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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 282 - 305 (2. Dezember 1901 - 31. Dezember 1901)
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Montag, 30. Dezember 1901.

Westes Blatt.

43. Jahrgang. — Ar. 304.



Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich bv Pfg. in's HauS gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfo Durch die Voll br»
« , , . Men vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.
eis:^v Pfg. die Ispallige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen an bestimmt
nserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

«verschriebenen Tagen wird kein« Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der

Das Jahr 1901.
in.
Deutschlands auswärtige Politik stand in
der ersten Hälfte des Jahres noch unter dem Zeichen
der chinesischen Aktion. Indessen ist dieselbe zu einem
verhältnismäßig befriedigenden Ende gekommen. Nach-
dem unsere und die anderen europäischen Truppen mehr-
fach siegreiche Gefechte durchgeführt hatten, ließ sich
die chinesische Diplomatie herbei, Ende Mai in die Haupt-
forderungen der Mächte zu willigen; einige Tage vor-
her schon hatte der Kaiser die Rückkehr des Panzerge-
schwaders, die Auflösung des Oberkommandos und die
Verminderung des Expeditionskorps befohlen. Das
Jriedcnsprotokoll wurde allerdings erst im August un-
terzeichnet. Als Besatzung bleibt vorläufig eine Brigade
von neun Bataillonen nebst den nötigen Spezialtruppen
zurück.
So hat diese in der Geschichte einzig dasthende große
Aktion ihren vorläufigen Abschluß gefunden. Ob end-
giltig Ruhe geschafft ist, muß billig bezweifelt werden.
Immerhin ist die Ehre des deutschen Namens gewahrt.
Die Chinesen sowohl, als die Verbündeten haben unsere
Truppen kenn«: gelernt und werden ihre Konsequenzen
aus dieser Bekanntschaft ziehen.
Im übrigen, ist die politische Lage nicht ganz ohne
Sorgen zu betrachten. Abgesehen von einer voraus-
sichtlich nötig werdenden Belehrung des Raubstaates
Venezuela liegt auch sonst viel Zündstoff in der Welt
aufgehäuft. Hoffentlich gelingt es unserer Diploniatie,
unter Wahrung unserer Interessen allerseits eine Ver-
wicklung zu vermeiden. Was an den Gerüchten über
ein Nbschwenken Italiens vom Dreibund ist, läßt sich
noch nicht annähernd beurteilen. llebrigens muß sich
das ja bald zeigen. Im Mai 1902 läuft der Drellumds-
vakt ab. Wird er bis dahin nicht aickillrdiot s- «>.
von selbst zohn riioitov.
Wenden wir uns zu den Nachbarn und übrigen
Völkern der Erde!
Da sind zunächst unsere angelsächsischen Vettern im
stolzen England. Bei ihnen hat die iiber 50jährige
Periode der Königin Viktoria ihren Abschluß gefunden.
Victoria starb am 22. Januar; ihr folgte der bekannte
