Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 204 - 228 (2. September 1901 - 30. September 1901)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37097#0459

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Freitag, 20. September 1901.

Erstes Blatt.

43. Jahrgang. — Ar. 220.


Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. - Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgebolt 40 Pfg Durch die Post be-
» , . ^ ^ zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.
Pfg. die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. - Für die Aufnahme von Anzeigen an bestimmt
^vorgeschriebeneN-TageN-wird^keine-Vna^wortlichkcit übernommen. — Anschlag der Inserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Das Zarenpaar in Frankreich.
Dis französischen Blätter bringen alle sehr anssühr-
liche Schilderungen der Einzelheiten des Zarenbcsnchs,
noch beschäftigen sich die Leitartikel vieler Zeitungen mit
anderen Gegenständen, als dem Eintreffen des kaiser-
lichen Gastes. Es ist dies ein Zeichen dafür, datz man
die politische Bedeutung dieses Besuches nicht mehr so
überschätzt, wie des Besuchs vor vier Jahren. Zu den
Trinksprüchen in Dünkirchen meint der „Temps":
„Die Trinksprüche und Reden von gestern offenbaren
Uns nichts Neues. Rußland und Frankreich ver-
stehen sich, ohne viel zu sprechen, ihr Bündnis kann nöti-
genfalls jeder Worte entbehren. Wir wissen genau, was
Wir thun, was wir wollen und was wir hoffen. Rußland
kann darüber nicht in Unkenntnis sein. Die in Dün-
kirchen gesprochenen Worte sind des großen historischen
Augenblicks würdig. Das russische Bündnis hängt nicht
ab von einer besonderen Laune oder von einem Partei-
vorteil, es ist vielmehr wie eine Pflanze, die sich für
linrner akklimatisiert hat, deren Saftstrom mächtig ist,
deren Blüte leuchtet und deren Früchte reisen werden,
sobald wir klug zu unterscheiden wissen und besonders
Wenn wir den günstigen Augenblick nicht vergessen."
Ohne Kokettieren mit der Revanche geht es bei den
französischen Blättern einmal nicht ab. Man wird sich in
Deutschland darüber schwerlich aufregen. Wie war es
k>enn, als einmal in Frankreich zwar nicht der günstige,
sodoch der kritische Augenblick gekommen schien? Der
Prozeß Dreyfus hat der Welt das enthüllt. Als der
Kricgsminister meinte, nun müsse es losgehen, da weinte
^ und es herrschte in den höchsten Offizierskreisen durch-
aus keine frohe Stimmung, sondern große Bangigkeit.
Möchten uns also doch die französischen Blätter mit dem
--günstigen Augenblick" oder gar mit dem „ersehnten gün-
wgen Augenblick" in Ruhe lassen! Das Träumen von
öiescrn Augenblicke hat um so weniger Wert, als Ruß-
end durchaus nicht beabsichtigt, ihn herbeizuführen. „Der
Friede ist auf lange Jahre gesichert", sagte der deutsche
Kaiser, nachdem er zwei Tage mit dem Zaren beisammen
gewesen war. Das sollte man sich in Frankreich merken!
Die gestrigen Berichte führten bis zur Ankunft des
öarenpaares in Comp ögne, wo das Zarenpaar übernach-
te, um am nächsten Morgen von da nach Reims zu den
^chlußmanövern zu fahren.
Comgibgns, 19. Sept. Bei schönem Wetter ist
Ars russische Kaiserpaar mit dem Präsidenten
> oubet heute früh 9 Uhr unter Huldigung der Men-
jenmassen nach R e i m s abgereist.
Reims, 19. Sept. lim 9j/2 Uhr traf der Sonder-
Ag mit dem r n ssischen Kaiserpaa r und dem
Präsidenten. Lonbet an der bei Reims anläßlich des
Gesuches des Kaiserpaares erbauten Haltestelle
Fresnois ein. Loubet geleitete die Kaiserin nach
Ehrenpavillon, wo sie mit ihrer Ehrendame den
"Pagen bestieg, während der Kaiser, der die Uniform der
jstischen Gardereiter angelegt hatte, mit Loubet im
Seiten Wagen folgte. Die Fahrt ging nach dem Fort
- i t r y - l e s R e i m s zur Besichtigung der Schluß-
jungen der großen Manöver.
. V i t r y - l e s - N e i m s , 19. Sept. Der Kai-
-si r kehrte bei Fresnes zu den Wagen zurück, in denen
die Kaiserin und Loubet befanden. Alle drei

