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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0669

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und den Plakatsäulen.
Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Xr. 149


Dinncrstas, Len 29. Juni

1899.

Bestellungen
auf die Heidelberger Zeitung für das III. Vierteljahr
werden bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den
Agenten, bei den Trägern in der Stadt, sowie in der
Expedition, Untere Neckarstr. 21, angenommen.
Bezugspreis: monatlich nur 50 Pfg., frei in's Haus
gebracht; durch die Post bezogen Mk. 1.25 vierteljährlich,
mit Zustellgebühr Mk. 1.65.

Belgische „Wahlreform".
In Belgien hat das ultramontane Ministerium eine
ganz eigenartige Wahlreform vorgeschlagen. Gegenwärtig
herrscht in Belgien ein Wahlsystem, wonach gewissen Kate-
gorien von Wählern zwei, bezw. drei Stimmen beigelegt
werden, im klebrigen aber die Mehrheit der abgegebenen
Stimmen entscheidet. Bei diesem Wahlsystem stehen sich
die Klerikalen augenblicklich ganz gut, denn sie haben 105
von 152 Sitzen inne. Allein die Zukunft ist ihnen nicht
sicher, und da die übrigen Parteien ein anderes Wahlrecht
verlangen, wobei sie zumeist an das Proportionalwahl-
system denken, so hat die klerikale Regierung in der That
ein neues Wahlgesetz eingebracht — ein echt ultramontanes.
Der Sinn der neu vorgeschlagenen Wahlbestimmungen ist
der: Wo die Opposition die Mehrheit bei den letzten
Wahlen errungen hat, da führen wir die Verhältnißwahl
ein, um mit ihr zu theilen. In den vlämischen Wahl-
kreisen aber, wo wir die Mehrheit besitzen, kann von der
Einführung der Verhältnißwahl keine Rede sein.
Diese kecke Zumuthung der klerikalen Regierung an die
Opposition hat bei dieser einen Sturm der Entrüstung
hervorgerufcn. Man spricht von Revolution und beschwört
den König, die Zurückziehung des Regierungsentwurfs zu
veranlassen.
In der belgischen Deputirtenkammer kam es dieser
Tage zu sehr heftigen Scenen. Ein Bericht der Köln. Ztg.
Meldet darüber Folgendes:
Zum Beginn wurde abgestimmt, wann die Verhandlungen
über das Wahlrecht statlfindeu sollen. Der Vorschlag der
Regierung, am 5. Juli zu beginnen, wurde mit 88 gegen 16
Stimmen angenommen. Der weitere Verlauf war folgender:
Smeets, Sozialist, ruft dem ersten Minister Vandenpeereboom
M: Sie werden verantwortlich sein für die Leichen, die es viel-
leicht um die gesperrte Zone (der Brüsseler Oberstadt, mit dem
Palast und den Slaatsgebäudcn) geben wird. Wir sind bereit,
Mit allen Mitteln zu kämpfen bis ans Ende. Vandervelde:
Die Rechte ist muthig in ihrer Art, genau wie 1893 (als unter
der drohenden Haltung der Menge draußen das allgemeine
Wahlrecht cingeführt wurde). Damals hatten Sie sich hinter die
Bajonnetie verkrochen. Aber — zu dem Minister Vandenpeere-
doom gewandt — Sie vergessen, daß die Bajonnette zu denken
deginnen, und daß sie sich nicht immer gegen uns richten wer-
den. Des net: SLon heute haben Sie im Hause die Wacht-
posten verdoppelt. Sie lassen die Soldaten eine unwürdige Rolle
Wielen. Sie lassen uns unter der Drohung der Bajonnette be-
Mthen. Es ist eine Schande. Furnämont, zu den Grena-
dieren, die in den öffentlichen Tribünen für die Ordnung sorgen:
Wgt das euren Kameraden. (Lebhafter Widerspruch rechts.)
vandervelde (zu denselben): Ihr seid arme Leute, deshalb
Müßt ihr für die Reichen dienen. (Bewegung. Lärm rechts.)
Demblon fordert die Armee auf, nicht auf das Volk zu
Wetzen. (Tumult rechts.) Die Regierung will die Berathung
?es Etsenbahnbudgets beginnen. Furnömont ruft in den
Wal: Das ist eine Verletzung der Geschäftsordnung. Es gibt
üur mehr Spitzbuben hier. (Der Lärm wird unausstehlich.)
Al sch et (liberal): Es ist unerhört, daß belgischen Bürgern,
fte hierher kommen wollen, um mit ihren Abgeordneten zu reden,
°er Eintritt verweigert wird. Der Abgeordnete tadelt die
Quästoren wegen übertriebener Maßregeln. Leon Visart,
Quästor, rechtfertigt die Maßregeln der Quästur. Eine Stimme
"Nks: Sie haben Angst D e fn e l (Soc.): Es ist ein Bör-
then der niedrigen Polizei. Unterdeß greifen die Abgeordneten
Mauder persönlich an. Man hört nichts mehr als Geschrei und

