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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 282 - 305 (2. Dezember 1901 - 31. Dezember 1901)
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Dienstag, 31. Dezember 1901


Est sich eint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. DurchIdiesPost.be»
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vorgeschriebenen Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Inserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Gxstes Blatt. 43. Jahrgang. — 305.

Des Neujahrstages wegen erscheint die
nächste Nummer am Donnerstag.
An der Jahreswende.
Am Grabe des alten Jahres Pflanzen wir unsere
beste Hoffnung für das neue auf. Das ist so Menschen-
art, und das hat auch seinen guten Sinn, denn die Hoff-
nung erhebt und belebt. Der Hoffende arbeitet freudi-
ger und leichter als der Resignierte. Freilich wer die
Hände in den Schoß legt und sich mit dem Hoffen allein
begnügt, über den wird die Welt bald zur Tagesordnung
übergehen.
Das gilt von den einzelnen Menschen wie von gan-
zen Parteien und Völkern. Die große Enttäuschung kann
da nicht ausbleiben.
So sehen sich die Sozialdemokraten mit der Hoffnung
auf den Kladderradatsch schwer getäuscht, allmählich
dämmert es ihnen auf, daß zu keiner Sache mehr lange
emsige und nüchterne Arbeit nötig ist, als zur Durch-
führung einer politischen oder wirtschaftlichen Idee.
Die Polen begnügen sich schon lange nicht mehr damit,
ans die Wiedererstehung ihres Nationalstaates bloß zu
hoffen, sondern sie regen sich emsig, um ihr nationales
Ideal durchzuführen. Die polnische Frage wird mehr
und mehr zu einer brennenden und man darf füglich an-
nehmen, daß sie in den nächsten Jahren eine sehr große
Rolle spielen wird. Mit ihr ist das Schicksal Oesterreichs
nahe verknüpft. Die dortige,: Polen verfolgen heute
mit Zulassung der österreichischen Regiernng eine Poli-
tik, die in ihren Konsequenzen Rußland und Preußen-
Deutschland zu Schritten führen kann, an die man
heute noch gar nicht denken möchte. Es ist ein Lebens-
interesse der letztgenannten beiden Staaten, ein selbstän-
diges Polenreich nicht wieder aufkommen zu lassen, weder
kann Deutschland Posen noch Rußland Lithauen und
Kongreßpolen entbehren. Man kann die nationale Si-
tuation der Polen beklagen, aber die Erfüllung der pol-
nischen Wünsche wäre Selbstmord. In Oesterreich sollte
man diese Lage der Dinge viel mehr beherzigen.
Von unseren politischen Parteien hat das Zentrum am
meisten Ursache mit Besorgnis dem neuen Jahre ent-
gegenzublickcn, denn die Zolltarifvorlage stellt seinen Be-
stand auf eine harte Probe. Wie oft hat das Zentrum
darüber gespottet, daß die nationalliberale Partei kein
einheitliches wirtschaftliches Programm besitze. Jetzt
sind die Nationalliberalen in wirtschaftlicher Beziehung
im Großen und Ganzen einig, durch das Zentrum aber
geht ein starker Riß: hie katholische Arbeiter, hie katho-
lische Landwirte. Wo der Magen spricht, da verliert der
Glaube seine werbende Kraft. Dazu das Zerren des
ehrlichen ernsten deutschen Geistes an den Fesseln des
Klerikalismus. Und es ist kein ungläubiger Windthorst
mehr da, um die gläubige Schaar zu führen!
Ein schönes Beispiel von fester Hoffnung und zäher
Arbeit giebt das Burenvölkchen, das nun schon im drfl-
ten Jahre mit dem gewaltigen England um ferne Selb-
ständigkeit ringt. Wird das neue Jahr das Ende me-
ses Kampfes sehen? Fast scheint es als sollte der Ko-
schlägt, verbluten. Ein weiteres Jahr würde für England
den weiteren Verlust von ca. 1V- Milliarden bedeuten. Lange
vermag auch ein so stolzes und reiches Land wie Grotz-

