Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Volksgemeinschaft: Heidelberger Beobachter, NS-Zeitung für Nordbaden (6) — 1936 (Juli bis Dezember)

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.9507#1754

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Lsits 9

Unterlialtung

»Dolksgemelnschast^

Dieustag, deu 27. Ollober

Äer Ren crtt^ clem ALeelermeisr / «o«. «M-a«

Nntsr den Sachen im Antiquitätenladen hatte
pch eine Eemeinschaft herausaebildet. Das eine
oder andere Stück wurde allerdings gelegentlich
abgängig, und das eine oder andere kam hrnzu
und mutzte stch dann erst einleben . . .

Der Herr aus dem Biedermeier stand rund, ge-
drungen und aus Aerger über die schlechten Zeiten
ziemlich angelaufen seitlich im Fenster aus einem
Elasschrank. Neben ihm tickte eine Empire-Uhr.
Abends leuchtete ein Kristallüfter aus der Zeit
des Iugendstils über ihnen und all den anderen
lleberresten besserer Tage. Bestere Tage waren der
Jnhalt all ihrer Eespräche. Sie führten ste natür-
lich nur im Dunkeln, wenn der Befitzer des Ladens
die Tür abgeriegelt und ste allein gelassen hatte.
Man kann ja nie wissen, was sremde Menschea
von der eigenen lleberzeugung denken. Wie sollte
auch ein Ladenhändler aus dem zwanzigsten Zahr-
hundert ihren Kummer verstehen? Mit dem Herrn
vus dem Biedermeier stand er überhaupt auf dem
Kriegsfug.

„Da hat man nun einen guten Taler gegeben
- . . sagte er zuweilen, böse aufblickend, „und
dieser kupferne Kessel ist einsach zu nichts nütze..."

„Haben Sie das gehört?" fragte am Abend der
Herr aus dem Biedermeier die tickende und zuwei-
len stlbern klingende Dame aus dem Empire. „Zu
nichts nütze! Dabei bin ich eigens für einen K.
und K. Hofrat angefertigt worden. Zum Namens-
tage! Bei jeiner Erbin, der Sängerin, hatte ich
den schönsten Platz im Salon. Auf einer blank-
polierten Kommode. Vier Kleinmädchen wurden
meintwegen entlassen — weil ste mich nicht blank
genug geputzt hatten!"

„Du meine Güte — sowas mutz man nicht ernst
nehmen", tickte die Empire-Uhr hastig. Sie mutzte
während des Sprechens aufpassen, datz ihr keine
Sekunde entglitt, denn ste war ehrgeizig und wollte
mit der elektrischen Normaluhr an der Wand
Schritt halten. „Ein ungebildeter Mensch! Sehen
Sie, ich bin die einzige Ueberlebende aus einem
Schlotz in der Normandie. Aus mich hat das Auge
des Kaisers geblickt, als er von Waterloo flüch-
tete. Aus dem zerschostenen Saal hat mich ein
preutzischer Eras gerettet und wie ein Kleinod be-
handslt. Mit der Extrapost wurde ich nach Ber-
lin gebracht und habe nur in den ersten Häusern
gestanden. Und heute? Man muh fich abjagen,
um dieses irrstnige Tempo zu halten, das dre
junge Konkurrenz angibt. Dabei ist mein Herz
aus reinem S lber — hören Sie!" Sie schlug
zwölf, und es war wirklich sehr HLbsch...

Das Kl'ngeln hatte den Kristalleuchter aus dem
Scklaf geweckt. Seine Eehänae zitterten leise, als
walle er das Schlagen der Ühr nachahmen, und
er HLstelte. Seit der Zeit. wo man ihn vo» Eas
aus Elektrizität umgestellt hatte, war ihm ein Ka-
tarrh verblieben.

„Sie stnd immer so aufgeregt", sagte er nicht
ohne Vosheit. „Mir ist alles emerlei. Sie haben
n cht die rechte Perspektive den Ereignisten gegen-
über. Von oben herab mutz man die Menschen
betrachten. Im Alter bekommen alle ein Elatze.
Darin kann man ,ich spiegeln."

