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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 256 - 281 (1. November 1901 - 30. November 1901)
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Samstag, 2. November 1901.


43. Jahrgang. — Rr. 257.

Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättcrn monatlich 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition un ocu Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be-
zogen vierteljährlich 1.35 Mk. auss.hl'eßlich Zust.Ugebühr.
Anzeigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamczeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen an bestimmt
vorgeschriebenen Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Inserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den'Plakatsäulen. Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Bestellungen

auf die
Mtlelberger Leitung
M die Monate November und Dezember werden
^i allen Postanstaiten, den Briefträgern, den Agenten, bei
M Trägern, sowie in der Expedition, Untere Neckar-
nraße 21, angenommen.
Bezugspreis: monatlich nur All frei
'»'s Haus gebracht; durch die Post bezogen für die
Monate November u. Dezember zusammen nur llll
ohne Zustellgebühr.
, Der gediegene reiche Inhalt der „Heidel-
berger Zeitung" ist ihre biste Empfehlung.
Aue nette Schlappe der Engländer in Süd-
afrika.
v. London, 2. Nov. (Reutermeldung.)
^ie Buren überfielen in der Nähe von
^ethel die Engländer unter dem
^bersten Benson. Es wurden 8 Offiziere
^d S8 Mann Berittene getötet. Benson
Mft ist gefallen. 10 Offiziere und IS«
^iann find verwundet. 2 Geschütze wurden
^erkoren. Die Buren zählten etwa
^ann. Der Ueberfall erfolgte bei dichtem
Aebel. Der Kampf wurde Mann gegen
Aann ansgefochten und zwar mit großer
Energie.
w Als den Engländern neulich einmal die Absicht, einen
Mentrupp zu fangen, mißlang, schrieben sie das dem
^obel zu, der die Flucht der Buren begünstigt habe.
Mt haben diese gezeigt, daß sie im Nebel nicht nur zu
!Mcn, sondern auch anzugreifen und zu kämpfen
^stehen.
> Nach dem schönen Erfolg Delarcy's im westlichen
Mnsvaal nun dieser fast ebenso bedeutende Erfolg der
Men im Osten! Das ist die Antwort der Buren
M Chamberlain's Ankündigung: die Engländer würden
i, > alle Fälle den Krieg bis zur Niederwerfung der Buren
'Mähren. _
Asm General Anker.
jsc In der „National Review" wird in einem Artikel
den Fall Bullerdas folgende Telegramm ver-
itz'^tlicht, das der Zeitschrift als dasjenige mitgeteilt
jMden ist, welches der General Buller nach der Nieder-
!ü,,Mon Colenso an General Sir George White ge-
"dt^hcst:
tzh. Mch bin geschlagen worden. Sie werden Ihre
verbrennen, alle Munition zerstören und dann

die möglichst besten Bedingungen mit den Buren machen,
nachdem ich mich ani Tugela verschanzt Habe."
Die Zeitschrift will diese Depesche von einem Zivilisten
erhalten haben, der während der Belagerung in Lady-
smith war. Ferner wird behauptet, Buller habe White
mitgeteilt, er wolle am 17. Dezember bei Colenso an-
greifen, er habe jedoch bereits am 16. Dezember ange-
griffen, sodaß General White von Ladysmith aus nächst
habe Mitwirken können.

