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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 204 - 228 (2. September 1901 - 30. September 1901)
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Samstag, 7. September Ml. Grstes Blatt. 43. Jahrgang. — Ir. 2ÜS.


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vrrgeschriebenen Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Inserate auf den Plakativst!» der Heidelberger Zeitung und den Plakatsäulen- — Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Mord-Anschlag auf Me. Kinley.
(Spezialtelegramme der Heidelb. Zeitung.)*
Buffalo, 6. Septbr. Auf den Präsi-
denten der Vereinigten Staaten von Nord-
amerika Me. Kinley wurde heute Nachmit-
tag zweimal von einem Fremden geschossen.
Der Zustand des Präsidenten giebt zu
ernsten Besorgnissen Anlaß.
Buffalo, 6. Sesttbr. Eine Kugel drang
dem Präsidenten in die linke Brustseite,
eine andere in den Unterleib. Um 5.14
Uhr konnte die Kugel aus der Brust
herausgezogen werden. Der Mörder heißt
Friedrich Niemann. Er wohnt in Detroit
und hält sich seit einer Woche hier auf. Er
bekennt sich als Anarchist und ist polnischer
Abkunft. Nach dem Attentat versuchte die
Menge ihn zu lynchen, er konnte aber noch
rechtzeitig ins Gefängnis gebracht werden.
Die Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nord-
amerika scheinen in noch höherem Maße der Attentats-
gefahr ausgesetzt zu sein, als die Häupter anderer Staa-
ten. Im Jahre 1864 wurde Präsident Lincoln vom
Schauspieler Booth im Washingtoner Theater ermordet;
im Jahre 1881 schoß ein obscurcr Stellenjäger Namens
Guitean auf den Präsidenten Garficld und verwundete ihn
tätlich. Und heute kommt die Nachricht von einem Attentat
auf den Präsidenten Mc. Kinley !
Der Mörder bekennt sich als Anarchist; er ist in
Buffalo, wo das Attentat geschah, frisch zugereist. Es
liegt die Vermutung nahe, daß er zu jenem Anarchisten-
zirkel Beziehungen unterhielt, der in Patterson seinen Sitz hat
und der auch den Mörder des Königs Humbert gestellt hat. Doch
müssen nähere Mitteilungen abgewartet werden, umsomehr,
als die Erfahrung lehrt, daß mordsüchtige Personen sich
gern als Anarchisten ausgeben. Andererseits ist nicht zu
vergessen, daß die Polizeibehörden aller Länder gegenwär-
tig mehr als in den Jahren vorher Grund zu haben
glauben, Vorkehrungen gegen anarchistische Anschläge zu
treffen. Es sei nur an die Vorsichtsmaßregeln erinneit,
die beim Leichenbegängnis der Kaiserin Friedrich beobach-
tet wurden.
Die fluchwürdige That des Niemann muß überall, wo
sie bekannt wird — also in der ganze» Welt — Abscheu
erregen. Wenn die Menge versucht hat, den Attentäter zu
lynchen, so ist anzunehmen, daß er gleich auf der Stelle
einen Teil der Strafe für seine Unthat erlitten hat, denn
die Lyncher pflegen nicht sanft zuzusassen. Sollte der
Präsident sterben, so wird man den Mörder sicher nicht
am Leben lassen.

*) Wiederholt aus einem heute früh ausgegebenen
Extrablatt.

In Buffalo, einer großen Stadt am Eriesee, ist gegen-
wärtig eine allamerikanische Ausstellung. Mc. Kinley weilte
in der Stadt, um die Ausstellung zu besichtigen, und erst
gestern noch wurde berichtet, daß er dort eine Rede im
Sinne des Heraustretens der Vereinigten Staaten aus
der Abgeschlossenheit und des Eintretens in einen bewuß-
ten Wettkampf mit den übrigen Nationen zur Ausdehnung
der wirtschaftlichen Geltungssphäre der Vereinigten Staa-
ten gehalten hat.
Auf den Namen Mac Kinley lautet jener vom Jahre
1890 stammende hochschutzzöllnerische Zolltarif der Ver-
einigten Staaten, der für die wirtschaftlichen Beziehungen
des Landes nun seit mehr als einem Jahrzehnt maßgebend
ist und zwar nicht nur seinem Buchstaben, sondern ebenso-
sehr seinem Geiste nach. Der Name Mac Kinley bedeutet
ein wirtschaftliches Programm. Sollte Mac Kinley den
Folgen des Attentats erliegen, so würde eine markante
Person aus dem politischen Leben der neuen Welt scheiden.
Mac Kinley wurde am 10. Februar 1897 nach hartem
Wahlkampf zum Präsidenten gewählt und trat sein Amt
am 4. März 1898 an. Unter seiner Präsidentschaft sind
Cuba und die Philippinncn an die Vereinigten Staaten
gekommen. Sollte er am'Leben bleiben, so wird seine
Popularität sicherlich wachsen.