„Von oben herab!" versuchte der Kestel aufzu-
brausen — was ihm natürlich mitzlang. da er kein
Wasser, und schon gar kein kochendes im Bauch
hatte. Es klang demensprechend hohl. „Sehen Sie

mal vo« aben herab auf di« Leute, wenn Ele
selbst in der Ecke stehen! Schandlich, sa«e ich
Ihnen, wird unsereins behandelt. Dabei ist man
lchliehlich in Ehren alt geworden und besitzt Er<
sahrungen!"

Zetzt wurde die Empire-llhr geradezu frech, und
der Leuchter pflichtete ihr sogar bei. „Erfahrun-
gen! Wem sind sie nützlich?" fragtr fie impertinent
„Unsereins hat noch Wert. Die Zeit w.ll jedee
aern wissen, heute wie vor hundertdreitzig Iahren.
Für Kestel von Ihrer Art gibt es heute zweck-
mätzigeren Ersatz."

„Ja", nickte der Leuchter, „und ohne Licht
geht's auch nicht. Mir ist um meine Zukunft uicht
bange. Sie siyd eben doch nur Altmetall, Herr!"

Der Teekestel hielt es für unter seiner Würde,
darauf eine Antwort zu geben. Er beeilte stch,
einzuschlafen...

Am anderen Morgen ging die Ladenglocke. Ein
junge Mädchen begrützte den Antiquitätenhändler,
und erzählte ihm, es werde ein neues Jugendheim
eingerichtet.

„Sicher werden Sie aern irgendeine Sache stif-
ten, die dort noch Dienst tun kann. Es mutz nicht
gerade ein Biedermeiersosa oder ein Marmor-Tin-
tenfatz sein. Vielleicht der — Teekestel da oben,
wenn Sie sonst nichts wissen."

„Der Teekessel?" — Der Händler war entsetzt.
„Ein so kostbares Stück! Echtes Früh-Biedermeier!
Wollen Sie nicht den Leuchter haben?"

„Nein. So etwas Erätzliches können wir nick>t
aufhängen!" sagte das Mädchen. „Den Keffel aber
werden Sie doch kaum verkaufen."

Nach einer halben Stunde voller Ausflüchte
und der Beteuerung, mit dem Kestel ein Vermö-
gen herzugeben, überreichte der Händler ihn dem
jungen Mädchen, das vergnügt abzog.

„Unerhört...", grübelte der Kessel in seinem
Packpapier. „Wenn es auch nicht schön war im La-
den — aber es war doch immerhin eine standes-

Der letzte Hof am Berg gehört jetzt dem jün-
geren Felgenbauer. Vor wenigen Wochen hat er
geheiratet. Therese, die Frau, hat früher, bei sei-
nen Eltern, die Kühe gehütet. Das ist lange her;
aber seit dieser Zeit sind sie stch gut-

Der Felgenhof steht kaum hundert Iahre. Als
der Urgrotzvater das Land erwarb, war es ein
oerkrüppelter, windzerzauster Tannenwald. Der
Ahne rodete ihn, bis er aus harten, unfruchtbaren
Felsenboden stietz. Ein Heer von Steinen pflügte
er aus den neuen Feldern. Sie liegen wie nie-
dere Wälle um Wiesen und Aecker.

Man erzählt, datz der Ahn viele Iahre als
Spielmann herumgezogen sei und endlich eine Hei-
mat gründen wollte. Ein Mädchen aus dem Dorf
lietz ihn nicht mehr fort. In der Stube, nahe beim
Herrgottswinkel, hängt noch die alte Geige . . . .

Als der junge Vauer ein Bub war, holte er
>te etnmal herab. Er klopste daran; plötzlich

gemähe UmgeLung! llnd nun etn Iugendherm —
der Lärm wird mich ganz verrückt machen. Nie-
mand weitz meinen Wert zu schätzen. Wen« das
der Hofrat und die SLngerin erlebt hätten..."

Die Heimleiterin nahm ihn aus seiner Umhfil«
lung. „Prachtvoll, Erika!" rief fie. „Das ist >a
geradezu ein Prunkstück. Wenn wir durchgefroren
vom Dienft kommen, können wir uns eine Taste
Tee brauen — und wenn jemand erkältet ist, gibt s
Psefferminztee!"