begaben sich sodann nach dem Fort, wo sie den Bi n -
növern von der höchsten Schanzerhebung bis zum
Schlüsse beiwohnten. Im Fort war ein großes Zelt
errichtet, das mit den russischen und französischen Farben
geschmückt war. Der Schluß gewährte ein prächtiges
Bild. Das Geschützfeuer erreichte den Höhepunkt, die
Trompeten schmetterten, Trommeln rasselten und die
Infanterie stürmte mit dem Bajonett die Geschütze; Ka-
vallerie jagte heran, Säbel, Kürasse und Helme blitzten
in der Sonne. Danach wurde dem Angriff Halt ge-
boten. Die Truppen zogen nach Reims ab. Der Kai-
ser stieg wieder zu Pferde; die Kaiserin und Loubet mit
dem Gefolge begaben sich zu Wagen nach Berru. Nach-
mittags 1 Uhr trafen die Wagen hier wieder ein. Bei
dem Frühstück, das Loubet den Herrschaften anbot, nahm
die Kaiserin den Ehrenplatz ein, zur Rechten saß der
Kaiser und Delcassch zur Linken Loubet und Graf Lams-
dorff. Waldeck-Ronsseau saß gegenüber. Das Gefolge
speiste im Nebenzimmer.
V i t r y - l e s - R e i m s , 19. Sept. Bei dem
F r ü h st ü ck auf dem Fort brachte Präsident Loubet
ungefähr folgenden Trinks P r n ch aus:
Ich bin glücklich, E>v. Majestät die Grüße und Dankes-
bezeugungen der französischen Armee zu übermitteln, welche
Ew. Majestät für das soeben bezeugte Interesse dankbar ist.
Frankreich und die Vertreter Frankreichs sind bemüht, die
Armee mit allem zu versehen, was ihre Stärke auf den
höchsten Punkt bringen kann. Die Armee ihrerseits legt
ihre Ehre darin, jeden Augeitblick dem Rufe Frankreichs
folgen zu können. Die Anwesenheit Ew. Majestät bei den
Manövern hielten wir zugleich für eine sehr hohe Beloh-
nung und eine Ermutigung. Die Führer wissen und die
Truppen empfinden es. Ich mache mich mit Freuden zu
Ihrem Dolmetscher und erhebe mein Glas zu Ehren Ew.
Majestät und der Kaiserin und leere es auf den Ruhm der
großen russischen Armee, die, wie Ew. Majestät im Salon
sagten, der unseligen durch ein Gefühl der Waffenbrüder-
schaft verbunden ist.
Hierauf spielte die Musik die russische National-
hymne. Der Kaiser antwortete etwa Folgendes:
Im Manöver, welchem wir soeben beigewohnt haben,
konnten wir persönlich den Grad der Vollkommenheit der
glänzenden französischen Armee würdigen, welche mir das
Herz erfreut. Ich trinke auf das Wohl der großen fran-
zösischen Armee, auf ihren Ruhm und ihre Wohlfahrt. Ich
betrachte sie gerne als eine mächtige Stütze der Grund-
festen der Billigkeit, auf der die allgemeine
Ordnung, der Friede und das Wohlergeh e n der
Nationen beruht!
Hierauf wurde die Marseillaise gespielt. Nach dem
Bankett begaben sich die Majestäten mit dem Präsidenten
Loubet zu Wagen nach Reims.
V i t r y-l e s-R e i m s, 19. Sept. Nach der Rück-
fahrt nach Reims wurde das russische Kaiserpaar von
General Brugäre und dein Stabe begrüßt. Der
Kaiser richtete einige huldvolle Worte an den General
und verließ den Wagen, bestieg ein bereit gehaltenes
Pferd und ritt in scharfem Galopp in
der Richtung auf die Vorposten, während der Kriegs-
minister und die Loubet begleitenden Ofiziere ihm folg-
ten. Bei den Truppen angelangt, ritt der Kaiser von
einem Regiment zum anderen, wobei er seine Anerken-
nung über ihre güte Haltung aussprach. Das auf dem
Manöverfelde nicht zahlreich vertretene Publikum brachte
lebhafte Hochrufe aus den Kaiser von Rußland und die
Republik ans.

