgens zerrte er die Elücksschuhe
Wicherts aus der Ecke, beklopfte sie, wie der Reiter
sein Rotz und stieg hinein. Sie waren schwer wie
Metallktumpen; doch ihr Leder schien mit einer ge-
heimen Kraft durchzoqen. Weirige Tage hatte er sie
an den Fützen, du stellte man ihn in Arbeit auf
einem Bau an. Dann kam der Frühling; er nahm
des Alten Rucksack und schlepperte davon, den Verg-
gemeinden entgegen. Die jungen Frauen und auch
die nicht mehr jungcn fühlten stch mütterlich zu dem
hübschen Klempner hingerufen; es gab Teilnahme,
Arbett und Essen. Da kam was Eläubrges über
thn; mochten die Schuhe klirren, als führe er einea
ganzen Topfladen über die Landstratze; Elück haf-
tete doch daran.
Ein Lahr gmg hiir; der zweite Winler war mit
Vrot durchwärmt. Noch trat er aus keinen Tanz-
boden, staiid noch immer drauhen im Lichtschlitz der
Saalvorhänge und sühlte das Drängen zu Lust
und Aufgetansein. Nur Vitterkeit war nicht mehr
in ihm. Da waren ja so manche, die drautzen stehen
mutzten, und MLdchen lugten auch hinein und reg-
ten spitz-lustig die Zungen-
Als der Herbst des zweite Jahres die Tannen-
wälder durchstürmte und letztes Blattgesetze in die
Eisluft wirbelte, kam er heim und sah, oatz es mit
den Schuhen Wicherts nun zu Ende ging. Rüster
nnd Flicken hin und her, und die vrelgelöteten Soh-
len wollten auch nicht mehr mittun. Mihmutig
klopfte er daran herum und bedachte seine Zukunst.
Vagabund! Wie der Alte! höhnte Eehörtes in ihm
nach. Ein Vater hatte die Worte zu seinem Mädel
gesprochen. Uird er liebte das Mädel! — Kein Va-
gabund! Ehrliches Vrot — murmelte er und holte
die Zange aus dem Kasten. Er begann, die Be-
sohlung zu lösen; er wollte den Blechbeschlag ganz
zu erneueru suchen.
Als er das zernarbte Metall abschälte, kam da-
runter eine saubere zweite Sohle zutage, die recht
wie eine Kassette mit Stiften der starken Brandsohle
aufgenietet war. Ein Gedanke kam, wie ein Ruf von
irgendwo-
Glücksschuhe-llnd er ritz die zweite Sohle
auf. Da lag das Elück; was ein armer Teufel zum
wenigsten Giick heitzen kann-von dem alten
Schelmen verwahrt: Gute alte Geldstücke, Zwan-
M-Mlii-k-Münzen, sauber gereiht, je dreitzig unter
;edem Futz —' --
Der wikde Wein verblutet an den Mauern.
Jn letzter Farbe steben bunt die Wälder.
Wie grotze HaUen ünd die Stoppelielder.
Durch deren Einiamkeit die Winde schauern.
Roch einmal geht der Vauer binterm Pflug,
Jm Duft von Kraut und ausgewüblten Schollen-
Jndes die letzten Wagen beimwärts rollen.
Nun stedt bald alles kahl. was Früchte trug.
Schon knistern wieder Scheite im Kamin.
Ein frühes Dunkel schleicht stch in die Räume
llnd weckt die alten. winterlichen Träume. .
Der Sommer ging wie über Nacht dabin. ^
Eottfried Lochmann.
-Ier Tste im / >»«, R-,««».
Schier endlos zog sich die Lreite Mvbaltstratze
von San Giuliano nach Treviso. Dabei alübte
mein Körver vom Sonnenbrand. den ich mir am
Lido aeholt hatte. und die Augen glasten im Fie-
ber. Es batte schon gedämmert. als mich das Mo-
torboot von Venedig über die Lagune brachte.
Nun war die Nacht bereingebrochen. Wie blau-
schwarzer Samt lag sie über dem Sumvf zu bei-
den Seiten des Stratzendammes. Jrgendwo in der
Ferne blinkten Lichter. Sonst nirgends ein Zei-
chen von Leben in dieser endlosen Schlickwüste.