Nun wurde der Herr aus dem Biedermeier erst
einmal richtig aufpoliert, datz ihm ganz warm da-
bei wurde. Jn der Heimküche bekam er auf dem
Vord neben Töpfeu und Kannen einen Platz. und
schon zwei Abende später wurde er eingeweiht.
Hanna setzte ihn auf Eas. ein komisches Eefühl
für den Biedermeierherrn, der nur Koblenflam-
men gewöhnt war. „Donnerwetter!" entfuhr es

ihm, „angenehme Sache! Es wärmt und greift
nicht an. Das Waster begann zu sieden, und er
pfiff ganz unbewuht plötzlich ein Lied. Sein gan-
zer Leib schimmerte vor Vergnügen. Ms er sich
umblickte und mit dem Deckel zu klappern begann,
spiegelten sich ein Dutzend juyger Mädelaugen in
seinem Glanz, und ihr Lachen vereinte sich mit
seinem Eesang.

„Sieht er nicht drollig aus!" wies Erika auf

ihn, „ich habe ihn einfach lieb!" Dem Herrn aus
dem Biedermeier tropsten ein paar Rührungsträ-
nen aus der Tülle, so wohl sühlte er stch inmit-
ten der Jugend.

„Natürlich!" blubberte der Kessel mit Hilfe des
siedenden Wasters. „Natürlich! Man ist doch
nicht einfach Altmetall. Nein wenn das der Herr
Hofrat wützte! Er hatte Kinder so gern, der gute
Alte! Und die OpernsSngerin, die so böse wurde,
wenn ich nicht blank genug war. Man sieht, datz
ein Kronkeuchter mit seinem „Von oben herab be-
trachten" nicht im Vilde ist. Mitten hinein mutz
man stch ktellen —' dann fängt das Leben erst
richtig an"I

sagte er zu seinem Vater: „Ich möchte spielen ler-
nen." Die Mutter, die dabei stand, erschrak.

Sie gina zum Lehrer, um Rat zu holen: Der
Spielmann stecke in seinem Blut. Das wäre sicher
gefährlich. — Der Schuimeister beruhigte ste: „Mu-
sik erfreut und macht arbeitssam. Er ist ein guter
Zunge."

Da bekam -er Leonhard die Geige.

Bald verstand er, Volkslieder und leichte Tänze
zu spielen. Wen» er bei den weidenden Kühen
satz, klang es so schön, dah die Leute stehen blie-
ben. Auch der Lehrer hatte seine Freude. Jn die-
jer herben Berglandschaft bedrücken die leeren und
cinsamen Stunden. Oft kam der Leonhard zu ihm,
und ste übten zusammen.

Die Schulzeit ging zu End«. Auf dem Felgen-
hof gab es viel Arbeit. Ein Stück Wald sollte
urbar gemacht werden für eine grotze Matte. Tan-
nen wurden gefällt, Wurzeln und Steine ausgeho-

geraten bin. Wenn Annemarie zu mir steht, soll
mir alles leicht werden.

Er sah in diesem Augenblick sehr klar und be-
wutzt sein Ziel.

Aber das Mädchen stolperte jetzt Lber eine
Baumwurzel, Frank griff nach ihrem Arm, zog
ihn fest in den seinen, spürte ihr Gestcht. iyre
Haare, thren Atem ganz nahe, fühlte das leben-
dige warme Blut ihrer Hände.

Da war es um ihn geschehen, er verlor Selbst-
beherrschung und warnende Ueberlegung. Er
pretzte sie eng an flch, Lberschüttete ste mit Küj-
sen, stammelte Liebesworte, Schwüre, Zärtltchkei-
ten.

Jhren entsetzlichen Widerstand empsand er
nicht cinmal.

So nicht! So hatte fie ihm nicht helfen wollen.

Er war ihr widerwartig in diesem Augenblick.
Sein Atem roch nach genostenem Wein, die jähe
Ueberrumpelung erschien ihr plump und gewalt-
tätig; höhnisch, anklagend und verurteilend zu-
gleich meldeten sich ihrem Ohr die Eerüchte, die
über das Leben und Trekben dieses verwilderten
jungen Menschen im Lager umherliefen.

Ein Liebchen mehr im Kreise seines fragwür-
digen llmgangs zu sein, dazu war sie sich zu gui.

BLser Zorn gegen stch und den Mann an ihrer
Seite sprang auf, gab ihrem Widerstand eine un-
erwartete Kraft.

