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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Juli bis Dezember)

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Nr. 204 - 228 (2. September 1901 - 30. September 1901)
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Donnerstag, 26. September 1901.

Erstes Blatt.

43. Jahrgang. — Ar. 225.

Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich SO Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be-
zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausscklsthlich Z"st-llgebühr.
Anzeigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen an bestimmt
vorgeschriebenen Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Inserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den Plakatsäulen. Fernsprech.Anschluß Nr. 82.

Vom sozialdemokratischen Parteitag.
III.
Lübeck, 24. Sept.
Zur B e r n steinfrags liegen zwei Resolutionen
vor, eine Resolution Bebel und eine Resolution
Heine. Beide fordern die Aufrechterhaltung der
wissenschaftlichen Kritik und beide fordern den Uebergang
zur Tagesordnung über die gegen Bernstein gerichteten
Anträge. Nur enthält die Resolution Bebel noch einen
Tadel gegen Bernstein wegen seines einseitigen Auf-
tretens.
Die Resolution Heines lautet: Der Parteitag hält
die Freiheit wissenschaftlicher Selbstkritik für eine
Voraussetzung der geistigen Weiterentwickelung der Par-
tei. Er Hai keinen Anlaß, von den Grundsätzen der 1899
in Hannover angenommenen Bebelschen Resolution ab-
zuweichen, und betrachtet hiermit die Anträge 82, 91,
92 und 63 als erledigt.
Die Resolution Bebel lautet: Der Parteitag er-
kennt rückhaltlos die Notwendigkeit der Selbstkritik für
die geistige Fortentwickelung unserer Partei an. Aber
die durchaus einseitige Art, wie der Genosse Bernstein
diese Kritik in den letzten Jahren betrieb unter Außer-
achtlassung der Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft
und ihren Trägern, hat ihn in eine zweideutige Position
gebracht und die Mißstimmung eines großen Teiles der
Parteigenossen erregt. In der Erwartung, daß der Ge-
nosse Bernstein sich dieser Erkenntnis nicht verschließt
und danach handelt, geht der Parteitag über die An-
träge Nr. 52, 91, 92 und 93 zur Tagesordnung über.
Heute sprachen nach der „Köln. Ztg." Kants ky,
der Herausgeber der Neuen Zeit, Dr. David aus
Mainz und Bebel. Kautsky und Bebel vermissen eins
energischeAbwehr des Lobes der bürgerlichen Blätter
über Bernstein. Bernstein lasse das alles ruhig über
sich ergehen. Bebel ist überhaupt sehr beunruhigt da-
rüber, daß nun schon fünf Abgeordnete der Sozialdemo-
kratie durch ein solches Lob der Gegner, das eine Schmach
sei, wenn man es in seiner Tendenz erkenne, kompromit-
tiert würden, ohne sich zu rühren. Dr. David führte
unter starkem Beifall aus, nicht Bernstein, sondern die
Hetzer gegen ihn seien die Unruhestifter. Es sei kaum
faßbar, wie Bebel seine ganze Autorität mit solcher
Wucht auf diese Sache legen könne. Die Voraussetzungs-
lose Wissenschaft müsse Raum in der Partei behalten.
Bebel charakterisierte die Unklarheit in Bernstein; kein
Mensch wisse eigentlich, was er wolle. Das komme ein-
fach daher, daß Bernstein die Fähigkeit, sich klar auszu-
drücken, verloren habe, weil er den sicheren Boden unter
seinen Füßen verlasse und im Sumpfe wate. Wäre die
Partei Bernstein gefolgt, so wäre sie heute ruiniert. Im
übrigen hat Bebel nichts gegen eine Programmrevision
und ist damit einverstanden, wenn schon auf dem nächsten
Parteitage eine Kommission dazu eingesetzt wird. Diese
Bernsteindebatte müsse die letzte sein. Wenn Heine sage,
sie stehe ihm bis an den Hals, so sage er, sie gehe ihm
Über den Kopf. — Morgen wird diese Erörterung fort-
gesetzt werden.
Vor Fortsetzung der Bernsteindebatte wird der Be-
richt der M a n d a t p r ü f u n g s k o m m i s s i o n er-
stattet. Danach sind gegen 250 Mitglieder anwesend.
Beanstandet zur Mitteilung gelangt eine anonyme Post-
karte, auf der von Berliner Sozialdemokraten der De-
legierte Schneider-Sachsen als Streikbrecher verdächtigt

