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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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Fernsprech-Anschluß Nr.'82.



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PetitzetLe oder deren Raum.'
Kür hiesige Geschäfts- und
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ermäßigt.

Gratts-Anschlal
der-Jnserate auf den Plak«t-
tafeln der Heidelb. Zeitnng
und den Plakatsäulm.

Fernsprech-Anschluß Nr. 82


Mensiaz, den 16. Mai

1839.

L. 0. Ein Kunststück der „Wacker"-Partei.
Ein auf Irreführung des Volkes berechnetes Kunststück,
kein Meisterstück ist es, was der Führer der badischen
Ultramontanen, Herr Wacker, mit seinen Fraktionsfreunden
sich in einem Aufruf an die „Gesinnungsgenossen" im
badischen Lande dieser Tage geleistet hat. Er spricht von
den „Erfolgen" des parlamentarischen Wirkens der
Centrumspartei, von ihren alten Forderungen politischer
und kirchlicher Freiheit (!), welchen die Kammer mit einer
Mehrheit beigetreten sei, die man in früherer Zeit selbst
in den eigenen Reihen nicht erwartet hättet! Also man
höre und staune ob der glänzenden Parteipolitik des Herrn
Wacker! Wie armselig und unfruchtbar erscheint daneben
die Politik des früheren Centrumsführers, des Herrn Geistl.
Raths Dr. Lender, der schon im Jahre 1886 zum Aergerniß
Wackers in öffentlicher Kammersitzung erklärte, daß die
Stellung der kath. Kirche im Lande Baden
keinenAnlaß zu erheblichen Beschwerden gebe.
Vergegenwärtigen wir uns die Großthaten Wackers
und seiner Freunde bei den letzten Wahlen und auf dem
letzten Landtag!
Eine Ruhmesthat ersten Ranges bleibt für alle Zeiten
der badischen Geschichte der in Gemeinschaft mit Demokraten
und Sozialdemokraten unternommene Angriffaufunser
Volks schullesebuch. Da zeigte sich der wahre, volks-
freundliche, freiheitliche und patriotische Geist unseres Cen-
trums im hellsten Lichte. Durchdrungen von dem Macht-
gefühle seiner ultramontan-demokratischen Mehrheit ging
Man an die glorreiche „Reinigung" des Lesebuchs und
suchte unserem Volke die Liebe und Verehrung zu seinen
patriotischen, für Freiheit und Vaterland begeisterten Dichtern
Theodor Körner, Ernst Moritz Arndt u. s. w. zu rauben.
Daß der ultramontane Aufruf diese Großchat freiheitlicher
Anwandlung der Kammermehrheit dem Volke verschweigt,
ist selbstverständlich. Aber das badische Volk wird
sie nicht vergessen. Es wird erkennen, daß der
politische Ultramontanismus — nicht zu verwechseln mit
dem wahren, religiösen Katholizismus — in der Reinigungs»
Arbeit seine Maske gelüftet und einen Vorgeschmack gegeben
dat von den Herrlichkeiten, die dem Volke zu Theil würden,
kenn er zur Macht käme. Und nun die zweite
i^roßthat! Mit Hilfe der Sozialisten und der paar von
Hackers Gnaden abhängigen Demokraten gelang es, der
Legierung unseres Großherzogs das berühmte Miß-
trauensvotum zu dekretiren. Darauf ist Herr Wacker
stolz. Als ob irgendwo in einem deutschen oder außer-
druischen Staate die Sozialdemokratie nicht jederzeit für
Ein Mißtrauensvotum gegen eine monarchische Regierung
öu haben wäre! Glauben aber Herr Wacker und seine
freunde im Ernst, daß die Regierung des Großherzogs
Friedrich sich dadurch imponiren lasse, daß eine ebenso ver-
wendete als illoyale Parteipolitik als einzigen Erfolg die
Mandatsvermehrung der Vaterlands- und monarchenfeind-
stchen Sozialdemokratie aufzuweisen hat? Auf die sonstigen
Großthaten des Centrums während des letzten Landtags
kerben wir nochmals zurückkommen.