Der Mann rang mit ihr, Schweih trat auf seine
Stirn. Aber er war der Stärker«, trotz des Ver-
brauchs seiner Kräfte in den letzten Monaten;
Kampflust, Sirgerfreude und der Aufruhr der
Sinne prktschten ihn an.

Bis Annemarie zuschlug.

Sie traf ihn heftia vor die Brust. Grnüchtert
lietz er einen Augenblick los von ihr, strich stch
die Haare aus dem Eesicht, atmet« auf, lachtc
dann:

„Eine etwas sonderbar« Liebeserklarung, dieser
Ringkampf mit Hauen und Stechen."

„Gar keine Liebeserklärung", funkelte fie ihn an.

„Was denn sonst, Mädchen? Jch habe an eine
streitbare Brünhilde gedacht."

Sie schüttelte den Kopf, Schluchzen engte ihre
Kehle ein, fie war sehr unglücklich.

„Ich HStte niemals mit Ihnen in den Wald
gehen dürfen", erklärte sie mühsam, „wir sind beide
wohl von falschen Voraussetzungen ausgegangen."

„Es war sehr still zwischen ihnen. Endlich ritz
stch der Mann, nun ganz ernüchtert, var ssine
Lage überblickend, zusammen.

Der kuf oom andem I^fer

26. Fortsetzung

„Guten Abend Fräulein Schrader, so svät noch
Dienst gehabt? Gestattell Sie, dah ich Sie nach
Hause Kringe?"

Sie erschrak, entgegnete hochmütig, um die
jähe Unsicherheit zu verbergen:

„Danke. Zch bin gewöhnt, allein zu gehen. Ich
kenne den Weg."

Er lachte laut auf, an diesem Lachen erkannle
fie ihn und wurde dadurch ruhiger.

„Keinesfalls laste ich Sie allein gehen. Es ist
recht spät."

Noch ging er still gesittet neben thr her. Und
das Mädchen, das von dem Veriall des jungen
Menschen natürlich gehört hatte, oachte: was mag
er haben? Kann man ihm irgendwie helfen?
Was ich ihm tue, tue ich indirekt dem, den ich
kiebe; es ist doch sein Sohn.

Aber Frank zur Linden schwieg, überwältigt
vorerst von dem Glück, neben der gehen zu dür-
fen, die seiner Sehnsucht Ziel seit Monaten war.

Allzu kurz war nur der Weg. Da kam schon
das Haus, in dem fie wohnte.

Er ritz allen Mut zusammen.

„Erlauben Sie, datz ich ein wentg mit zu
Ihnen hineinkomme?"

Und da er im Licht, das aus der Haustür fiel,
die Ablehnung auf ihrem Gesicht las, stieh er hei-
ser hervor:

„Jch kann so schlecht allein sein heute abend."

Es klang wie ein Hilferuf.

Sein Sohn, dachte Annemarie, e» ist sein
Sohn. Was ich dem tue, tue ich ihm.

Dennoch schüttelte fie fest und bestimmt den
Kopf.

„Jch nehme nie Vesuch auf meinem Zimmer
an. Herr zur Linden."

„Wenn ich Sie nun bitte, sehr bitte?"

Se'i Sohn, sein Eohn, summte es in ihren
Ohren. Sie zwang sich zu einer hell klingenden,
energischen Antwort.

„Besuch ist ausgeschlossen. Aber wenn wir noch
eine halbe Stunde durch den Wald lausen wol-
len, dafür bin ich zu haben."

Er atmete auf.

„Ja, Fräulein Schrader. Bitte, schnell."

Sie trat ins Haus. Frank wartete drautzen
und sah mit brennenden Augen, wie hinter den
sorglich herabgelastenen Vorhängen ihr Schatten
sich bewegte.

Annemarie Annemarie, hämmerten seine
Pnlse. Endlich habe ich ste einmal sür mich. Zch
werde sie nicht entwischen lasten, ste soll mir Red«
und Antwort stehen. Ich werde fie nach dem Da-
ter fragen, ich werde sie bitten, zu mir zu halten,
Jugend gehört zur Jugend, so ist es das Natur-
gegebene. Wenn es mir doch gelingen könnte, fie
sür mich zu gewinnen.

