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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Juli bis Dezember)

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Nr. 177 - 203 (1. August 1901 - 31. August 1901)
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Freitag, 30. August 1901.

Zweites Blatt.

43. Jahrgang. — str. 202.






Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgebolt 40 Pfa Durch die Noll be-
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Bon der Generalversammlung der Katholiken
Deutschlands.
Osnabrück, 27. Aug.
Die bemerkenswerteste Rede hielt heute in der zweiten
öffentlichen Versammlung der Abgeordnete Domkapitular Dr.
S ch ä d l e r-Bamberg über das Thema: „Der Katholik
und die moderne Zeit mit ihren Anforde-
rungen auf wissenschaftlichem Gebiete". Bit-
tere Wahrheiten über den llltramontanismus brachte dieser
Vortrag; Ironie und Spott gegen seine Gegner muhten, wie
üblich den Schleier hergeben. Dr. Schädler legte dar: Im
Jahre 1896 machte die „Badische Landeszeitung" die famose
wissenschaftliche Entdeckung von den Langköpfen und Rund-"
köpfen. (Große Heiterkeit.) Der Protestant hat einen lan-
gen Kopf, ist deshalb gescheit; der Katholik hat einen runden
Kopf, ist deshalb dumm. Nach der „Straßburger Post" und
der „Köln. Ztg." ist es jetzt aber ein Herzensfehler geworden,
es ist jetzt nur noch die Erziehung. Nichts deftoweniger bin
ich der „Straßb. Post" dankbar für den Rippenstoß, den sie
gegeben hat. Denn er ist mit Veranlassung zu einigen Aende-
rungen bei dem Thema, das mir gestellt ist; es muh klipp und
klar anerkannt werden, daß nicht die wirklichen Ergebnisse der
Wissenschaft, sondern nur Hypothesen in vielen gebildeten
Kreisen die christliche Weltanschauung erschüttert und unter-
graben haben. Es ist unsere Aufgabe, soweit es an uns ist,
auch die Wissenschaft wiederum zurückzu-
führen zu dem, der allein ist der Weg, die Wahrheit und
das Leben. (Stürmischer Beifall.) Wir müssen unseren be-
rechtigten Teil auf diesem Gebiete nicht bloß fordern, sondern
wir müssen uns ihn zurückerkämpfen. Wir haben ein Recht
dazu, weil wir gleichberechtigt sind mit jedem andern, u. können
es auch, solange wir nicht Nüssen, daß die andern mit bessern
Gaben ausgestattet auf die Welt kommen. Wir müssen es
auch aus einem praktischen Grunde, damit die Früchte, die auf
uns kommen, nicht von andern verspeist werden. (Lebhafte
Zustimmung.) Da ergiebt sich aber die Frage: Haben wir
auf diesem Gebiete immer unsere Schuldigkeit gethan? Wir
.Katholiken sind das Beichten gewohnt (Heiterkeit), wir beichten
manchmal sogar öffentlich. Was unsre Gegner uns hohn-
lachend entgegenhalten, haben wir selber schon gesagt, und mit
die besten unter uns sind es gewesen, die den Finger auf diese
Wunde gelegt haben. Ja, wir gestehen es, wir sind auf w i s-
s e n s ch a f t l i ch e m Gebiete in das Hintertreffen
geraten, allerdings nicht in dem Sinne, als ob wir Katholiken
minder befähigt' wären. Schon Windthorst hat einmal im
Reichstage gesägt: Schauen sie uns an, sind wir wirklich lau-
ter so dumme Kerle? (Grosze Heiterkeit.) Wohl aber sind
wir dadurch ins Hintertreffen geraten, daß wir uns von nicht-
katholischer Seite an höherer Bildung über holen
lassen. Unsere Zahl in den sogenannten Gelehrtenberufen
ist zu gering im Verhältnis zu unserer Bevölkerungsziffer.
Wenn man auch in den Resultaten des Professors Lossen nicht
in allem übereinstimmt, so sagt er doch mit an der Spche seiner
Schrift: „Die Zahl der katholischen Dozenten an preußischen
Universitäten steht in einem auffallenden Mißverhältnis zur
Zahl der katholischen Staatsangehörigen." Der Redner geht
ausführlich ein über die sogenannten Paritätsziffern an Uni-
versitäten und Mittelschulen in Preußen, Sachsen, Bayern und
Baden. Er fährt fort: Ziffern sind langweilig, aber diese
Ziffern rufen uns alle gellend ins Ohr hinein: diese Scharte
muß ausgewetzt werden.. (Stürmischer Beifall.) Wir können
den Lehrer der Wahrheit an der Universität haben, aber nicht
den Hypothesenmann; wir wollen den Philologen, aber -acht
den der über antike Form den christlichen Geist vergißt; wir
wollen den Mediziner am Krankenbett, aber nicht den, der den
kranken Menschen als Versuchskranken behandelt, sondern auch
der unsterblichen Seele gedenkt. (Stürmischer Beifall.) Wol-
len wir das, dann müssen wir auch darnach handeln. Klagen
ist unmännlich, und die Hände in den Schoß legen ist ein sehr

