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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 229 - 255 (1. Oktober 1901 - 31. Oktober 1901)
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Mittwoch, 30. Oktober

Gastes Blatt.

43. Jahrgang. — ^ir. 254.

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Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich SO Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be.
zogen vierteljährlich 1.3S Mk. auss'Beßlich Zust.llgebühr.
Anzeigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Pctitzeile oder deren Raum. Neklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen an bestimmt
vorgeschriebenen Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Inserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den Plakatsäulen. Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

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Bestellungen
auf die
oeitlelberger Leitung
^Är-d>e Monate November und Dezember werden
bei asten Postanstalten, den Briefirägern, den Agenten, bei
ben Trägern in der Stadt, sowie in der Expedition,
Untere Neckarstratze 21, angenommen.
Bezugspreis: monatlich nur AO ^^g. frei
'N's Haus gebracht; durch die Post bezogen für die
Dlonate November u. Dezember zusammen nur 90
°bne Zustellgebühr.
Der gediegene reiche Inhalt der „Heidel-
berger Zeitung" ist ihre beste Empfehlung.

ou Zu Aerufung des Professors Ir. Spahn
nach Slraßöurg
^ . Die Nachricht der „Voce della VeritL", daß der Bi-
fchos von Straßburg die einigen Seminaristen auf ihr
Ersuchen gegebene Lizens zum Besuche der historischen
Vorlesungen Spahns nach Veröffentlichung von dessen
Beziehungen zu Graf Hoensbroech und dem Exdomini-
-oner Alfons Müller wieder zurückgezogen hat,
Urd, nach einem Telegramm des „Berl. Lokalanz." aus
ftom, dort von einwandsfreier Seite von neuem aufs
bestimmteste wiederholt. Man betrachtet in deii Kreisen
ber Kurie die Ernennung Spahns als eine Beleidi-
^ing (?) und inan werde, heißt es, ohne persönliche
stücksichten Und ohne Rücksicht auf die Haltung der deut-
'n-chen Katholiken, das thun, was das Ansehen der römn
loschen Kirche erfordere. Man wolle eine den Kirchem
Allein entsprechende öffentliche Abbitte
Spahns oder den Widerruf seiner Erneu-
ung fiir Straßburg verlangen. Die Kurie werde auch
?.?r einem Verbot des Besuches der Vorlesungen Spahns
tstr katholische Studenten durchaus nicht zurückschreckön,
sts ein ihr genehmer kirchentreuer Mann ernannt sei,
sts denen Deutschland keinen Mangel habe. Uebrigens
Me der Fall Spahn, welchen Schwierigkeiten die Kurie
sti der Genehmigung der Projektierten Errichtung einer
Malischen Fakultät in Straßburg entgegengegangen
^ore.
Nun hat die „Germania" wieder das Wort.

An liberaler englischer Staatsmann über
den Wurenkrieg.
, . Am Freitag Abend, zur gleichen Zeit, als Chamber-
stlli seine aufgeregte Rede in Edinburgh hielt, sprach auch
^ Führer der liberalen Partei, Campbell-
tzstnnermann in einer Versammlung in Stirling.
^ sagte u. a.: Der Krieg schwäche durch den schleppenden
'tz^lauf das britische Reich in allen Weltteilen. Die ganze
,'Mtik der Regierung nicht nur während des Krieges,
iMern auch während der Unterhandlungen, die ihnen
Mngingen, sei von Grund aus falsch gewesen. Uebemll
sM tzje Regierung einen beklagenswerten Mangel an
glicht erkennen lassen. Gewisse Methoden der eng-