Der genossene Wein, die bebende Erwartung,
das geheimnisvolle Dunkel der Nacht schufen eine
Trunkenheit sondergleichen, die erfüllt war oon
den buntesten Bildern ungezügelter Wunsch-
träume, in der Wille «nd vernunftgemätze Ueber-
legung nichts mehr zu sagen hatten.

In diesem Augenblick kam Annemari« heraus,
hatte eine letchte Wolljacke auf dem Arm,
schauerte in der Kühle der Nacht zusammen, nahm
die Iacke und begann sie anzuziehen.

Mit einem Sprung war er bei ihr.

„Eestatten Sie."

Sorasam half er. Seine Hände berührten
ihren Nacken, ihre blotzen Arme. Ein Strom durch-
rann ihn, heihe Wellen fluteten Fiebern gleich
über ihn hinweg, Noch ritz er sich zusammen.

Das Mädchen aber ging ahnungslos an seiner
Seite, schwieg hingegeben nur dem einen Gedan-
ke», dem sie vielleicht ein Eutes antu« konnte,
indem sie seinem Sohn half.

Frank aber deutete ihr Schweigen anders. Auch
ste ist Lberwältigt von der geheimnisvollen
Stunde dieser Nacht, dachte er, vielleicht fühlt ste
schon, wie sehr ich fie liebe, vielleicht gelingt es
mir doch, ihr Herz zu rühren, vielleicht war das
mit dem Vater nur Jrrtum und Vorurteil von
mir. Es kann noch alles gut werden; einen bösen
Weg bin ich gegangen, ich bin nicht frei oon Ver-
irrung und Schuld. Ich muh neu anfangen, mutz
mich gusrassen aus dem Schlendrisn, in den ich

2e» Aa«er «nkl clie Aeize /

ben. Hokz aufgefchichtet und weggefahren- die Leut«
des Bauern mutzten test zupacken - Unv na^
Feierabend fiedelte der Leonhard aus der GelS-
dah man gern die Mühen des Tages vergatz.

Er war ein ftrammer Bursche geworden. 2"
Sonntagen standen manchmal die Madchen ob-
am Weg und hürten seinem Spiel zu. Da str
er noch slinker aus di- Saiten Einmal feierte d°»
qanze Dors eine Hochzeit. Dte beiden Mustkante«
hatten zuviel Wein und Bier bekommen.
brachten keinen einzigen Ton mehr aus ihren
ftrumenten. Die Lente lachten ste aus und ei»e
rief: „Der Leonhard soll seine Eeige holen! AU
stimmten lärmend bei. Die Mutter wehrte e^
schrocken ab; doch der Vater hatte eineu rote»
Kopf: „Warum nicht!" sagte er barsch.

Das war im Frühjahr. als die Vöael zu singe»
anfingen und die Bäume dicke Knospen truge»-

Weil keine Jungen auf dem Hof waren,
Kühe zu hüten. nahm der Felgenbauer ein Hirter»
mädel, das auch der Bäuerin im Haushalt heise
sollte. Therese kam aus einem Dors im Tal A"
fangs hatte fie Heimweh; denn die Berge sind ho«
und frei; man ist immer allein, wo man steht »n
schaut. .

Vald sollte wieder ein Fest sein. Er wer°
die Eeige mitbrinaen, sagte Leonhard zur Therei°-
Sie antwortete nichts. Das verärgerte lhn; f
wuhte. was ste dachte: er sei ein Bauer und kei"
Mustkant... Die Mutter bat ihn jeden Tas>
nicht hinzugehen.

Am dunklen Himmel stand der silberne Mond,
Bkeich schienen die Felder, die Tannen. die ferne'
Berge. Die Luft war mild wie der Frühlin^
Oben am Weg schritt der Leonhard auf und ab
und übte einen lustigen Tanz. Als er über t>
Wiese zum Hof herabkam, sah das Hirtenmad^
die Therese, auf einem Stein und sann vor U
hin. Neben ihr im kleinen Weiher spiegelte de
Mond sein volles, klares Gestcht.