Deutsches Reich.
— Die „Südd. Reichscorr." dementiert entschieden
die Meldung der Agentur Havas, die deutsche Regierung
habe zur Vermeidung schwerer Verwicklungen darauf ver-
zichtet, daß Prinz Tschun mit Gefolge sich vor dem Kaiser
auf den Boden werfe. Diese altasiatische Demütigung sei
niemals in Frage gekommen, wohl aber sei auf Ver-
anlassung des Reichskanzlers die Ansprache des Prinzen
Tschun von der'deutschen Diplomatie revidiert worden.—
Aus Beilin wird berichtet, daß Prinz Tschun gestern das
Mausoleum in Charlottenburg besuchte und an den Sar-
kophagen Kaiser Wilhelms I. und der Kaiserin Augusta
Kränze niederlegtc. Nach dem Besuch des Mausoleums in
Charlotlenburg begab sich Prinz Tschun zum Jnvaliden-
kirchhof zu Berlin und legte am Grabe des in China ge-
storbenen Generalmajors v. Schwarzhoff einen Kranz nieder.
— Das „Militär-Wochenblatt" meldet: Generalarzt
Dr. Leuthold ist unter Bclassung in seinem Verhältnis als
Leibarzt des Kaisers und unter Verleihung des Rang s
eines Generalleutnants zum Generalstabsarzt der
Armee ernannt worden.
Baden.
Karlsruhe, 5. Sept. Gestern Abend fand eine
öffentliche christliche Gewerkschaftsver-
sammlung statt, in der einer der Führer der christ-
lichen Gewerkschaftsbewegung, der Vorsitzende des
deutschen Metallarbeiterverbandes, Wieder von Duis-
b u r g, Bericht über die Notwendigkeit der Arbeiter-
organisation erstattete. Es erschienen auch Sozialdemo-
kraten unter Führung der Vorsitzenden des hiesigen Ge-
werkschaftskartells, Schriftsetzer Willi und des Redak-
teurs Kolb vom „Volksfreund". Willi erwiderte, wenn
Wieder von der Notwendigkeit einer Organisation über-
zeugt sei, so möge er nicht durch die christliche Sonder-

