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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 282 - 305 (2. Dezember 1901 - 31. Dezember 1901)
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„Er »Ei. MM MM.


Dienstag, 24. Dezember 1901. Erste« Blatt. 43. Jahrgang. — ür. 301.

Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in'S Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Psg. Durch die Post be-
zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.
Anzeigenpreis: 20 Psg. die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen an bestimmt
vorgeschriebeuen Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Inserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

k
L
E


Des Weihnachtsfestes wegen erscheint die
nächste Nummer am Freitag.
Chronik.
(Vom 8. bis zum 21. Dez.)
Dez. 8.: In der französischen Presse wird im Anschluß an
die Rede des sranz. Deputierten Massabuau ohne
patriotische Geniertheit das etwaige Bündnis mit
Deutschland erörtert. Dabei kommt ein starker Eng-
länderhaß der Franzosen zutage.
„ 9.: Die Ansiedlung von Buren im deutschen Schutz-
gebiet in Südafrika hat so zugenommen, daß die Aus-
gaben für die deutschen Schulen dort merklich wachsen.
„ 10.: Der österreichische Ministerpräsident v. Kröber
deutet an, daß ein folgendes Ministerium einen
Staatsstreich machen müsse, wenn das Abgeordneten-
haus arbeitsunfähig bleibt.
„ 10.: Der Reichskanzler lehnt im Reichstag das nähere Ein-
gehen auf die Wreschener Vorgänge av', konsta-
tiert aber, daß die russische und die österreichische
Regierung Alles gethan, um für die Ausschreitungen in
Warschau und Lemberg Genugthuung zu geben.
, 10-: In Stockholm bezw. in Christtania findet die Ver-
teilung der Nobelpreise statt. Die deutsche Wissen-
schaft wird durch Verleihung von Preisen an Behring,
Röntgen und van t'Hoff ausgezeichnet.
„ 12.: In Breslau findet in Gegenwart des Kaisers die
Enthüllung eines Denkmals für den Großen Kur-
fürsten statt.
, 13.: Polnische Studenten in Berlin demonstrieren gegen
Prof. Schumann in dessen Kolleg.
, 14.: In der Verfass» ngs-Kommtssion der Zweiten
badischen Kammer ergiebt sich Aussicht auf Verständi-
gung unter d.n Parieren.
1b.: Das Telegraphieren ohne Draht von Irland
nach Amerika scheint geglückt zu sein.
„ 15.: Der russische Großfürst-Thronfolger trifft am Pots-
damer Hoi zu einem Jagdbesuch ein.
, 16.: Lord Rosevcry hält in Chesterfield eine Rede,
worin er seinen Wiedereintritt in das politische Leben
in Aussicht stellt. Viele sehen in ihm den zukünftigen
Premier und vermuten eine Umbildung der Partei-
verhältnisse.
17 : Die Zweite bad. Kammer beginnt eine Debatte über
die Arbeitslosigkeit.
. 18.: Der Burenführer Kruitzinger ist in englische Ge-
fangenschaft gefallen.
_ 18.: Der Kaiser hall anläßlich der Vollendung der
Berliner Siegesallee eine sehr bemerkenswerte, wenn
auch inhaltlich stark angefochtene Rede über Kunst und
künstlerisches Schaffen.
19.: Bet Altenbeken passiert ein großes Eisen-
bahnunglück dadurch, daß ein Güterzug auf einen
infolge eines Unfalles auf der Strecke haltenden V-Zug
fährt.
„ 21.: Der Bad. Landtag geht in die Weihnachtsferien.

Keine neue Jestung am Gberryein.
Wie die „Allg. Ztg." hört, handelt es sich bei den
geplanten neuen Befestigungen am Oberrhein nicht um
die Anlage einer neuen Festung bei Müll he im, wie
vielmehr um die Verstärkung der unzulänglichen, ge-
mauerten Turmbefestigungen der Eisenbahnbrücke bei Hü-
ning en und namentlich um die Anlage von Befestigungen
bei Leopoldshöhe auf dem Südhang der Höhe von
Tüllingen; dieselben scheinen dazu bestimmt, das Rhein-
thal bei Hüningen und an der Schweizer Grenze unter
Feuer zu nehmen, und namentlich die ausschließlich aus

strategischen Gründen erbaute deutsche Umgehungsbahn der
Schweiz und das wichtige Defils des unteren „Wiesen-
thals" zu beherrschen und einem westlichen, von Belfort
über Hüningen oder etwa durch die Schweiz bei Basel
vordringenden Gegner den Weg zu sperren. Die südliche,
bisher Belfort gegenüber etwas exponierte Ecke unserer
starken Rheinfront würde dadurch ihren gesicherten Ver-
teidigungsabschluß erhalten, und cs schurrt bei den betref-
fenden Anlagen nur um Eisenbahnsper rbesesti-
gungen, nicht aber um die Anlage einer Festung zu
handeln, was genügt, um eine französische Diversion von
Belfort her gegen Süddeuischland möglichst zu erschweren.