lischen Kriegsführung müßten als barbarisch bezeichnet
werden. „Das ganze Land der beiden kriegführenden
Staaten ist mit Ausnahme der Bergwerkstädte eine
furchtbare Wildnis. Die Farmen sind niedergebrannt,
das Land ist verwüstet. Die Herden sind entweder nie-
dergemetzelt oder fortgetrieben. Der Ackerbau und die
Werkzeuge des Ackerbaues sind vernichtet. Das sind die
Dinge, die ich als „ein Verfahren der Barbarei" bezeich-
net habe. Und an diesem Ausdruck halte ich fest. Zu-
treffender vermag ich mich nicht auszudrücken. Wönn
das nicht das Verfahren der Barbarei ist, dann frag? ich,
welches Verfahren die Barbarei sonst noch anwenden
kann. Sicher keins. Es ist richtig, daß in besonderen
Fällen, wo ein offenbares Unrecht begangen worden
ist, eine Strafe verhängt werden muß, und im Kriege
lassen sich die Dinge nicht immer mit Glacehandschuhen
handhaben —, aber eine so barbarische Behandlung
allgemein auf ein ganzes Land anzuwenden und Frauen
und Kinder in Lager hineinzutreiben, das ist ein Ver-
fahren, das durch nichts gerechtfertigt werden kann.
Wenn der Krieg glücklich zu Ende ist und wir uns an die
Wiedereinrichtung Arkadiens machen, dann wird den
50 000 Kriegsgefangenen natürlich gestattet werden,
dahin zurückzukehren, was wir ironischerweise vielleicht
als ihr „Heim" bezeichnen dürfen. Sie werden mit den
100 000 Frauen und Kindern wieder zusammentrefftn
— wenn bei dem jetzigen Sterblichkeitssatz noch welche
übrig bleiben, was bei den Kindern zweifelhaft ist. Und
welche Empfindungen gegen das britische Reich werden
sich in diesen Leuten regen, wenn der Mann seine Frau
wiederfindet und ihre Leidensgeschichte von ihr hört,
wenn der Bruder nach seiner Schwester umschaut und
der Vater vergeblich nach seinem Kinde fragt?" Selbst-
verständlich müsse der Krieg energisch fortgesetzt wer-
den, bis er zu einem erfolgreichen Abschluß gebracht
sei. Aber dann müsse ein versöhnendes Vorgehen in der
Behandlung Jener beobachtet werden, die britische Un-
terthanen werden müssen. Tapfere Gegner müssen in
gute Freunde verwandelt und Südafrika unter der He-
gemonie Großbritanniens zufricdengestsllt werden.
Leider verhindere die Politik der Negierung ein solches
Vorgehen._
Sin blutiger Htassenkarnpf.
London, 29. Okt. Aus New-Orleans wird nach
der „Frks. Ztg." gemeldet: Der tätlichste Rassen-
kampf, den es seit 20 Jahren im Süden der Vereinig-
ten Staaten gegeben hat, brach gestern Abend inBaI l-
town bei Washington im Staate Louisiana aus.
Die Farbigen hatten bei Live Oak Church eine religiöse
Versammlung auf offenem Felde. Me Polizei drang
während dieser Zeit in ein Restaurant ein. welches keine
Konzession hatte. Der Neger, der das Restaurant be-
trieb, feuerte und tötete zwei Polizisten; dann wurde
er sofort selbst erschösse n. Ein farbiger Predi-
ger stürzte in diesen: Augenblick mit einer Schrotflinte
heraus; ehe er aber selbst geschossen hatte, war er von
Kugeln durchbohrt. Der Kampf wurde dam: allgemein.
Die im Gebäude versteckten Neger unterhielten ein Ge-
wehrfeuer, bis die Polizisten das Gebäude in Brand
steckten. Die herauskommenden Neger wurden alsdann
sämtlich niedergeschossen. Heute dauert der Kamps
fort. Militär wurde beordert. Die Weißen Bürger
bewaffnen sich und schwören Rache bis zur Vernichtung.

Aus Batourouge (Louisiana), 29. Okt., meldet
das Wolff'sche Bureau in der gleichen Angelegenheit:
Der Gouverneur von Louisiana erhielt gestern aus dem
Bezirk Washington die Meldung, daß in Ballstown zwi-
schen Weißen und Schwarzen ein großer Streit zum Aus-
bruch gekommen sei; 30 Personen seien ge-
tötet. Der Gouverneur ließ bereits Vorbereitungen
zur Entsendung von Truppen treffen, als die Nachricht
einging, daß wieder Ruhe herrsche. Die Truppen wer-
den jedoch in^Bereitschaft gehalten. Die Unruhen waren
durch einen Streit zwischen einem Weißen Polizeibeamten
und einein Neger über die polizeiliche Erlaubnis für einen
vom letzteren gehaltenen Ersrischungsstand hervorge-
rufen.

