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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Juli bis Dezember)

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Nr. 256 - 281 (1. November 1901 - 30. November 1901)
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Erscheint täglichl, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in'S Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be-
zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.
Anzeigenpreis: 20 Pfg. die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen an bestimmt
vorgeschriebenen Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Inserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

43. Jahrgang. — Ar. 265.

Dienstag, 12. November IM.

Werre Ziele.

Aus der Hauptstadt eines mitteldeutschen Bundesstaates
geht den „Münch. Nachrichten" ein Schreiben zu, in welchem
der nationalliberalen' Partei für die Gegenwart
folgende neue Ziele gesteckt werden:
Vor Allem gilt es, zu den beiden wichtigsten Fragen
der gegenwärtigen deutschen Politik wieder klar und
entschieden Stellung zu nehmen; die eine betrifft wiederum
wie ehemals die äußere, die andere die innere Politik. In
der äußeren Politik hat der Kaiser das Ziel oft genug
bezeichnet: Unsere Zukunft liegtaufdemWasser.
Wir müssen dafür sorgen, daß die Welt nicht zwischen
Rußland und England geteilt wird. „ Die Kolonisation,
die das einheitliche Volkstum erhält, ist für die Zukunft
der Welt ein Faktor von ungeheurer Bedeutung. Von ihr
wird es abhängen, in welchem Maße jedes Volk an der
Beherrschung der Welt durch die weiße Rasse teilnehmen
wird; es ist sehr gut denkbar, daß einmal ein
Land, das keine Kolonien hat, gar nicht mehr
zu den europäischen Großmächten zählen
wird." Dieses Treitschke'sche Wort soll uns täglich in
den Ohren und Herzen klingen. Kolonien, Seemacht, Zoll-
verein mit Oesterreich und Holland, das sind die
Ausgaben der Zukunft, die täglich mehr und mehr Gegen-
wart wird. Der National-Vercin ist seinerzeit der Vor-
arbeiter der Regierungen gewesen, und so muß auch
der heutige Liberalismus wieder seine Rolle auffassen. Und
auch für die Entwicklung im Innern steht ein schönes Wort
Treitschkes vor uns. Der Staat ist nicht nur Rechtsstaat,
sondern Kulturstaat, „seine eigene Schönheit und Kraft
beruhen am letzten Ende auf der Freiheit vernünftig
denkender Menschen. Er arbeitet darauf hin, nur
solche Gesetze zu geben, die von den Besten des Volkes als
vernünftig anerkannt werden und die Selbständig,
ket des Menschen nicht ertöten, sondern Wecken."
Liberal, das versteht sich, aber auch liberal nach
Unten! Daß ich es mit einem Wort sage: Nicht in
Unfruchtbarer Negation und Unterdrückung aller wirtschaft-
lichen und politischen Bestrebungen der aufstrebenden
deutschen Arbeiterschaft, sondern in ihrer Er-
ziehung zur freiwilligen und freudigen poli-
lifchenMitarbeit im Frieden und, wenn es uns
beschiedcn ist, im Krieg, da liegt das Arbeitsfeld der
gebildeten und der regierenden Klassen. Die unentwegten
Doktrinäre werden ja Wohl in Deutschland nie alle werden,
deren erfreut sich jede unserer zahlreichen Parteien. Aber
eine Macht werden sie nicht ausüben, wenn der Staat sich
^nstlich bemüht, thatsächlichen Uebelständen zu steuern und
den realen Bedürfnissen des praktischen Lebens Rechnung
A tragen. Die größte Gefahr entsteht, wenn von den
Machthabern gemäßigte Reformer und Radikale stets und
^undsätzlich in einen Topf zusammengeworfen werden.
Ane ein paar Kinderkrankheiten wird es bei der Ent-
wicklung der Arbeiterschaft zum aktiven Staats-
bürger tum nicht abgehen, wie sie auch das Bürgertum
?sichgemacht hat. Aber bei der gesunden deutschen Natur
r'rd sich ein kräftiger und lebender Organismus entwickeln,
^vn nicht alle Säfte immer und immer wieder in's Blut