Deutsches Reich.
Bade«.
— Im „V o lks f r eun d" veröffentlicht Bebel
nunmehr eine lange Erwiderung auf die Zurückweisung
die seine Ausführungen über die badische Sozialdemo-
kratie durch den Genossen Kolb erfahren haben. Einen
der Vorwürfe nimmt Bebel zurück, nämlich den, welchen
er dem „Volksfreund" gemacht hat, während die „Franks.
Zeitung" die Sünderin war. Wegen der Rosa Luxem-
burg liest er dem „Volksfreund" nochmals den Text. Den
Hauptteil seiner Ausführungen aber widmet er dem
Oberbürgermeister Schnetzler. Er bleibt bei der Behaup-
tung, daß das ein großer Sozialistenfresser sei, unter-
stützt dieselben durch einige Zitaten aus dem „Volks-
freund" und sagt: Ich nehme also kein Wort von dem,
was ich über die Bewilligung der Gehaltserhöhung und
gegen den Karlsruher Oberbürgermeister als Parteimann
in Lübeck geäußert, zurück. Ich bin selten heiterer ge-
stimmt gewesen, als in jenem Augenblick, in dem ich die
Kolb'sche Auseinandersetzung las; sie zeigt mir wieder,
wie sehr das sozialdemokratische Denken in Karlsruhe
gelitten hat.
m Pforzheim, 1. Nov. Von autoritativer Seite
wird die von der Mannheimer „Volksstimme" in die Presse
übergegangene Meldung von der Mandatsniederlegung des
Abgeordneten Oppificius bestätigt. Der Grund soll
darin zu suchen sein, daß die Berufung des Oppificius
erst im Februar 1902 in Leipzig zur Verhandlung kommt,
Oppificius daher den Landtag nicht mehr besuchen könnte,
ohne von einem Verdachte frei zu sein, andererseits aber
die Interessen Pforzheims eine regelmäßige, bewußte Ver-
tretung erheischen. Als Nachfolger wird Herr Gastwirt
Blum, der bei der letzten Wahl kandidierte, genannt.
Württemberg.
Stuttgart. 1. Novbr. In dem Prozeß gegen den
Redakteur des „Stultg. Beobachter", Freund, und gegen
den Chefredakteur des Blattes, Landtagsabg. Schmidt,
wegen Beleidigung der Chinatruppen war General-
leutnant von Sessel als Zeuge geladen und erschienen.
Das Urteil lautete gegen Freund wegen zweier Beleidi-
gungen von Chinatruppen auf vier Wochen Gefäng-
nis und Tragung der Kosten. Der Mitangeklagte Schmidt
wurde fr ei ge sp r o ch e n. In seinem Plaidoyer teilte der
Vertreter der Anklagebehörde mit, daß nach ihm zugegangcncn
Informationen noch gegen etwa 80 deutsche Zei-
tungen Strafantrag wegen Abdrucks von „Huunen-
briefen" gestellt sei.