Prince of Wales als Eduard der Siebente. Er hat ein
Königreich und einem großen Sack voll schwerer Sorgen
geerbt. Der Burenkrieg dauert fort; die militärische
Unzulänglichkeit Englands zu Lande hat sich immer kras-
ser gezeigt. Unerquickliche Vorkommnisse in den höchsten
Stellen der Armee deckten allerhand Mängel auf. Wir
wollen nicht reden von den: mühsamen und meist erfolg-
losen Umherziehen dieser Armee auf dem Kriegsschau-
schauplatze in Südafrika; sie sind nur zu bekannt. Ver-
zeichnet: aber wollet: wir, daß eine vernünftigere Strö-
mung in England i:: letzter Zeit an Boden zu gewin-
nen scheint. Die Flegeleien Lhamberlains, die in
Deutschland ihre verdiente Zurückweisung fanden, werden
von der englischen Regierung gemißbilligt. Nur in
England allerdings ist es, der Politischen Verhältnisse
halber Möglich ,dnß ein desavouierter Minister im Amte
bleibt. Wir wünschen, daß die oben erwähnte Strö-
mung, Zu der«: Wortführer sich Lord Roseberh zu
machen scheint, die Oberhand gewinne zum Heil der
Buren, zum Heil der Welt und nicht zuletzt zum Heile
Englands selbst.
Lenöach über die Kunstrede des Kaisers.
Ein Mitarbeiter des „N. W. Jonrn." hat Franz von
tcnbach interviewt und teilt folgende Aeußerungcn des
Künstlers über die Rede des Kaisers an die Bildhauer
,er Siegesallee mit: ' ^
„In vieler Hinsicht pflichte rch den Worten des Kat-
ers Wikbelm bei", erklärt Lenbach, „wenn :ch auch zu
tbSen muß, daß der Anlaß der aufsehenerregenden Rede,
)ie Vollendung der „Siegesallee", keineswegs zwm-
imd war. Ich halte nämlich die Siegesallee sur ver-
tust Der Gegenstand der künstlerischen Dariwllung
nun entweder das L-chöne sein, das Zwecklos-Schone
— jo haben es die Alten gehalten — oder auch der
mistige Inhalt und die Bedeutung des Dargestellten.
>ta das Schöne an sich sollen ja die Herrschergestalten
)er Siegesallee gewiß nicht sein. Kaiser Wilhelm hat
ich über einen besonders korpulenten Ahnherrn selber
:i lustigen Worten ausgesprochen . Die zweite Beding-
lng trifft jedoch bei der Aufgabe, die den Plastikern ge-
teilt war/ebenfalls nicht zu. Es mußte häufig ein
ehr arges Mißverhältnis zwischen den Hauptgestalten
md den Nebenfiguren entstehen ,die bloß als Büsten
ffgesügt wurden. Wenn zum Beispiel em Jmanuel
kaut vor mich hingestellt wird, dann ist er für mich
)er Hauptrepräsciltant femer Epoche iind kein anderer;
ei dieser auch mit noch so grosser äußerlicher Machtfulle
msgestatket gewesen, dieser ist der Klemere .trotz der
iberlebensgroßen Dimensionen. Darum hätte man die
Äruppen der Sigesallee ,die, als Ganzes genommen,
choti durch die Monotonie des Aufbaues nnkünstlerisch
virken. nicht ins Grüne stellen dürfen, nicht unter den
reien Hintmel; dorthin gehöre,: nur Werke ,die bloß