organisation einen Keil in die Geschlossenheit der Be-'
wegung treiben. Daraus antwortete Wieder: mit den
Sozialdemokraten könnten die christlichen Arbeiter wohl
in gewissen Fällen Zusammengehen, aber im ganzen
seien beide durch die Verschiedenheit der Weltanschauung
getrennt und daher sei ein dauerndes Zusammengehen
unmöglich. Er führte diese Gedanken näher aus und em-
pfahl ein schiedliches-friedliches Nebeneinanderbestehen
der beiderlei Gewerkschaften. Kolb suchte diese unange-
nehmen Erörterungen dadurch abzubrechen, daß er die
Frage des Getreidezolles aufwarf. Wie stehen
die christlichen Gewerkschaften zu dem „Brotwucher"?
Jetzt war natürlich die Reihe des Ausweichens an Wieder^
der keine direkte Antwort gab, sondern alle Hebet dieser
Welt auf die Abkehr vom Christentum zurückführte und
das hohe Lied zum Preise der Religion anstimmte. In
den sozialen Kämpfen der Menschheit stehe noch etwas
inehr auf dem Spiele als däs Stückchen Brot, für das
die Sozialdemokraten sich anfreiben, nämlich eine glück-
liche oder unglückliche Ewigkeit. Um 12 Uhr wurde
die Versammlung geschlossen und die Gegner trennten
sich, ohne einander überzeugt zu haben.
L.O. Karlsruhe, 6. Sept. Die Ankündigung der
„Straßb. Post", daß der Vorsitzende des Zentralkomitees
der Zentrumspartei, Kaufmann Wilhelm Fischer in Frei-
burg, auf eine Wiederwahl verzichtet und an seine Stelle
Rechtsanwalt Constantia Fehrenbach als Kandidat aus-
gestellt werde, bestätigt sich. Es ist von einer Zrntrums-
versammlung entsprechend beschlossen worden. Ob wirklich
Gesundheitsrücksichten den im 58. Lebensjahr stehenden
nominellen Führer des Zentrums zum Verzicht auf die
parlamentarische Thätigkeit bewogen haben, sei dahingestellt;
(die rührige Thätigkeit, die Herr Fischer im letzten Land-
tag noch entwickelt hat, läßt diesen Grund wenig glaub-
haft erscheinen), so viel aber ist sicher, daß Herr Fischer
zu den Hauptstützen Wackers zählte und mit diesem
durch Dick und Dünn ging. An seiner Stelle zieht vor-
aussichtlich ein Mann in den Landtag, der die Stadt
Freiburg schon in der Session 1885/86 vertrat und zu
dem gemäßigten Flügel des Zentrums (Fraktion Lender)
zählte. Der auffällige Kandidatenwechsel ist ein erneutes
Anzeichen dafür, daß die in Wacker verkörperte demokra-
tische Richtung im Zcnirnm immer mehr an Boden ver-
liert. In jener Zentrumsveisammlung, in welcher die
Kandidatur Fehrenbachs prollamiert wurde, erklärte Ab-
geordneter Wacker in einem Schlußwort, bei einem
all enfallsigen Wechsel in der Parteileitung
gerne zurücktreten zu wollen. Es sei ihm lieb (?),
einmal einen anderen Mann an seiner Stelle zu sehen.
Bei der diesjährigen Wahlkampagne handle cs sich darum,
das Zentrum als die relativ stärkste Partei im Landtage
festzustellen. Die in letzter Zeit verlautete Meinung, daß
im Zentrum geteilte Ansichten herrschen, sei irrig (?),
das beweise schon die einheitliche Organisation. Die Aus-
sichten im Allgemeinen seien für das Zentrum günstig.
Wie die Sachen ständen, habe die nat.-lib. Partei gute
Aussicht, den Bezirk Lörrach-Land den Freisinnigen wieder
abzunchmen, geringe Hoffnung dagegen nur in der Residenz
durchzudringe»; das Zentrum aber dürfe vertrauen, dem
Gegner 1—3 Sitze zu entreißen.

Kleine Zeitung.
— München. Zum K n e i ß I-P r o z e ß erfahren
die „Münchener N. Nachr.", daß seit einigen Tagen die
größte Zahl der wegen Begünstigung des Räubers, be-
gangen durch Gewährung von Unterschlupf und Reichen
von Nahrungsmittels, verhaftet gewesenen Personen
auf freien Fuß gesetzt wurde. Unter den Freigelassenen
befindet sich auch der junge Vöst, der Freund und prä-
sumptive Schwager Kneißls, wie auch dessen Schwester,
die sich wieder Lei Unterschweinbach aufhalten. Gegen
den Flecklbauern dagegen wurde die Haft aufrecht er-
halten, nachdem gegen ihn die Anklage auf Beihilfe zum
Mord der beiden Gendarmen erhoben worden ist. Ein
Bruder dieses Vöst befindet sich zur Zeit in Strafhaft we-
gen Diebstahls.
— Ein Lcibpfcrd Kaiser Wilhelms I. Der alte Fuchs
„Taurus", der von Kaiser Wilhelm I. so oft bei Pa-
raden und Besichtigungen geritten worden war und
bei der Beerdigung seines Herrn hinter deni Leichen-
wagen als Leibpferd geführt wurde, ist vor einigen Ta-
gen, nachdem er bis jetzt im königlichen Märstall das
Gnadenbrod erhalten hatte, wegen Altersschwäche ver-
giftet worden.
— Paris, 5. Sept. Der Luftschiffer Roze
unternahm heute einen Versuch mit dem von ihm er-
fundenen lenkbaren Doppelluftschiff. Der Versuch
mißlang; die Maschinen und Schrauben erwiesen
sich als zu schwer.
— „Trinkend" verdächtig. Heizer Adam Müller
aus Ladenburg, der am 11. Juni den Schreiner^Johann
Stopfer mit Totstechen bedrohte, erhielt vom Schöffen
geruht 6 Mark Geldstrafe eventl. 2 Tage Gefängnis

