Lsiis 3
„Volfsgemeinschaff"
Mittwoch, den 4. Nooember 193»
Mit seinen fünf Röcken, seinen stachligen Haaren.
seinem schmutzverkrusteten Gesicht und dem bösen
Vlick. Man wäre ausgerissen, hätte nach der
Polrzei gerufen. Hier tranken die Anwesenden
ihre Eläser mit der hellen Flüssigkeit. Und die
breite Wirtin hinter der Theke sah nur ein ein--
ziges Mal von Stanislaus hinüber nach dem
^ELPs'iZOs'sl^E vis 668e!iiclii6 6>N68 V3g3bun66kik<'ii668 6U8
66m >VoIgal6ii66 von !-l6i'M3s'm 6urig
er aus dem Burschen wieder einen Menschen
machen. lleberhaupt, er wutzte ja nicht einmal
wineu Namen . . .
Die Wirtsstube war schwach erleuchtet. An der
Theke standen grotze Männer und tranken aus
kleinen Eläsern. Gesprochen wurde auch hier
nichts. Man hörte nur das Elucksen der Flüssig-
Zungen.
Erst als Stanislaus ihr winkte, wischte sie sich
umständlich die Hände an der Schürze ab, kam
herübergeschlurft und stellte sich an den Tisch, an
dem die beiden satzen.
„Steck ihn mal in einen Kessel", sagte Stanis-
laus einfach.
Die Wirtin sah den Vurschen an, der wie ein
feixender Llown an ihr heraufblickte und dann
mit der rechten Hand dis Bewegung des Trin-
lens machte. Und mit der linken, an der ein
E'nes tzer traurigsten Kapitel des bolschewistischen Gewaltsystems ist das öer Bespri-
sornje, der verDahrlosten Kinder. Ju Hunderttausenden zogen und ziehen sie durch die
Lande. allen bösen Trieben und allen Gefahren der Landstrahe preisgegebene, unglück-
selige Iugend. Sie rekrutiert stch aus den Kindern gefallener Rotgardisten, ermordeter
zaristischer Würdenträger und Bauern und aus den Distrikten der Hungergebiete.
Hermann Iung. der während eines längeren Aufenthaltes in der Sowjet-Anion das
Elend besonders der Kinder im bolschewistischen Land beobachten konnte. schiidert mit
groher Sachkenntnis und dramatischer Spannung das Schicksal eines wolgadeuischen
Besprisornje, der schliehlich gerettet wird und sich in eine bürgerliche Existenz zurückfindet
A Mave Mker Mm MMlii
„Donner und Teufel", sagte der Transport-
^rbeiter Stanislaus Nerewsky, und schob sei-
jien Priem in die andere Backentasche. Dann
Ichaule er noch einmal wie hypnotisiert auf das
Hündel, das vor ihm lag und stietz es mit dem
Autz an, als habe er Angst, der Sache auf d«n
wrund zu gehen.
.. Dieses lebende Bündel war soeben mit unge-
Sahlten toten Hammeln von dem gleichen Aus-
when auf dem Bahnhof in Narwa angekommen.
Direkt aus Sowjetruhland, direkt aus Leningrad.
Hatte den Zoll schon passiert, — dachte Stanis-
laus Nerewsky, von Hause aus Chemiepro-
fessor, den Bolschewisten im Jahre 20 mit
suapper Not entronnen; er kannte den Bahnhof
ju diarwa wie seine Tasche und wutzte, datz in
leiner langen Praxis als Transportarbeiter auf
aicsem Bahnhof keine Maus angekommen war,
ahne datz die Sowjets sie nicht vorher gesichtet
und auf ihre Herkunft untersucht hätten.
Das wutzte Stanislaus Nerewsky, und deshalb
verharrte er solange vor dem Bündel. Dann
wurmelte er: „Die heilige Mutter steht uns bei",
das Messer aus der Tasche und trennte mit
einem einzigen Schnitt den Sack von unten nach
«ben auf, datz sich der Jnhalt dem Tageslicht in
aller Deutlichkeit ofsenbarte.
