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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Juli bis Dezember)

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Nr. 256 - 281 (1. November 1901 - 30. November 1901)
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Mittwoch, 6. November M1>

43. Jahrgang. üir. 260.




Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich 60 Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition un> den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be,
zogen vierteljährlich 1.35 Mk. aussllüßlich Au'i.Ugebühr.
Anzeigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Neklamezeilc 40 Pfg Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen an bestimmt
vorgeschriebenen Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Inserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den?Plakatsäulen. Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Arankreichs Konflikt mit der Türkei.
Der ehemalige Botschafter Graf d eM o u y sagt in
einer Auslassung im „Gaulois" über die franzö-
sisch e A k t i o n Folgendes:
Wenn unsere Schiffe an ihrem Bestimmungsort an-
langen, den man mit Recht geheim hält, kann zweierlei
bassieren. Entweder bleibt unsere Flotte ruhig vor An-
ker liegen und wartet, bis ein letztes Ultimatum von
Frankreich an den Sultan gerichtet wird — und dann
tritt eine neue Wartefrist von mehreren Tagen ein, oder
sie geht sofort zur That über. Zu diesem Zwecke müßte
Wan Matrosen ausschiffeu und einen kleinen Teil des
türkischen Gebietes besetzen. Gott gebe, daß die Türken
keinen Widerstand leisten, denn selbst nach einem so ern-
sten Falle, wie eine Landung ist, können die Dinge sich
Noch durch eine geschickte Diplomatie regeln lassen; das
wird dagegen außerordentlich schwer, wenn der erste Ka-
nonenschuß abgefeuert ist. Aber ich glaube nicht, daß wir
schon so weit sind. Wir können die Feindseligkeiten
Nicht ohne eine neue Aufforderung zur Erfüllung unserer
Forderungen beginnen und diese Aufforderung kann nur
dorr Paris ausgehen. Denn der französische Admiral
kann unmöglich ein so wichtiges Schriftstück dem erst-
besten Vali übergeben, den er in dem Hasen trifft, in dem
er landen soll. Aber es kann nun auch der Fall eirrtrs-
ten, daß die Pforte uns ruhig auf türkischem Gebiet lan-
gen läßt und nicht einmal den Versuch unterninnnt, uns
wit Gewalt zu vertreiben, indem sie, um unsere Abfahrt
äu beschleunigen, auf die Wirkungen der Zeit und der Eri-
wattung, die so große Dinge verrichten, und auch auf
we Freundschaften rechnet, über die sie in Europa zu ver-
fügen glaubt. In Hinsicht auf diese Eventualität muß
Wan die wahrscheinliche Haltung der Mächte in Berück-
sichtigung ziehen.
Aus Konstantinopel, 4. Nov., wird der „Frkf.
Mg." telegraphiert: Das Auslaufen der französischen
motte in Toulon hat große Befürchtung im
Äildiz-Kiosk hervorgerufen. Frankreich soll als
Faustpfand einen oder mehrere Häfen des Archipels be-
setzen wollen. In den hiesigen amtlichen französischen
Preisen gibt man vor, über die Bestimmung der fran-
zösischen Flotte nichts zu wissen. Eine gewisse zu Tgge
Zetretene Nachgiebigkeit des Sultans wird sich noch mehr
bemerkbar machen, falls Frankreich zu handeln entschlos-
sen ist. Bemerkenswert ist der Umschwung in den r u s-
sischen diplomatischen Kreisen zugunsten der fran?
öösischen Forderungen. Es läßt dies daraus schlie-
ßen, daß Frankreich seine Aktion mit der Billigung Ruß-
Pnds einleitet. Die gestrige im Austrage Delcassä's
überreichte Note sagt zum Schlüsse: Die Art und Weise
"er hohen Pforte, sich ihres gegebenen Wortes zu ent-
gehen und die fortgesetzten schweren Schädigungen Pri-
nter und allgemeiner französischer Rechte legt der frän-
kischen Regierung die entschiedene Pflicht aus, sich nun-
wehr vor Wiederaufnehmen der diplomatischen Relatio-
rw der Garantien zu vergewissern. Dieser Note folgte
- wte früh eine zweite, worin im Aufträge Delrassös
^solge der Zögerung der Pforte, die Tubini- und Lo-
/Woaffaire zu regeln, folgende weitere Forde

sv

dir gen gestellt werden: Anerkennung sämtlicher

sffwzösifcher Schulen in der Türkei, gleiche Anerkennung
-w alle anderen französischen Kultus-, Hospital- und