Litannien solche Summen nicht zuzusetzen. Und am
Menschenmaterial fehlt es ihm schon lange.
Wird im nächsten Jahre in Europa der Friede erhal-
ten bleiben? Unser Kaiser hat das nach der Zusammen-
kunft mit dem Zaren vor wenigen Monaten mit großer
Bestimmtheit vorausgesagt. Hoffen und wünschen wol-
len wir es alle. Jedes Friedensjahr bringt Deutschland
in seiner Volkszahl in seiner militärischen und politschen
Macht weiter. Die Rivalität Frankreichs ist heute nur
noch eine künstliche, ein Schein; nach weiteren 30 Frie-
densjahren werden wir drei europäische und eine ameri-
kanische Großmacht besitzen. Die romanische Welt wird
in den Hintergrund gedrängt sein und. der Wettbewerb
wird sich zwischen dein Germanentum und dem Slaven-
tum abspielen. Wohl greifen solche Betrachtungen heute
noch etwas weit voraus. Aber wie schnell verrinnen
die Jahre! Wie schnell ist das erste Jahr des neuen
Jahrhunderts vorbeigerauscht,wie schnell folgen einander
die Jahrzehnte!
Möge das deutsche Volk, im Hinblick auf seine, gro-
ßen Aufgaben in der Zukunft sich stark erhalten in Ar-
beitsfreudigkeit und Opferwilligkeit, sich stark erhalten
an physischer Gesundheit und idealem Sinn, an
Pflichttreue und selbständigem Geist, dann wird es herr-
lichen Zeiten entgegengehen.

Deutsches Reich.
Bade«.
— Im Wahlbezirk Neustad t—V illingenhat
klerikaler Einfluß einige schwachmütige national-
liberale Wahlmänner, die auf den Namen des national-
liberalen Kandidaten gewählt worden waren, zum UNr-
sall gebracht. Das ist kein Ruhmesblatt für das Zen-
trum, und die klerikalen Blätter sollten fein stille schwei-
gen; statt dessen hat der „Beob." die Stirn, zu schrei-
ben : „In keinem anderen Wahlbezirke des Landes haben
die N a t i o n a l I i b e r a I en in solchem Umfang und
so ungeniert mit verwerflichen Mitteln operiert wie
im Bezirke Villingen—Neustadt." Das ist in der That
der Gipfel der Dreistigkeit.
— Wie die demokratische „Neue Bad. Landesztg."
so schwärmt auch die konservative „Bad. Post" dafür,
daß ein Ministerium über den Parteien stehen solle. Das
letztgenannte Blatt schreibt:
Unter einem für die badische innere Politik bedeutsamen
Zeichen des allerhöchsten Vertrauens zu dem Gesamtministe-
rium nähern wir uns dem Uebergang in ein neues Jahr.
Die Verleihung hoher Ordensauszeichnungen an drei Mit-
glieder des Staatsministeriums hat sicherlich in weitesten
Kreisen große Befriedigung erregt. Man findet daran eine
Kräftigung des bereits durch Thaten bewiesenen Bestrebens
des Gesamtministeriums, über den Parteien zu stehen. Nichts
ist besser geeignet, den politischen Kampf zu mildern, den
Schärfen in der Form des Kampfes die Spitze abzubiegen
und auch sachlich beruhigend zu wirken, als daß die staatser-
haltenden Parteien die Ueberzeugung gewinnen, unter einer
Regierung zu wirken, welche ihrer hohen, schweren Aufgabe
dadurch gerecht zu werden sucht, daß sie über den Parteien
steht.
Wenn die.„Bad. Post" meint, daß die Regierung in
allen Verwaltungsdingen über den Parteien stehen
und die Wohlfahrt des Landes ohne Ansehen der Parteien
fördern solle, so ist das selbstverständlich und braucht nicht
noch besonders gesagt werden. Anders aber verhält sich
das mit der politischen und Parlamentarischen Stellung °