Deutsches Reich.
— Der Reichsanzeiger veröffentlicht die Einberufung
Colonialraths für den 12. Juni.
Homburg v. d. H., 15. Mai. Das Kaiserpaar
um 1 Uhr 30 auf der Saalburg ein und besichtigte
Führung des Bauraths Jacoby eine Stunde lang
os Castell. Zum Empfang des Kaiserpaares hatte das
wster dem Protektorat der Kaiserin Friedrich stehende
^sttoriastiit Dornholzhausen vor der Saalburg Aufstellung

traf
stnter

genommen. Kurz vor der Abfahrt befahl der Kaiser den
Bürgermeister Dr. Tettenborn und den Gymnasialdirektor
Dr. Schultze aus Homburg zu sich, mit denen er sich über
den Ausbau des Castells unterhielt. Die Weiterfahrt nach
Schloß Friedrichscron zum Besuche der Kaiserin Friedrich
erfolgte um 2 Uhr 30 Min. Die Rückkehr nach Wies-
baden um 5 Uhr.
Deutscher Reichstag. Berlin, 15. Mai. Fortsetzung
der Berathung des Jnvalidenversicherungs-
gesetzes.
Bei Z 8 (freiwillige Versicherung) ist ein Antrag Richter
eingcgangen, den Absatz 1 in der Gestalt der Regierungsvorlage
wiederherzustelleu, welche die freiwillige Versicherung allen offen
hält, auf die die Versicherungspflicht durch den Bundesrath aus-
gedehnt werden kann, während die Kommissionsfaffung auch noch
in Ziffer 1 die Betriebsbeamten, Werkmeister, Techniker, Hand-
lungsgehilfen und Lehrer hinzuläßt, die zwischen 2000 und
3000 Mk. verdienen. Ein Antrag v. Lö bell (cons) ist redaktio-
neller Natur, ein Antrag Albrecht will den Zusatz der Kom-
mission streichen. Äbg. Hofmann-Weilburg berichtet über die
Kommissionsverhandlunzen.
Abg. Richter hält es für unmöglich, eine so wichtige Frage
vor einem so schwach besetzten Hause zu erledigen. Es handelt
sich um eine gewichtige Zahl von Personen, die hier in Frage
kommen; die zu weite Ausdehnung der Selbstversicherung schade
dem Mittelstände, der durch die Privatversichcrung genug bedient
sei. Es seien über diese Dinge keine Ermittelungen veranstaltet
worden. Die Regierung habe gewichtige Gründe dafür angeführt,
die Versicherungen nicht zu weit auszudehnen. Sie Sache habe
doch auch durch die Reichszuschüsse ihre sehr bedenkliche Seite.
Woher sollen die Reichszuschüsse genommen Werdens
Abg. v. Löbell (cons.) spricht für die Commissionsfassung,
mit einer Abänderung gemäß seinem Anträge, da gerade der
Mittelstand dadurch geschädigt werde.
Abg. Wurm (Soz.) vertritt den Antrag Albrecht. Der Er-
folg der erweiterten freiwilligen Versicherung werde eine Er-
höhung der Kosten mit sich bringen, die von den ärmsten Arbeitern
getragen werden müßte.