bequemes Ruhekissen für die Faulheit; aber der Gefahr in die
Augen zu sehen, Vorkehrungen treffen, sic abzuwehren, ist Sache
des Mannes und besonders des katholischen Mannes. So giebt
es für uns für die nächste Zeit keine andere Aufgabe, die fort-
gesetzt werden muß, als die auf dem Boden d e s G l a u --
bens Förderung der Wissenschaft. Aber wie?
Katholische Männer, katholische Eltern, schreckt nicht davor
zurück, eure Söhne auch anderem Studium als der Theologie
.zuzuführen. Grade auf den Realschulen fehlt es dabei ganz
bedeutend. Gewiß, es ist ein erhebender Gedanke für Väter
und Mütter, einen Sohn zum Altar führen zu können. Aber
das kann gepaart werden mit der Hochachtung vor den übrigen
gelehrten Stünden. Nicht bloß Priester brauchen wir, wir
brauchen auch christliche Aerztc, katholische Beamte, katholische
Richter. (Stürmischer Beifall.) Hier ist eine ganz besondere
Aufgabe für unsere Orden, lind schon von diesem pädagogi-
schen Standpunkte aus wollen wir unsere Orden und unsere
Jesuiten zu rück haben. Der Gedanke der katho-
lischen freien 1l n iversität kann und darf nicht er-
sterben, er ist erstrebenswert und aller Opfer wert. Aber
über die Zukunft dürfen wir die Gegenwart nicht vergessen.
In der Gegenwart brauchen wir Kräfte, weil jene die Vor-
schlagsrechte haben, die gleich dem vulgären Liberalismus die
Freiheit im Munde führen und Intoleranz praktizieren. Hier
tritt eine Aufgabe heran an die Schar unserer Studenten an
den Universitäten. Wir hegen die Hoffnung, daß diese junge
Schar mit dem Prinzip des Katholizismus das Banner der
Wissenschaft erhebt in treuer, strenger Arbeit, .damit ein Er-
satz gegeben ist, wenn ein Abgang eintritt, auch in der Fakul-
tät. Es beginnt jetzt der wahre Kulturkampf des
katholischen Volkes für sein heiliges Recht, der
Kampf für die Wissenschaft. Feinde ringsum,
es ist Generalmarsch geschlagen. Die rohe Gewalt haben wir
abgcwandt. Mit dem Rezept Julians des Apostaten will man
uns jetzt vernichten. Da scharen wir uns zusammen und aus
dem Kampfe des Geistes werden wir siegreich hervorgehen,
und auch die Gegner werden wie Julian rufen: Galiläer, du
hast gesiegt!
Abgeordneter Herold sprach über: „Die wirtschaftlichen
Interesse und ihr Ausgleich." Bedeutungen haben in dieser
Rede die Auslassungei: über Zölle und Handelsverträge.
Herr Herold sagte: Eine mäßige Erhöhung der Zölle für
landwirtschaftliche Erzeugnisse wird nicht nur für die Land-
wirtschaft, sondern auch für die Industrie und die industriellen
Arbeiter von Vorteil sein. Selbst wenn ein kleiner Nachteil
für die industriellen Arbeiter kommen würde, ist das Zentrum
bemüht, das auszugleichen. Schon jetzt ist die Erklärung ab-
gegeben, daß die Mehreinnahmen, die diese Zölle ergeben sollten
für Wohlfahrtseinrichtungcn für die Arbeiter verwandt werden
fvllen. Eine schwere, wichtige Aufgabe liegt dem Reichstage
für seine nächste Tagung ob. Hier werden wir als unverrück-
bares Ziel im Auge behalten müssen, zu n euen Handel s-
vertrügen zu kommen, weil diese für die Industrie von
großem Nutzen und weil sie nötig sind, unsere Ausfuhrindustrie
aufrechtzuerhalten. Aber wir müssen im Auge behalten, daß
andere Staaten dasselbe Interesse für Handelsverträge haben
wie wir. Ein Zollkrieg ist immer eine schlimme Sache. Denn
ein Zollkrieg wird immer beendet durch einen Vergleich, den
man ebensogut vorher hätte erzielen können. Diejenigen, die
darstellen, als ob Deutschland das größte Interesse an den
Handelsverträgen hätte, leisten dem Staate einen schlechten
Dienst. Haben sic keine Sorgen. Das vielbewährte Zentrum
wird sich auch dieser schwierigen Aufgabe gewachsen zeigen.
(Beifall.) In ihm sind alle BerufSständc vertreten, cs wird
diese Sache vom Standpunkte der Allgemeinheit betrachten.
Kein Zweifel, daß da das Richtige getroffen wird. An die
weitesten Kreise möchte ich da die Mahnung richten: Haben
Sie Vertrauen zum Zentrum! (Stürmischer Beifall.)
Frhr. v. Wen dt sprach über die katholische Diaspora