s^stcmsfirma H- L. Weihe sind große W a r e n d i e b-
^.Elhle entdeckt worden, die ans 16 Jahre zurück-
kotieren. Der Inhaber der Firma schätzt den Ge-
gjstschaden ans 20N 000 Mark) Die Diebesbande, die
^ früheren und jetzigen Angestellten besteht, ist er-
sielt und zumteit geständig. Durch Haussuchungen
bd bereits Waren im Werte von über 20 000 Mark
tzjgefunden worden, die in den zwei letzten Jahren ge-
K ylen wurden. Eine'große Anzahl Personen sollen als
^hler in Betracht kommen.
^ — Toulon, 18. Sept. Während der letzten Nacht
n^de bei den an der Küste von Korsika vorgenommenen
hp ringen das Torpedoboot 124 von einem an-
Torpedoboot angerannt und sank eine
wnde später. Die Mannschaft wurde gerettet.
-- Franko-rnssische Tafelsreudeu. Zur Mittagstafel,
hsi der Präsident Loubet dem Zaren in Dünkirchen gab,
folgende Speisenfolge bestimmt:
Crevctteu von Cherbourg
Anchovisbrötchen,
Krebsrücken nach Marineari,
Probencer Oliven mit Butter,
Karpfen von Creuse nach Sauterner Art,
Uorker Schinken,
Talmi von Rebhuhn,
Dünkirchener Hummern.
Orangen-Ereme,
Granit in der Art Cliquot,.
Gebratene Poularden von Maus, getrusfelt,
i Amseln mit Wachholder,
Salate, Früchte, Eis mit -Waffeln.

Kleine Zeitung
Braunschwcig, 18. Sept. Bei der hiesigen Kon-

Dic Speiscnkarte ist in Gold gedruckt und zeigt auf
der Einbanddecke ein Aquarell von Dewambez, das die
Flottenschau darstellt, überkront vom russischen Wappen.
Zum Diner in Comp sgne ist die Speisenkarte von Eugen
Morand gezeichnet worden. Man sieht hinter einem deko-
rativen Portal, über dem die Kaiserkrone ausragt, die
Frontansicht des Schlosses Comp st,ne. Unten überragt das
russische Wappen die Gestalt der Republik. Die Speisen-
folge bringt:
Kläre Schildkrötensuppe,
Creme von Barry,
Fleischpastetcn nach Lucullnsart,
Diepper Fischmilch in Töpfchen,
Steinbutten »ach Art Vatel,
, ^ Rehrückcn,
Poularden von Maus,
Gebackene Austern nach Art Joinville,
Gebratene Wachteln in Wein,
Citroncngrcmit nach Armagnater Art,
Getrüffelte Fasane» von Compicgue,
Trüffeln in Champagner,
Gansleberpasteten von Nancy,
Salat nach Potelart,
Brötchen mit Spargelspitzcn ^in Creme,
Ananaseis und candierte Früchte,
Weine werden auf den Speisekarten nicht mehr ange-
geben.
— Fulda, 18. Sept. Wie der „Kl. Presse" rmtge-
teilt wird, hat sich nunmehr die Lnndgräfin-Mutter von
H esse n, geborene Prinzessin Anna von Preußen, in
den Schooß der römisch-katholischen Kirche aufnehmen
lassen. Die Annahme ist nach langer VorbereitnngA-otz
aller „offiziösen" Dementis nun wirklich in aller Stille
erfolgt.