Mrrs ser KarksTAher Zeitrrirg.
— Reaürungsbanmeister Wilhelm Rees bci der Großh. Ver-
waltung der Hauptwerkstälte wurde der Gr. Generaldirektton der
Staat?eisenbabnkn zur Tienstleistung zugeteilt.
Ausland
Portugal.
Lissabon, 1. Nov. Die italienischen Mönche von
Lorelio, welche sich der Forderung betreffend die religiösen
Gesellschaften nicht unterwerfen wollen, find nach Italien
abgereist. Die Franziskaner und Jesuiten konstituieren
sich als Laien-Ge nosscn scha f tcn.
Türkei.
— Zur Unterhaltung des Prinzen Adalbett
hat der L-nltan auch Ringkämpse aufführen lassen.
Dem „Berl. Lokalanz." berichtet man darüber:
Sechs schwere, klotzige Kerle treten auf von kaum mensch-
lichem Aussehen, nackt bis auf die ledernen Kniehosen, mit ge-
öltem Körper. Um den Hals tragen sie ein Amulet, ein schwar-
zes Lederdreieck. Ihre glatt geschorenen Schädel sind ohne
Kopfbedeckung. — Sic verbeugen sich plump vor dem Grotz-
herrn und treten ab. Das erste Paar produziert sich. Es
dauert lange. Die beiden sind sich ziemlich gleich an Kräften.
Ihre Bewegungen haben etivas Bärenhaftes, ein gutartiges
Zuschlägen mit wuchtigen Tatzen. Es sieht nicht sehr böse aus.
Aber plötzlich entwickeln sich daraus die wilde menschliche Kraft-
entfaltung und List und Tücken. Schon liegt einer unteri.
Doch der Sieger muß dem andern beide Schultern auf den Bo-
den drücken. Wie ein Proteus entschlüpft der Gegner immer
wieder. Da gab der Sultan schließlich mit müder Handbe-
wegung das Zeichen zum zweiten Kampfe. Auch der blieb
unentschieden. Ein possierliches Männchen, der armenische
Impresario, steht neben den Ringenden und beobachtet, schein-
bar oder ernstlich, mit einem Ausdruck der höchsten Spannung
jede Phase des Kampfes. Zwei große Taschentücher hat er in
den Händen und reicht sie den Erhitzten, die sich minutenlang
daran abtrocknen. War das zweite Paar schon erheblich
eleganter, sozusagen leopardenhafter als das erste gewesen, so
erreichte die Teilnahme ihren Höhepunkt, als der dritte Kampf
von jugendfrischen Kräften unternommen wurde. Rasch ver-
schränkten sich die Arme und die beiden Riesen warfen einander
mit fabelhafter Geschicklichkeit auf die Erde. Der Sultan
machte dem Sieger lebhaft die Bewegung des Applaudierend,
jedoch ohne wirklich zu klatschen.
Asien.
— Vor einigen Tagen beschäftigten beunruhigende
Nachrichten über revolutionäre Bewegungen am per-
sischen Hofe, die sich gegen den Schah richteten, die
Oeffentlichkeit. Nach einem Telegramm des „Berl. Lo-
kalanz." aus Petersburg handelte es aber sich le-
diglich um sieben Personen, die sich gegen die weit-
gehenden Reformen anflehnten und deshalb vor einiger
Zeit aus Teheran entfernt wurden; seitdem herrscht voll-
kommene Ruhe. Die Brüder des Schah, sowie andere
Persönlichkeiten seiner nächsten Umgebung sind in keiner
Weise kompromittiert. Die beiden Brüder, die Gerüchten
zufolge an der Revolution beteiligt sein sollten, sind
Jünglinge von 14 und 16 Jahren und unternehmen
augenblicklich in Begleitung eines Sohnes des Groß-
vezirs eine Europareife. Das Petersburger Ministerium
des Innern wurde seitens der persischen Gesandtschaft
ersucht, in Rußland für die bequeme Beförderung der
Prinzen, die zunächst über Tiflis nach Wien reisten, Sorge
zu tragen.

Wer war Kaspar Käufer?
üstMn 26. Mai 1828 fand man in einer Straße von
ij Merg einen etwa sechzehnjährigen, ärm-
lljj ' gekleideten Jüngling, der vor Müdig-
M'Mufalien schien. Alle Fragen nach seiner Her-
dM..ivaren vergebens: er konnte sich in keiner Sprache
machen. Die Objekte der Außenwelt selbst
sein Erstaunen; seine Augen konnten das Licht
^tragen; die völlige Muskelschwäche seiner Arm,s
Mw' öaß er dieselben nie gebraucht, und die beispieij-
Mcn 'MuMckMt stMer Füße zeugte davon, daß er nie
^8en war. Kurzum, man hatte ein menschliches We-
welches von seiner frühesten Jugend an in
Z dunklen Gelaß gehalten worden war.
M Mm hatte man Hauser in geordneter Weise denken
MxstMchen Mernt und das Vertrauen des überaus
xMMlings zu seiner Umgebung geweckt, so nahm
m c,M llutersuchungen über sein früheres Leben wie-
, bgmlst Zögernd, in Todesängsten, gestand endlich der
ü ^ ficki öaß er in seiner Kindheit glänzende Räume
Metzen, hierauf aber in eine verschlossene Kammer
Mco worden war, wo er jahrelang kein menschliches
^ iich hatte. Sein Essen wurde zu ihm herein-
mM.während er schlief.
Me ' ^

Mu r. schultern hinaustrug. Mehrere Nächte hindurch
iM iw, w gewandert, bis er ihn auf der Straße, wo
MMe Munden, abgesetzt. Beim Abschied habe er ihm

er Zelle ein

Eines Abends erschien end-
schwarzer Mann", welcher ihn


äst "
; ens verboten, über das vergangene etwas auszu-


mit dem Tode gedroht.