Abg. v. Sa lisch (cons.) verweist darauf, daß gerade die Be-
triebsbeamten durchaus keine sichere Lebensstellung haben.
Abg. R ö s i ck e - Dessau (fraktionslos) führt aus: Die Aus-
dehnung der freiwilligen Versicherung, die Absatz 1 vorschreibe,
sei ohne praktische Bedeutung, denn die dort aufgezählten Per-
sonen hätten in der Regel von Anfang an ein Einkommen von
über 2000 Mk. Sie hätten dadurch schon das Recht, die be-
gonnene Versicherung fortzusetzen.
Abg. Dr. Hitze (Centn): Venn nun einmal die landwirth-
schaftlichen Arbeiter in die Versicherungspflicht einbezogen worden
sind, so müßte nun folgerichtig auch den kleinen landwirthschaft-
lichen Unternehmern wenigstens die Möglichkeit der Versicherung
gegeben werden. Die Gefahr, daß die Selbstversicherung später-
hin mit der Versicherung spekulirt, sei so gut wie ausgeschlossen,
da eine Wartezeit von 8 Jahren (400 Wochen) festgesetzt sei.
Abg. Oertel (cons.) erklärt: Wenn der Reichstag den
Kommissionsantrag annehme, der dem gewerbetreibenden Mittel-
stand zugute kommen solle, dann würde dieser Paragraph einer
der wenigen sein, die als Goldkörner empfunden werden.
Abg. Franken (natl.) theilt mit, daß ein Theil seiner
Parteigenossen für den Antrag Richter stimmen werde.
Abg. Richter (fr. Vp.) beantragt, die Abstimmung über
den Paragraphen zu vertagen.
Staatssekretär Dr. Graf v. Posadowsky: Die verbünde-
ten Regierungen werden selbstverständlich auf dem Standpunkt
der Vorlage stehen, solange der Buudcsrath nicht anderweitige
Beschlüsse gefaßt hat. Es sei überflüssig für die Regierung, ihren
Standpunkt nochmals eingehend zu erklären, da er in dem Be-
richt genügend dargestellt sei.
Die Abstimmung über Z 8 wird hierauf gemäß dem Antrag
Richter vertagt. § 9 wird in der unveränderte» Fassung der
Vorlage ohne Erörterung angenommen, ebenso nach kurzer Ver-
handlung § 10, der die Invalidenrente nach 26-vöchiger Erwerbs-
unfähigkeir gewährt und zwar für die weitere Dauer der Er-
werbsunfähigkeit. Ein Antrag Albrecht, statt 26 Wochen 13 zu
setzen, wurde abgelehnt. Ebenso wird zu 8 11 ein sozialdemo-
kratischer Antrag abgelehnt. 8 12 und 12 e treffen Bestimmungen
für den Fall, daß die Versicherungsanstalten das Heilverfahren
bei Krankheiten Versicherter einleiten; sie werden nach kurzer
Verhandlung in der Kommissionsfassung angenommen, unter
Ablehnung eines sozialdemokratischen Abänderungsantrags. An-
genommen werden die 88 10—15. Die Berathung über 8 16
betreffend Wartezeit wird bis nach der Abstimmung über 8 8