In Oesterreich wird fortgewurstelt. Das Par-
lament ergötzt die Welt durch die bekannten gelegent-
lichen Varietevorstellungen. Neben dem Naticmalitäten-
streit gewinnt die religiöse „Los von Rom"-Bewegung
mehr und mehr Boden . Ihre Tragweite läßt sich noch
gar nicht übersehen.
Rußland arbeitet weiter init der Konsequenz und
Zähigkeit, die seine Diploniatie von alters auszeichnet.
Die große sibirische Bahn ist vollendet; allein vorerst
gleicht sie nur einem Sp innen gewebe, das seinen Fäden
von Europa bis an die östlichen Gestade Sibiriens spannt.
Bis ihre wirtschaftlichen und politischen Vorteile voll
ausnutzbar sind, wird noch manche Welle der Wolga ins
Kaspische Meer rinnen. Im Innern sind keinerlei Fort-
schritte zu bemerken. Die Knute wird noch munter ge-
schwungen, wie gewisse Vorkommnisse an russischen Uni-
versitäten beweisen.
(Schluß folgt.)

Deutsches Reich.
— Dem Münchener Vertreter der „N. Fr. Pr." er-
klärte Herr v. Hertling, daß die Meldung der „Elsäss.
Ztg.", er würde nach Rom zur Fortsetzung der Unter-
handlungen zur Errichtung einer katholisch-theo-
logischen Fakultät in Straßburg reisen, unbe-
gründet ist. Er sei seit Frühjahr nicht in Rom gewesen,
halte gegenwärtig in München seine Universitätsvorlesungen
und beabsichtige auch derzeit nicht, nach Rom zn reisen:
die Unterhandlungen über die Fakultät stehen da, wo sie
im Sommer und Herbst standen.
—- Der „Reichsauzeiger" veröffentlicht die Ernen-
nung des Malers Professor Kal lm o rg en-Kcirls-
ruhe zum ordentlichen Lehrer an der akademischen Hoch-
schule für bildende Künste in Berlin.
Karlsruhe, 27. Dez. An die Herren Wahlmänner
der nationalliberalen Partei im Bezirk Karlsruhe-
Land richtet die Parteileitung das Ersuchen, bei der be-
vorstehenden Abgeordnetenwahl dem von der konservativen
Partei aufgestellten Kandidaten, Landgerichtsdirektor E. v.
Stockhorner, sofort im ersten Wahlgang ihre Stimme
zu geben. Eine Zersplitterung der Stimmen würde nach
Lage der Verhältnisse im Bezirk Karlsruhe-Land lediglich
der Sozialdemokratie zugut kommen.
L6. Karlsruhe, 29. Dez. Die heute hier abge-
haltene Versammlung der bürgerlichen Wahlmänner
von Karlsruhe-Land hat eine Einigung der bürger-
lichen Parteien herbelgcführt. Nach heftiger Debatte hat
eine geheime Abstimmung ergeben, daß eine überwiegende
Mehrheit für den Landgerichtsdirektor Freiherr»: v. Stock-
horner eintrcten wird.
— Der „Beobachter" erwidert auf die Aeußerung des
„Schw. Merkur", daß das Tischtuch zwischen Zentrum und
Sozialdemokratie z rschnitten sei: ein solches Tischtuch habe
nie bestanden. Kann der „Beobachter" etwa leugnen, daß
Zcntrumsleute und Sozialdemokraten gemeinsame Sie-
gesfeiern begangen haben? Das war doch gewiß
Tischtuch genug. Aber vom „Beobachter" bezw. vom
Zweisterncmann desselben ist man gewöhnt, daß er ableug-
net, was Win ni lit vaßk. Nachher kommt er dann ge-
dem rein künstlerischen Empfinden dienen und keine
tendenziösen Gedanken anfzwingen." Lenbach hebt einen
Karton ,der das Bildnis einer schönen Frau trägt, wen-
det ihn um und stellt ihn auf die Staffelei, um, während
er weiter spricht, mit eitler Skizze anschaulich zu machen,
wie er das Problem einer Siegesalle gelöst gesehen
Hütte. „Von: Brandenburger Thor aus zu beiden Sei-
ten Arkadenanlageu ,in deren Nischen man die Grup-
pen hätte setzen können . So ein halber Nutzbau auch für
Spaziergänge bei Regeuwetter. Als Abschluß der Via
Triumphalis etwa wieder ein monumentales Thor." Im
Anschlüsse an diese Ausführungen, die durch große Leb-
haftigkeit gekennzeichnet sind, entwirft er in knappen
Worten, wie dies seine Art zu sein scheint, ein Charakter-
bild des Kaisers Wilhelm, „bei dem der Einschlag eng-
lischen Blutes die Kraft der Race erhöht habe", als
das eines Mannes von nie rastendem Thate,»dränge.
„Wie verschieden seine Jmpetnosität auch beurteilt wer-
den mag, in einer Hinsicht dürften wohl alle sinig sei»::
daß er der interessanteste Monarch ist. Er »st nicht
nur der Träger einer Würde, er ist selber wer!"
Kleine Zeitung.
- — Nicht weniger als 1270 Frauen und Mädchen
werden in diesen: Winter in den Verzeichnissen der deut-
schen Universitäten als Hörerinnen aufgesuhrt: 011
in Berlin, 103 in Bonn, 89 in Halle, 76 in Breslau,
73 in Leipzig, 52 in Freiburg (davon 17 immatrikuliert),
41 in Würzburg, 38 in Königsberg, je 33 in Straßburg
und Heidelberg (hier sind 6 davon immatrikuliert), 32
in Güttingen, 29 in München, 19 in Kiel, 18 in Gießen,