„Hab es mir gedacht", nickte Stanislaus, zog
seine Schnapsflasche aus dem Rock und hielt sie
oem Vündel unter die Nase. llnd dann lietz er
den Znhalt in den Mund eines Iungen laufen,
der nach dem zweiten Schluck die Augen aufschlug,
pechsckwarze Augen in einem von Schmutz zer-
furchten Eesicht.
„Habt ihr mich doch erwischt, ihr Seelenver-
lliuser?" knurrte das schmutzige Eeficht, und die
lchwarzen Augen schielten böse aus der Schmutz-
kruste heraus. Dabei machte der Bursche nicht die
geringsten Anstalten, sich zu erheben. Schicksal-
ergeben und trotzig blieb er liegen wie ein aus
der Schale gepelltes Ei. Lässig räkelte er sich nach
»er Seite und grisf nach den anderen Vündeln.
„Sind das Tote?" grinste er hämisch und rüt-
telte an den Säcken, als könne er die Toten wie-
der zum Leben zurückrufen.
Da sagte Stanislaus: „Hast Elück gehabt,
alter Spitzbube, dah sie Dich nicht unter diesen
gefrorcnen Hammeln gefunden und datz Du Dich
nicht so im Wagen bewegt hast wie hier bei mir."
Dann zerrte Stanislaus die Reste des zer-
Ichnittenen Sackes bciseitc und fuhr fort: „Du
kannst Deine Totea verladen helfen, wenn Du
willst. Es wird schon dunkel, und wenn das Licht
ganz erloschen ist, bring ich Dich ins Quartier.
Hier bist Du noch nicht sicher. Die verfluchten
Erenzer liefern alles aus, was ihnen von drüben
in die Finger sällt."
Dei Junge bewegte wie auf Kommando die
Elieder, als wollte er zunächst einmal feststellen,
ob sie nicht erfroren seien. Und als er auf dem
Bahnsteig in seinen fünsmal Lbereinander gezoge-
nen Röcken stand, da sah er aus wie ein aufge-
plusterter Pfauhahn, der eben das Rad schlagen
will. Wild standen die Haare aus dem Hals-
kragen heraus. Dann nahm er den Priem aus
oem Mund und warf ihn weit von sich, spuckte
einmal encrgisch auf den verlassenen Sack, grisf
rn die gesrorenen Hammel und knallte sie in
einen bereitstehenden Waggon.
Stanislaus beobachtete ihn unter seinen
buschigen Brauen. Weshalb der Bursche sich nicht
frcute? Hätte ihm doch eigentlich um den Hals
sallen müssen nach dieser mehr als sonderbaren
Rettung. Es wurde während dieser Arbeit kein
Wort zwischen ihnen gesprochen. Erst als es so
dunkel war, dah man nicht mehr sehen konnte,
wohin die gefrorenen Hammel fielen, brach Sta-
nislaus ab, schlug den Kragen hoch, pfiff dem
Burschen und beide trollten sich.
Der Weg führte Lber Eleise, am Schuppen
vorbei. Einmal wurde Stanislaus angehalten.
Er schleuderte dem Beamten der Erenzstreife ein
ernziges barsches Wort ins Eesicht und ging wei-
ter, ohne sich um die Wirkung dieses Wortes zu
lümmern. Und sein Begleiter desaleichen. Sie
üemerkten beide, wie der Erenzer ihnen nachsah,
um schlietzlich kopfscbüttelnd weiterzugehen. Sta-
nislaus galt hier nicht umsonst als Sonderling.
Dann waren sie auf einer richtigen Stratze.
Ein kalter Wind fegte ihnen ins Eesicht. Stanis-
laus hatte die Hände tief in den Taschen ver-
graben und von seinem jugendlichen Begleiter
Vorüommene StraNendabnwÄSen mit cksn unrädllsen „blincken" passasivren, v,is sls ru «unckor-
ten auoli an allon Lüsen Iiängen.