Soweit der Blick das Dunkel durchbobren konnte.
war Scklamm. braunarauer. ekelbaft riechender
Schlamm. dessen Oberfläche von der langen Trok-
kenbeit barst.
Bleiern lag die Müdigkeit in den Ekiedern.
Wieviel Kilometer lagen nun schon b'nter mir?
Jch wütztü es nicht. Endlich kamen Felder. Mais-
balme raschelten im leichten Nachtwind. Don BSu-
men kam sützer Duft reiser Anrikosen .lleber allem
lag das Eezirv unzäbliger Zikaden. Und bier stand
endlich ein k>aus. ein Bauernöaus. bart an der
Greme zwischen Sumvf und Acker, zwischen Tod
und Leben.
Jch trat durch das Eartentor. Aus einem Fen-
ster drang noch der blasie Schein einer Funiel.
Eine alte Frau Lffnete aus mein Klonken. Von
dem Wortsckwall. mit dem sie mich emvirng. ver-
stand ich wenig. Ich zeigte ibr meinen Patz. ..Ab.
ua reckesco!" Jch sollte nur bereinkommen. meinte
die Alte. Nein. schlafen möchte ich. nur aill Strob
schlafen, ick sei hundemüde. Sie trat aus der Tür.
Führte mich zu einem Schober. Stroh war hier
links und rechts, in der Mitte ein freies Rechteck.
Die Frau zog ein vaar Bündel herunter. richtete
sie aus den Boden. Jch dantte. Sie wünschte „buona
notts" und verschwand.
Endlich ein Lager! Stockflnster war es hier.
Drautzen. vor dem Schuvven. reckten Bäume die
fruchtschwangeren Aeste zum schwarzblauen Him-
mel. Die Stümme verschwammen im Dunkel. Da-
binter mutzte der Sumvf liegen. Der Wind trug
Svuren des Schlammgeruchs herüber. Leise strich
er durch die Zweige. spielte mit den Blättern.
Sonsi kein Laut, autzer dem aleichförmigen Zika-
dengesang. an den sich das Obr schnell gewöhnt.
Doch — da raschelte es ganz laut im Stroh. Jch
borchte. Hatte ich mich getäuicht? Nichts war zu
bören. Es war sicher das Fieber. Jch breitete die
Decke über mein Strohlager. Da — ich hielt den
Atem an — es kroch etwas auf mich zu. Lcise kni-
sterte das Strob. Ein Traum, Lberreizte Pbanta-
sie? Schwerer Atem war börbar. Leise röchelte
ein Mensch. Jch räuiverte mich. Was war das —
sollte ich rusen — schreien? Eedankeu Lber Ee-
danken iagten durL mein Hirn. Hinlegen. schla-
fen, schlafen. das war doch das beste. Jch warf
mich auk das Stroh. Kaum hatte ich mich in die
Decke gewickelt. raschelte es wieder. Dickt neben
mir. Die fiebriaen Auaen bobrten sich ins Dun-
kel. Breit und schwarz lag da ein Etwas. wollte
»ssenbar auf mich zukriechen. Das Blut stieg mir
zum Koof und wich wieder zurück. Die Schläse"
bämmerten. Leise stand ick auf. tastete mich zur
gegenüberlieaenden Stroksichütte. Der Voden war
glatt. Festgestampster Lehm. Doch jetzt stietz mein
Fuß auf ein Hänfchen Strob. Jch griff mit der
Hand danach. Tuchfetzen lagen üier. Bielleicht
Kleider. Ein vaar Augenblicke blieb ich stehen.
Eanz ruhig war es. Selbst der schwere Atem. vas
leise Röcheln hatte ausgebört. Jch tastete wetier.
Lrschrocken zog ich die Hand zurück — was war
bier — etwas unbeimlich Kaltes. Starres hans
ich ergrisfen. Ein Schauer lies mir über den Rük-
ken. Tief ging mein Atem. Eetäuscht konnte ich
mich nicht baben. Das war kein Fiebertranm meür.