2. ZZachvereins-Konzert.
Heidelberg, den 12. Nov.
j^. Als Cröffnungsnummer fungierte die Komposition eines
z v.Sen Engländers, der eine Zeitlang hier lebte und dessen
Tod im letzten griechisch-türkischen Kriege seiner
tzssiönlichkeit einen Hauch von Romantik verliehen hat. Der
Zur Aufführung der symphonischen Dichtung nach
^sions „verlorenem Paradies" von Clement Harris ist
in einem Gefühle der Pietät zu suchen, welches Professor
i^jfrum dem verstorbenen Freunde gegenüber hegen
Eine rein künstlerische Pflicht gegen das Werk dürfte
g?^bl kaum bestehen. Ganz und gar die Bahnen der gro-
di^/iwrbildcr Wagner und Liszt verfolgend, in der Erfindung
und unselbständig, selbst in der Instrumentierung nicht
unsere gegenwärtigen jungen Größen erreichend,
sei^g das „Verlorene Paradies", ebensowenig 'wie der
Zeit hier zur Aufführung gebrachte Festmarsch dessel-
ompsnisten, Anspruch auf Bedeutung erheben.
Mit * ^Sentliche Held des Abends war diesmal der vielum-
Ayssie „Sohn eines großen Mannes", Siegfried
Kilver. Wie überall, wo der Komponist des „Bären-
syh-f' und „Herzog Wildfang" mit oder ohne seine Werke
, ^effentlichkeit tritt, so herrscht auch hier ein erbittertes
?kw Md Wider. Doch fand derselbe gestern ein höfliches,
Publikum, welches ohne Widerspruch, ja selbst mit
Beifall, den Gast empfing und seine Darbietungen
Und derjenige, der weder blindlings ein allein-
Ahendes Bayreuth aufstellen will, noch auch das viel-
sibx,^ute, was von dort kommt, ablcugnen möchte, wird zu-
vaß auch bei Siegfried Wagners Werken weder ein
^ den Himmelheben" noch ein in „Grund und Bo-
st 1"?^" angebracht ist. Wir hörten gestern die Ouver-
"Herzog Wildfang", ein breit angelegtes, nicht un-
gearbeitetes Tonstück. Der schon früher erhobene
> Segen die Trivialität der S. Wagner'schen Themen

zurückgetrieben werden. Die Interessen des aufgeklärten
Bürgertums und der Arbeiterschaft widersprechen sich nicht,
wie das die Enkel der Wühlhuber und Heulmeier nebst
den modernen Scharfmachern so gerne behaupten. Also
heute heißt's: kolonialsozial! Das ganze Deutschland
soll es sein, nach Außen und nach Innen!
Damit haben wir wieder ein Ziel, das in der Zukunft
liegt. Und das braucht gerade die nationalliberale Partei
ganz notwendig zum Leben, denn sie ist die Partei des
gemäßigten Fortschritts — der organischen Evolution, wie
man moderner sagt —, und keine Partei des Beharrens,
wie Zentrum und Konservative. In diesem Ziel können
sich die besten Elemente zusammenfinden.

Worgänge am Hessischen Kof.
Die „Vossische Zeitung" schreibt: „Aus Koburg,
9. November, geht uns durch den Draht eine Nachricht
zu, die wohl mit einer gewissen Vorsicht zu lesen ist:
Heute Nachmittag reiste der Regierungsverweser von Koburg-
Gotha, Erbprinz von Hohenlohe-Langenburg, plötzlich nach
Berlin ab. Man bringt diese Reise mit dem Zusammen-
treffen des Regenten mit dem Großherzog von
Hessen, das am 8. ds. in einem Hotel in München
stattfand, in Zusammenhang und ebenso mit dem Eintreffen
des Prinzen Heinrich in Darmstadt. Die Groß-
herzogin von Hessen weilt bereits seit dem 16. v. Mts.
in Koburg. Von einer Abreise verlautet bisher
nichts. Für den Fall, daß es sich um Familien-
angelegenheiten handeln sollte, bemerken wir, daß die
Prinzessin Heinrich eine Schwester des Großherzogs und
die Erbprinzessin von Hohenlohe-Langenburg eine Schwester
der Großherzogin von Hessen ist." Auch der „Köln. Ztg."
sind aus Darmstadt Nachrichten zugegangen, die darauf
schließen lassen, daß man dort einem Aufsehen erregen-
den Vorgang in den Familienangelegenheiten
des Großherzogs entgegeusieht. Das Ereignis dürfte
jedoch ausschließlich privater Natur sein und keine politische
Bedeutung haben.
Großherzog Ernst Ludwig von Hessen ist seit dem
April 1894 mit der koburg'schen Prinzessin Viktoria
verniählt.

