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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Juli bis Dezember)

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Nr. 177 - 203 (1. August 1901 - 31. August 1901)
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Mittwoch, 28. August 1901.

GrKes Blatt.

43. JghrgKW. — ßr. 200.

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Vom Burenkrieg.
„Daily Telegraph" meldet aus Hilversum vom
23. August: Präsident Krüger erklärte im Laufe
einer Unterredung, nichts, mit Ausnahme der Haltung
der englischen Regierung, habe sich in der Lage der
Dinge geändert. Die Buren befolgten dieselbe Taktik,
welche sie bei Begum des Krieges befolgt hätten. Man
habe sie früher militärische Taktik genannt, dann hakte
man sie irreguläre Kriegsführung geheißen und fetzt
sei es Taktik der Verteidigung. Die Zahl der Buren
sei geringer geworden, aber ihr Widerstand zeige auch
heilte alle wesentlichen Bestandteile einer regelrech-
ten K r i e g s f ü h r u n g. Die Burenführer hätten
die Mannschaften in ihrer Gewalt, wie auch die Buren-
regierung das Burenvolk immer noch regiere. Die Pro-
klamation Kitcheners könne nur eine Wirkung auf
die Buren haben, die nämlich, ihre Gemüter zu verbit-
tern, ihre, Waffen zu stählen und ihren Widerstand hart-
näckiger zu machen. Die Behauptung von einer V e r-
schwö r u n g der beiden Republiken Wider die britische
Herrschaft in Südafrika sei eine häßliche Lüge. Er
spreche hier vor dem Angesicht des allmächtigen Gottes
aus, es sei dies eine Lüge, welche Blutvergießen und Ver-
nichtung erzeugt habe. Gott wisse, daß er die Wahrheit
spreche. Seine Zeugen hernieden seien Lord Salisbury
und Chamberlain; diese wüßten genau, daß das, was er
spreche, wahr sei. Niemals habe es eine verderblichere,
teuflischere Lüge gegeben. Auf der Basis der Unab-
hängigkeit der beiden Republiken und
vollen Straflosigkeit der Iss rikan der-
ber Kapkolonie könne noch immer ein wahrer und
dauernder Friede geschlossen werden.
Der alte Ohm Krüger ist also immer noch
voller Zuversicht auf den für die Buren schließ-
lich günstigen Ausgang des Kampfes. Wie er, so haben
bekanntlich auch Dewet, Botha und andere Buren-

führer erklärt, daß sie ausharren und weiterkämpfen
würden.
Die Nachrichten über die Vorgänge auf dem Kriegs-
schauplatz fließen gegenwärtig, nachdem sie längere Zeit
sehr gestockt hatten, wesentlich reichlicher. Man ersieht
aus ihnen, daß die Buren in kleine Haufen geteilt, den
Engländern in ganz Südafrika, im Kapland und den
beiden Vurenstaaten stark zusetzen. Sie schwärmen
nahezu ungehindert auf dem ungeheuer großen Gebiet
umher, die Engländer müssen sich begnügen ihre An-
griffe abzuwehren. Gelegentlich eilen sie ihnen auf eine
Strecke weit nach, aber da sie sich von ihren Verbindungs-
linien nicht weit entfernen können, auch nicht so beweglich
sind, wie die Buren, bleiben ihre Unternehmungen meist
erfolglos.
An Nachrichten aus der letzten Zeit liegen folgende
vor:
Die Buren griffen einen Teil der Brigade des Ge-
nerals Elliotam 22. d. M. in der Nähe von L a dy-
brand iin Freistaat an. Die Engländer wur-
den auf den Caledonfluß z u r ü ck g e w o r f e n, ver-
loren 3 Geschütze, 17 Tote und 42 Verwundete. 5 Of-
fiziere und 72 Mann wurden gefangen und als Geiseln
fortgeführt.
Das Reuter'sche Bureau meldet aus Winburg:
Dem Vernehmen nach befinden sich Steisn und Dewet
ganz nahe am östlichen Ufer des Fishriver (Kapkolonie).
Die Buren im Zentrum teilten sich noch in kleinere
Trupps, als sie bisher bildeten und streifen mehr
d e n n j e b e i N a ch t umher. Es ist daher schwieri-
ger geworden, sie zu stellen; die Beschaffung von Lebens-,
Mitteln und Futter ist für sie weniger schwierig wegen der
geringen Anzahl. Die Buren erhalten fortwährend
heimlich Pferdeersatz. Zwei große Kam-
m a n d o s , im ganzen 700 Mann, wurden bei dem Ver-
suche, de?. Oranjerivcr zu überschreiten, um in die Kap
kolonie einzudringen zurückgeschlagen.