Stanislaus bitz ein Stück von seinem Kau-I war der Kopf kaum zu sehen, so hatte er ihn in
tabak ab und schob es dem Burschen, ohne zu fra- ^ h"he" Kragen geschoben. „Wie em Strautz,
gen, in den Mund, der es willig aufgriff und wie dachte Stanislaus. als er sich einmal nach ihm
in alter Eewohnheit daran lutschte. Dabei glitt umsah.
ein schwaches Leuchten Lber die verkrusteten Der Weitzrusse steuerte geradeswegs auf eine
Züge, die sich aber gleich wieder verfinsterten. I Kneipe zu. Hier war sein Quartier, hier wollte
M-
In rtieser IVIoskauer Kirobe «urcls elns t.umpenssmmelstätte einseriolitst. l-inks ckie beicken Sal-
ken ckeuten an, claN ckie Kirods vor yem Linsturr stetit. Im Vorrlersrunck ltüoliten rvioi ckusenll-
lioliv, ltio von klem I.umpeni«a8en stelilvn wollten, Fotos: Juna
keiten. Die Männer trugen russische Pelzmützen,
hatten rauhe, ungepflegte Bärte. Als Stanislaus
mit dem Jungen eintrat, erregte er nicht das
geringste Aufsehen. In jeder andern europäischen
Sradt wäre der Bursche eine Sensation gewesen.
Elied des kleinen Fingers fehlte, griff er in ein«
der zahllosen Taschen, dic in seinen fünf Röcken
schleuderte ein Zehngul,
(Fortsetzung solgt)
angebracht waren und
denstück auf den Tisch.
Kabinetisumbildung in Wien l
Wien, 4. November
Nach den letzten Jnformationen steht nunmehr
fest, datz vier Minister aus der Regierung ausschei-
den, und zwar der Bizekanzler Baar-Baren-
sels, der Finanzm'nister Draxler, der Han-
dclsminister Stockinger und der Justizminister
Hammerstein-Equord.
Dafür treten in das Kabinett ein:
als Vizekanzler Feldmarschallleutnant HLlgerth,
der vor kurzem zum Fiihrer der Frontmiliz er-
nannt wurde.
als Innenminister Glaise-Horstenau» der
bisher Minister ohne Eeschäftsbereich war;
als Sicherheitsminister Neustädter-Stürmer,
dicser war seincrzeit Sozialminister und später
Eesandter in Budapcst;
als Handelsminister der Erazer Universitätsvrofes-
sor Dr. Taucher:
als Finanzminister der bisherige Finanzreserent
der Eemeinde Wien, Neumayer;
als Justizminister wird wahrscheinlich der Nat des
Obersten Eerichtshoses, Pilz. crnannt wcrden,
doch stebt diese Ernennung noch nicht fest;
serner wurde dem Sozialminister ein Staats-
sekretär sür Arbeitsweken in der Per-
son des Leiters der Postgewerkschast, Hans
Rott, beigegeben.
Aufsehenerregender Traubmordprozeß
Wien, 3. Novsmber
Vor einem Schwurgericht der steierischen Stadt
Leoben begann am Dienstag ein Mordprozeh, der
r--" ni-er die Erenzen Oesterreichs Aufschen er-
ringeklägt wegen Ranbmordes an der Eat-
tin des rumänischen Obersten Maria Farcasann
ist der 24 Zahre alte in Ungarn geborene Stu-
dent Karl Strasser.
Am 29. September 1935 fand ein Streckenwär-
ter neben den Eleisen der Eisenbahnlinie Wien
—Jnnsbruck in der Nähe der Station Admontdie
Leiche einer Frau, die sofort als Eattin des
rumLnischeri Obersten Farcasanu erkannt wurde.