DersLsches Weich.
— Wie die „Voss. Zeitung" einer Postkarte eines
deutschen B u re n o ff iz i e rs, der bei ElandSlaagte in
englische Gefangenschaft geriet nnd sich in Deadwood Camp
auf St. Helena befindet, entnimmt, ist den unter tötlicher
Langeweile leidenden Gefangenen nicht einmal mehr die
Wohlthat der Zeitungslektüre vergönnt. Alle Zei-
tungen und anderen Druckschriften, die unter Kreuzband
eingehen, werden schonungslos verbrannt.
Bad«.
Der „Pfälzer Bote" meint, daß die (noch nicht be-
stätigte) Kunde, die Regierung beabsichtige einige M ä n n e r-
klöster zumlassen, überall von den badischen Katholiken
mit Genuglhung vernommen werden wird und zugleich
aucd mit dem Gefühl des Dankes gegen denjenigen, der

muß allerdings auch hier aufrecht erhalten werden. Sie
sind, selbst wenn man ihre Volkstümlichkeit zugeben will,
meist recht banal; doch ist ihre Verarbeitung oft glücklich und
wirkungsvoll. Das ganze ist von einem frischen Zuge er-
füllt und weiß durch flotte Rhythmik fortzureißen. Die Er-
zählung Reinhart's aus demselben Werke gefällt anfangs
durch eine Weiche Stimmung, welche mit Glück ausgeführt wird,
aber allmählich in Monotonie ausartet und schließlich lang-
weilig wird, wozu namentlich auch die magere Orchester-
begleitung beiträgt. Die schwachen Seiten des Textbuches
sind hinlänglich bekannt und traten auch bei diesem kleinen
Bruchstücke genügend hervor. Herr Mohwinkel aus Mann-
heim, gegenwärtig ebenfalls eine viclumstrittene Persönlichkeit,
führte den Gesangspart mit schönem Vortrage aus. Nicht
das gleiche war der Fall bei der Schlußszene aus der „Wal-
küre", welche unter Siegfried Wagners Direktion das Ende
des Konzerts bildete. Hier konnte der Sänger der überwäl-
tigenden Schönheit des Abschiedsgesanges Wodans nur im
geringen Maße gerecht werden. Es fehlte jene Weiche Innig-
keit, die hier so unentbehrlich ist und andererseits mangelte
es bei der Beschwörung Loges wieder an Wucht und Stimm-
gewalt. Das städtische Orchester leistete in sämtlichen
Numern wieder sehr Tüchtiges und es zeigte sich wieder deut-
lich, daß ihm der Vortrag moderner Musik ganz besonders
„liegt". Dies trat besonders —- im negativen Sinne! —-
bei der Mendelssohn'schen „Melufinenouberture" hervor,
welche — o, Ironie des Schicksals! — sich in das gestrige
Programm verirrt hatte. Schade, daß dies poesicvolle, von
unvergänglichem Zauber der Romantik erfüllte Tongebilde
keine liebevollere Wiedergabe erfuhr! O. S.

Kleine Zeitung.
— Berlin, 11. Nov. Der Kaiser ließ der ihren
10 0. Geburtstag feiernden Schuhmachersehesrau
Casper in einem huldvollen Schreiben Glück-und Segens-