Deutsches Reich.
— Da der Gesundheitszustand des mit
dem Dampfer „Batavia" zurückgekehrten, auf dem Trup-
penübungsplatz Munster bisher sestgehaltenen ostasiati-
schen Truppentransports jetzt zu Bedenken keinerlei
Anlaß mehr bietet, ist die Auflösung des Transports
und die Entlassung der Mannschaften in ihre Heimat
erfolgt.
— Aus den Jndustriebezirken wird berichtet, daß
„ostelbische" Landwirte Arbeiterfamilien auf ihre
Kosten unter der Bedingung auf ihre Güter kommen
lassen, daß sie sich zu einer zweijährigen Thätigtz
keit auf diesen verpflichten. In nicht wenigen Fällen
wird es sich dabei um Leute handeln, die vordem als
Knechte oder Taglöhner auf Landgütern im Osten ge-
arbeitet hatten, aber dem „Zug nach dem Westen" in
der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs gefolgt warair.
Eine Rückwanderung vom Westen nach ihrer Heimat
wäre um so beifälliger zu begrüßen, als dadurch Ser
Slawisierung der östlichen Provinzen entgegengearbei-
tet würde, die dadurch, daß man notgedrungen russisch-
polnische Arbeiter heranzog, gefördert wurde. Auch für
die westliche Landwirtschaft würde es nur vorteilhaft
sein, wenn sie sich aus der gegenwärtigen Reservearmee
industrieller Arbeiter die ihr fehlenden Arbeitskräfte
holen köniite. Für die Hauswirtschaft dürfte
dann-die Verringerung der Fabrikthätigkeit zu einer Mil-
derung der D i e n stb o t e nn o t führen, die in sozial-
politischer Beziehung nicht zu unterschätzen ist. Denn
grade der gebildete Mittelstand und das kleine Bürger-
tum, die zu den stärksten Stützen des Staats- und Ge-
meinwesens gehören, werden durch den Dienstboten-
mangel hart betroffen. In diesen Kreisen empfindet
man es als eine wahrhafte Erleichterung, daß das Wett-
laufen uni nur halbwegs brauchbare Dienstboten all-
mählich aufzuhören beginnt.
Kassel, 28. Okt. Die infolge einer Anregung des
Berliner. Tierschutzvereins, welcher eine Petition an den
Reichstag schreibt, hier abgehaltene Generalversammlung
des Tierärztevereins von Hessen war bei der Beratung
über ein allgemeines Sch ächtverbot ge-
teilter Meinung. Schließlich wurde eine Resolution an-
genommen, worin dine bestimmte Stellungnahme abge-
lehnt wurde, und wonach den einzelnen Mitgliedern die
Wahrung ihres Standpunktes überlassen bleiben soll.
Bremerhaven, 29. Okt. Der Dampfer „Cre-
seid", der den letzten diesjährigen Truppentransport
brachte, landete drei Feldlazarette, das Lazarettdepot,

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i-ItK

Schriftsteller und Journalist.

>>Mm einem Essay, das L. Sonnemann anläßlich sei-
ft; 7Ojährigen Geburtstags in seinem journalistischen
«Men feiert, zieht F. Mamroth in der „Frkf. Ztg."
>Mnde geistreiche Parallele: „Erheiternd, wenngleich
IjjM-ter ein leises Gefühl der Bitterkeit auslösend, ist
W >>h Die, die darunter zu leiden haben, die strenge, fast
^n,eb,Ä ^Mbare Art, wie die öffentliche Meinung /(deren
Ästigst, ft^chrohr die Zeitung in diesem Falle nicht ist) zwi-
" ' ^ Schriftsteller und dem Journalisten unteV-
siMet. Urteile lassen sich umstoßen, Vorurteile scheinen
^Mütterlich. Wer ein Buch schreibt, sei es noch so
- At, wer ein Theaterstück schreibt, sei es noch so seicht,
siÄ Schriftsteller und er darf auf den Journalisten
ftk, blicken, der, frei nach Figaro, von sich sagen darf,
H er oft an einem Tage mehr Scharfsinn, Geschmack
''isjMissen aufbieten muß, um sein Publikum zufrieden-
EfMsn, als namhafte Autoren in einem Jahre für ihre
tMreichen Werke zusammenzubringen brauchen. Wir
Journalisten, die in einem kurzen Artikel, den
verweht, als tiefe Denker und herrliche Poeten
treten, und wir kennen Schriftsteller, die
V die Fähigkeit haben, ein Inserat zu entwerfen,
ft Mtrauen uns aus hundert guten Journalisten neun-
chtige Schriftsteller zu machen, aber unter hundert
, Schriftstellern würden höchstwahrscheinlich nur sehr
' ^tüchtige Journalisten zu erziehen sein. Man stellt
^Schriftsteller über den Journalisten, weil dieser
MA nicht nur vermag, was jener kann, sondern weil
! nebenbei auch noch an Schlagfertigkeit und Piel-
des Talents und leider auch an Selbstverleug-
^ Äerlegen ist. Der ganze Unterschied zwischen