Demblon schreit: Die Regierung ist es, die eine revolutionäre
Lage hervorgerufen hat. Die Minister sind Revolutionäre.
Journez (liberal): Achtung, der Staatsanwalt lauert schon
in den Wandelgängen. Der Tumult steigert sich. DeJonghe-
d'Ardoye, Quästor, antwortet der Linken: Ich habe diejeni-
gen Maßregeln getroffen, die ich für nothwendig halte, ob sie
Ihnen gefallen mögen oder nicht. Die ganze Linke erhebt sich
und setzt einen unbeschreiblichen Rumor ins Werk. Demblon
ruft zuerst: Es lebe die Republik! Nieder mit Pourbaix
(dem Polizeispitzel, der vor zwölf Jahren dem klerikalen Kabinet
zum Aufbauschen einer revolutionären Verschwörung' behülflich
war). Ändere rufen: Nieder mit der Pfaffenmütze (la oalotts).
Die Linke bleibt stehen und schreit eine Viertelstunde lang. Rothe
und Schwarze brüllen einander persönlich an.
Da erinnert sich endlich der Präsident, daß er da ist, und unter-
bricht die Sitzung. Nach der Wiederaufnahme macht sich der
Clcricaldemokrat Re »quin daran, zu dem Eisenbahnbudget zu
sprechen. Die Linke, die kurz vorher unter den Klängen der
Marseillaise und der Carmagnole den Saal verlassen hatte, ist in
sehr erregter Stimmung und hebt eine Katzenmusik an, so betäubend,
daß die Journalisten auf der Tribüne auskneifen, um dem Getöse
zu entgehen. Die Sozialisten schlagen mit den Pultdeckeln, rasseln
mit den Löffeln in den Zuckcrwassergläsern — vor Jahren gab
es einen Schuß Cognac, seither aber wird das berauschende Ge-
tränk den Volksvertretern vorenthalten, aber man sagt, daß manche
von ihnen eine Feldflasche mitbringen —, man schlägt mit Akten-
bündeln und Büchern darauf los und singt das Grablied: O
Vandenpeereboom, und ruft dazwischen: Hoch die Republik! Die
Rechte sieht mit verschränkten Armen zu. Das dauert eine
volle Stunde. Renquin spricht immer weiter in den Rumor
hinein, unverständlich. Gegen 5 Uhr ist es so weit, daß die
Trinkgläser in Scherben gehen. Vandervelde erinnert sich der
rauhen Brüsseler Studentenzeit und wirft dem Vorsitzenden einen
Knäuel Papier an den Kopf. Ein anderes Geschoß dieser Art
trifft den unermüdlichen Redner. Die Erregung ist aufs höchste
gestiegen. Der Vorsitzende erklärt die Sitzung für geschlossen,
aber die Linke weicht nicht, sondern ruft: Wir bleiben! Es scheint,
als ob die Linke sich des Vorstandssitzes bemächtigen wolle, um
eine Volksversammlung in den geheiligten Räumen zu veran-
stalten. Der Vorstand ruft die bewaffnete Macht zur Hülfe und
läßt die öffentlichen Tribünen räumen. Das Volk aber will das
Schauspiel weiter genießen. Auch die Berichterstatter lassen sich
nicht vertreiben. Immer wieder ertönen Hochrufe auf die Re-
publik, namentlich währenddem die Rechte den Saal verläßt. Es
wird bemerkt, daß die Liberalen sich der Radaumacherei nicht
angcschlosscn haben. Draußen werden die Sozialisten, die sich
endlich ins Freie begeben, gefragt, was sie nun zu thun gedenken.
Sie erklären, die Obstruktion solle fortgesetzt werden, und so bis
zum 5. Juli, weil sie die Arbeiter aufregen und veranlassen
möchten, an den Straßentumulten theilzunehmen.
Brüssel, 28. Juni. Der Vorstand der Brüsseler
Vereinigung der Arbeiterpartei hielt gestern Abend eine
geheime Sitzung ab. Er beschloß, den allgemeinen
Aus st and der Brüsseler Arbeiter, um auf diese Weise
die Bewegung gegen die Wahlgesetzvorlage der
Regierung zu vergrößern. Der Ausstand soll am Tage
des Beginns der Berathung über das Wahlgesetz anfangen.
Mehrere Redner gaben der Hoffnung Ausdruck, die Arbeiter
der Provinz würden sich der Bewegung anschließen.
Brüssel, 28. Juni. Angesichts der bedenklichen
Entwicklung der Lage in Brüssel ist heute Nachmittag
5Uhr der König unerwartet aus Ostende hier eingetroffen.
Auch der Kammerpräsident Beernaert, der Belgien auf der
Conferenz im Haag vertritt, ist zurückgekehrt. Er wird
voraussichtlich in der nächsten Kammersitzung selbst prä-
sidiren. _