fich um die Zulassung der Männerklöster vor allem be-
müht hat und dem die Erreichung dieses Zieles wohl in
erster Linie zu verdanken ist, nämlich unserm hochw. Erz-
bischof Dr. Nöiber. Wie man annimmt, werden zunächst
zwei Klöster, und zwar wahrscheinlich auf der Insel
Reichenau und in Walldürn, bewilligt. — Vom Dank
gegen die Regierung weiß der „Pfälzer Bote" ebenso wenig
wie Herr Wacker. Wenn also die Regierung wirklich be-
absichtigt, Klöster zuzulaffeu, so weiß sie jetzt, daß sie
auf keinerlei Dank beim Zentrum zu rech-
nen hat.
— Der „Straßb. Post" schreibt man zu der Frage,
ob die Zulassung von Männerklöstern bevorstehe, aus
Karlsruhe: Wie bereits gemeldet, hat der Präsident deS
Ministeriums der Justiz, des Kultus und Unterrichts, Frhr.
v. Dusch, jüngst dem Erzbischof Nörber in Frci-
burg einen Besuch abgestattet. Dieser Besuch wird mit
Verhandlungen in Verbindung gebracht, welche die Re-
gierung mit der Kurie wegen Genehmigung zweier
Ordensnicderlassungen in Baden führt. Die Re-
gierung glaubt den Wünschen der katholischen Bevölkerung
entsprechen zu können, ohne die Gefühlt der Protestanten
zu verletzen, wenn solche Ordensniederlassungen nur in
Orten mit ausschließlich oder fast ausschließlich katholisch.!
Bevölkerung zugelussen werden. Als solche Orte sind
Walldürn und die Insel Reichenau in Aussicht ge-
nommen. — Auch der „Schwab. Merk." hält die Meldung
der „Bad. Korr." von der Zulassung von Klöstern für
begründet.
Baden-Baden, 9. November. Die Frau Kron-
prinzessin von Schweden und Norwegen wird
die Monate November und Dezember hier zubringen, um
auf Anraten ihrer Aerzte eine Terrainkur zu gebrauchen:
Die prachtvollen, trockenen und staubfreien Wege, die be-
quem auf die windegeschützten, sonnigen Höhen des OoS-
thales führen, ermöglichen auch in vorgerückter Jahreszeit
derartige Kuren. — Fürst und Fürstin Herbert Bismarck
weilen ebenfalls noch hier zum Gebrauch einer ähnlichen
Kur.
Bayern.
— Ueber den Zustand des Köngs Otto von
Bayern erfährt die „Köln. Ztg.", daß man infolge der
jüngsten Blutungen nur noch mit einer kurzen Lebensdauer
des unglücklichen Fürsten rechne. Ministerpräsident von
Crailsheim hat kürzlich anders lautende Mitteilungen ge-
macht.
München, 11. Nov. Der frühere württembergisch.
Ministerpräsident v. Mittnach t veröffentlicht in der „All-
gemeinen Zeitung" eine Erklärung über die EinheitZ-
marke. Die jetzige Vereinbarung sei kein Umschwung,
sondern eine Fortsetzung der frühern Verhandlungen. Die
Regierung Württembergs sei vor zwei Jahren nicht gegen
die Reform gewesen und habe sie nicht vom Beitritt Bayerns
abhängig gemischt, sie habe sich aber wegen der budgetären
Wirkung und des Einflusses der Neuerung auf den Jnland-
tarif, eine Verständigung mit dem Landtag Vorbehalten
müssen. Er, 'Mittnacht, hätte dringend gewünscht, es wäre
Bayern möglich gewesen, sofort denselben Schritt zu thun.
Er gebe sich der Hoffnung hin, wenn die jetzige Verein-

wuniche zugehen, schenkte ihr sem Bild und ließ ihr ein
Gnadengeschenk von 300 Mk. verabreichen.
— Staßfurt, 11. Nov. Wie das „Staßfurter Tage-
blatt" meldet, sollen bei einem Einsturz von vier Sohlen
auf Schacht „Ludwig II." siebzig Bergleute ver-
schüttet sein. Bis abends seien drei Tote und 25 Ver-
letzte geborgen worden, während 13 Personen noch ver-
mißt wurden. Die Uebrigen sind unversehrt gerettet.
— Mastricht, 11. Nov. Oberstleutnant v. Ziegler,
der bei den holländischen Schlußmanövcrn bekanntlich s. Zt.
durch einen Automobilunfall schwer verletzt wurde,
konnte gestern das Hospital verlassen, in welchem er seit
45 Tagen gelegen halte, um sich zunächst nach Wiesbaden
zu begeben. Am Bahnhof wurden ihm und seiner Gattin
von der Volksmenge Ovationen dargebracht. Die
holländischen Behörden waren am Bahnhofe vertreten. AIS
v. Ziegler mit seiner Gattin, in Begleilung des Generals
Leyder, der von der Regierung beauftragt war, den Oberst-
leutnant bis zur deutschen Grenze zu begleiten, den Zug
bestieg, intonierteeine Musikkapelle diedeutscheNational-
Hymne.
— Wien, 11. Novbr. Wie verlautet, wird sich die
Schwägerin des Erzherzogs Franz Ferdinand, Comtesse
Henriette Chotek, mit dem Prinzen Stanislaus Radzi-
will, Leutnant bei den Königshusaren in Hannover, ver-
loben.
— Paris, 11 Nov. Prof. Chantemesse, ein Schüler
Pasteurs, soll, wie mehrere Blätter melden, ein wirksames
Antityphusserum hergestellt haben.
 
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