Aus verschiedenen Anzeichen war zu schlietzen, datz
die llnglückliche einem Mörder zum Opfer gefal«
len war. Die umfangreichen Nachforschungen dex
österreichischen und Schweizer Behörden fiihrten
schlietzlich zur Verhaftung des Karl Strasser in
Zürich. Strasser, der zunächst leugnete, verwickelto
sich bald in Widerspriiche und legte dann Teilge,
ständnisse ab.
Es besteht kaum mehr ein Zweifel daran, dah
der Mörder, der den Zug in Wien bestiegen hatte,
sein im Besitz wertvollen Schmucks befindliches
Opfer plötzlich überfallen hat und nach hartem
Kampf durch das Abteilungsfenster auf den Bahn-
damm schleuderte.
V»-
t/,'s i?„a/,käks-^aä^/,as/s
Großfeuer im Bezirk Ginshrim
Sinsheiin, 3. November
Am Dienstagabend gegen 19.30 llhr brach i»
Grombach (Vezirk Sinsheim) ein Grohbrand aus,
dem zwei mit Heu und Stroh gesüllte Scheuncn
zum Opser sielen. Der schnell herbeigeeilten Orts-
feuerwehr und den Ortswchrcn aus Kirchardt, Vad
Rappcnau und Sinsheim gelang es, den Vrand
aus seinen Herd zu beschränken ünd die angrenzen-
dcn Baulichkeitcn vor den Flammcn zu schiitzen.
Vei den beiden völlig ausgebrannten Scheünen
handclt es sich um die Anwesen des Polizcidiener»
Josef Karl und der Michael Barth, Witwc.
Der durch dcn Brand verursachte Schaden ist
beträchtlich. Die Brandursache konnte bis jetzt noch
nicht festgestellt werden.
6<l^<x«L«l-t6 <oLl6 Ti>«LL6l^«Li<>«x)6<^t,lTil6 El^<h. <lL«. ^<<p<i-«^6<L<t<i6
Ea-«t^<l-«, 60. ?5 Tl>«L /oo ^KXtit<iö</«<K,. "V<l<töat«^l>K Ä«<l, »äsöäitvtlA«^.
„Volfsgemeinschaff"
Mittwoch, den 4. Nooember 193»
Mit seinen fünf Röcken, seinen stachligen Haaren.
seinem schmutzverkrusteten Gesicht und dem bösen
Vlick. Man wäre ausgerissen, hätte nach der
Polrzei gerufen. Hier tranken die Anwesenden
ihre Eläser mit der hellen Flüssigkeit. Und die
breite Wirtin hinter der Theke sah nur ein ein--
ziges Mal von Stanislaus hinüber nach dem
^ELPs'iZOs'sl^E vis 668e!iiclii6 6>N68 V3g3bun66kik<'ii668 6U8
66m >VoIgal6ii66 von !-l6i'M3s'm 6urig
er aus dem Burschen wieder einen Menschen
machen. lleberhaupt, er wutzte ja nicht einmal
wineu Namen . . .
Die Wirtsstube war schwach erleuchtet. An der
Theke standen grotze Männer und tranken aus
kleinen Eläsern. Gesprochen wurde auch hier
nichts. Man hörte nur das Elucksen der Flüssig-
Zungen.
Erst als Stanislaus ihr winkte, wischte sie sich
umständlich die Hände an der Schürze ab, kam
herübergeschlurft und stellte sich an den Tisch, an
dem die beiden satzen.
„Steck ihn mal in einen Kessel", sagte Stanis-
laus einfach.
Die Wirtin sah den Vurschen an, der wie ein
feixender Llown an ihr heraufblickte und dann
mit der rechten Hand dis Bewegung des Trin-
lens machte. Und mit der linken, an der ein
E'nes tzer traurigsten Kapitel des bolschewistischen Gewaltsystems ist das öer Bespri-
sornje, der verDahrlosten Kinder. Ju Hunderttausenden zogen und ziehen sie durch die
Lande. allen bösen Trieben und allen Gefahren der Landstrahe preisgegebene, unglück-
selige Iugend. Sie rekrutiert stch aus den Kindern gefallener Rotgardisten, ermordeter
zaristischer Würdenträger und Bauern und aus den Distrikten der Hungergebiete.