Kleine Zettrmg.
Hochschnlnachrichtcu. An der Universität Berlin
fanden, wie berichtet wird, im Studienjahr 1900
bis 1901 insgesammt 172 Promotionen, darun-
ter 54 von Ausländern, statt. 104 Herren, wovon 49
Chemiker und 13 Historiker, und 1 Dame (nordamerikq-
füsche Philologin) erlangten den Dr. Phil., 56 Herren,
barunter 23 Ausländer, den Dr. med., 2 den Lic. theol.
Auffallend gering ist die Anzahl — 9 — der Promotio-
ben in der Juristenfakultät.
— Frankfurt, 26. Sept. Der Schnellzug
Rr. 18 Berlin-Leipzig-Frankfurt ist bei der Einfahrt
fu die Station Schlüchtern, die er 12 Uhr 11 Min.
kassieren muß, aus das Ende eines gerade rangierenden
Miterzuges gestoßen, das über die Weiche hinaus
gestanden hatte. Von Passagieren wurde niemand ver-
güt, dagegen ist der Materialschaden bedeutend.
,. — In Bayern ist für die halbwüchsigen Burschen,
Ae hei den Bauernrcnnen, namentlich auch beim Mün-
Aener Oktoberfest, die Pferde reiten, der Ausdruck
pRennbub'" gebräuchlich. Die Münchener Polizei ge-
baucht jetzt aöer in einer Verordnung für das Oktober-
W «wm ersten Male den Ausdruck „Rennknabe". Die
'-Uiiicheuer nehmen diese Veredelung ihrer alten Renn-
siben mit großer Heiterkeit auf und erwarten die Be-
'örderstug der beMMten „Radiweiber" der Dräu-»
"'bei, zu RNstvduncU -
^ Lt. Johann, 26. Sep:. Prinz Tschuu ist
Nter, «lbend 1k Nt,.r mit Gefolge hier eingetroffeu.
weilte LUrmiltag wird cr ÄL Louisen-Grube. am Nach-
Dsstag das Bnrbacher Werk besichtigen. 8 Uhr nach-
wtttags erfolgt die Abfahrt nach F r u n l -

wird. Der Parteitag geht mit Entrüstung zur Tages-
ordnung über. Beanstandet ist das Mandat des Polen
Biekrewicz. Dieser verlangt Anerkennung zum min-
desten als Gäst. Dagegen protestiert Leutert-
Apolda. Wie kann der Pole die Ehren heischen, ähnlich
wie die andern Ausländer? Er komme doch nicht von
einer fremden Nation, sondern aus einem deutschen
Kreise. Wie könne er hier eine fremde Nation vertreten
wollen? Der Parteitag beschließt indessen, den Polen
als Gast zuzulassen.

Bernstein unterwirft sich äußerlich.
Lübeck, 25. Sept. Die Bernsteindebatte ist heute,
nachdem der Angeklagte nochmals in längerer Rede sich
verteidigte und in stolzen Worten von seinen Verdiensten
gesprochen hatte, zu Ende gekommen. Der Parteitag
lehnte nach der „Frkf. Ztg." den Antrag der Freunde
Bernsteins ab und nahm die Bebel'sche Reso-
lution an, erklärte also Bernsteins Kritik für vor-
wiegend einseitig und seine Stellung in der Partei für
zweideutig. Bernstein unterwarf sich. Er erklärte
unter äußerster Spannung der Versammlung, er halte
das Votum zwar nicht für gerecht, es mache ihn auch nicht
in seiner Ueberzeugung irre, da aber Bebel sage, es
solle darin kein Mißtrauen ausgedrückt sein, so
n e h m e e r e s a n; er werde ihm die Achtung erweisen,
die einem Beschluß des Parteitages gebühre. Die Ver-
sammlung nahm diese Erklärung mit lautem Beifall
auf. (Die Bernstein'schen Gedanken sind durch die
Bebel'sche Resolution nicht totgemacht. Daß Bernstein
sich äußerlich unterwarf, ist eine geschickte Taktik. In-
nerlich kann er sich nicht unterwerfen, denn überzeugt
ist er durch seinen Ankläger und Richter nicht. Red.)