so

Ästige wohlthätige Institutionen, Erlaß eines Firmans

zur Rekonstruktion der während der Jahre 1894 bis
1895 zerstörten französischen Wohlthätigkeits- und Kul-
tusanstalten und den Erlaß eines kaiserlichen Firmans,
der die Wahl des chaldäischen Patriarchen Emmanuel
bestätigt. Die Note fügt hinzu, im Falle des HinauH-
schiebens der Forderungen werde Frankreich zu weiteren
Kompensationen gezwungen sein.
Pari s, 6. Nov. Herr Delcassä erklärte nach dem
Ministerrat den im Elyssee anwesenden Journalisten:
Die Division Caillard dürfte wohl heute fxüh an
ihrem Bestimmungsort angekommen sein, doch werden die
offiziellen Bekanntmachungen der Einzelheiten erst mor-
gen erfolgen.
Paris, 5. Nov. Agence Havas Die Re-
gierung hat heute Nachmittag ein Telegramm
erhalten, nach welchem die Division Caillard
heute früh vor Mytilene eingetroffen ist
nnd drei Häfen besetzt hat.
Zur Arage der Ki senöahngemeinschafl.
Bei der Eröffnungsfeier der Eisenbahn Lauterbach-^
Crainfeld hat der Frankfurter Eisenbahndirektionsprä-
sident Thom6 eine in mehrfacher Hinsicht bemer-
kenswerte Rede gehalten. Er führte nach der of-
fiziösen „Darmst. Ztg." u. a. aus:
Das von einem vorhergehenden Festredner zitierte
Dichterwort „Kannst Du ein Ganzes nicht sein ec." sei
richtig, aber es bezeichne nicht den Grund der Errichtung
der hsss.-preuß. Eisenbahngemeinschaft, weil Hessen
sehr Wohl in der Lage gewesen wäre, sein
Eisenbahnnetz selbstständig ohne Preu-
ßen zu betreiben. Der Grund sei vielmehr in
erster Linie die Einsicht gewesen, daß bei Gemeinschafts-
betrieb die Unkosten für beide Teile ganz wesentlich ver-
mindert und noch sonstige bedeutente Vorteile erzielt
würden. Hessen sähe ja schon jetzt in seinem Budget,
daß der gethane Schritt vorteilhaft für es gewesen sei,
und es gebühre der Großh. Regierung das Verdienst,
daß sie diese Vorteile mit Weisem Blick von vornherein
richtig erkannt und bewertet habe. Wie Hessen seiner
Zeit der erste Staat gewesen wäre, welcher sich dem Zoll-
verein angeschlossen habe, so habe es auch durch den Ab-
schluß des Gemeinschastsvertrags bewiesen, daß es sich
auf der Bahn des Fortschritts befinde. Es spreche sich aber
auch in diesem von dem Großherzogtum Hessen unternom-
menen Schritt ein ivesentlicher Faktor > der deutschen Ei-
nigkeit und Zusammengehörigkeit aus und in diesem idea-
len Sinne befinde sich Hessen in einem wohlthu en-
den Gegensätze zu einem anderen großen deut-
schen Bundesstaat, von dessen leitender Stelle kürzlich
dem Bestreben nach einer gleichen Vereinbarung ein „Nie-
mals" entgegengerufen worden sei. Er könne demgegen-
über nur auf das Wort Hinweisen, welches einst Napoleon
auf sein Jamais! geantwortet worden sei, auf das Wort:
„ls samais u'oxist« pas!"
Gemeint ist mit der letzteren Aeußerung Bayern,
dessen leitender Minister sich unlängst entschieden gegen
eine Eisenbahngemeinschaft mit Preußen ausgesprochen
hat. Wenn nun ein hochgestellter preußischer Eisenbahn-
beamter sich indigniert darüber ausläßt, so ist das, wie
die „Frkf. Ztg." hervorhebt, ein Beweis dafür, daß die
Erklärung des bayerischen Ministers in Preußen unan-
genehm enttäuscht und verstimmt hat.