Ich bückte mich. Leickienbast weitz schimmerte das
Etwas aus dem Dunkel. Nochmals sühlte ich da«
nach. Sob es auf. Der Futz eines Menschen! Jch
Haarwasche« — «nd dann in's Kino? Mer natür-
lich, Sie waschen das Haar einfach trocken mit
Schwarzkopf-Trocken-Schäumpon, dann gibt es keine
Erkältung. Leicht pudern, kräftig ausbursten: in 3
Minuten ist das Haar locker und duftig, und Sia
sehen aus wie frisch fristert! Dabei kostet eine solchs
Trockenwäsche nur wenige Pfennige!
schüttelte. Nickts rübrte sich. Scknell lieh ich den
kalten. wachsbleichen Menscheniuk fallen. Ein To-
ter — bier sollte ich schlaien! Neben einer Leiche?
Mir schauderte. Fort. dcchte ich. nur fort von bier!
Nein. wo sollte ich denn bin. Die Alte da vorns
bolen! Die schlief aber sicker schon längst. Was
konnte die auch machen. Vielleicht wutzte sie schon
vorher davon. Vielleicht würde sie über mich la«
chen. Jch sah sie schon durch die Zahnluken zischent
,.O, das ist nnr der Knecht. der hat sich beute
abend erhängt. Morgen verscharren wir ibn da
drautzen im SÄlick." Oder was war es sonst. Jch
ging zu meinem Lager. Tote braucht man nicht zu
fürchten. redete ich mir ein. Aber unbeimlich war
es doch. Eeivensteraeschichten iaaten durch meinen
fiebernden Kovf. JL wickelte mich in die Decke.
Die Müdiakeit übermannte mtch, ich fiel in einen
tiefen Schlaf.
Strablende Sonne weckte mich am früben Mors
oen. Mit Schaudern dachte ich an die vergangens
Nacht. Scknell suhr ich auf. Das Strobbäuschen an
der gegeiiüberliegenden Wand war leer. Sie bat»
ten ibn sicher sckwn fort. Jch aing vor. in das Saus.
Die Alte wünschte guten Morgen. Wer das da
drautzen gewesen wäre. heute Nacht. wollte ich
wissen. Ob. Sianore. das war ein Jtaliener. ern
Hausierer. Der kam schon vor dir. er ist schon wie-
der fort." „So". iagte ich. ..der mutz ia geschlasen
baben wie ein Murmeltier". und lachte.
Donnerstag, der 1S. Oktober 1S3K
lKriedrich Nietzsche, 1844 geb.; Frieörich Luö«
wig Iahn. 1852 aest.s:
Alle verschwiegene» Wahrheiten werden giftig.
Friedrich Nietzsche.
Der Mensch gedeiht oft besier beim Brot i«
der Fremde und er wächst srischer uud sreier,
wo ih» kei» steises Herkommen cinengt, noch
das Eeregel der Verlebtheit frühzeit verdutzt
und oerstutzt.
Friedrich Ludwig Jahn.
Üer ftuf vom un-em Hfer
's..
, ,/"setzung
'E'" bitzchen müde, abgespannt?* fragte zur
».e x-5,w:iter. „Na ja, es war heute wieder mql
'KbjHiacht." Er sah das Mädchen prüfend an.
mal energisch, Fräulein Schrader.
K"^.wer!
^ gegesien und gefrunken, wie es sich ge-
!>- üli>5'bnstlicher Befehl."
5>i5?^>narie gab sich gehorsam Mühe, und zur
lobte: „So gefallen Sie mir. llnd mir
. tz. lchmeckt's umso besser."
iählte sich ganz offensi
s>» war lebhaft, aufgeräumt, heiter, brachte
sühlte sich ganz offensichtlich wohl in seiner
» » e war lebhaft, aufgeräumt, heiter, brachte
?>i»°'>chwingtes Eespräch zustande, frag.-e nach
-»bx.^.aries persönlichen Jnteressen, ihren Lieb-
»e j-Ne» und Veschästigungen, wollte wisien, wie
?»»"» .freien Sonntage verbringe. Er blickte ihr
, > sie den Tisch abdeckte, wie sie hin uno
'^>s? A dachte: das Mädchen hat Scharm, feins,
D^»wegungen. es tut gut. ihr zuzusehen.
bat er: „Gestatten Sie, datz ich rauche?
^»H,5>ur unter der Bedingung, dah Sis mit-
!?»ti° ihr das geöffnete Etui hin, und Anne-
> "^befangen jetzt und dadurch sicherer ge-
"»L-' siert« sich nicht, nabm eine Zigarett« und
wit anmutvoller Gelasienheit.