Aus der französischen Deputirtenkammer.
Paris, 27. Juni. Vicepräsivent Maurice Faure
führt den Vorsitz.
Dsroulöde bringt seinen Antrag auf Revision der Ver-
fassung ein, welcher bezweckt, an Stelle der parlamen-
tarischen Republik die .plebiscitäre" zu setzen.
Dsroulsde verlangt für seinen Antrag die Dringlichkeit.
Es sei an der Zeit, dem Lande zur Kenntniß zu bringen, daß
man auch eine andere Republik haben könne, als eine parla-
mentarische.
Ministerpräsident Waldeck-Rousseau spricht sich gegen

die Dringlichkeit aus und verlangt die Verweisung des Antrages
an eine Kommission. (Widerspruch rechts.)
Viviani (Sozialist) verlangt, daß die Kammer über die
Dringlichkeit des Antrags Töroulsve abstimme. Er ist für die
Revision, sofern sie die Abschaffung des Senats bezwecke. (Lachen
im Centrum.) Äon einer plebiscitären Republik will er aber
nichts wissen. Er wird gegen die Dringlichkeit stimmen, weil er
ein Anhänger der Herrschaft des Wortes und nicht ein Anhänger
des Säbels ist. (Beifall auf der äußersten Linken.)
Dsroulsde wiederholt, daß es sich hier nur darum
handle, der Oberherrschaft des Volkswillens Geltung zu verschaffen.
Ich will die Republik des Volks, ruft er aus; die Republik, die
wir besitzen, verdient diesen Namen nicht. (Heftiger Widerspruch,
Beifall rechts ) Ich spreche im Interesse des Volkes.
Drumont (Antisemit) versucht zu sprechen, aber die Natio-
nalisten und die Rechte veranstalten mit den Pultdeckeln einen
so furchtbaren Lärm, daß er nicht reden kann.
Last es (Antis.) ruft: „Er soll nicht zu Wort kommen!"
Dsroulsde verlangt das Wort.
Der Präsident verweigert ihm dies.
Lasies (Antis.) wirft Waldeck-Rousseau vor, mit Schlichen
vorzugehen. (Heftiger Widerspruch auf der Linken; Tumult.)
Mehrere Redner versuchen jetzt zu sprechen, können sich aber
inmitten des Lärmes kein Gehör verschaffen.
Der Vorsitzende Faure versucht die Ordnung wieder herzu-
stellen, wird aber durch erneuten Lärm daran gehindert.
Das Centrum verläßt den Saal unter Einspruch
gegen die Haltung der Rechten.
Der Präsident ist nicht im Stande, die Ruhe herzustellen,
bedeckt sich schließlich und verläßt den Präsidentensitz.
Die Sitzung ist aufgehoben.
Nach Wiederaufnahme der Sitzung erklärte Drumont,
daß er im Interesse des Parlamentarismus auf das Wort
verzichte.
Es wird zur Abstimmung geschritten. Dieselbe ergibt
die Verwerfung der Dringlichkeit für den Antrag Dsroulsde's
mit 397 gegen 70 Stimmen. (Beifall links.)