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Beiden ist im letzten Grunde kein geistiger, sondern ein
materieller. Wer bei seiner Arbeit ruhig Stück an
Stück setzen und damit fortfahren kann, bis sein Manu-
skript lang genug geworden ist, um zu einem Verleger
zu wandern, ist ein Schriftsteller. Wer jeden Tag einen
Schlußstrich unter seine Arbeit ziehen und täglich von
Neuem damit beginnen muß, ist ein Journalist, selt-
samerweise sind sich die Zeitungsleute des Geistes, der
sie erfüllt, so wenig bewußt, daß sie diese geringschätzende
Differenzierung bisher ohne Widerspruch Hinnahmen.
Wir glauben nicht fehlzugehen, wenn wir Voraussagen,
daß eine kommende Zeit, die dem Journalismus eine
heute kaum zu übersehende Wirkungsfülle zuweisen
dürfte, mit dem zopfigen Respekt vor dem Buche
aufräumen wird."
Kleine Zeitung.
— London, 27. Okt. Neben der Buller-Afsaire
hat eine andere Tages-Angelegenheit, die Cecil-Bain-
Heirat, die Engländer beschäftigt.^ Der mutige Kampf
der jungen Leute, des Leutnants Cecil und seiner Braut,
der Belfaster Agenten-Tochter, Miß Jessie Bain, gegen
die höheren Gewalten, die Mutt«.' des Bräutigams, Lady
Cecil, und das hochwohllöbliche Londoner Vormund-
schaftsgericht, erregte den lebhaftesten Enthusiasmus
des ganzen vereinigteil Königreichs. Mali applaudierte
den Liebenden, regte sich mit ihnen auf, bis die Ehe
trotz aller Hindernsse glücklich vollzogen war, und hätte
die Mutter gesteinigt und dem Lordkanzler seine Perrücke
abgerissen, falls sie gewagt hätten, die Brautleute anzu-
greifen. Bekanntlich hatte der Lordkanzler von England
auf Antrag der Mutter die Ehe des Gerichtsmündels

Leutnant Cecil bei Kerkerhaft beiden Beteiligten ver-
boten, doch Schottlands Lord-Oberrichter „erbebte nicht
vor Englands Dräuen", und die Trauung fand in Edin-
burg ungestört statt, da das englische Vormundschafts-
gericht dort keine Machtbefugnis hat. An demselben Tage
noch reiste das unglücklich vereinigte Pärchen im Expreß-
zuge nach London ab, um den Löwen, nämlich den Lord-
kanzler, direkt in seiner Höhle zu stellen. Als sie auf dein
Euston-Bahnhof ankamen, hatte sich eine immense Men-
schenmenge eingesunden, um ihnen Ovationen darzubrin-
gen. So dicht war das Gedränge, daß drei Polizisten
den jungen Eheleuten Bahn brechen mußten. Beim An-
blick der Konstabler sank dem Publikum das Herz, da.
man sie für die Schergen des Lordkanzlers hielt. Doch
die Trauer verwandelte sich in lauten Jubel, als Bräuti-
gam und Braut in eine Droschke stiegen und dem Kut-
scher stolz zuriefen: „Browns Hotel!" Und in „Vrotchrs
Hotel" habeii sie seitdem gewohnt, ohne daß der Lord-
kanzler bisher einen Versuch gemacht hätte, das zu tren-
nen, was der Himmel und der Lord-Oberrichter von
Schottland zusammengefügt haben. So beginnt denn
die reizende Mrs. Cecil, wie sie einem Reporter sagte,
bereits äufzuatmen, und mit ihr das gesamte fühlende
Jnselreich. Leutnant Cecil, der Aristokrat und künftige
Erbe einer halben Million Pfund Sterling, hat den
bürgerlichen Riesen Goliath, das englische Vormund-
schaftsgericht, im ungleichen Kampf nach allen Regeln
des Sport niedergestreckt und sich dann mit charakteristi-
scher Todesverachtung ohne Deckung dem Feinde entge-
gengestürzt, das wird ihm das sportliebende Albion
nicht vergessen. Mag er auch später einrnal ein Paar
L-chlachten verlieren, das ist Nebensache — das Kom-
mando eines Armeekorps ist ihm sicher!
 
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