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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 204 - 228 (2. September 1901 - 30. September 1901)
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Montag, 23. September IM.

Erstes Blatt.

43. Jahrgang. — Ar. 222.

Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich SO Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be-
zogen vierteljährlich 1.3S Mk. ausschließlich Z"">ügebühr.
Anzeigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen an bestimmt
vorgeschricbenen Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Inserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den Plakatsäulen. Fernsprech-Anschluß Nr. 82.



Das französisch-russische Bündnis.
Die Wiener „Allgemeine Zeitung" erhält von unter-
richteter Seite folgende Mitteilung über Entstehung und
Inhalt der russisch-französischen Allianz. Die
^ronstädter Tage von 1891 brachten eine Militärkonvention,
die ausdrücklich Deutschland nennt und festsetzt, daß Frank-
reich und Rußland einander im Falle eines Angriffes mit
bestimmten Kontingenten zu Hilfe kommen sollen. Im
Jahr 1897 wurde die Konvention in eine förmliche Allianz
umgewandelt. Der franz.-russische Vertrag ist ein
Wirklicher Bündnisvertrag und dem deutsch-
österreichischen Vertrage nachgebildet. Er hat
sinen rein defensiven Charakter und setzt zum Unter-
Ichied von der Militärkonvention fest, daß sich beide Staaten
Uicht nur mit einem Teile, sondern mit ihrer ganzen
Heeresmacht im Falle eines Angriffes zu Hilfe kommen
sollen. Ferner wird festgesetzt, daß beide Staaten nur
Un gegenseitigen Einverständis Frieden schließen. Im
Allianzvertrage wird nicht mehr eine bestimmte Macht ge-
scannt, gegen die sich das Bündnis richtet, sondern nur
cm Allgemeinen von einem Angriff gesprochen.
Das Bündnis ist ans eine bestimmte Reihe vonJahren abgeschlos-
sen und erneuert sich immer von selbst. Schließlich enthält
oer Vertrag die Betonung des defensiven Charakters des
Bündnisses und bezeichnet als Zweck desselben die Auf-
^chterhaltung des Friedens.
Für die Richtigkeit der obigen Mitteilungen der Wiener
Plätter spricht sehr Vieles. Es gab eine Zeit, in der die
gMizösischen Diplomaten vollen Ernstes einen deutschen
Angriffskrieg befürchteten. In Deutschland weiß man
b'ohl, daß diese Furcht ganz unbegründet war, allein sie
bestand in Frankreich und sie hat wesentlich dazu beige-
Argen, daß Frankreich sich so nachhaltig um das russische
^ündnis bemühte. Für einen großen Teil des französischen
Volkes war das Wertvollste an dem Bündnis der Revanche-
bedanke, den es daran knüpfte. In den letzten Jahren hat
b>e Kraft dieses Gedankens sich abgeschwächt. Immerhin
Ucrd es interessant sein, zu beobachten, wie die Wiener Ent-
hüllung über den rein auf Verteidigung gerichteten Charak-
^ des Bündnisses auf das französische Volk wirkt.

Das Zarenpaar in Frankreich.
Das Zarenpaar hat den französischen Boden wieder
Erlassen. Die Berichte über die letzten vierundzwanzig
stunden seiner Anwesenheit dortselbst haben durch den
Acschen liegenden Sonntag von ihrer Frische cingebüßt.
Acr wollen uns deshalb ganz kurz fassen und nur das
öffentlichste mitteilen.
Nach dem Festmahl im Schloß Compisgne am Freitag
»terhielt sich der Zar mit den früheren Ministerpräsiden-
^ Ribot und Dupuy, mit dem früheren Minister des
üiswärtigen Hanotaux und mit dem Dichter Rostand.
^ ct Bourgeois, der Frankreich aus der Friedenskonferenz
y?.,Haag vertreten hatte, besprach der Zar deren Ergeb-
^Üe und meinte: „Wir müssen Geduld und Ausdauer ha-
dann werden sich die Früchte bald zciglir, das ist
c>ne feste Ueberzengung." Dann gab es eine theatralische
^"Vorstellung mit einer Huldigung für das Zarenpaar. >

Kleine Zeitung.
^ Off Hochschnlnachrichten. Berchtesgaden, 21. Sept.
Professor der Rechte an der Münchener Universität.
. yenurat v. Sicherer, ist in der vergangenen Nacht
^ gestorben.