unter besonderer Berücksichtigung des Bonkfaziusvereins, und
Bischof Dr. Bitter ans Stockholm richtete zum Schluß Worte
des Dankes und der Anerkennung an die Versammlung. Der
Papst sandte wiederholt seinen Segen.
Deutsches Reich.
— Eine Uebersicht über die Eisenbahn-Einnahme»
der größeren deutschen Bundesstntten zeigt, daß die
Staaten mit großem Transitverkehr (Elsasf-Lothringen,
Preußen-Hessen, Sachsen, Bayern, Baden) in den Mona-
ten April bis Juni d. I. durchweg geringere Einnahmen
gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahrs zu ver-
zeichnet: haben, während die Staaten init fast ausschließ-
lichein Binnenverkehr lWürttemberg, Mecklenburg, Ol-
denburg) znm Teil recht namhafte Steigerungen der Ein-
nahmen aufweisen. ES liegt hierin für die Eisenbahn-
Verwaltungen eine Mahnung, dien Binnenverkehr zu
Pflegen.
Preuße».
iiba. Tie „Nat. Ztg." regt an, die höheren Lehr-
anstalten in Posen und Westpreußen für die Bekäm-
pfung der polnischen Propaganda cmszu-
nutzen und insbesondere nur Schüler in dieselbe aufzu-
nehmen, welche der deutschen Sprache vollständig mäch-
tig siitd. Dazu gehöre auch die Heranziehung hervor-
ragendster Lehrkräfte an diese Schulen, die Berufung
besonders fähiger Direktoren und überhaupt eine reichere
Dotierung der Anstalten behufs weitgehendster Ausge-
staltung der Lehrmittel.
Ausland.
Rußland.
Peters b n r g, 28, Aug. Die russische „Petersb.
Ztg." schreibt an leitender Stelle über den B e s u ch des
rnssi s ch e n K aiserpaares in Deutschland
und F r a n krei ch: „Das kürzlich stattgehabte Zusam-
mengehen Rußlands mit den übrigen Mächten in Ost-
asien, bei der führeii^ii Rolle, die das deutsche Oberkom-
mando dort spielte, die von altersher bestehenden nachbav-
lichen und verwandtschaftlichen Beziehungen Wischen
dein russischen und deutschen. Kaiserhause, endlich die
Nachbarschaft Deutschlands und Rußlands, sowie die zwi-
schen ihnen unvermeidliche Solidarität vieler politischen
und wirtschaftlichen Interessen — alles das zusammen-
genommen mußte zwischen Rußland und Deutschland
jene Beziehungen des gegenseitigen Vertra u-
ens und Wohlwollens Herstellen, die in ihrem
Wesen natürlich, wegen ihrer Traditionen unaus-
rottba r und zugleich in keinem Sinn für irgend je-
mand beunruhigend sind oder irgend welche Zweifel wach
rufen. Die Persönlichkeit des hochbegabten, unermüd-
lichen und energischen, von idealen Bestrebungen geleite-
ten deutschen Kaisers erscheine kraft ihrer internatiana-
len Bedeutung so hervorragend, daß es unnatürlich wäre
wenn gerade/in diesem Jahre die freundschaftliche Be-
gegnung Kaiser Wilhelms mit dem russischen Monarchen
nicht erfolge, dessen Verehrung in allen Ländern der
Erde nicht aufhöre, in dem.Matze zu wachsen, als die
erhabene, allem Egoismus fremde Politik Rußlands nicht
gufhöre, die Achtung und das Vertrauen aller Völker zu