ausgesetzt. Bei 8 17 betreffend Beitragsleistung will der Antrag
Albrecht die Bestimmung streichen, daß die Krankheitsdauer dann
nicht als Beitragszeit angerechnct wird, wenn die Krankheit
durch geschlechtliche Ausschweifungen herbeigeführt ist.
Die Abgeordneten Stadthagen (Soz.) und Beb el (Soz.)
begründen den Antrag, den auch Roesicke (wildllib.) und Dr.
Kruse (ntl.) befürworten; er wird jedoch abgelehnt und 8 17
in der Kommissionsfassung angenommen.
Zu 8 20, Höhe der Beiträge, liegt ein Antrag Albrecht vor,
die wöchentlichen Beiträge in fünf Lohnklasscn auf 6, 10, 24, 28
und 32 Pfg. festzusetzen; zu den beiden unteren Lohnklassen soll
das Reich Zuzahlungen leisten, die durch Reichscinkommensteuer
aufgebracht werden sollen. Ein Antrag v. Richthofen beantragt
einen Zusatz, wonach Erhöhung der Beiträge bewilligt werden
muß, sobald das Reichsversicherungsamt die Unzulänglichkeit der
Beiträge nachweist. Ein Antrag Richter will die von der Com-
mission emvfohlcnen Beitragsätze von 14, 20, 24, 30 und 36 Pfg.,
die durch Bundesrath und Reichstag abgeändert werden können,
ein- für allemal in dieser Höhe festsetzen.
In der Debatte empfiehlt Staatssekretär Dr. Graf v. Posa-
dowsky den Antrag Richthofen im Interesse der Klarstellung
des Sachverhalts.
Abg. v. Nicht Hofen (kons.) zieht seinen Antrag für jetzt zu-
rück, um ihn für die dritte Lesung abzuändern.
Abg. Schmidt-Elberfeld (freist Vp.) empfiehlt den sozial-
demokratischen Antrag, der rechnerisch ausgezeichnet sei.
Nachdem Staatssekretär Dr. Graf v. Posadowsky wieder-
holt dargelegt, daß eine Klarstellung im Sinne des Antrags
Richthofen erfolgen müsse, weil sonst die ganze Versicherung in
der Luft schwebe, wird 8 20 in der Kommissionsfassung unter
Ablehnung der Anträge Albrecht und Richter angenommen.
Morgen 1 Uhr Weiterberathung.
Baden. Eppingen, 15. Mai. Auf Einladung unseres
Landtagsabgeordneten Herrn Bürgermeister Dr. Reichardt
von Durlach versammelten sich, wie der Volksbote berichtet,
gestern Nachmittag 4 Uhr im Gasthof zur Krone (Post)
eine größere Anzahl Vertrauensmänner des hiesigen Wahl-
bezirks, um mit demselben diekünftigeLandtagswahl
zu besprechen. Nachdem Herr Bürgermeister Vielhauer
von hier die Erschienenen durch eine Ansprache begrüßt
hatte, ergriff Herr Laudtagsabgeordneter Bürgermeister
Dr. Reicharot das Wort, um zunächst dem Wahlbezirk für
das ihm geschenkte Vertrauen seinen Dank auszusprechen,
dann aber zugleich mitzutheilen, daß die Annahme einer
weiteren Kandidatur infolge der immer anstrengender wer-
denden Berufsgeschäfte für ihn unmöglich sei. Hierauf
machte er die Versammlung mit dem Resultat der Vcr-
trauensmännerversammlung des Bezirks Sinsheim bekannt.
Es wurden in dortiger Versammlung zwei Kandidaten in
Vorschlag gebracht, die Herren Rechtsanwalt Binz und
Forstrath Wittmer, beide in Karlsruhe. Man einigte sich
nun, Herrn Forstrath Wittmer einstimmig als Kan-
didaten aufzustellen. Herr Dr. Reichardt gab seiner Freude
über diese Einigung in schönen Worten Ausdruck, mahnte
die vaterlandsliebenden und regierungsfreundlichen Parteien
zu festem Zusammenhalten, um das so schwer Errungene
zu erhalten, und schloß seine treffliche Rede mit einem be-
geistert ausgenommenen Hoch auf den Großherherzog und
die Regierung.
— Nachdem der Landtag soeben erst geschlossen worden
ist, beschäftigt sich ein Theil der Presse bereits mit den
Neuwahlen, wobei insbesondere seitens des Bad. Beob.
Betrachtungen und Untersuchungen über die Aussichten in
den einzelnen Wahlbezirken angestellt werden. Wir wollen
uns, bis mehr Klärung eingetreten ist, diese oft mit großen
Täuschungen verknüpfte Arbeit ersparen und uns auf
folgende thatsächlichc Mittheilung beschränken: Aus der
Zweiten Kammer scheiden aus: von den National-
liberalen Dr. Binz-Durlach (Stadt), Blankenhorn-Müllheim-
Staufen, Flüge-Lahr (Land) (bisher wild), Geldceich-
Oberkirch-Achern, Gesell-Pforzheim (Stadl), Gönner-Baden,
Hauß-Kehl, Höring-Lahr, Keller-Bruchsal, Kögler-Breiten,
Wilckens-Heidelberg, Neuwirth-Sinsheim, Obkircher-Mos