Dentschss Reich.
— Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht den Wort-
laut eines zwischen der Reichspost Verwaltung
und der König l. Württembergischen Post?
Verwaltung abgeschlossenen Uebereinkommens, wonach
vom 1. April 1902 ab für das Gesamtgebiet der beiden
Po st Verwaltungen einheitliche Postwertzeichen
zur Einführung gelangen mit dem Vordruck: Deutsches
Reich. Das Uebereinkommen gilt bis 1. März 1906
unkündbar. Von diesem Zeitpunkt ab steht jeder der bei-
den Postverwaltungen einjähriges Kündigungsrecht am
Schluß des Rechnungsjahres zu. Vom 1. April 1902
ab werden die bisherigen Postwertzeichen von beiden
Po st Verwaltungen außer Kurs gesetzt.
— Das „Armseverordnungsblatt" veröffentlicht
einen Dank des Kaisers an die Chinatruppen.
— Professor Ferdinand Frhr. v. Richthofen, dem
der Kaiser die jüngst auch Rudolf Virchow zuteil gewor-
dene g r o ß e M e d a i 11 e f ü r W i s s e n s ch a f t ver-
liehen hat, ist der bekannte Berliner Geograph und For-
schungsreisende. Zu Karlsruhe in Schlesien geboren,
steht er im 68. Lebensjahre. In den sechziger Jahren
hat er als Geologe die preußische Expedition nach Japan,
China und Siam begleitet, Java die Philippinen und
Hinterindien besucht, ging von dort nach Kalifornien
Nevada, 1868 nach Shanghai und widmete sich vier
Jahre hindurch der Erforschung Chinas und eines Teiles
von Japan. Nach Europa zurückgekehrt, arbeitete er dis
Ergebnisse dieser Reisen in Werken von anerkannter Be-
deutung aus. 1876 wurde er zum ordentlichen Professor
der Geographie in Bonn ernannt, ging 1883 nach Lerps-
zig und 1886 nach Berlin. Geh. Regierungsrat Dr.
Phil. Frhr. v. Richthofen ist Ehrendoktor der medizinischen
Fakultät der Universität Heidelberg.
Bade«.
— An der auf kommenden Sonntag nach Offen-
burg anberaumten Zentrumsversammlung
fällt auf, daß keine Tagesordnung angegeben ist. Was
die vom „Bad. Beob." abgedruckte Aufforderung zu
zahlreichem Besuch unter allgemeinen Redensarten vor,
der Wichtigkeit der Zusammenkunft weise verschweigt,
das giebt der „Ettl. Landsmann" wieder ziemlich offen-
herzig zu erkennen: „Wir zweifeln keinen Augenblick
daran, daß die Landesversammlung in Offenburg einmü-
tig und mit Begeisterung (!) der Parteiführung (d. h.
Wacker) ihr vollstes Vertrauen und der seit Jahren
mit Erfolg angewendeten Wahltaktik ihre ganze Billi-
gung und Zustimmung aussprechen wird." Da haben
wir's ja! Wie zum Hohne werden diejenigen eingela-
den, doch ja zu erscheinen, welche eine abweichende Mei-
nung haben; aber die seien gewöhnlich nicht da oder sie
schweigen, „weil sie entweder ihre Sache nicht für ka-
pitelfest halten oder den Mut nicht besitzen, sie zu vertre-
ten". Die Versammlung hat also den Zweck, die Widev-
sacher Wackers zu ducken, und sie wird, wie schon ge-
sagt, mit dem vollen Triumphe des Parteigewaltigen
enden.
Karlsruhe, 5. Nov. Eine von den sozial-
demokratischen Abgeordneten Mannheims
geführte Abordnung der dortigen Notstandskom-
m i s sion ist heute vom I u st i z m inister und dem

Kleine Zeitung
. — Darmstadt, 3. Nov. Die hessischen Gerichte gehen
?8e>, Milch fälsch er sebr stramm vor. In einer der
^ten Sitzungen des Schöffe,igerichls wurde die schon öfter
^ken Milchfälschung vorbestrafte M'lchbändlerin Henriette
sMer Witwe von Roßdorf mit fünf Wochen Ge-
^ügnis und mit 600 Mark bestraft, und deren Sohn
Witzler, der bei ihr im Geschäft thätig ist. mit einer
^dsirafe von 300 Mark belegt. Dieselben brachten Mllch
wenigstens 30 Prozent Wassirzusatz zum Verkauf. Auf
h E Frnge, warum die Angeklagte beim Milchhandcl Wasser
^führte, erklärte dieselbe, dies geschehe, um die Gesäße
^ ZU halten.
Würzburg, 4. Nov. Ein frecher Raubanfall