Die Brieftasche.
85) Roman von F. von Kapff-Essenther-
(Fortsetzung.)
-Eine unbestimmte, aber gräßliche Angst erfaßte Möhring.
Warum war Ricdberg nicht wieder zu ihm gekommen?
Warum lauerte er hier, wie ei» Mörder, wie ein Attentäter,
welcher einen günstigen Augenblick erspähen will?
„Wohin?" frug der Kutscher.
Möhring konnte nicht umhin, das Theater zu nennen.
Man fuhr. Möhring that cs in unbestimmter Angst; denn
er hatte die Vorstellung, als würde ihnen Riedberg folgen.
Natürlich war er nicht da, als sie vor dem Theater Vor-
fahren. Wie wäre cs auch möglich gewesen? Er hatte wohl
nicht die Mittel, iim ihnen in einer Droschke zu folgen, und
-pann — mvzn auch? Es war eine Ausgeburt des Fieber-
wahnes, welche Möhring verfolgte; dennoch konnte er 'sic
nicht los werde». .
Der Theaterabend verlief in dusterer Stimmung. Ottilie
und/Ernst blieben schweigsam, finster, in sich gekehrt. Möh-
ring sah unaufhörlich die verkommene Gestalt des anderen
auf der frostigen, nächtlich dunklen Straße warten; und er,
Möhring, saß hier oben in einer teuren Loge, im Schoße des
Wohlsta'ndcs und Wohlbehagens
Er weiß irgend erwas, sagte sich Möhring, „und er
wird mir plötzlich einmal an die Kehle springen."
Eine innere Stimme sagte ihm, das Verhängnis, das ihn
bis honte in Gestalt von Gewissensqualen verfolgt habe, werde
ilm noch ganz ereilen, ganz zu Boden schmettern. Er wußte
nicht wn, aber er war gewiß, cs würde geschehen. Er
siirchtcrc sich, auf die Straße zu gehen; denn er fühlte deutlich
voraus, daß Riedberg wieder unten m dem feuchten, schmutzigen
Schnee'der Straße stände und auf ihn warte. O, es war zum
Wahnsinnigwerden! - - « , .
^er Vorhang war znm tetztcnmalc gefallen und Möhring
koiuite nicht umhin, Ottilie hinab znm Wagen zu führe».
lind wirklich! Da stand jener. Da stand er genau so,
Wie Möhring ihn mimifhörlich im Geiste gesehen, dicht unter