Der türkisch-französische Zwischenfall.
Paris, 27. Aug. Die „Agence Havas" veröffent-
licht folgende Note über die Qiuttli«gclegcnhcit aus Kon-
stantinopel. Am 17. d. wurde ein Abkommen bezüglich
verschiedener Fragen, die ihrer Erledigung harrten, mit
der Pforte getrofschi. Die einzelnen Bestimmungen
des Abkommens wurden von dem Minister des Aeußern
mit der Zustimmung des Sultans abgefaßt. Letzterer
versprach dem Botschafter Constans, daß dieser Text ihm
am solgenden Tage ausgehändigt werden solle. Am 19.
August telegraphierte Constans nach Paris, daß keine
der eingegangenen Verpflichtungen von der Türkei ge-
halten würden. Am 21. August telegraphierte Delcassä
an Constans, daß angesichts einer solchen Nichteinlösung
eines gegebenen Wortes die französische Regierung
nicht geneigt sei, die Verhandlungen fortzusetzen. Gleich-
zeitig wurde Constans aufgefordert, der Pforte mitzu-
teilen, daß er Befehl erhalten habe, Konstantinopel zu
verlassen. Am 23. machte Constans der Pforte die ihm
anbefohlenen Mitteilungen und kündigte seine Abreise
für den 26. an. Da an diesem Tage nicht alle eingegan-
genen Veröffentlichungen eingehalten wurden, ver-
ließ C o n st a n s K o n st a n t i n o P e l.
Weiter besagt die Note der „Havas: Der Botschafter
Constans hat völlige Genugthuung in der Quaifrage er-
halten. Es findet jedoch noch eine Erörterung über die

Höhe des Betrags statt, den die Pforte an Lorando
Tubinizu zahlen hat. In dieser Lage der Dinge hat
Constans dem Botschaftsrat Bapst die Leitung der Ge-
schäfte übergeben.
Der „Figaro" schreibt, Constans habe, indem er eine
Urlaubsreife (also nur eine Urlaubsreise) an-
trat und die Leitung der Geschäfte dem Botschaftsrat
Bapst überließ in geschickter Weise die neuerdings auf-
getauchten Schwierigkeiten gelöst. Seine Abreise bilde
eine Warnung für die Türkei. Es sei zu hoffen, daß eine
endgiltige Regelung des Konflikts nunmehr nicht
mehr lange auf sich warten lassen werde.