Eleich dachte er, ste hätte dem Spiel gelauE
Er wollte von neuem beginnen; da flüsterte !>
ihm zu: „Still, still. Die Frösche! Vorhin hab-"
sie so wunderlich gequakt. Setz dich her; dan
sangen ste wieder an. Es ist zum Lachsn, wie >
fich anstrengen." Leonhard schaute starr, die Eeis
unter dem Arm; etwas würgte in seinem H<u»'
„Jch muh in dre Stube", sprach er.

Am nächsten Tag wurde ein Acker gepflügt-
Schwer war die Arbeit; dcnn der Pflug, mit de"
vier Kühen davor, grub Steine aus, — die Ma"'
ner konnten sie kaum sortbewegen. Da gab es kei
Nachgeben oder Nachsinnen; man mutzte zugreife"«
und die Furche durchhalten. Als der Abend däM
merte, waren sie erst halb fertig.

Müde lehnte der Leonhard an der Hauswand-
Was wutzte der gutmütige Mond dort oben oa"
den Eedanken, die ihn quälten? P.vtztM, trat di
Therese aus der Tür. Sie blickte in die Rundt«
bis ihre Angen den Burschen trasen. „Eehst d»
mit zu den Fröschen?". fragte sie. „hörst du?". S--
es schnarrte und quakte greulich tief, hoch un»
lang. Es waren stcher sehr viele . . Die beide»

lagen im Eras. ganz nahe am Weihsr. Wenn eiN
Frosch den Kopf aus dem Waster streckte. stiehe"
fie sich an. Das Mädel blies die Vocken auf; den"
sie platzten fast vor Lachen. Erst als die Mutte'
rtef, es sei Schlafenszeit, gingen sie zurück in»
Haus.

Jn der Kammer wunderte stch der Bursche, da8
er die Eeige vergessen hatte. —

„Zch weitz wohl", begann er stockend und »a^
Worten suchend, „dah ich mich in den letzten
chen in ein oiel zu schlechtes Licht gesetzt habe 'N?
wagen zu können, Ihnen von mir eine gute Mc'
nung beizubringen. Trotzdem bitte ich Sie,
anzuhören, denn Sie find nicht ganz unbeterliS
an der Entwicklung der Dinge."

Das Mädchen senktc den Kopf.

„Vitte", sagte fie tonlos. ^

„Jch bin so auf den Hund gekommen, weil
Sie liebe und dabei auf meinen Vater eifersüchti»
war, Fräulein Annemarie." .

Sie gab keine Antwort; datz ste den Kopf schu'
telte, konnte er im Dunkeln nicht sehen.

„Jch bin in eine Unordnung hineingeraten dt-
meinem bisherigen Leben ganz fremd war. Kön
nen Sie das verstehen? Sich betrinken, berausche"'
vergesten, bedeutet für eine kurze Nacht ein Heil'
mittel. Freilich, am nächsten Tag ist es dann u'"
so schlimmer."

Sie schwieg weiter, in ratloser Abwehr »e
fangen.

„Herrgott^, drängte er ungestüm, „stnd St-
denn eine Marmorstatue, eine eiskalte Heilige<
Können Sie nicht verstehen, datz eiu Mann zü'
weilen Irrwege geht, wenn sein Blut allzu stiic'
misch schreit. Jch will nicht im Dreck versinke"'
Annemarie, ich will mich wieder heranskrabbelN-
Und die mir helfen könnte, das sind Sie."

Er wagte es jetzt verstohlen, nach ihrer Haii»
zu greifen.

Aber das Mädchen entzog ste ihm hastig. .

„Warum tun Sie das, Fräuleia Annemari«^
Ist es so schlimm?"

Sie würgte verzweifelt an einer Antwort. ,

„Es ist nur — es ist nur, datz ich keine Ho"/
nung erwecken mag, die ich nicht ersüllen kann -
stietz fie endlich gepeinigt hervor.

„Das, wa» ich mir von Jhnen wünsche, ist
unmöglich?"

Eie schwieg. Sie war sehr ratlos.

„Nun ja", fuhr sr nach einer Weile hadernde»
Erübelns verbittert fort, „ich begreife. Jn meine»

S8 28 lt-rl- LUTS

uvl! komkillisrls Ijsrss sui eä uionuUisiis teoie-'

augenblicklichen Verfastung bin ich kein Mann,
ein Mädchen lieben köunte, kein Jdealbild, oa»

man fich ersehnt."

lFortjetzung solgt).
 
Annotationen