Deutsches Reich.
— Der Künstlerabend beim Kaiser erhielt, wie der
„Täglichen Rundschau" nachträglich noch erzählt wird,
euren besonderen Reiz dadurch, daß er nicht in den Prunk-
räumen, sondern in der Kaiserlichen Privatwohnung
stattfand. Der Raum, in dem man sich versammelte war
der ovale Pfeilersaal, den Friedrich der Große umbauen
ließ. Die Tafel war in dem sehr wohnlichen Seisefaal
anfgebaut. Dieser wurde 1888 von Geheimrat Ihne
nmgestaltet. Er besitzt ein Deckengemälde von Kober-
stein und ist von Otto Lessing, der neulich wegen Krank-
heit der Feier fernbleiben mußte!, im Schlüterschen
Barockstil ausgestattet. In den Vouten zeigen sich aller-
liebste Kindergruppen, und die Wände schmücken alte
Gobelins, die schon lange in königlichem Besitz waren mrd
bei der Einrichtung des Saales aus der Verborgenheit
hervorgezogen wurden. Die Gäste saßen an einer ein-
zigen lanaen Tafel. Die Speisekarte zeigte die von Zwei-
gen umgebenen Wappen des Kaiserpaares, über den
Wolken schwebend, darüber die umstrahlte, von Genien
gehaltene Kaiserkrone, darunter eine Putte mit der Frie-
denspalme. Die Speisenfolge lautete: Russische Suppe,
Forellen, Kalbsrücken garniert, Rehschnitte aus italieni-
sche Aist, getrüffelte Kapaunen, Früchte, Salat, Frische
Artischoken, Aprikosenauflauf, Käsestangen, Nachtisch. -—
Die Rede des Kaisers machte einen großen Eindruck,
obgleich'die von ihm entwickelten Ansuchen niast durchweg
Zustimmung fanden. Man erörterte an der Tafel leb-
haft einzelne Gedanken der Rede und auch später svur-
den noch in Gegenwart und unter Teilnahme des Kaisers
selbst seine Kunstanschauungen besprochen. Mge-
mein anerkannt wurde das geradezu ideale Verhältnis,
in dem von Anfang bis zu Ende der Kaiser als Auftrag-
geber zu seinen Künstlern gestanden hatte. Der Kaiser
sprach sich gelegentlich sehr scharf gegen die fabrikmäßige
Herstellung von Denkmälern aus. Mit Interesse hörte
er, daß der Wettbewerb um das Hamburger Äismarck-
denkmak bei Bildhauern und Architekten eines außer-
ordentliche Teilnahme gefunden habe. Dabei wurde er-
zählt, daß ein Künstler den Altreichskanzler als Herkules
dargestellt habe, nur mit einem Löwenfell umgürtet. Der
Kaiser verließ die Gesellschaft nur einmal mit dem Geh.
Kabinetsrat v. Lucanus, um mit diesem amtliche Dinge
zu besprechen. Dann kehrte er nach dem Heinrichsbau
zurück.
— Eine von etwa 800 Frauen besuch:'-? vsl,.rsche Ver-
sammlung in Berlin beschäftigte stch am -2. ds. mit
den Wreschener Vorgängen und nahm eme
Resolution an, welche den Verurteilten ihre Symathie