Cäsars Frack.
Humoreske von Rrinhold Ortmann.

(Schluß.)
y.Daß sie Werner nicht verzeihen durfte, tbat ihr im
st 'sten Herzen weh, und es klang darum noch härter und
"bischer, als sie beabsichtigt, da sie sagte:
k» ^Das ist alles sehr schön, Her^ Doktor, und ich verarge
e^^hnen auch gewiß nicht, daß Sie auf eine reiche Heirath
lost Sehen, um zur vollen künstlerischen Unabhängigkeit zu ge-
h, Sen. Ihren Schneider aber hätten Sie doch nicht gerade
E dieser Aussicht vertrösten sollen."
st--Nein, das hätte ich nicht sollen," bestätigte er, sich aus
fst?er Begeisterung wieder in die traurige Wirklichkeit zurück-
4, °end, mit einem gewissen Galgenhumor. „Und vor allen
Jollen hätte ich diesen Brief nicht dazu benutzen sollen,
UNen eine Liebeserklärung zu machen. Aber es rächt sich
lede Schuld auf Erden."
ej Blrs. Helen war empört, über diese frivole Art. sich mit
h, so ernsten Angelegenheit abzufinden. Aber sie kam nicht
i» dazu, ihrer Entrüstung Ausdruck zu geben, denn gerade
H kesem Augenblick trat Cäsar Gregory, der es als künftiger
z„ ?sherr schon für überflüssig gehalten hatte, sich anmelden
igzMssen, in den Salon. Finster umwölkte sich seine Stirn,
SgQ Werner Holmfeld erblickte, und in seinem Aerger ver-
hg,. Er sogar, daß er die Amerikanerin noch garnicht begrüßt

sst.'Au hier?" sagte er. „Das ist in der That eine sehr
Ueberraschung."
dgisEait xioxr raschen Bewegung hatte Werner nach dem offen
bxJEgenden Brief gegriffen. Aber gerade die Hast dieser Ge-
hi^°E hatte Cäsar's Mißtrauen erregt und er trat schnell
"»dp' um einen Blick auf das Papier zu werfen, das der
hlrßEE so geflissentlich vor ihm zu verbergen strebte. Er
MnstE die Schliftzüge wohl erkennen, denn im nächsten
ut hatte er es ihm entrissen und aus seinen dunklen
"En sprühte wilder Zorn.

„Ab, das also ist Deine Freundschaft I" rief er. „So atso
belohnst Du mein Vertrauen! Das sind die Waffen, mit
denen Du mich feige aus dem Hinterhalt zu vernichten
trachtest l"
Mrs. Taylor horchte hoch auf. Werner aber machte ihm
allerlei Zeichen, zu schweigen, und es war ein großes Unglück
für den armen Cäsar, daß er ihre Bedeutung nicht verstand,
sondern sie nur für Beweise der Verlegenheit und des Schuld-
bewußtseins nahm.
„Bemühe Dich nicht!" fuhr er noch theatralischer fort,
denn jetzt, wo er doch alle Hoffnung aufgeben mußte, konnte
es ihm ja nur noch darauf ankommen, sich einen möglichst
wirksamen Abgang zu sichern. „Bemühe Dich nicht! Ich
durchschaue Dich bis auf den Grund Deiner Seele. Soll
ich Ihnen wiederholen. Mrs. Taylor, was erfJhnen von mir
erzählt bat? Jetzt, da ich diesen Brief hier in Ihrem Salon
sehe, weiß ich es so gut, als ob ich lauschend hinter der
Thür gestanden hätte. Er bat Ihnen gesagt, daß ich teil
vier Wochen von seiner Großmuth lebe — daß ich ihm Geld
schuldig bm — daß ich seine Gutmüthigkeit ausbeutc! O,
leugnen Sie es nicht! Eine so kleine und hämische Serie
wie die seine kann solche Dinge ja unmöglich anders als von
den niedrigsten Gesichtspunkten aus betrachten."
Er hielt betroffen inne. denn die junge Wittwe war nicht
im Stande gewesen, noch länger an sich zu halten. Sie lachte
so bell und fröhlich auf, als handle sichs bei alledem um die
lustigste Sache von der Welt.
„Verzeihen Sie." sagte sie. „aber ich kann nicht anders.
Das ist wirklich zu komisch. Nein, Herr Gregory, nichts von
alledem hat mir Ihr Freund gesagt, nicht ein Sterbens-
Wörtchen. Dieser Brief da war ohne sein Verschulden durch
einen unglücklichen — oder lassen Sie mich lieber sagen, durch
einen glücklichen Zufall — aus Ihrem Frack in meine Hände
gerathen. Und wenige Minuten vor Ihrem Eintritt hatte
Herr Doktor Holmield sich für den rechtmäßigen Empfänger
erklärt. In der That, Sie haben vollkommen Recht, von
seiner kleinen und hämischen Seele zu reden."