Frankfurt a. M., 21. sept. Eine gestern Vor-
Ilelt - cwrgenommene amtliche Besichtigung der Unfall-
Zt/.?cc der Großen Frisdbergstraße führte laut „Frtf.
esiff Au der Annahme, daß die nenliche Explosion auf
Der ^ eff e k t der Gasleitung zurückzuführen ist.
bljtzg, rrat an Spiritus und Benzin ist unberührt ge-

Worms, 21. Sept. .Kurz nach 4 Uhr stürzte
der Gebr. Hartenbach ,das bereits unter
c e r iürnd. e i n. Fünf Personen wurden verschüt -
ih^ ' Die beiden Brüder Hartenbach, ein Verwandter von
>wird > gleichen Namens sowie der Maurer Junker
^ff.cclsbald cnit weniger schweren Verletzungen aus
tenh^üchmern hervorgezogsn. Einer der Brüder Har-
cst bereits ins Krankenhaus überführt Warden,
Ms > "^cr wurde der letzte, Maurer Jung, schwer verletzt
gehc^n Trümmern hervorgezogen und ins Krankenhaus

bof^ff^Wicn, 21. Sept. Der ehemalige Professor Leo-
ch e n k , der bekanntlich eine Theorie der Ge-
iDwinr ^ffcimmung aufgestellt hat, hat gegen die anti-
Zejn, chvn Blätter „Deutsches Volksblatt" und „Deutsche
c»edich'D-' die ihn anläßlich der Besprechung des jüngsten
best'.cccchen Kongresses angegriffen hatten, Ehren-
^ d c gunqsklage erhoben,
sich -7 Pest, 21. Sept. Erzherzog Friedri ch befand
Begleitung dreier Personen, darunter des Ober-