Hermann Iung. der während eines längeren Aufenthaltes in der Sowjet-Anion das
Elend besonders der Kinder im bolschewistischen Land beobachten konnte. schiidert mit
groher Sachkenntnis und dramatischer Spannung das Schicksal eines wolgadeuischen
Besprisornje, der schliehlich gerettet wird und sich in eine bürgerliche Existenz zurückfindet
A Mave Mker Mm MMlii
„Donner und Teufel", sagte der Transport-
^rbeiter Stanislaus Nerewsky, und schob sei-
jien Priem in die andere Backentasche. Dann
Ichaule er noch einmal wie hypnotisiert auf das
Hündel, das vor ihm lag und stietz es mit dem
Autz an, als habe er Angst, der Sache auf d«n
wrund zu gehen.
.. Dieses lebende Bündel war soeben mit unge-
Sahlten toten Hammeln von dem gleichen Aus-
when auf dem Bahnhof in Narwa angekommen.
Direkt aus Sowjetruhland, direkt aus Leningrad.
Hatte den Zoll schon passiert, — dachte Stanis-
laus Nerewsky, von Hause aus Chemiepro-
fessor, den Bolschewisten im Jahre 20 mit
suapper Not entronnen; er kannte den Bahnhof
ju diarwa wie seine Tasche und wutzte, datz in
leiner langen Praxis als Transportarbeiter auf
aicsem Bahnhof keine Maus angekommen war,
ahne datz die Sowjets sie nicht vorher gesichtet
und auf ihre Herkunft untersucht hätten.
Das wutzte Stanislaus Nerewsky, und deshalb
verharrte er solange vor dem Bündel. Dann
wurmelte er: „Die heilige Mutter steht uns bei",
das Messer aus der Tasche und trennte mit
einem einzigen Schnitt den Sack von unten nach
«ben auf, datz sich der Jnhalt dem Tageslicht in
aller Deutlichkeit ofsenbarte.
„Hab es mir gedacht", nickte Stanislaus, zog
seine Schnapsflasche aus dem Rock und hielt sie
oem Vündel unter die Nase. llnd dann lietz er
den Znhalt in den Mund eines Iungen laufen,
der nach dem zweiten Schluck die Augen aufschlug,
pechsckwarze Augen in einem von Schmutz zer-
furchten Eesicht.
„Habt ihr mich doch erwischt, ihr Seelenver-
lliuser?" knurrte das schmutzige Eeficht, und die
lchwarzen Augen schielten böse aus der Schmutz-
kruste heraus. Dabei machte der Bursche nicht die
geringsten Anstalten, sich zu erheben. Schicksal-
ergeben und trotzig blieb er liegen wie ein aus
der Schale gepelltes Ei. Lässig räkelte er sich nach
»er Seite und grisf nach den anderen Vündeln.
„Sind das Tote?" grinste er hämisch und rüt-
telte an den Säcken, als könne er die Toten wie-
der zum Leben zurückrufen.
Da sagte Stanislaus: „Hast Elück gehabt,
alter Spitzbube, dah sie Dich nicht unter diesen
gefrorcnen Hammeln gefunden und datz Du Dich
nicht so im Wagen bewegt hast wie hier bei mir."
Dann zerrte Stanislaus die Reste des zer-
Ichnittenen Sackes bciseitc und fuhr fort: „Du
kannst Deine Totea verladen helfen, wenn Du
willst. Es wird schon dunkel, und wenn das Licht
ganz erloschen ist, bring ich Dich ins Quartier.