Bo« der Generalversammlung der Katholiken
Deutschlands.
Osnabrück, 26. August.
Erste öffentliche Versammlung.
Der Präsident Abgeordneter T r i m b o r n - Köln eröff-
nete heute Abend nach der „Köln. Ztg." die erste öffentliche
Versammlung mit einer längeren Ansprache, in der er bei
Darlegung der Aufgaben des Katholikentages auch den „neuen
Kulturkampf" berührte. Trimborn sagte hierüber: „Wir
tagen im Geiste der Liebe gegen die Nächsten, der Achtung
gegen die Andersgesinnten. Daher werden wir den konfes-
sionellen Frieden niemals stören. Dabei behalten notwendige
Feststellungen und etwa erforderliche berechtigte Abwehr ihr
volles Recht. Wenn wir uns über etwas klar sind, dann ist es
das, daß unserm lieben Vaterlande neben dem sozialen Frie-
den nichts notwendiger ist als die Erhaltung des konfessionellen
Friedens. (Stürmischer Beifall.) Ueberschauen wir die Lage
der Katholiken Deutschlands, so müssen wir zu unserer Betrüb-
nis feststellen, daß neue Sturmwolken am Horizont sichtbar
sind, die immer drohender sich ansehen. Ein neuer .Kultur-
kampf — es ist schmerzlich zu sagen, es muß aber gesagt wer-,
den — scheint im Anzuge. Es droht kein amtlicher Kultur-
kampf, es drohen keine neuen Maigesetze, es droht in Deutsch-
land eine Agitation nach Art der Los-Von-Rom-Bewegung.
Eine gewisse Propaganda scheint zu einem gewaltigen Sturm
auszüholen, und in der Agitation gewisser politischer gegne-
rischer Parteien entdecken wir immer mehr zu unserm großen
Schmerz, daß die Gegnerschaft gegenüber der Kirche sich in
den Vordergrund drängt. Man sucht die Diener der Kirche
lächerlich zu machen, man sucht bei den Katholiken Mißtrauen
oder Widerwillen gegen die Kirche zu erregen, man sucht die
Forderungen des kirchlichen Lebens als unvereinbar mit den
Forderungen des modernen Kulturlebens hinzustellcn. Bei
den Mitteln der Abwehr ist Apologetik in großem Stile ge-
nannt worden in der Oeffentlichkeit, in der Presse und in Ver-
sammlungen. Bei dieser Lage hat das vorbereitende Komitee
mehrere apologetische Vorträge vorgesehen. Bei diesem drohen-
den Kulturkampf ist die größte Gefahr, daß die Einigkeit
unter uns ins Schwanken gerät. Diese muß gewahrt werden,
da muß ein Ausgleich der Interessen gesucht werden. Auch der
Bischof von Osnabrück, der nach dem Präsidenten die Ver-
sammlung begrüßte, streifte dieses Thema: „Unsere Zeit ist
eine Zeit des Kampfes gegen die Kirche. Wir wundern uns
nicht darüber. Der Kampf gegen die Kirche ist so alt wie die
Kirche selbst aber, portae inferi non praevalebunt." Der
Bischof versicherte unter stürmischem Beifall den Abgeord-
neten des Zentrums: „Wir stehen hinter euch, wir verlassen euch
nicht, ihr könnt euch stets und fest auf uns verlassen."
Die erste offizielle Rede galt dem Andenken Windt-
h o r st s , dessen Leben und Thätigkeit mit Osnabrück eng ver-
knüpft war. Abgeordneter Dr. Porsch, ein alter Freund
und Verehrer des großen Zentrumsführers, gab ein Lebens-
bild von ihm. Dabei bezeichnete er die Gegner Windthorsts
als Meute und Hasser um des Hasses willen. Prälat Dr.
Baum garten- München behandelte die Frage der äußern
Mission und entwickelte geschichtlich die Thätigkeit der katho-
lischen Kirche, allen Völkern das Evangelium zu predigen.

Die Gmnbinner Tragödie in medizinischer
Beleuchtung.
Ein neues Licht auf die Gumbinner Tra-
gödie werfen folgende Ausführungen der in München
erscheinenden „AerAtl. Rundschau", wobei vorausgeschickt
sei, daß dieselbe von der Thäterschast Martens ansgeht.
Obwohl wir die Thäterschast als nicht erwiesen ansehen,
scheinen uns die Ausführungen doch interessant genug,
um sie, wenn auch nur als Hypothese wiederzugeben.
Die Mordthat in Gumbinnen, heißt es da, bietet auch
ein erhebliches ärztliches Interesse. Wie bei der
Blutthat von Mörchingen hat auch hier der Dämon
Alkohol seine unheimliche Rolle gespielt, und auch hier
wird der Thäter denk naturwissenschaftlich denkenden Be-
obachter weniger schuldvoll erscheinen, als dem militäri-
schen Richter, der übrigens, wie wir von vornherein^he-
wollen, Volk seinem Standpunkte aus gerecht ge-
nlttMst tun. Ferner handelt es sich in Gumbinnen wie
M Mörchingen um einen a l k o h o l i n t o I e r a n t e n
und offenbar epileptoiden Thäter. Ja es kann
Msr'sogar die erbliche Belastung noch weit deutlicher
bewiesen werden, als in Mörchingen. Der Vater des Un-
teroffiziers Marten, der alte, tüchtige, schon im Feld-
zug bewährte Wachtmeister, ist infolge der dienstlichen
Chitonen des Rittmeisters v. Krosigk einmal vor Zorn
ohmnächtig geworden und hat mehrere Wochen krank ge-
legen. Offenbar war dieser Rittmeister ein im Dienst
sehr unangenehmer Vorgesetzter, aber die vom alten
Marten unter Eid selbst angegebene Gelegenheitsursache
seiner damaligen „Ohnmacht" war nur eine etwas schroffe
Bemerkung, wie sie gelegentlich auch bei anderen Vorge-
setzten inr Eifer des Dienstes einmal fällt. Somit cha-