ansdrückt, gegen den Knüpppel als Leh.n'.ilnt vrotestiert
n'd es als Verpflichtung aller polmschwr Mlnrec erklär^
ihre Kinder nur Polnisch lesen zu lassen und füv
nationalpolnische Erziehung zu sorgen. Die Sammlun-
gen für die Wreschener Verurteilten haben 110 000 Mk«
ergeben, wovon 40 000 Mark auf Deutschland entfallen«
— Gegen den früheren Vorsitzenden der Landwirt-
schaftskammer in Posen, Major a. D. Enücll,. einen be-
kannten Agrarier wurden seit einiger Zeit V-cwürse er-
hoben, wegen angeblich nicht einwandfreier Führung dex
Kassengeschäfte. Die Vorwürfe erneuerten stch als En-
del! trotzdem wieder als Mitglied der Landwirtschafts-
kammer gewählt wurde. Wie jetzt aus Posen gemeldet
wird, legte Endell sämtliche Aemter in dw Landwirt-
schastskammer und im Bund der Landwirte nieder. Eben-
so schied er aus dem deutschen Landwirt'chastsrat un8
dem preußischen Landesökonomiekolleginm anS
Bade».
L.6. Karlsruhe, 23. Dez. In Anlehnung an die
in anderen Staaten bestehenden Einrichtungen soll jetzt
auch in Baden ein landesherrlicher Disposi-
tion sfond geschaffen werden, dessen Mittel zu Gnaden-
bewilligungen des Landesherrn bestimmt sind. Beispiels--
weise sollen daraus Beihilfen zu gemeinnützigen und Wohl-
fahrtsveranstaltungen, sowie zu wissenschaftlichen und künst-
lerischen Zwecken, ferner Beihilfen und Unterstützungen aw
Beamte und deren vHinterblicbcrie bestritten werden. Auch
können aus demselben außerordentliche Dienstzulagen aw
obere Beamte der Eisenbahnverwaltung oder
sonstiger technischer Verwaltungszweige, wenn dteS zur
Gewinnung und Erhaltung tüchtiger Kräfte nötig sich er-
weist, bewilligt werden.
— Die Landtagsersatzwahl für Karlsruhe-
Land findet am 3. Januar im Rathaussaalc in Karls-
ruhe statt. Als Wahlkommiffär fungiert Landeskommiffär
Braun.
— Aus Lörrach kommt die Nachricht, daß Abg.
Markus Pflüger von einem Schlaganfall be-
troffen wurde. Obwohl sich der Zusta^ etwas gebessert
habe, stehen für die Zukunft doch die^schlimmsten Be-
fürchtungen bevor, da seit einigen Tagen eine geistige
Depression eingeircten ist.

Ans dev Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Grobherzog haben dem:
Königlich Preußischen Generalmajor z. D. Ritter von Lang--
cham ps-B erie r den Stern zum innehabcnden Kommandeur-
kreuz zweiter Klasse des Ordens vom Zähringer Löwen ver-
liehen.
— Seine Königliche Hoheit der Grobherzog haben dem
nachgenannten Königlich Preußischen Offizieren, und zwar dem
überzähligen Haupimonn Retnhold Laas im Infanterie-Regi-
men: Nr. 132 und vem Rittmeister Erich Mackensen»
Eskadronchef im Braunschweigischen Husaren-Regiment Nr. 17°
das Ritterkreuz zweiter Klasse mit Eichenlaub des Ordens vom
Zähringer Löwen verli hen.
- Seine Königliche Hoheit der Grobherzog haben den-
nochgenannten Königlich Preußischen und Königlich Württem-
bergischcn Offizieren das Ritterkreuz zweiter Klaffe m-t Eichen-
laub des Ordens vom Zähringer Löwen verliehen, und zwar:
den Oberleutnants A n der s im Infanterie-Regiment Nr. 171,
Neu mann, RegimrMsadjutanten im 6. Badischen Infanterie-
Regiment Kaiser-Friedrich 111. Nr. 114, von Harn! er im 1.
Badischen Leib-Dragoner-Regiweirt Nr. 20, Hammacher im L

Weihnacht.
Alle Lichter aus den Gaffen
voll des Lebens lautem Prunk
Müssen heut zur Nacht verblassen.
Daß aus Dust und Dämmerung
Sich der Liebe Sterne neigen
Mit geheimnisvollem Auß,
Und aus andachtsvolles Schweigen
Thau' der Gnade Ueberfluß.
Liegt in ahnendem Erwarten
Doch die weite Erde da
wie ein brauner Frühlingsgartcn,
Dem der Schritt des Säers nah.
Und wird seine Hand ihn segnen,
Giebt's ein Schwellen überall;
Anospen, Blüten wird es regnen
Bei des Engelwortes Schall.
Mit des Frühlingsgartens Hoffen
Sind die Seelen heut erfüllt,
Denn nun ist der Himmel offen
Und die Gottheit wird enthüllt.
Denn die Liebe steigt hernieder
Und macht alles warm und licht, --
Sphärenklänge, Lrdenlieder —
Alles wird ein Lobgedicht.