Die letztere bestand in einem von Rostand verfaßten Ge-
dichte, das vor der eigentlichen Vorstellung von einer Schau-
spielerin vorgetragen wurde.
Nach der Vorstellung, die ohne Zwischenakt gegeben
wurde, ließ sich der Zar die Schauspieler durch den Di-
rektor Jules Clarelie vorstellen und lud sie ein, nach Pe-
tersburg zu kommen. Um 11 Uhr zog das Kaiscrpaar sich
zurück.
Am Samstag Vormittag erschien das Zarenpaar mit
Loubet zur Parade bei Bethany. Es standen große Trup-
penmassen in der Parade. Trotz vorhergegangener großer
Anstrengungen hielten sich die Truppen ausgezeichnet. Na-
mentlich die Reiterei soll einen sehr guten Eindruck gemacht
haben. Das Publikum rief begeistert: „Es lebe Rußland;
es lebe der Kaiser!" Die Tribünenplätze waren im Han-
del bis auf 100 Francs hinaufgegangen.
Nach der Parade kam die Hauptsache, nämlich die
Trink spräche beim Paradeessen. Loubets Trinkspruch
lautete:
Sire, indem ich Eurer Majestät namens der fran-
zösischen Republik den Dank ausspreche dafür, daß
Sie geruht haben, dem erhebenden Schauspiel dieser
Tage beizuwohnen, lenkt mein Gedanke auf den gro-
ßen Politischen Vorgang zurück, der ihnen vorange-
gangen ist und der ihnen ihre ganze Bedeutung ver-
leiht. Vorbereitet und geschlossen von Ihrem erlauch-
ten Vater, dem Kaiser Alexander III., und dein Präsi-
denten Carnot, feierlich kundgegeben an Bord der
„Pothuan" durch Eure Majestät und Präsident
Faure, hatte das Bündnis Rußlands mit
Frankreich Zeit, seinen Charakter zu
bekräftigen und seine Früchts zu tragen. Wenn
niemand an der wesentlich friedlichen
Idee, aus welcher es hervorgegangen ist, zweifeln
kann, so kann auch niemand verkennen, daß es mächtig
beitrug zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwi-
schen den europ. Mächten n.zn der notwend. Bedingung
des Friedens, der, um fruchtbar zu sein, nicht unsicher
bleiben konnte. Das Bündnis entwickelte
sichmitdenJahren (Bewegung) und die Fra-
gen, die aufgetaucht sind, fanden es wachsam und ent-
schlossen, seine eigenen Interessen und die allgemeinen
Interessen der Welt versöhnend, fanden es ferner g e-
mäßigt, weil es stark war und im Voraus für die
Lösungen gewonnen, die von der Gerechtigkeit und
Menschlichkeit eingegeben sind. (Bewegung.) Das
Gute, was es gestiftet, ist ein Unterpfand des Guten,
was es noch stiften wird, und im vollen Vertrauen
darauf und des edlen Begründers des Werkes pietät-
voll gedenkend, das dem heutigen Tage herrliche Weihe
verleiht, erhebe ich mein Glas auf den Ruhm und das
Glück Eurer Majestät, Ihrer Majestät der Kaiserin
und der ganzen kaiserlichen Familie, sowie auf die
Größe und das Gedeihen des Frankreich befreundeten
und verbündeten Rußlands.
Die russische Hymne wurde hierauf gespielt.
Der Zar erwiderte:
Herr Präsident! Im Augenblicke, da wir Frank-
reich, wo wir wieder so herzliche und warme Aufnahme
genossen haben, verlassen, liegt uns am Herzen, Ihnen
unsere aufrichtige Dankbarkeit und lebhafte Bewegung
auszudrücken. Wir, die Kaiserin und ich, werden
stets die kostbaren Erinnerungen dieser wenigen Tage
försters, auf einem Pürschgange bei Mohais, als plötzlich
drei Wilderer auftauchten und mehrere Schüsse ab-
gaben. Der Oberförster erwiderte die Schüsse, ohne zu
treffen. Die Wilderer entkamen. Der Erzherzog wurde
von einer Kugel am Aermel gestreift! sie zerriß den
Aermel ohne indessen den Erzherzog zu verletzen. (Erz-
herzog Friedrich ist Urenkel eines Großvatersbruders des
regierenden Kaisers, geb. 4. Juni 1856, vermählt mit
Jsabella, Prinzessin von Croy. Der Ehe sind 7 Kinder
entsprossen. D. Red.)
— Chicago, 21. Sept. Während eines Umzuges,
der am Donnerstag zu Ehren NN cKinleys stattfand,
wurden gegen hundert Personen ün Gedränge verletzt,
darunter drei schwer.
— Der greise Dichter Hermann Lingg ist. wie ans
München gemeldet wird, dortselbst besorgniserregend
erkrankt.
Die höhere Tochter. Eine junge Dame, die
eben aus dem Pensionat in die Heimat zurückkehrte, wollte
ihrem Brüderchen zu Hanse eine kleine Freuds machen.
Sie ging in einen Bazar, in der Absicht, einen „Hans-
wurst" zu kaufen. Da der „höheren Tochter" aber das
Wort „Hanswurst" zu gemein war, forderte sie zum Er-
götzen der Umstehenden ein — „Johanneswürstchen".
— Schnanferl in Nöten. Eine lustige Geschichte
passierte neulich im Elsäsischen einem Herrn und einer
Dame, die per A n t o m o b i l von Drulingen nach
Saarnnio n wollten. Als sie nämlich in der Mitte
des Weges Ware,:, wo weit und breit kein Dorf zu sehen
ist, wollte der Schnauferle, trotz aller angewandten
Mittel, plötzlich nicht mehr weiter. Was nun thnn?
Kein Mensch ringsum, nur im fernen Felde ein Bäuerlein