Deutsches Reich.
— Der Chef der Marinestation der Nordsee, Vice-
admiral Karcher, ist zum Admiral der Marine befördert
worden.
— Der Berliner Lokalanzeiger meldet aus Ts int au
das Eintreffen neuer ungünstiger Nachrichten aus dem
Aufruhrgebiet. Weitere 120 Mann mit Geschützen seien
nach Kaomi abgegangen. Hauptmann Mauve mußte den
Widerstand der chinesischen Bevölkerung mit Waffengewalt
brechen.
— Prinz Friedrich Karl von Hessen, der
Schwager des Kaisers, Rittmeister L In snits der Armee, scheint
wieder in den aktiven Dienst treten zu wollen. Er ist
bis auf weiteres infolge Kaiserlicher Ordre dem 81. In-
fanterie-Regiment in Frankfurt a. M. zur Dienstleistung
überwiesen. In früheren Jahren stand der Prinz als Leut-
nant beim 1. Garde-Dragoner-Regiment.
Baden. Karlsruhe, 28. Juni. Kürzlich hatte der
Erzbischof in Baden-Baden eine Unterredung mit unserem
Großherzog und jetzt ist auch Geistl. Rath Lender
auf Schloß Baden in längerer Audienz von Seiner König-
lichen Hoheit empfangen worden. „Es geht etwas vor",
bemerken dazu vielsagend die ultramontanen Blätter.
Karlsruhe, 28. Juni. Die Generalversammlung der
„Badenia" (Bad. Beobachter) erörterte u. a. eingehend die Karls-
ruher Preßangelegenheit und erklärte sich schließlich gegen die
Gründung eines Lokalblattes.
Preuße». Berlin, 28. Juni. Die Lanalcom-
mission des Abgeordnetenhauses lehnte mit 19 gegen 7
Stimmen die Anträge Dr. Liebers auf Einsetzung einer
Subcommission zur Prüfung der vorliegenden Compen-
sationsforderuugen ab.

Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit derGroßherzog haben ver-
liehen: s. das Ritterkreuz des Ordens Berthold des Ersten: dem
Geistlichei^tatk^rünsterpfarre^Gustav^^^^^n^onstan^


Fürstin Natalie.
Novelle von L. N. Satalin. Aus dem Russischen von
Eduard Bansa.
(Fortsetzung.)
. Ich wünschte dem Gespräch eine andere Wendung zu
ttben und fragte deshalb:
„Werden Sie längere Zeit in Rußland bleiben? — Be-
'dsichiigen Sie, meinen Onkel auf seinem Gute zu besuchen?"
, „Ich habe zwei Monate Urlaub. — Wie verlangte es mich
vch. Sie zu sehen. Fürstin. Ihnen mein ganzes Herz aus-
Mtten zu können." Mit einem tiefen Seufzer fügte er, die
stchte auf die Brust legend, hinzu: „Ach, mir ist so weh
M, das kleine, unruhige Ding dort drinnen droht zu zer-
gingen !"
> Wieder neue Ankömmlinge. — Ich erhebe mich: denn es
^ Zeit zu gehen.
, „Kommen Sie bitte zu mir, wann es Ihnen paßt. Zwischen
>er und sechs Uhr bin ich eigentlich immer zu Hause, und
Stz Sie ein gern gesehener Gast bei mir sind, daran zweifeln
'>e doch hoffentlich nicht. Alexander Andrejewitsch!"
„Ich danke Ihnen. Morgen gleich werde ich mir erlauben,
kommen: fürchte aber. Ihnen langweilig zu werden."
„Schwerlich!"
,Er küßte mir die Hand. Ich verabschiedete mich von der
flrstin. Mstißlaff stand gleichfalls auf, verbeugte sich, und
w verlieben zusammen den Salon. Wir waren noch nicht
' das anstoßende Boudoir gelangt, als er mich fragte:
„Du warst erstaunt, mich hier zu sehen! Nicht wahr?"
„Erstaunt und erfreut. — Ich war anfangs so befangen,
^8 ich nicht Herrin meiner selbst war; aber, als ich Dich
faßte ich Muth. Sogar mit Madame CH. habe ich mich,
Machtet der nahen Nachbarschaft der Fürstin, unterhalten."
»Ja, ja, ich habe alles gesehen l — Ich sehe immer alles,
Me Natalie. Du wirst häufig Gelegenheit haben, Dich von
t Richtigkeit meiner Worte zu überzeugen. — Warum bist