einer Regierung. Das Stehen über den Parteien gleicht
da doch sehr einem Schweben, wobei die Regierung dev
rechte parlamentarische Halt fehlt. Für die sichere und
gleichmäßige Führung der Regierungsgeschäfte ist es
ohne Zweifel ersprießlicher, wenn eine Regierung eins
feste parlamentarische Mehrheit hinter sich hat. Freilich,
wenn die Linksliberalen, wie aus einer Aeußerung dev
„Neuen Bad. Landesztg." hervorgeht, Angst haben, die
Mehrheit zu bilden, dann werden sie als herrschende
Partei schlecht zu verwenden sein. Die Konservativen ha-
ben sich anderwärts bisher durchaus nicht gescheut ton-
angebende Mehrheit zu sein. Wenn sie in Baden das
Sprüchlein der „Neuen Bad. Landesztg." nachbeten, so
mag das daran liegen, daß sie keine Aussicht haben, je-
mals eine Mehrheit zu erringen, vermögen sie doch im
Augenblick nicht einen einzigen Abgeordneten in der
Zweiten KainmÄ aufzuweisen, sondern nur einen Kan-
didaten, der mit nationalliberaler Hilfe hoffentlich ge-
wählt werden wird.
— Emen Artikel des „Hamburger Echo", der in einer
geschichtlichen Skizze darzuthun sucht, wie oft schon die
Arbeitslosigkeit zu Revolutionen geführt habe^
wird im „Volksfreund" abgedruckt. Man erkennt auch
daraus wieder das Bestreben, die Arbeiter aufzureizen»
Wenn sie dann unbesonnene Streiche begehen, wissen sich
die intellektuellen Urheber geschickt vor etwaigen Folgen zu-
schützen, während die Opfer der Verführung büßen müssen.
So war es auch 1848, und dieser Umstand schmälert den
Nimbus, den die Linksparteien um die Ereignisse jenes
Jahres zu weben suchen. Wenn man der Ansicht ist, datz
die Arbeitskrisis das Zusammenwirken aller wohldenkenden
Elemente erfordert, so muß man lebhaft wünschen, die
soz.-dcmokr. Presse gebe endlich einmal ihre unnützen
Hetzereien auf.
— Nach einem Münchener Bericht der „Köln. Ztg."
mag das Ergebnis der süddeutschen Zisenbahn-
konferenz nicht sonderlich umfangreich sein; aber die
für die nächsten Wochen bevorstehende Veröffentlichung
werde zeigen, daß immerhin, so z. B. hinsichtlich des verab-
redeten Wegfalls der Schnellzug-Zuschläge,
einige vielversprechende Anfänge gemacht worden sind.
Preuße«.
— Die „Hagener Zeitung" berichtet: Im Lokalverkehr
wird von Neujahr ab für die dritte und vierte Wagen-
klasse der preußischen Staatsbahn bezüglich der Fahrkarten
eine wesentliche Erleichterung getroffen, die darin besteht,
daß für die vierte Klasse lls zum Fahrpreise von 60 Pfg»
und für die dritte Klasse bis zum Fahrpreise von 1,20 Mk.
Karten, welche nicht nur wie bisher zur Fahrt nach einer
einzigen Station berechtigten, sondern nach allen Stationen,
welche den gleichen Fahrpreis haben, ausgegeben werden»
Diese Art Karten haben die Bezeichnung Sammel-
fahrkarten erhalten. — Sollte die preuß. Bahnver-
waltung vielleicht im Begriff sein, tle Kilometerhefte zu
erfinden? Den ersten kleinen Schritt dazu hat sie mit dm
Sammelkarten gemacht.
Sachsen.
Am schwersten wird der durch die wirtschaftliche Krise
geschaffene Zustand in Sachsen empfunden, wo die Dres-
dener und Leipziger Bankbrüche besonders verschärfend