Hier bist Du noch nicht sicher. Die verfluchten
Erenzer liefern alles aus, was ihnen von drüben
in die Finger sällt."
Dei Junge bewegte wie auf Kommando die
Elieder, als wollte er zunächst einmal feststellen,
ob sie nicht erfroren seien. Und als er auf dem
Bahnsteig in seinen fünsmal Lbereinander gezoge-
nen Röcken stand, da sah er aus wie ein aufge-
plusterter Pfauhahn, der eben das Rad schlagen
will. Wild standen die Haare aus dem Hals-
kragen heraus. Dann nahm er den Priem aus
oem Mund und warf ihn weit von sich, spuckte
einmal encrgisch auf den verlassenen Sack, grisf
rn die gesrorenen Hammel und knallte sie in
einen bereitstehenden Waggon.
Stanislaus beobachtete ihn unter seinen
buschigen Brauen. Weshalb der Bursche sich nicht
frcute? Hätte ihm doch eigentlich um den Hals
sallen müssen nach dieser mehr als sonderbaren
Rettung. Es wurde während dieser Arbeit kein
Wort zwischen ihnen gesprochen. Erst als es so
dunkel war, dah man nicht mehr sehen konnte,
wohin die gefrorenen Hammel fielen, brach Sta-
nislaus ab, schlug den Kragen hoch, pfiff dem
Burschen und beide trollten sich.
Der Weg führte Lber Eleise, am Schuppen
vorbei. Einmal wurde Stanislaus angehalten.
Er schleuderte dem Beamten der Erenzstreife ein
ernziges barsches Wort ins Eesicht und ging wei-
ter, ohne sich um die Wirkung dieses Wortes zu
lümmern. Und sein Begleiter desaleichen. Sie
üemerkten beide, wie der Erenzer ihnen nachsah,
um schlietzlich kopfscbüttelnd weiterzugehen. Sta-
nislaus galt hier nicht umsonst als Sonderling.
Dann waren sie auf einer richtigen Stratze.
Ein kalter Wind fegte ihnen ins Eesicht. Stanis-
laus hatte die Hände tief in den Taschen ver-
graben und von seinem jugendlichen Begleiter
Vorüommene StraNendabnwÄSen mit cksn unrädllsen „blincken" passasivren, v,is sls ru «unckor-
ten auoli an allon Lüsen Iiängen.
Stanislaus bitz ein Stück von seinem Kau-I war der Kopf kaum zu sehen, so hatte er ihn in
tabak ab und schob es dem Burschen, ohne zu fra- ^ h"he" Kragen geschoben. „Wie em Strautz,
gen, in den Mund, der es willig aufgriff und wie dachte Stanislaus. als er sich einmal nach ihm
in alter Eewohnheit daran lutschte. Dabei glitt umsah.
ein schwaches Leuchten Lber die verkrusteten Der Weitzrusse steuerte geradeswegs auf eine
Züge, die sich aber gleich wieder verfinsterten. I Kneipe zu. Hier war sein Quartier, hier wollte
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In rtieser IVIoskauer Kirobe «urcls elns t.umpenssmmelstätte einseriolitst. l-inks ckie beicken Sal-
ken ckeuten an, claN ckie Kirods vor yem Linsturr stetit. Im Vorrlersrunck ltüoliten rvioi ckusenll-
lioliv, ltio von klem I.umpeni«a8en stelilvn wollten, Fotos: Juna
keiten. Die Männer trugen russische Pelzmützen,
hatten rauhe, ungepflegte Bärte. Als Stanislaus
mit dem Jungen eintrat, erregte er nicht das
geringste Aufsehen. In jeder andern europäischen
Sradt wäre der Bursche eine Sensation gewesen.
Elied des kleinen Fingers fehlte, griff er in ein«
der zahllosen Taschen, dic in seinen fünf Röcken
schleuderte ein Zehngul,
(Fortsetzung solgt)
angebracht waren und
denstück auf den Tisch.