Du denn aber so spät gekommen? — Ich war schon länger
als eine halbe Stunde bei der Fürstin, als Du gemeldet
wurdest."
„Hast Du mich vielleicht erwartet? — Bist Du meinet-
wegen gekommen?"
„Wer weiß denn! — Es ist alles möglich!" sagte er, ver-
schmitzt lächelnd. Dann verschwand plötzlich der freundliche
Ausdruck, welcher seine Gesichtszüge verschönte, und mitten
im Salon stehen bleibend, wandte er sich an seine Gattin mit
den Worten:
„Natalie, ich war heute zwei Mal heftig gegen Dich. —
Ich sehe mein Unrecht ein und bitte Dich, mir nicht zu
zürnen!"
Ich streckte ihm beide Hände entgegen, die er mit Küssen
bedeckte. Da wurde hinter uns das Rauschen eines Kleides
hörbar, und wir eilten gleich Kindern, welche bei einem
dummen Streich ertappt wurden, in größter Hast der Trepve zu.
Im Vestibüle angelangt, sagte Mstißlaff zu mir: „Wenn
in Deinem Wagen noch ein Plätzchen für mich frei ist. werde
ich mit Dir nach Hause fahren."
9. Januar.
Falkenburg war gestern bei mir und blieb geschlagene zwei
Stunden. Da jedoch während seines nicht gerade kurzen
Besuchs unausgesetzt Gäste kamen oder gingen, war es ihm
unmöglich, mit mir allein zu plaudern, und mit dem letzten
Besucher mußte er. unverrichteter Sache, sich verabschieden.
Im Weggehen flüsterte er mir noch zu:
„Vielleicht bin ich ein anderes Mal glücklicher als heute;
ich werde deshalb demnächst wiederkommen, um mit Ihnen
sprechen, Ihnen mein Herz ausschütten zu können."
Er konnte eine ihn quälende Ungeduld und eine hoch-
gradige Erregung nur schlecht verbergen. — Was für ein
Geheimniß mag ihm wohl wieder auf der Seele liegen? —
Höchst wahrscheinlich eine Liebesgeschichte! — Falkenburg
sängt ja so furchtbar leicht Feuer! —
Heule Passirte mir eine, — ich weiß nicht recht, ob ich es
sagen darf, — unangenehme Geschichte. Schon vor meiner

Hochzeit hatten sogenannte gute Freundinnen, natürlich nur
aus Interesse für mein zukünftiges Glück, mir erzählt, daß
Madame Margot Türkin, die Löwin der Petersburger
Salons, zu meinem Gatten intime Beziehungen gehabt hätte,
daß die gegenseitigen häufigen Besuche nicht unbeachtet ge-
blieben wären u. s. w. Derartige Gespräche hatte ich, da ich
sie für müßiges Geschwätz hielt, einfach überhört. Als wir
später anfingen, unsere Besuche zu machen, veranlaßt mich
mein Mann, auch bei ihr vorzufahren. Er betonte dabei,
wie sie ihm gegenüber immer ganz besonders liebenswürdig
gewesen sei. — woran ich allerdings nicht zweifle, — daß er
im Turbin'schen Hause wie ein Verwandter verkehrt habe, —
was ich nicht in Abrede zu stellen wage, — kurzum, daß er
ein Unrecht zu begehen glaube, wenn er seine Gattin einer
so lieben Bekannten nicht verstellen würde. — So hielt denn
eines schönen Tages unsere Equipage, ohne daß ich bezüglich
dieses Besuches auch nur den geringsten Widerspruch erhoben
hätte, vor dem herrlichen Portal, durch welches wir in die
Wohnung der berühmten Margot gelangten. Zum Glück
meldete der uns empfangende Hausmeister, daß die Herr-
schaften nicht daheim seien.
Schon früher hatte ich Madame Turbin kennen gelernt,
ohne daß sie mir jedoch nur im geringsten gefallen hätte.
Das röthlich blonde Haar, der übertriebene zarte und rosige
Teint, die exzentrischen Manieren, die kreischende, durch-
dringende Stimme und das unangenehme laute Lachen sind
durchaus nicht nach meinem Geschmack.
Es dauerte lange, bis sie mich mit ihrem Gegenbesuch be-
ehrte. schließlich erichien sie aber doch, und zwar heute. —
Als sie mir gemeldet wurde, schwankte ich eine Sekunde, ob
ich sie empfangen oder mich verleugnen lassen sollte. In der
unbestimmten Empfindung jedoch, daß sie sich einbilden könnte,
ich fürchtete mich vor ihr, antwortete ich dem Diener:
„Ich lasse bitten."
(Fortsetzung folgt).
 
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