Das deutsche Chinabataillon in Trieft.
Triest, 25. Sept. Bei dem gestrigen Bankett
auf der „Habsburg" hielt der Präsident des „Qester-
reichischen Lloyd" eins Rede> in der er seine Freude ans-
drückte, daß die deutschen Truppen gesund zu-
rückgekommen seien und in Triest zuerst den Boden
Europas betreten haben. Die Rede schloß mit einem
Hoch auf den deutschen Kaiser. Bataillons-
kommandant Major v. Foe r st e r erwiderte mit Wor-
ten des Dankes und schloß mit einem Trinkspruch auf den
Kaiser Franz Josef, indem er sagte: „Wir können
mit demselben Vertrauen zu dem Kaiser Franz Josef
emporblicken, wie sein eigenes Volk und seine Lande zu
ihm aufsehen, zu ihm, dem ritterlichen Monarchen und
Hort des Friedens."

Die Türkei unter europäischer Finanzkontrolle ?
London, 25. Sept. Der „Birmingham Post"
zufolge sind DeIcass 6 und Lamsdorsf zu einem
Abkommen gelangt betreffs Einsetzung einer euro-
päischen Finanzkontrolle in der Türkei.
Rußland wäre einem solchen Plane nicht so geneigt
gewesen, wenn es nicht selbst in ungünstiger Finanzlage
wäre und darum die erheblichen Rückstände der türki-
schen Kriegsentschädigung zu erhalten wünschte.

Hamburg, 25. Sept. Der 73. deutscheNa -
tu r forschertag beschloß in seiner heutigen Ge-
schäftssitzung, Karlsbad für die nächstjährige Ta-
gung vorzuschlagen und den -Oberarzt Dr. Fink daselbst
zum nächsten Geschäftsführer zu ernennen.
— Fraucnfcld (Schweiz), 25. Sept. Der M örde r
des Schuhmachers Steinnitzer in St. Margarethen wurde
auf dem hiesigen Bahnhof in der Person des achtzeh n-
jährigen Käserlehrlings Johann Christian Loh-
rer aus Oberbaldingen (Baden) verhaftet.
Lohrer ist geständig.
— Wien, 24. Sept. Der Ballon Jupiter des
Wiener Aeroklubs, der gestern Abend 10 Uhr im Prater
anfstieg, ist, wie dis Lustschiffer telegraphisch melden,
heute Mittag in Oxstedt bei Cuxhaven glatt gelandet.
Er hat also die Fahrt von Wien bis an die Nordsee m
14 Stunden zurückgelegt.
— Budapest, 25. Sept. Der Gesamtschaden au
Materialien und Werten bei der Eisenbahnkatastrophe
bei Palota beträgt über zwei Millionen Franks, da-
runter die türkische Post allein mit einer halben Mil-
lion. Für den Unglückszng wurden in Bukarest 40 und
in Craiova 24 Karten ausgegeben. Bisher sind 18
Leichen agnosziert. Ein großer Teil der verkohlten Lei-
chenreste lag noch gestern auf dem Bahndamm.
Amsterdam, 25. Sept. Bei einer Fahrt im
Automobil gelegentlich der großen Manöver in der
Provinz Limburg verunglückte in der Nähe von
Fanguement der zu den Manövern kommandierte
preußische Oberstleutuant ZiegIe r. Er
erlitt schwere Verletzungen. Die in demselben Wagen
sitzenden Militärattaches von Rußland und Norwegen