Müller gab die ihm in der verlesenen Anklageschrift
zur Last gelegte That zu, verwahrte sich aber dagegen
aufs Aeußerste, daß er „trinkend verdächtig" erscheine.
Erst nach der Belehrung des Herrn Vorsitzenden, daß es
„dringend" verdächtig heiße, beruhigte sich Müller.
— Die gesundeste Atcmluft ist in der Nähe des
Nordpols zu finden. Schon seit längerer Zeit sind die
gesundheitlichen Bedingungen der Polargebiete über-
haupt als außerordentlich günstig bekamst, und „das
Sanatorium am Nordpol" ist in den Witzblättern be-
reits verschiedentlich aufgetaucht. Selbstverständlich ver-
fiel man auf den Gedanken, daß diese günstige Eigen-
schaft der Polarluft der Seltenheit von Bakterien zuzn-
schreiben sei. Während der letzten Forschungsreise, die
von Prof. Nathorst nach Spitzbergen geleitet wurde,
stellte esn begleitender Bakteriologe eingehende Beo-
bachtungen über den Gehalt der Polarluft an Bakte-
rien an, die jene Vermutung vollauf bestätigt haben.
An mehr als 90 verschiedenen Plätzen aus der Bäreninsel,
in Spitzbergen und in König-Karls-Land wurde die
Luft filtriert und nicht ein einziger Keim darin gefun-
den, obgleich sich die Versuche auf eine Gesamtheit von
über 20 000 Liter Lust erstreckten; auch das Wasser, der
Schnee, das Eis wurden geprüft, das Meerwasser sogar
bis zu einer Tiefe von 2700 Metern. Im Wasser fehlen
die Bakterien nicht gänzlich, aber sie sind selten. Endlich
untersuchte der Forscher auch die Eingeweide von ver-
schiedenen Polartieren, die ebenfalls im allgemeinen
bakterienfrei befunden wurden, sehr im Gegensatz zu dem,
was von Menschen und Tieren anderer Erdgegenden be-
kannt ist; im Besonderen waren auch alle untersuchen
Vögel bakterienfrei, mit Ausnahme der Möve des Po-

largebiets. Außerdem fanden sich bei den Eisbären und
Seehunden einige Bakterien, die eine große Aehnlichkeit
mit den Eingeweidebakterien des Menschen aufweisen«
— Aus dem Leben eines Krösus. Millionär: „Sehen
Sie mal, Herr Doktor, ich habe da vom vielen Kouponschnei-
den Hühneraugen an den Fingern bekommen." — Arzt: „Da-
mit habe ich als Kassenarzt nichts zu thun!" — Millionär:
„Ja, warum denn nicht -— das ist doch eine Berufskrankheit!"
— Auf dem Lande. Bauer (dessen Kühe vor grell ge-
kleideten Sommerfrischlerinnen scheu werden): „Jessas, jetzt
machen diese Stadtfrauenzimmer auch schon unser Rindvieh
nervös!" _
An Wilhelm Hlaaöe
zum 70. Geburtstag.
(8. Sept. 1901.)
Die deutsche Seele, wie sie lacht und weint,
Ihr starkes Sehnen, ihr verborgnes Träumen,
Ihr jugendfrohes, keckes Ueberschäumen,
Ihr schalkhaft Necken, das so treu es meint —
In Tönen voll und rein, wie je sie klangen.
In Tönen, drin wir selber uns erlauschen.
Wie in des Waldes geheimnisvollem Rauschen,
Nimmt sie in deiner Dichtung uns gefangen.
„Vergeh' ich deiner, o mein deutsches Land,
So wolle Gott vergessen meiner Rechten!" *)
Wir rufen's laut, von deinem Wort gebannt!
Und dies Gelöbnis, drin du alle Echten
Geeinigt, wo auch ihre Wiege stand:
Es sei der Kranz, den wir dir heute flechten I
Th. K. (im „Schw. Merk.")

*) In „Kronik der Sperlingsgasse".
Die heutige Nummer besteht aus drei Blättern mit zusammen 12 Seiten.
 
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