Aeujahr l902
wie klangen die Becher so hell, so klar,
wie tönten die Glocken so weit:
„Grüß' Gott, grüß' Gott dich, du neues Jahr,
willkommen, du neue Zeit!"
Und leise kam es und sacht daher,
Aein Auge sah, wie's geschah.
<Ls tauchte herauf aus der Zeiten Meer,
Gs kam und es war da. —
Des Jahres letzte Sekunde rann
Zun, Meer inr eilenden Bach.
Da stand der Mensch am Strand und sann
Den scheidenden Tropfen nach.
Und leise tönt es wie Glockenklang
Hin durch die schweigende Nacht:
„Du altes Zahr, für alles Dank,
was Du mir Gutes gebracht."
Und leise schluchzt es am andern Grt,
— Gs säuselt der wind im Baum —:
„Du hast mich getäuscht, du brachst dein Wort!
wo blieb mein herrlicher Traum?"

Doch schweigend wandert dahin die Zeit
Und schweigend kommt sie daher.
Die Freude lacht und es klagt das Leid ....
Die wogen gleiten zum Meer.
Der eine jubelt, der andre weint.
Doch beiden leuchtet ein Stern.
Anr Himmel steht er und glänzt und scheint
Zn aller Herzen so gern.
Die Hoffnung ist es, der Gottesstrahl!
Gr giebt durch die Schatten der Zeit
Und auf der Wandrung durchs Grdenthal
Dir treulich gutes Geleit.
Drum wenn du Gutes erfahren hast.
So danke fröhlich dem Herrn,
Und drückt dich nieder des Lebens Last,
So blicke zu feinem Stern.
Dann wird die Seele dir hell und klar.
Dann bist du zu singen bereit:
„Hab' Dank, Hab' Dank du altes Jahr!
Grüß' Gott, du kommende Zeit!" —
Gero wen dt.

Stadttheater.
--- Heidelberg, 31. Dez.
„Fidcli o." Oper in 2 Akten von L. v. Beethoven.
Neu in Szrnc gesetzt, übte diese Oper aller Opern bei der
diesjährigen ersten Ausführung wiederum eine mächtige Wir-
kung aus die Zuschauer aus. lieber dem ganzen Abend
schwebte ein glücklicher Stern, denn von einigen kleinen
Schwankungen in der Intonation abgesehen, war die Vor-
führung außerordentlich befriedigend. Besonders hervorzu-
heben ist die unter Radigs meisterhafter Leitung pla-
stisch ansgeführte Wiedergabe der gewaltigen Leonoren-
Ouverture Nummer 3, wie auch die ganze Auf--
führung vollkommene Hingabe und fleißiges Studium erken-
nen ließ. Das Schlußfinale, eines der schwierigsten über-
haupt, war glänzend gelungen.
Ueberrascht hat Frl. Halma nach der gesanglich wie
schauspielerisch ziemlich schwach gegebenen Arie des ersten
Aktes durch ihre warmen und großen Töne in der Kerker-
szene. Sie zeugen von ausgiebigem Material, doch läßt die
Schulung noch manches zu wünschen übrig. Besonders ihr
Atemholen wirkt öfters störend. Herrn Schade (Florestan).
gelang es nicht vollauf, alle Schönheiten seiner Partie wieder-
zugeben. Einige kleine Unsicherheiten müßten noch beseitigt
werden. Er sowie Frl. Halma erzielten mehrmaligen Hervor-
ruf. Eine ausgezeichnete Nkarzeline war Frl. Koppen -
höf e r. Immer wieder muß man ihre große Ruhe und Si-
cherheit auch in den schwersten Ensemblesätzen bewundern.
Auch ihr Partner Faquino (Herr Sorelli), der über eins
kleine, aber angenehme Stimme verfügt, war seiner Auf-
gabe genügend gewachsen. Weniger gefiel mir Herr Karl
Walter als Pizarro. Seine Maske und seine Sprechweise
ließen eher alles andere vermuten, als einen spanischen Gran-
den. Gesanglich war die Leistung zufriedenstellend. Die
nicht leichte Rolle des Kerkermeisters war in den Händen des
Herrn v. Hunyady gut aufgehoben. Auch Herr v. Keller

Die heutige Nummer besteht aus drei Blättern mit zusammen 12 Seiten.
 
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