rakterisiert sich die Ohnmacht, zumal inr Zusammenhang
mit der nachfolgenden Bettruhe ohne fieberhafte Erschei-
nungen als ein „Aequivakent" eines epileptischen An-
falles. Gerade unter alten Soldaten, Förstern und
Grenzbeamten sind solche epileptoiden Naturen bekannt?
lich nicht selten, und jedem Arzte erscheint deshalb Otto
Ludwigs Drama „Der Erbförster" als eine besonders
feine, der Wirklichkeit abgelauschte Charakteristik jenes
kindlich gutmütigen und streng pflichteifrigen, aber bei
psychischer Erregung oder gar unter Alkoholgenuß bald
zusammenbrechenden, bald gewaltthätigen und die Mord-
that in einer Art Dämmerzustand verübenden Mannes.
Der jüngere Marten hat häufig mit den Zähnen ge-
knirscht und mit den Augen gerollt, stellt dies aber ent-
schieden in Abrede; nicht aus Verstocktheit, wie inan ange-
nommen zu haben scheint, sondern weil er es einfach
nicht weiß. Auch das Ausstößen unbestimmter
Drohungen, wie „rote Farbe sehen müssen" u. s. w., ist
nicht die Art und Weise eines bedächtig den Mord planen,-
den kaltblütigen Verbrechers, sondern die gewöhnliche
Reaktion des Epileptoiden, auf die er sich oft beim besten
Willen gar nicht recht besinnen kann.
Nun hat der alkoholintolerante Mann einmal ^
Liier Schnaps getrunken, kommt dann nach der
Reitbahn, hört die Schüsse knallen und den Rittmeister
schimpfen, sieht einen ihm vorgezogenen Soldaten reiten,
und greift in sinnloser Wut nach dem Karabiner. Als
die That geschehen ist, hat er wohl das Bewußtsein, daß
irgend etwas Schreckliches geschehen und er dabei betei-
ligt ist, aber in seinein Dämmerzustand macht er Ver-
schiedenes verkehrt, stellt sich auf die falsche Seite u. s. w.
Ein kaltblütig überlegender Mörder hätte wohl seine
That durch nächtlichen Ueberfall ans der Straße oder

durch einen Schuß in die Privatwohnnng begangen. Auch
der Fluchtversuch in seiner seltsamen Kopflosigkeit, ohne
bestimmtes Ziel und seine ebenso ausfallende Rückkehr mit
der Angabe, daß er nicht gewußt habe, wie er dazu ge-
kommen und wohin er sich habe Tuenden wollen, sind so
charakteristisch für einen Dämmerzustand und so
wenig charakteristisch für das Verhalten eines planvoll
vorgehenden Mörders, daß sicherlich bei der Zuziehung
eines Psychiaters zu der Verhandlung, noch eine
Menge Einzelheiten erhoben worden wären, die den Zu-
stand des Marten auch dem in psychiatrischen Dingen we-
niger Erfahrenen begreiflicher gemacht haben würden.
Nun ist allerdings in dem Mörchinger Falle das Gut-
achten der ärztlichen Sachverständigen einfach übergangen
worden. Aber in Gumbinnen waren Staatsanwalt und
Vorsitzender offenbar Männer von weiterem Gesichts-
kreis/wie aus der ganzen Handhabung der Verhand-
lung ersichtlich, und es wäre deshalb Wohl, wenn die
Verteidigung nicht allzusehr ans die „mangelnden Ver-
weise" gepocht und dadurch gewissermaßen va banyue ge-
spielt hätte, bei der Stellung eines entsprechenden An-
trages die Sachlage eine andere geworden. In der Er-
kenntnis des epileptoiden Charakters der Familie Mar-
tens war der ermordete Rittmeister v. Krosigk offenbar
den Herren Verteidigern „über", denn mit dem Instinkt
des Nichtstudierten, und deshalb seinen persönlichen Em-
pfindungen mehr als den „Thatsachen" vertrauenden
Naturmenschen hatte er trotz der dienstlich unanfecht-
baren Qualitäten der beiden Marten von Beiden einen
unheimlichen Eindruck und wollte sie los sein. Und es
ist schon öfters ausgefallen, daß namentlich Pferdekenner
trotz oder vielleicht wegen des Mangels einer humanen
„Bildung" eine ganz merkwürdigen Instinkt ge-
 
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