der blendend leuchtenden elektrischen Lampe. Da stand er,
den Hut in die Stirne gedrückt, die lauernden, unruhig fun-
kelnden Augen auf die Menge gerichtet, welche dem Theater-
portal entströmte.
Er wartete, wartete.
„Ach, wir sollten doch den anderen Ausweg benützen,"
rief Möhring, Ottilien angstvoll zurückzieheiih, denn jetzt
mußte auch sic jenen sehen.
„Nein doch!" entgegnete Ottilie bestimmt. „Du hattest
ja den Wagen an das Hanptportal bestellt; ich weiß es
genau I"
Und sie zog Möhring vorwärts. Es gab kein Entrinnen!
Im letzten Augenblicke beschwichtigte er sich selbst.
Was konnte Riedberg auch beginnen, hier mitten unter
de» vielen Menschen, auf dem überfluteten Bürgersteige vor
dem Theater?
Festen Schrittes, mit abgewaiidtem Blicke, führte er Ot-
tilie. an dem Manne vorbei. Er sah sich nicht um; schon aber
hörte er Schritte ganz dicht an seinen Fersen; und als sie an
dem Wa«;cii standen, der etwas abseits wartete, legte sich plötz-
lich eine Hand mit festem, unwiderstehlichem Drucke auf seiner.
Arm.
„Auf ein Wort, Herr Möhring," sagte eine heisere
Stimme, und Riedberg stand jetzt dicht vor ihnen. „Es ist
sehr unrecht von mir," sagte der Mann mit den bleichen Mie-
nen, den eingesunkenen Augen, „Sie und die Dame hier mitten
auf der Straße anznl,alten; aber gerade vor der Daine habe
ich Ihnen, Herr Möhring, einige Worte zu sagen. Wo sollte
ich sonst die Gelegenheit dazu finden? Man würde mich au
einer passenden Stelle nicht vorlafsen. Verzeihen Sie nur
also, Fräulein Ottilie I"
Ottilie, starr vor Schrecken, brachte kein Wort hervor.
„Nur drei Worte!" fuhr Ricdberg fort. Er wandte sich
wieder an Möhring. „Nichts weiter habe ich zu sage», mein
Herr, als daß ich von Ihne» nichts annehme; weder eine
Stellung, noch sonst irgend eure Hilfe, welcher Art sic immer
sei. Ich habe nämlich seither erfahren, daß nicht mein Onkel
Sic zu der Wohlthat an mir veranlaßte, sondern wahrscheinlich
Fräulein Ottilie, jetzt Ihre Braut — einst die meine! Sie be-
greife», daß ich unter diese» »mständen nichts bo» Ihnen a»

nehmen kann. Lieber eine Kugel, wenn sonst nichts mir
bleibt! Ich danke Ihnen beiden."
Er hatte sich hoch aufgerichtet und aus seinen letzten
Worten klang der ganze Mauuesstolz des ehemaligen Ka^
valiers.
Ottilie hatte sich von Möhrings Arm losgcmacht. Wäh-
rend sic Ricdberg bedeutete, zu warten, heftete sie den festen,
klaren, durchdringenden Blick auf Möhring und sagte ge-
bieterisch: „Jetzt sprich! Du mußt — Dir wirst!"
Und Möhring, wie einem unwiderstehlichen Zauber, wie
einem Banne folgend, zog, ohne zu überlegen, die Brieftasche
hervor, die er bei sich trug, seitdem er das Geld hniciiigelegt,
und reichte sie, ohne ein Wort hervorzilbringen, Riedbcrg;
dann lud er mit einer stummen Gebärde den ehemaligen
Nebenbuhler ein, in den Wagen zu steigen und war nn nächsten
Augenblicke in dem Gedränge verschwunden, als hatten die
Wogen ihn verschlungen. ...
Er Ivußte, sie würde nichts gegen ihn unternehmen, weder
Ottilie noch Riedberg; aber das vermehrte vielleicht noch seine
Qual Von der Großmut Riedbergs hing seine zukünftige
bürgerliche Existenz ab. Es war furchtbar! Ein Gericht er-
ging über ihn, wie es schrecklicher nicht zu ersinnen war! Die
Brieftasche war in die Hände ihres rechtmäßigen Eigentü-
mers znrückgewandert. Er, Möhring, hätte denken können,
es sei alles ein Traum gewesen; aber die Früchte seines Ver-
gehens lebten: seine Maschine, seine neue Existenz. Auch
stand er in der eleganten Wohnung, in der alles auf die
junge, schöne Hausfrau wartete; aber er wußte es, als er an
diesem verhängnisvollen Theaterabende in dieselbe zurück-
kehrte, daß Ottilie niemals ihren Einzug hier halten würde.
Das war zu Ende — sein GlückStraum zerstoben!
Was ihm für die Zukunft noch bleiben mochte, das war
Arbeit, unermüdliches Streben, ehrliche Erfolge, welche noch
nachträglich sei» Unrecht sühnen konnten! Aber das Herz
Ottiliens hatte sich ihm wieder abxewcndet, von dem Augen-
blicke an, als sic erkannte, daß der einstmals Geliebte das
Opfer jener verbrecherischen That geworden. Von jener
Stiinde an beherrschte wieder Riedberg ihre Seele; und nun
war die letzte Entscheidung zwischen ihnen gefallen!
(Schluß folgt.)
 
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