Heren Kreisen wach. In ganz Deutschland sprach man
jetzt von ihm, in Frankreich und in England erschienen
Bücher über ihn, welche die abenteuerlichsten Hypothesen
über seine Herkunft aufstellten.
Denjenigen, die seinen Ursprung geheim halten
wollten, erschienen Hausers Berühmtheit gefährlich. E5nes
Tages fand man den Jüngling in Ansbach, wohin man
mit ihm auf einer Reise zur Ermittelung seiner Herkunft
gekommen war, in einer Blutlache auf dem Boden liegend.
Mit zitternder Stimme rief er: „Der schwarze Mann!"
Obwohl man die Thore der Stadt absperrte, war der
„schwarze Mann" nicht zu finden.
Die Frage: wer war Kaspar Hauser? hat die Welt
lange beschäftigt. Eine Anzahl Forscher haben ihn mit
dem badischen Fürstenhaus in Verbindung gebracht.
Doch ist diese Vermutung immer nur Vermutung geblie-
ben; durch einen Prozeß, der vor ca. 20 Jahren gegen
einen bayerischen Verleger wegen eines Caspar Hauser-
Buches geführt wurde, ist dieselbe beträchtlich erschüttert
worden.' Nicht zu verschweigen ist, daß Hauser stark simu-
liert hat; vielfach glaubt man, daß sein Mord Selbst-
mord gewesen ist. Jetzt taucht eine neue Lesart auf. Aus
München kommt eine allerdings noch unverbürgte Kunde,
die aber in der ausländischen Presse viel discutiert wird.
Ein Erbschaftsprozeß zwischen den Nachkommen der letz-
ten bayerischen Kurfürstin, soll darnach auf ausdrückli-
chen Wunsch des Prinzregenten beigelegt werden, angeb-
lich, weil während der V e p Handlungen unIie b-
sams Erörterungen über den Ursprung
Kaspar Hausers und seiner Beziehungen zur
bayerischen Herrscherfamilie nicht zu vermeiden wären.
Karl Theoder, der letzte bayerische Kurfürst heiratete.

Wurde das Interesse für Hauser in immer grö
Die heutige Nummer besteht aus fünf Blättern mit zusammen 18 Seiten.

NM einen legitimen Nachfolger zu haben, im Alter von
71 Jahren die neunzehnjährige Erzherzogin Marie Leo-
poldine. Er starb ohne eheliche Nachkommenschaft,
wohl aber munkelte man von einer Fehlgeburt der jungen
Kursürstin. Nach Vehses Geschichte des bayerischen Hol-
fes soll Marie Leopoldine gestanden haben, daß nicht
Carl Theodor der Vater des Kindes gewesen sei, daß sie
erwartete. Der Kurfürst hatte vor seinen: Tode seine un-
ehelichen Kinder, welche ihm eine Schauspielerin geboren,
legitimiert. Die verwitwete Kurfürstin heiratete später
ihren jugendlichen Kämmerer, den italienischen Grafen
Arco, und der eingangs erwähnte Erbschaftsprozeß
spielt sich zwischen den Nachkommen des Grafen Arco
— der bayerischen und italienischen Linie — ab. Es
kann keinem Zweifel unterliegen, daß das Interesse der
Favoritin des Kurfürstin erforderte, er möge ohne Er-
ben aus dem Leben scheiden, weil nur in diesem Falle
ihre Kinder legitimiert werden sollten. Man hat nun
die Vermutung ausgestellt, daß Kaspar Hauser, der Sohn
Maria Leopoldinens und ihres Kämmerers, den Jn-
triguen der allmächtigen Favoritin zum Opfer gefallen
sei. Allerdings wäre Kaspar in diesem Falle viel älter
gewesen, als man gemeiniglich annimmt; aber das er-
klärt man durch die Möglichkeit, daß der Gefangenr in
der Entwickelung stark zurückgeblieben sei. Für die neue
Hypothese spricht immerhin der Umstand, daß Kaspar
in Nürnberg entdeckt worden ist, daß man ihn des nachts
auf den Schultern in diese Stadt getragen, daß also sein
Gefängnis nicht allzuweit von Nürnberg entfernt sein
konnte; endlich, daß man ihn offenbar um jeden Preis
in dem Lande zurückbehalten wollte, dessen Justiz man
dirigieren konnte.
 
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