Z». sehr glücklich.
Linden aber dachte: hübsche, schlanke, ge-
^>>t 5? .Finger, die meine Briefe schreiben und
. )l„5'"en Eedanken vertraut stnd.
?»>> 55»»mittelt sprang der Wunsch anf, heute hier
»»Ij,w-n Plänen zu reden, ihnen lebendsge Ee-
k tzx sieben durch das gssprochene Wort.
?tilj^ blickte einen Augenblick lang hinter seinen
»Ux 53läsern prüfend über Annemarie hin und
»anach mit jähem Entschlutz:
S möchte Jhnen etwas ganz Neues zeigen,
»d-Ä'E» allein. Es steckt noch derart in den
»tex^Zuhen, datz es noch nicht spruchreif ist für
^ »aitungen in einem gröheren Kreis."
-.>land auf, ösfnete die Schreibtischschublade
^ilö5°"e etn blaues Heft hervor, hielt es dem
w hin.
s11c».p^lu.i.ss berg
Annemarie las auf dem weitzen Schildchen die
Aufschrift: „Jade".
Fragend hob sie den Kopf.
„Jade, Herr Doktor?"
„Jawohl, mein Kind. Der Jadebusen, der Zhnen
von Wilhelmshaven her nicht unbekannt sein
dürfte."
„Nun, und?"
Jhren Augen sah er an, datz fie noch keineswegs
ahnte, worauf er hinauswollte.
„Denken Sie mal ein bitzchen nach, Fräulein
Annemarie. Wo waren wir letzten Sonntag?"
„Am Zuidersee."
„Und die Woche vorher?"
„Auch da."
„Eut. Dämmert es jetzt? Sie können sich doch
denken, datz ich nicht aus reinem Vergnügen, um
den Mynheers schöne Augen zu machen, so ostda-
hin gefahren bin. Jch habe da doch wie einÜuchs
herumgesvürt, ich habe Aufzeichnungen gemachr
und Jhnen allerlei diktiert, das wird doch alles
seinen Zweck gehabt haben."
Er redete hastig, die Worte überstürzten sich,
die Vlicke hafteten mit eindringlicher Kraft aus
dem Eestcht des Mädchens.
Annemaries Augen öffneten sich weit in un-
gläubigem Staunen.
„Sie wollten, Herr Doktor...?"
„Ja. natürlich. Was die Holländer können,
kriegen wir noch lange fertig."
Er sprang auf, ging heftig rauchend mit ra-
schen Schritten in der Stube auf und ab; über
sein Wesen war ungestüme Erregung ausgegos-
sen.
„Fräulein Schrader, den Jadebusen trockenle-
gen wie die Holländer ihren Zuidersee. Be dc sind
ihrer Entstehung nach das gleiche, Wunden, die
das Meer dem Lande gerisien hat. Eine Fläche
von 190 Quadratkilometer Boden wäre da zu ge-
winnen, eine klerne Provinz für unser Volk ohne
Raum."
Er hielt inne, überwältigt, so schien es dem
MLdchen, öffnets das Fenster, wars die glim-
mende, halb zu Ende gerauchte Zigarette in wei-
tem Bogen hinaus, atmete tief die kühl ins Zim-
mer strömende Nachtlust. Seine Erregung ver-
ebbte: rubiger geworden, sehte er sich wieder an
den Tisch zu Annemarie.
„Dve geographische Aehnlichkeit beider Vuchten
sprang mir ins Auge". erklärte er weiter. ..da mutz
doch auch in Deutschland zu machen sein, was den
Holländern gelungen ist. Jch habe bisber rein
tbeoretisch an Hand von Atlanten, Verechnungen
von Boden- und Meevesbewegungen ausgearbeitet.
sehen Sie hier" — er schlug das Hest aus. wies
sauber gezeichnete Landkarten, lange Zahlentabel-
len vor, Lber die des Mädchens Vlicke gierig hin-
glitten —, „das ist selbstverständlich nur eine
halbe Sache ohne die Besichtigung an Ort und
Stelle."
Annemarie blickte auf. sab jetzt deutlich die
Svuren langer Nachtarbeit aus dem Eesicht des
Mannes. Zärtlichkeit quoll in ibr boch.