Kabinetisumbildung in Wien l
Wien, 4. November
Nach den letzten Jnformationen steht nunmehr
fest, datz vier Minister aus der Regierung ausschei-
den, und zwar der Bizekanzler Baar-Baren-
sels, der Finanzm'nister Draxler, der Han-
dclsminister Stockinger und der Justizminister
Hammerstein-Equord.
Dafür treten in das Kabinett ein:
als Vizekanzler Feldmarschallleutnant HLlgerth,
der vor kurzem zum Fiihrer der Frontmiliz er-
nannt wurde.
als Innenminister Glaise-Horstenau» der
bisher Minister ohne Eeschäftsbereich war;
als Sicherheitsminister Neustädter-Stürmer,
dicser war seincrzeit Sozialminister und später
Eesandter in Budapcst;
als Handelsminister der Erazer Universitätsvrofes-
sor Dr. Taucher:
als Finanzminister der bisherige Finanzreserent
der Eemeinde Wien, Neumayer;
als Justizminister wird wahrscheinlich der Nat des
Obersten Eerichtshoses, Pilz. crnannt wcrden,
doch stebt diese Ernennung noch nicht fest;
serner wurde dem Sozialminister ein Staats-
sekretär sür Arbeitsweken in der Per-
son des Leiters der Postgewerkschast, Hans
Rott, beigegeben.
Aufsehenerregender Traubmordprozeß
Wien, 3. Novsmber
Vor einem Schwurgericht der steierischen Stadt
Leoben begann am Dienstag ein Mordprozeh, der
r--" ni-er die Erenzen Oesterreichs Aufschen er-
ringeklägt wegen Ranbmordes an der Eat-
tin des rumänischen Obersten Maria Farcasann
ist der 24 Zahre alte in Ungarn geborene Stu-
dent Karl Strasser.
Am 29. September 1935 fand ein Streckenwär-
ter neben den Eleisen der Eisenbahnlinie Wien
—Jnnsbruck in der Nähe der Station Admontdie
Leiche einer Frau, die sofort als Eattin des
rumLnischeri Obersten Farcasanu erkannt wurde.
Aus verschiedenen Anzeichen war zu schlietzen, datz
die llnglückliche einem Mörder zum Opfer gefal«
len war. Die umfangreichen Nachforschungen dex
österreichischen und Schweizer Behörden fiihrten
schlietzlich zur Verhaftung des Karl Strasser in
Zürich. Strasser, der zunächst leugnete, verwickelto
sich bald in Widerspriiche und legte dann Teilge,
ständnisse ab.
Es besteht kaum mehr ein Zweifel daran, dah
der Mörder, der den Zug in Wien bestiegen hatte,
sein im Besitz wertvollen Schmucks befindliches
Opfer plötzlich überfallen hat und nach hartem
Kampf durch das Abteilungsfenster auf den Bahn-
damm schleuderte.
V»-
t/,'s i?„a/,käks-^aä^/,as/s
Großfeuer im Bezirk Ginshrim
Sinsheiin, 3. November
Am Dienstagabend gegen 19.30 llhr brach i»
Grombach (Vezirk Sinsheim) ein Grohbrand aus,
dem zwei mit Heu und Stroh gesüllte Scheuncn
zum Opser sielen. Der schnell herbeigeeilten Orts-
feuerwehr und den Ortswchrcn aus Kirchardt, Vad
Rappcnau und Sinsheim gelang es, den Vrand
aus seinen Herd zu beschränken ünd die angrenzen-
dcn Baulichkeitcn vor den Flammcn zu schiitzen.
Vei den beiden völlig ausgebrannten Scheünen
handclt es sich um die Anwesen des Polizcidiener»
Josef Karl und der Michael Barth, Witwc.
Der durch dcn Brand verursachte Schaden ist
beträchtlich. Die Brandursache konnte bis jetzt noch
nicht festgestellt werden.
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