Wenn Cäsar Gregory jemals in Versuchung gewesen war»
sich selbst zu ohrfeigen, so war es in diesem Augenblick. Er
stand da, als wäre gerade vor ihm ein Blitzstrahl in den
Boden gefahren, und niemand, er selbst am wenigsten, ver-
stand den Sinn der abgerissenen Worte, die er in grenzen-
loser Verlegenheit vor sich hinmurmelte. Ein paar Sekunden
lang weidete sich die grausame Mrs. Taylor an dem Anblick
der Strafe, die er ihrer Meinung nach so wohl verdient
hatte. Dann aber hatte sie Erbarmen. Sie ging auf ihn zu
und reichte ihm mit gewinnender Liebenswürdigkeit die Hand.
„Ich hoffe indessen, lieber Herr Gregory, Sie lassen sich
durch dieses etwas boshafte Spiel des Zufalls weder die
Laune noch den Appetit verderben. Ich bin nicht mehr so
unerfahren, daß ich eine Künstlernatnr nicht mit anderem
Maße zu messen wüßte, als einen gewöhnlichen Sterblichen.
Und darum zweifle ich auch keinen Augenblick, daß der Herr
Doktor Ihnen bereits von ganzem Herzen all' die harten
Worte vergeben hat, die Sie soeben über ihn gesprochen.
Hätte er's aber nicht aus eigenem Antriebe gethan, so thäte
er's jedenfalls jetzt auf mein Geheiß. Denn daß Sie es
wissen, Herr Gregory, er steht von heute an ganz und gar
unter meinem Befehl."
„Mrs. Helen!" rief Werner, und es klang wie ein Jauchzen.
„Ist eS denn möglich? Verstehe ich Sie recht?"
Sie wandte sich nach ihm um und reichte ihm lächelnd
ihre beiden Hände.
„Wenn ich Sie zu einem Mittagessen einlud, nachdem ich
hre Verse gelesen, konnte es doch wohl nur zu unserem
erlobungsmahle sein. Haben Sie das denn nicht gleich
begriffe» ?" «
Cäsar Gregory hielt es sür angezeigt, ein paar Minuten
lang sehr aufmerksam die Bilder an den Wänden zu be-
trachten. Und während er so die Glücklichen sich selbst über-
ließ, reiste in seiner erhabenen Dichterseele ein großer Ent-
schluß. Nein, er war nicht der Mann, die klägliche Rolle
des verschmähten und köstlich gekränkten Liebhabers zu
spielen. Sollte er es obendrein seinen Magen entgelten
lassen, daß sein Herz wieder einmal Pech gehabt hatte? Mau
 
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