„Wann tun Sie das alles? Jn der Nacht?"
„Natürlich. Sie wissen so gut wie ich, datz ich
anders keine Zett habe."
Man mutz aus ihn aufpasien, dachte Anne-
marie bekümmert, «r richtet sich zugrunde. er treibr
Raubbau.
Aber sie batt« kein Recht, ihn zu mahnen. sie
war nur seine Sekretärin. die danküar sein mutzte
füv das Vertrauen. das der Cbes ihr schenkte.
Die Frau! Sve allein hätt« Recht und Pflicht.
ihm derartiges zu sagen.
Vrennend beih fiel ihr der Eedanke an die
Frau auss Herz.
Warum sagt« der Chef kbr ntchts. Warum war
sie, Annemarie. seine Vertraut«?
Die Frage quälte, brannte lange noch. nachdem
der Lbes sie entlaffen hatte, raubte den Schlaf.
Den nächsien Tag hetzte zur Linden die Arbeit.
veitschte die Leute an. gönnte sich selber keine
Atemvause.
Aber am Nachmittag erklärte er Annemarie:
„Jch bin für diese Woche hier fertig. Jch fahre
jetzt zur Jade. Wollen Sie mit?"
Zur Jade? Das hietz auch: zur Mutter. nach
Hause. Ob sie wollte!
Aber es war Samstagnachmittag. Morgen nachi
spätestens mutzte man wieder an der Our sern. das
war unmöglich, wenn man zur Zade subr. Doch
sie wagte, als sie in des Chefs hart entschlossenes
Gesicht sah, nicht den Etnwand zu machen. Sie
nickte nur ein beklommenes Ja, leicht war ihr
nicht zumute.
Zur Linden lieh den Schosför zurück, steuerts
selbst und nabm ein lebensgesäbrliches Temvo.
Annemarie mutzte vorn neben ibm sitzen. nicht wie
sonst binten. er wllnschte ganz offenbar ihre Ee«
sellschaft. Zuweilen schrie er mitten in das Srn-
gen des Motors herein ihr etwas zu, das rm Lärm
der Maschine, im Sarrsen des Fahrtwindes unge»
hört verhallte. Aber das sroh erregte Gesicht des
Mannes, die lachenden Augcn redeten ihre eigene.
sehr deutliche Svrache, und Annemarie nickte, ob-
wohl sie kein Wort verstanden hatte. strahlend zu«
rück. eine Antwort. die den Fragenden völlrg zu
besriedigen schien.
Spät in der Nacht saben sie das rote Lrcht des
Leuchtturms in der Vinnenjade. Zur Lrnden fuhr
aber nicht aus Wilhelmshaven zu, sondern bog ein
nach Dangast.
„Der Platz ist wichtig. Hier müsien wir vor»
erst bleiben."
Die nächsten Tage verbrachte er mit Vermes»
sungen, Zeichnungen rrnd Verechnungen, fuhr der
Küste entlang nach Osten zu. setzte sich in Eck-
warderhörne fest.
Er war still, wortkarg, ganz in sich verschlos-
sen, kaum. datz er zu diktieren wünschte. Er ging
immsr allein, duldete Annemarres Begleitung
nicht. satz bis in die frühen Morgenstunden übcr
Rrssen und Plänen.
Aber zu den Mahlzeiten mutzte sie erscheiueu.
dirrfte ihm vorlegen. ihn ein wenig betreuen. Lr
redete auch hier nichts. sab sie mit Angen an. dis
durch sie hindurchzugeben schienen. aber er lieh sick
doch ihre Fürsorge gefallen.
Was ist nur, worauf soll es hinaus? dachte
Annemarie beunruhigt, wenn sie in das Eesicht
tznukenSisprsisi/vsrt
o///^ bsi Aeck
^cilL-gs 2Ss
dss Mannes sah, dem die Unrast gedankenaufwüh-
lender Arbeit, der Mangel an Schlaf so deutlich
ihren Stempel aufgeprägt hatten.
Die Baustellen an der Our und auf dem We«
sterwald warten. Der Chef ist unerreichbar, kein
Mensch weitz, wo er steckt, er hot mir verboten,
seine Anschrift hier bekanntzugeb n.
Fortsetzung folgt. ,