Und die Aerzen an den Bäumen,
Die ein gülden Netz umspinnt.
Und der Treue stilles Träumen,
Die des Nächsten Freude sinnt:
Alles ist ein Mpferwille
An der Liebe Festaltar, —
In der tiefen Weihnachtsstille
Loht die Flamme hoch und klar.
Anna Behnisch-Uappstein.

StadLtheüLer.
--- Heidelberg, 23. Dez.
„Faust." Eine Tragödie von Goethe. Erster Teil.
Zweite Abteilung. Gastspiel des Frl. Heinrich.
lieber all unserer Geschäftigkeit scheint — wie goldne
Abendwolken über einer dunstigen Ebene — ein Reich sich zu
breiten, aus dem leuchtende Strahlen sich niedersenkcn und
uns zu treffen wissen. Urrd diese Bestrahlung kann all unsre
innere Musik Wecken. In diesem Reich hat Goethes Fanstwcrk
seine Stelle. Frl. Heinrich hat sich heute zum Munde
Goethes gemacht. Sie ist allen Gefühlen der dichterischen Ge-
stakt bis in ihre feinsten Verästelungen nachgegangen; sie be-
herrscht die ganze Psychologie des Gleichen. Und aus dreier
Klarheit über das Ganze ist ihr die Kraft erwachsen, mit
Stimme und Miene, Auge und Geste das Brld zu gestalten,
das zu mächtiger Gegenwart heute vor uns aufwuchs.
Um das Herz dieses Mädchens recht zu offenbaren, hat
Goethe zweimal ein wundervolles Mittel angewandt: er läßt
sie ein altes Lied und ein Gebet sprechen, mrd wie sie mitte,r
darin begriffen ist, wird es ihr, als sänge sie nicht mehr nnd
betete sie nicht mehr, diese alten Worte werden zur Stimme
ihrer eigenen Gefühle, die sie bis dahin nicht hat sagen kön-
nen. Es war tiefe Freude, Frl. Heinrich irr diesen beiden Mo-

menten folgen zu können, wie auch sonst jedes Wort ge-
spannter Beachtung wert war. Alle Elemente von Gretchens
Wesen, zum höchsten Stil erhoben, offenbart dann die Kerker-
scene. Abbilder aller Züge ihres Wesens, umloht vom düster»
Feuer das Wahnsinns, reihen sich hier zum großartigsten Sym-
bol ihrer Gestalt zusammen. Von Zug zu Zug folgten wir der
Darstellerin mit Gefühlen der Ruhe und Ergriffenheit, die
darin, wenn alles vorbei ist, rrur das Urteil zrrlassen: Hier
wurde große Kunst geübt.
Herr Brandt fühlte sich als Kundschafter Fausts und
- in Marthes Garten sehr viel Wähler als neulich in Fausts
Studierzimmer. Er war sicher und hatte viele sehr schöne
Momente; ich erinnere an die Stelle vom Verbleib des
Schmuckkästchens („Die Kirche hat einen" usw.) und an den
Bericht: „Sie steht am Fenster, sieht die Wolken ziehen." Cr
fmrd reichen Beifall. Nicht ganz glücklich war heute Herr R u-
dolph. Er fetzte gleich mit starken Ueberschwänglichkeiter,
ein, verfiel in der Bekenntnisszene in einen etwas naiven
Ton, und von der wundervollen Ergießung des Gefühls (»Er-
habner Geist, du gabst") kam zu recht schöner Geltung nur
der Schluß: „O daß dem Menschen nichts Vollkommenes wird".
Auf der Höhe stand die Einleitung zur Valentinsszene und der
Ausbruch der Verzweiflung in den Szenen „Trüber Tag.
Feld." mrd „Nacht. Offen Feld", die in eine zusammengezogen
wurden. Herr Bernau gab einen einfachbiederen, braven
Valentin. Die Marthe des Frl. Jelly war im Hause wie
im Garten gleich unterhaltend und erfreulich. Den bösen Geist
sprach Frl. Hohenau recht wirkungsvoll. Nächst der Ker-
kerszene machte diese Domszerre den tiefsten Eindruck. Das
Ganze dieser Darstellung der Gretchentragödre war das Beste,
das wir seit Langem hier gesehen haben. K. W.

Fest, wo es gilt, sich selbst bezwingen; ,
Schnell, wo es gilt, der Mcrhrh-it Opfer bringen;
Treu, wo es gilt, der Lied' und Freundschaft leben;
Groß, wo es gilt, dem Feind vergeben.
 
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