wöhnlich nach und klagt, man thuc ih n Unrecht an und
kränke ihn.
Hessen.
Darmstadt, 28. Dezenrber. Mit Schreiben des
großherzoglichen Staatsministeriums von: 23. ds. M.
ist der Zweiten Kämmer der Stände ein Gesetzentwurf
zur Beratung und Beschlußfassung zugegangen, welcher
die Einsetzung einer Regentschaft im Großherzogtum
Hesse,: regelt. Der Gesetzentwurf bestimmt, daß, wenn
der Großherzog minderjährig ist, eine Regentschaft ein»
zusetzen ist, eine Regentschaft wird ferner notwendige
wenn der Großherzog dauernd verhindert ist, die Re»
gierung persönlich zu führen oder wenn bei der Erledi-
gung des Thrones die Person des Thronfolgers noch
nicht bekannt ist. Tritt einer der vorgenannten Fälle
ein, so hat das großherzogliche Staatsministerium unver-
züglich die Stände des Landes zusammenberufen. Es ist
dann in einer Versammlung der vereinigten beiden Kam-
mern unter dem Vorsitz des ersten Präsidenten der Ersten
Kammer Beschluß darüber zu fassen, ob einer der oben-
genannten Fälle vSrliegt. Die Entscheidung erfolgt
mit absoluter Mehrheit der Stimmen. Die übrigen
Artikel des Gesetzentwurfes enthalten die Ausführungs»
bestimmungen.
In Hessen wird ebenfalls eine Steuer-
erhöhung von der Regierung vorgeschlagen, und ztoav
soll die Vermögenssteuer von 55 auf 75 Pfg. für' 1000
Mark hinaufgerückt werden, was einem Zuschlag von
86 Proz. des bisherigen Steuerftißes entspricht. (In
Sachsen etwa 25 Proz. der Einkommensteuer.)
Preuße».
— lieber die Zustände an der Wre sch euer
Schule geht dem „Pos. Tagebl." folgende Meldung zu:
„Von den 40 Kindern. sim" noch 4 (2
'Llnischeft Eines der letzteren, ein Mäd-
chen, versuchte vor einigen Tagen die Antwort zu ver-
weigern und gestand, vom Rektor nach dem Grund hierzu
gefragt, unter Thräncn ein, daß es die ihm wegen seiner
Willigkeit zugefügten Beschimpfungen, Verhöhnungen und
Belästigungen der Mitschülerinnen nicht mehr aushaltetr
könne. Eins der beiden deutschen Mädchen ist die Tochter
eines Gerichtsvollziehers, eine Schülerin, die sich durch
lobenswerte Führung und anerkennenswerten Fleiß vor
allen Anderen auszeichnet. Auch sie wird von ihren Mit-
schülerinnen seit längerer Zeit durch Wort und Thai be-
lästigt. Neulich wurden, nachdem schon kurz vorher ein
durch tadelnswertes Betragen bekannter Sohn eines
Lumpensammlers die Schülerin belästigt hatte, die An-
griffe ärger. Ein Knabe faßte das Mädchen zu wieder-
holten Malen an die Brust und schlug es auf den Kopf.
Das Mädchen suchte sich zunächst durch die Flucht deu
Angriffen zu entziehen, warf aber schließlich, zur Not-
wehr gezwungen, ihren Federkasten nach dem Angreifer,
der dadurch eine kleine bluiende Wunde am Kopf erhielt.
So weit die Vorgänge, wie sie durch den Kreisschulinspektor
und den Rektor der Schule sistgcstcllt sind." — In
ähnlicher Weise geht cs in Krotoschin zu. Dort
weigern sich zehn Kinder der zweiten Knaben- und Mäd-
chenklasse seit etwa eiinr Woche, in dem Religionsunter-
richt auf Fragen in deutscher Sprache zu antworten. Sie
7 in Rostock 6 ii: Marburg, 4 in Erlangen, je 2 in
Greifswald und Tübingen. Nun ist aber an allen Uni-
versitäten die Einschreibung der Hospitanten bei der
Herausgabe der amtlichen Personalverzeichnisse noch kei-
neswegs abgeschlossen, sodatz also die obigen Zahlcnan--
gaben hinter der Wirklichkeit jedenfalls noch zurück-
bleiben.
—> Hildeshcim, 28. Dez. Die „Hild. Allg. Ztg."
meldet ans Sarstedt: Gestern sei dort der Stadt-
kämmerer Tischbein verhaftet und in das Amtsgerichts-
gefängnis eingeliefert worden, wegen erheblicher Un-
t er s ch l a gun g en bei der dortigen Provinzial-,
Spar- und Darlehenskasse. Man spricht von Unter-
schlagungen von über 100 000 Mark.
Halifax (Britisch-Nordamerika), 28. Dezember.
Marconi besichtigte gestern verschiedene Stellen zur
Anlage der geplanten Station für drahtlose Ozean-
telegraphie auf der Insel Kap Breton. Er erklärte, die
Station werde sicherlich errichtet, und, wie er hoffe,
ihre Anlage im Februar begonnen werden. Praktische
Versuche mit transatlantischen Uebeirmittelungen würden
drei Monate später angestellt werden. Marconis Ver-
suche von St. Johns auf Neufundland aus waren durch
Einspruch der Kabelgesellschast verhindert worden.

Wer keinen Willen hat. ist immer ratlos,
Und der kein Ziel noch hat, ist immer pfadlos,
Und der nicht Frvchie hat, ist immer saallos,
Und der kein Streben har, ist immer thatlos.
Carmen Sylva.
 
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