^wr einigen Tagen auf die Freiin v. Truchseß-Wetzhau-

ft.
— 'L,- , . . ,
öer ^ Worden. Die alleinstehende Dame suchte m
h^Zeitung ein Dienstmädchen, das zugleich Vertrauens-
'wen ^in sollte, und bald meldete sich ein dem Anscheine
^ gebildetes Mädchen, das gute Zeugnisse vorlegte.
Bewerberin wurde angagiert und mußte bei ihrer
schlafen. In der ersten Nacht des Dienstes er-
gxä'w der lleberfall auf die Dame. Sie wurde am Halse
und geknebelt, aber infolge ihrer heftigen Gs-
ließ der Räuber von ihr ab. lieber den Thäter
fioch völliges Dunkel, Thatsache scheint, daß das
ich j Mädchen in die Affaire verwickelt ist, denn es ist
öch^^' Nacht spurlos Vers ch"'unden. Im Hause wur-
ch(,x ^buren gesunden, die auch auf die Anwesenheit
hgj ch-Nannesperson schließen lassen. Dis Untersuchung
^ jetzt noch nichts Greifbares ergeben.


— Berlin, 5. Nov. Der Polizeibericht meldet, daß
gestern in Berlin fünfPersonenin ihren Wohnun-
gen erhängt aufgesunden wurden.
— Braunschweig, 4. Nov. In Bleckenstedt erkrank-
ten sechs Personen nach dem Genuß von Eierkuchen an
Vergiftungserscheinungen: der Gastwirt Sebesse, seine
Frau, ein Sohn, eine Schneiderin sind gestorben, die
übrigen wurden gerettet; man vermutet Giftmord.
— Koburg, 5. Nov. Heute Mittag 12 Ubr fand in
der Hofktrche die Vermählung der Prinzessin Marie von
Hohenlohe-Oebringen mit dem Intendanten der
Braunschweiger Hofbühne, Frhrn. v. Wan gen beim,
statt. Unter den Glückwunschtelegrammen befindet sich auch
eines vom Kaiser.
— Paris. 4 Nov. Abbä Bonnel verkündete wäh-
rend des Sonntags - Gottesdienstes von der Kan-
zel herab, daß er^ Protestant geworden ist
und als Pastor sein Seelenhirtenamt fortsetzen werde«
— Paris, 6. Nov. SantosDumont trat aus
dem Aeroklub aus, weil viele Mitglieder der Preis-
kommission erklärt hatten, daß sein Luftschiff das Pro-
blem der Lenkbarkeit in keiner Weise der Lösung näher
gebracht habe. — Der Industrielle Deutsch kündigt an,
daß er einen neuen Preis für die Erfindung eines lenk-
baren Luftschiffes mit noch strengeren Bestim-
mungen errichten werde.
—> Ein türkischer Konsul als Entführer. Aus
Galatz kommt die Nachricht, daß dort der türkische Konsul
in Tulcea, Nazmi Effendi, mit einer Hutmachcrsfrau,
Mutter von fünf Kindern, durchgebrannt ist!! Die Flücht-
linge, welche das kleinste Töchterchen der Pflicht- und ehr-

vergessenen Frau mit sich genommen haben, hielten sich
erst fünf Tage in einem Galatzer Hotel versteckt und haben
sich dann in das Ausland, vermutlich nach Anatolien,
gewendet. Der Gatte der Entflohenen, der Hutmacher
Jonescu, rief die Hilfe der türkischen Gesandtschaft in
Bukarest an, doch konnte ihm diese nur mitteilen, daß sie
von dem Aufenthalte Nazmi Efsendis — nichts wisse.
Einige behaupten, daß der verschwundene Konsul beim
Ministerium des Aeußern in Konstantinopel einen regel-
rechten Urlaub genommen und für seine Dulcinea per-
sönlich eine türkischen Paß besorgt habe.
— Internationale Ballonfahrten. Am Donnerstag,
den 7. November findet in den Morgenstunden eine inter-
nationale wissenschaftliche Ballonfahrt statt. Es steigen be-
mannte und unbemannte Ballons auf in: Trappes Paris,
Straßburg, München, Wien, Krakau. Bath, Berlin, St.
Petersburg, Moskau. Der Finder eines jeden unbemannten
Ballons erhält eine Belohnung, wenn er der jedem Ballon
üeigegebenen Instruktion gemäß den Ballon ijpd die Instru-
mente sorgfälltig birgt und an die angegebene Adresse sofort
telegraphisch Nachricht sendet. Auf eine vorsichtige Behand-
lung der Ballons und Jnsftnmente wird besonders auf-
merksam gemacht. Um Jrrtümer zu vermeiden, wird da-
rauf hingewiesen, daß für Hilfeleistungen beim Landen
eines bemannten Ballons besondere V-rgütungsn bezahlt'
werden, deren Höhe jedesmal vom Ballonführer festge-
stellt wird.
 
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