Erfolge der Buren.
Bis jetzt hat man noch nichts davon gehört, daß
Kilchencr seine Proklamation hat durchführen lassen, wo.
nach alle Buren, die nach dem 15. September mit der
Waffe in der Hand in der Kapkolonie betroffen werden,
erschossen werden sollen. Allerdings sind erst wenige Tage
seit dem 15. September verflossen und außerdem scheint
es, als ob nicht Buren den Engländern, sondern vülmehr
Engländer den Buren in die Hände fallen, sodaß die
Buren sich für etwaige englische Mordthaten sehr empfind-
lich rächen könnten. Für jeden von den Engländern hin-
gemordeten Buren könnten sie ein halbes Dutzend Eng-
länder erschießen. Und sie würden cs thun.
Es liegen folgende Nachrichten vor:
Pretoria, 19. Sept. Lord Kitchener meldet:
Drei Kompagnieen berittener Infanterie mit drei Ge-
schützen unter Major Gong h, die südlich von Utrecht
recognoszierten, gewahrten vor Defagersdrift etwa 300
Bure n, die absattelten. Sie eilten den hohen Punkten
zu, die die feindliche Stellung beherrschten. Die Buren-
bewegung erwies sich als eine Falle. Gough machte
Plötzlich Front, in der rechten Flanke von einer beträcht-
lichen Burenstreitmacht, die gedeckt stand, angegriffen.
Die britischen Truppen wurden bei heftigem Gefecht
überwältigt und verloren die Geschütze.
Zwei Offiziere und 11 Mann sind tot, 5 Offiziere und
25 Mann verwundet, 5 Offiziere und 150 M ann g e-
sangengeno m m e n. Major Gough und ein an-
derer Offizier entkamen unter dem Schutze der Nacht
nach der Jagers Drift. Es heißt, die Buren waren 1000
Mann stark unter Botha.
Ferner meldet Lord Kitchener: Wie General F r e n ch'
berichtet, überfiel der Burenführer S m u t s,
um die ihn einschließenden Truppen zu d n r ch b r e ch e n,
bei Elands River Port eine Schwadron Lan-
ziers. 3 Offiziere, 20 Mann gefangen, ein
Offizier, 30 Mann verwundet. Die Buren, die in
Khaki gekleidet waren, hatten s ch w ere Verluste.
Pretoria ,18. Sept. Eine Patrouille der
Gardegrenadiere unter Leutnant Rebow wurde um-
zingelt und nach hartnäckigem Kampfe gefangen.
Leutnant Rebow und ein Mann wurden getötet.
D u rba n, 19. Sept. Da man einen Einfall
der Buren in Natal erwartet, erließ der Gou-
verneur Befehl, wodurch Natal-Feldartillerie und Natal-
Karabiniere, sowie berittene Natal-Schützen einberufen
wurden. — LOOOgefcmgene Buren befinden sich hier. Ein
Teil soll nach Indien geschafft werden, lieber den Be-
stimmungsort der klebrigen ist noch nichts 'verfügt.

Die Beisetzung Me Kinleys.
Eanton (Ohio), 18. Sept. Tausende strömten
vom frühesten Morgen an in die Stadt. Der Zug mit der
Leiche Mc Kinleys traf gegen Mittag ein. Bereits
viele Meilen von Eanton stand die Bevölkerung an der
Eisenbahnlinie und erwartete in schweigender Trauer
den Zug. Als Frau Mc Kinley eintraf, war sie so über-
wältigt, daß sie in einen Wagen gebracht werden mußte,
der sie nach Hause fuhr. Inzwischen wurde der L-arg
nach dem Hofe des Hauses Mc Kinleys gebracht. Prä-
sident Noosevelt, die Minister, der Gouverneur von Ohio
und zahlreiche andere Würdenträger gaben ihm das Ge-
— Grimsby, 19. Sept. Es wird airgenommen,
daß der Torpedozerstörer „Cobra" mit der gesamten
Besatzung in die Lust geflogen ist, während er
einer Kesselprobe in der Nordsee bei Aarmouth unter-
zogen wurde. Eirr Fischerdampfer brachte Herste früh
s e ch sLerche n mit, die er in der Nähe der Stelle ge-
funden hatte, wo die „Cobra" zuletzt vorr dein Feuerschiff
in Dampf gehüllt gesehen worden war. An Bord der
„Cobra" befanden sich 60 Personen, deren Schicksal, ab-
gesehen von den sechs als Leichen gefundenen noch nicht
bekannt ist. _
— Entschuldigung. Gattin (schluchzend): „O du Un-
dankbarer, früher hast du mich dein Alles, dein Glück genannt
und jetzt zerrst du mich bei den Haaren!" — Gatte: „Nun,
weißt du denn nicht, datz man das Glück beim Schopfe fassen
muß?"
— Hyperbel. A.: „Dort scheint ja ein Tunnel zu korn-
men'l" — B.: Mensch, das ist ja der Bahnwärter, der gähnt!"

LittcrarischtS.
.—8 Nene Heidelberger Jahrbücher. Das soeben erschienene
Heft 2 des 10. Jahrganges der neuen Heidelberger Jahrbücher
(Verlag von G. Koester, hier) enthält: Rcinhold Steig (Ber-
lin), Joseph von Görres' Briefe an Achim von Arnmr, H-. o.
D»h». Der Zeus des Phidias, Walther Arnspcrger, Dre Ent-
stehung von „Werthers Leiden", A. v. Doinaszcwski, Der
Truppensold der Kaiserzeit, Albert Bäckstrom (St. Peters-
burg). lieber den Orosius-Codex F. o. I Nr. 0 ,n der Km-
serlichen Oeffentlichen Bibliothek zu St. Petersburg.
 
Annotationen