Deutsches Reich.
— Ein Exzeß auf dem Kreuzer „Gazelle", deren
Kommandant der vielgenannte Kapitän Neitzke, (dem
der Kaiser s. Zt. Arrest diktierte, weil er durch die Linie
der Wettsegler fuhr) ist, fand, wie das „Bert. Tgbl."
meldet, statt, während das Schiff auf der Danziger
Rhede lag. Die Mannschaften begingen Un-
b o t m ä ß i g k e i t e n, die gegen den Kommandanten
gerichtet waren. -Die an den Exzessen Beteiligten war-
fen Verschlußstücke von Geschützen und Schiffsinventar-
stücke über Bord. 15 Manu sind bereits in Unter-
suchungshaft. Die Reservisten des Schiffes hat man bis
jetzt noch nicht entlassen.
— In der nächsten Woche wird der Zentralverband
deutscher Industrieller sich darüber entschei-
den, ob er der Kundgebung seines Direktoriums gegen
die Minimalzölle im neuen Zolltarif-Entwurf
beitreten will oder nicht.
Königsberg, 24. Sept. lieber die Verhaf-
tung verdächtiger Personen an der russischen Grenze
in der Nähe von Pikupönen meldet die Königsberger
„Hartungsche Zeitung": „Ein Gastwirt aus Matzut-
kehnen beherbergte seit einiger Zeit zwei Männer, von
denen weder die Personalien noch der Grund ihres
Aufenthalts dortsslbst bekannt waren. Es war verschie-
dentlich auf der Post ausgefallen, daß an die Männer
oftmals größere Geldsendungen wie auch
Briefe unter falscher Adresse eintrafen. Der fahrende
Briefträger aus Pikupönen, welcher in Matzutkehnen
bestellt, schlug beiden Männern vor, unter seiner Adresse
Briese kommen zu lassen, worauf dieselben eingingen.
Der Briefträger schickte sodann einen dieser in eine«
fremden Sprache abgefaßten Briefe an die Polizeibe-
hörde. Der Inhalt desselben muß doch wohl hinrei-
chend belastend gewesen sein, denn beide Männer wurden
am letzten Samstag verhaftet und geschlossen abgeführt.
Die Verdächtigen gaben auf Befragen nur an, in Ruß-
land geboren zu sein, und verweigerten jede weitere Aus-
kunft. Am Sonntag sind auch der Gastwirt sowie drei
andere Einwohner von Matzutkehnen verhaftet und ab-
geführt worden. (Nach späteren Berichten scheinen die
Verhaftungen in der Rominteiier Haide erfreulicherweise
zu Beunruhigungen keinen Anlaß zu bieten. Die vier
internierten Einwohner aus Matzutkehmen wurden
einstweilen freigelassen, weil sie ansässige Leute sind;
einer ist Gastwirt dort. Die beiden verhafteten
Russen, die in Stallupönen sitzen, sollen wegen E i n-
schmnggeln verbotener Schriften der
russischen Negierung überwiesen werden.)
Baden.
Karl s r u h e, 26. Sept. Unter dem Vorsitze des
Geh. Oberregchrungsrats Braun wurde heute im
Ministerium des Innern in Fortsetzung der Bespre-
chungen von Abschnitten des Z o l I t a r i f e n t w u r f s
mit einer Anzahl Sachverständiger aus den betreffenden
Industriezweigen auch der Abschnitt XV desselben —
Glas und Glaswaren — einer Erörterung unterzogen,
an der seitens des Finanznünisteriums als Regiernngs-
kommissär Ministerialrat Ballweg teilnahm. Als Sach-
verständige waren erschienen die Herren: Adolf Schell
-— Musselinglasfabrik und Glasmalereianstalt — in
Offenburg, Otto Vittali — Glasmanufaktur —- tu
Offenburg, Wilhelm Kretschmar — Trockenplatten-
erlitten leichte Verletzungen. Ihre Majestät die Köni-
gin-Mutter ließen bei der deutschen und russischen Ge-
sandtschaft Erkundigungen über den Zustand der Ver-
unglückten einziehen. Nach späteren Meldungen ist der
holländische Hauptmann Vanasbeck, der sich im Auto-
mobil befand, gestorben. Der Unfall ist dadurch er-
folgt, daß auf der abschüssigen Straße die Bremse des
Automobils versagte, worauf das Gefährt gegen ein
Thor raste und zertrümmert wurde.
— Ans London wird berichtet: Wie ein Bericht der
britischen Regierung besagt, sind hier während des ver-,
flossenen Jahres nicht weniger als 53 Personen ver-
hungert und zwar in den verschiedensten Altern,
von Emma Frances Steevens, 3 Wochen alt, bis Henry
Leman, 83 Jahre alt. In den Zwanzigern ist Niemand
gestorben, dafür aber zwei in den Dreißigern. 20 von
den Todesfällen kamen in dem berüchtigten Ostend vor
und 13 im Nordosten.
— Welche Hciratschanccn sich dem weiblichen Ge-
schlecht in Westaustralien darbieten, 'gehst aus
der Thatsache hervor, daß, als unlängst in dem Minen-
distrikt von Coolgardie ein Zimmermann das Zeitliche
segnete, seine Witwe nicht nur von dem Ortsgeistlichen,
von dem Arzte, der den Verstorbenen behandelte, dem
Apotheker, der die Medikamente angefertigt hatte, son-
dern auch von dem Leichenbesorger und dem Kirchhofs-,
inspektor um ihre Hand gebeten wurde. Sie lehnte alle
diese Vorschläge, wie auch diejenigen zahlreicher Mmen-
beamten energisch ab und kehrte nach ihrer Heimat
Melbourne Zurück.
 
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