bewahren, die von so tief in unsere Herzen eingegrabe-
nen Erinnerungen erfüllt sind, und werden auch nach
wie vor aus Ferne und Nähe an Allem teil-
nehmen, was das befreundete Frank-
reich betrifft. Die Bande, die unsere Länder
vereinigen, haben sichsoebennochinehrgefestigtu. haben
neuerliche Weihe durch die Beweise gegenseitiger Sym-
pathie erhalten, die Sie eben ausgesprochen haben und
die in Rußland ein so warmes Echo fanden. (Be-
wegung.) Die innige Vereinigung der
bei.den großen Mächte, die von fried-
lichen Absichten beseelt sind, und die,
obgleich entschlossen, ihren Rechten
A ch t u n g z u v e r s ch a s f e n, n i ch t d ff e R e ch t e
Anderer irgendwie zu beeinträchti-
gen suchen, i st ein wertvolles Element
der Beruhigung für die gesamte
Menschheit. (Bewegung.) Ich trinke auf
das Wohl Frankreichs, der befreun-
deten und Verbündeten Nation, des
tapferen Heeres und der schönen fran-
z ö s i s ch e n F l o t t e. Lassen sie mich Ihnen, Herr
Präsident, nochmals danken und Ihnen M Ehren mein
Glas erheben.
Hierauf spielte die Musik die Marseillaise.
Es wird also jetzt von beiden Seiten offen bon dem
B ü ndnis gesprochen. Die Auslegung, die das Bünd-
nis namentlich durch den Zaren gefunden hat. ist völlig
zufriedenstellend und beruhigend. Es ist ein Friedens-
bündnis wie das deutsch-österreichische und das deutsch-
italienische. Man kann nicht leugnen, daß es das Gleich-
gewicht unter den Mächten Europas fördert. Somit darf
man es auch mit deutschen Augen als ein Friedens-
werkzeug ansehen.
Um 4 Uhr nachmittags r eiste das Zarenpaar von
R e: m s ab und zwar direkt mit der Bahn nach Kiel.
Vor dem Besteige,: des Zuges unterhielt sich das Kaiser-
Paar mit den anwesenden Persönlichkeiten. Die Kaiserin
reichte der Frau Loubets die Hand und dankte für die
erwiesenen Aufmerksamkeiten und verabschiedete sich dann
von den Gemahlinnen der übrigen Minister. Der Kai-
ser schüttelte dem Minister Andrü die Hand, drückte die
lebhafte Befriedigung aus. die Fortschritte der fran-
zösischen Armee gesehen zu haben und beglückwünschte ihn
dazu in schmeichelhaften Ausdrücken, wobei er ständig
die Hand Andrüs in der sinnigen festhielt und verab-
schiedete sich sodann von den übrigen Ministern und deren
Damen. Präsident Loubet und Fran bestiegen den Zug
mit dem Kaiserpnar. und letzteres drückte beiden wieder-
holt die Hand; dam: verließen der Präsident und Ge-
mahlin den Zug. Das Signal ertönte. Die Majestäten
grüßen, an: Wagensenster stehend, als der Zug sich in
Bewegung setzt, während die Truppen unter den
Klängen der Musik präsentieren, die Geschütze Salut ab-
feuern und brausende Hochrufe auf Rußland erschallen.
Bei der Verabschiedung von Loubet sagte der Kaiser, er
bedaure. so schnell abreisen zu müssen. Loubet entgeg-
nen, Majestät wissen, wie glücklich wir sein werden, die
Kaiserin und Sie wiederzusehen. Der Kaiser antwortete,
ich hoffe, daß wir bald wiederkommen werden.
Von der Grenzstation Pagny ans richtete der Zar
uni 10 Uhr ein D a n k t e l e g r a m m an Loubet, dessen
Schlußsatz lautet: „Ties bewegt bitten wir Sie, unseren
tiefgefühlten Dank anzunehmen und unser Dolmetsch zu
sein bei allen, die mit rührender Herzlichkeit an den
das mit seiner Kuh sein Aeckerlein bestellte. Schnauferle
konnte man auf offener Straße nicht liegen lassen, und
von Hand konnte man es auch nur schwer vorwärts brin-
gen. Kurz entschlossen begab man sich zu dem einsamen
Bäuerlein und rief es um Hilfe an. Durch ein gutes
Trinkgeld und gute Worte ließ sich der gute Mann
endlich bestimmen, den Herrschaften und dem Schnauferle
aus der Not zu helfen. Er spannte seine brave Blässe
vor den störrischen Tös-Töf und nun gings — zwar nicht
mit Schnellzugsgeschwindigkeit, aber doch Schritt vor
Schritt — die Landstraße entlang nach Saarunion zu,
allwo das seltsame Fuhrwerk mit großer Heiterkeit em-
pfangen wurde.
— Zum Gumbinner Mordprozeß >v:rd der „Natw-
nal-Zeitung" geschrieben: Die Militärbehörden scheinen
wegen der Maßregelung der Gumbinner Unteroffiziere
einlenken zu wollen, »m den üblen Eindruck ihrer
früheren Schritte abzuschwächen. Gerüchtweise verlautet,
der Unteroffizier Domning soll in ein anderes Regiment
vom 1. Oktober 1901 ab versetzt werden. Mit dem Vize-
Wachtmeister Schneider soll weiter kapituliert werden,
Wachtmeister Buppersch soll bei seinem Ausscheiden am 1.
Oktober eine Jnvalidenpension erhalten.

LitterarischeS.
—Z „Der Hunger „ach Kunst". Betrachtungen von Ar-
thur Seemann. Das Buch ist von dein Standpunkte eines
Erziehers geschrieben, der dem gebildeten Le,erkre:s eine Art
der Auffassung der Kunst und der Kunstwerke beizubringen,
versteht, die abweicht von allen „Aeußerüchkeiten" und den.
wahren Gehalt der Kunst zu erfassen lehrt. Indem der Ver-
fasser eine Abhandlung über das schreibt, was Kunst ist, gibt
 
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