Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 204 - 228 (2. September 1901 - 30. September 1901)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37097#0380

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Vo. Todesfall. Heute Nacht verschied in Folge eines Herz-
schlages Gymnasialprofessor Peter Egenolff. Professor Dr.
Peter Egenolff wurde am 31. Januar 1881 zu Offheim im Re-
gierungsbezirk Wiesbaden geboren. Nach Absolvierung des Gym-
nasiums zu Hadamar besuchte er die Universitäten zu München,
Göttingen, Berlin und Straßburg und studierte daselbst Geschichte
und klassische Philologie. Im Jahre 1875 wurde er zu Straß-
burg zum Dr. phil. promoviert, im Jahre 1876 erwarb er sich
an der hiesigen Universität die vom» Isgsnäi und las 2 Semester.
Zugleich unterrichtete er am hiesigen Gymnasium als Volontär.
Vom Herbst 1877 an war er 10 Jahre lang am Mannheimer
Gymnasium thätig, seit dem 11. Januar 1878 als Professor.
Im Jahre 1887 kam er an das hiesige Gymnasium. Professor
Egenolff war seit dem 20. Mai krank und gab seit dieser Zeit
keinen Unterricht mehr. Der Tod hat ihn vor einem längeren
Stechthum bewahrt.
O Besttzwechsel. Herr A. Loonen hier verkaufte von seinem
Grundstück in der Hofgewann in Neuenheim 4 Bauplätze an der
Werder- und Klosestraße im Flächeninhalt von 1949 Quadrat-
meter um den Preis von 45 801.80 Mk. an Herrn Bauunter-
nehmer W. Schneckenburger in Mannheim.
iü Schöffengerichtsfitzung vom 5. Sept. 1) Friedrich Bran.
del, Heinrich Frauenfeld. Josef Ries und Friedrich Döll, alle in
Handschuhsheim, erhielten wegen Sachbeschädigung, Hausfiiedens-
bruchs und Körperverletzung der Erstgenannte 4 Wochen, die drei
andern Angeklagten je 10 Tage Gefängnis. Nikolaus Kling von
Schriesheim wurde von der gleichen Anklage freigesprochcn; 2>
Georg Adam Schwebler von Kirchheim erhielt wegen Beleidi-
gung eine Geldstrafe von 20 Mk.; 3) die Verhandlung gegen
Georg Ernst Roth aus Ludwigshafen a. Rh. wegen Unterschla-
gung wurde vertagt: 4) Kath. Hauck geb. Schmidt von Leuters.
Hausen erhielt wegen Nahrungsmittelfälschung eine Geldstrafe von
10 Mk.; 5) Heinrich Eichler aus Düsseldorf wegen Betrugs vier
Monate Gefängnis; 6) Johann Herzog aus Zeuthern wegen
Unterschlagung 6 Wochen Gefängnis; 7) Heinrich Machmeier von
Sandhaufen wegen Hausfriedensbruchs und Körperverletzung
4 Wochen Gefängnis.
— Polizeibericht. Verhaftet wurde ein lediger Kaufmann
aus Neuenheim wegen Vergehens gegen 8 176 R.-St.-G.-B. und
ein Taglöhner wegen Bettelns. -
X Neckargemiind, 4. Scpt. (Todesfall — Wasser
leitung in Kleingemünd.) Am letzten Sonntag verstarb
dahier nach längerer Krankheit der Hauptlehrer Jakob Leidner.
Der Verewigte hat in hiesiger Gemeinde eine Reihe von Jahren
hindurch seinen Beruf als Lehrer und Erzieher mit großem
Fleiß und Geschick aufs treulichste versehen und sich durch sein
leutseliges Benehmen die Sympathie aller derjenigen erworben,
die mit ihm in näheren Verkehr traten. Die ganze Gemeinde
betrauert in ihm einen liebenswürdigen und pflichttreuen Mann.
Er hinterläßt eine Witwe und drei Kinder in wohlgeordneten
Verhältnissen. Seine Leiche wurde nach seinem Geburtsorte
Hemsbach a. d. B. überführt und dort bestattet. — In dem
benachbarten Kleingemünd hat die dortige Gemeindeversammlung
ihre Zustimmung zur Herstellung einer Wasserleitung
gegeben. Dieser Beschluß kann dem hübsch gelegenen Dorfe in
jeder Beziehung nur von großem Vorteile sein.
--- Heiligkreuzsteinach, 6. Sept. (Ueder fahren.) Vor
einigen Tagen wurde die 71 Jahre alte Ehefrau des Landwirts
Joh. Lösch von Altneudorf auf der Landstraße zwischen hier und
Altneudorf von einem Radfahrer überfahren, wobei sie solche
Verletzungen erlitt, daß sie denselben gestern erlag. .
LL Tauberbischofsheim, 4. Sept. (Streik der
Wurst esser.) Seit einigen Tagen hat der Wurstkon-
sum in Tauberbischofsheim sehr nachgelassen, viele Leute ge-
nießen überhaupt keine Wurst mehr; denn die Bevölke-
rung ist ihren Wurstlern gegenüber sehr mißtrauisch geworden,
seitdem das Gerücht ging, daß eine Anzahl von Metzgern
wegen Einschmuggelns von gehacktem Fleisch aus Würzburg
von den Steuer- und Polizeibehörden in Untersuchung ge-
nommen worden sei. Obwohl dieses Fleisch nur aus gehack-
tem gesundern Farrenfleisch bestanden haben soll, sind doch
die abenteuerlichsten Gerüchte über die Zusammensetzung dieses
Wurstbreies in Umlauf. Die von der Steuerbehörde erkannten
Geldstrafen sollen der „Werth. Ztg." zufolge sehr hohe sein,
man spricht von 100—1000 Mk. im Einzelfalle. Außerdem
soll die Polizeibehörde wegen Uebertretung des Fleischbeschau-
gesetzes obendrein noch sehr empfindliche Geldstrafen ausge-
sprochen haben, weil solcher Fleischbrei überhaupt nicht ein-
gebracht werden darf. Als Helfershelfer bei diesem Schmuggel
diente ein Gemüsehändler, der das Fleisch in Gemüse ver-
packt auf seinen Namen bezogen haben soll. Der Schmuggel
soll von einigen Metzgern schon seit Jahren getrieben worden
sein.
Karlsruhe, 4. Sept. (Gasexplosion. — Geistes-
gegenwart.) Eine Gas e xp l o sio n fand heute Abend im
Keller des Neubaues von Veit L. Homburgcr statt. Sie war
von einer heftigen Detonation und Feuererscheinung begleitet.
Der Bürgersteig vor dem Hause ist stark beschädigt. Die wahr-
fcheinliche Ursache wird darin gesucht, daß das Hauptgasrohr
infolge übermäßiger Belastung durch die zur Zeit arbeitende
Straßendampfwalze einen Bruch erhielt. Der Geruch des aus-
strömcnden Gases veranlaßte Arbeiter, im Keller des Hauses
nachzusehen, wobei einer, die nötige Vorsicht außeracht lassend,
mit der brennenden Zigarre in die Nähe der gefährlichen Stelle
gekommen sein und so die Entzündung des Gases verursacht
haben soll. Verletzungen von Menschen sind glücklicherweise nicht
vorgekommen. — Heute Nachmittag wollte nach der „Landesztg."
ein Eisenbahnschaffner von hier am östlichen Ende des
Bahnhofs von Bahnsteig II nach dem Bahnsteig I zu das Bahn-
gcleise überschreiten. Derselbe wurde hiebei von einer dem
Uebergang nach der Rüppurrerstraße zu fahrenden Rangiermaschine
erfaßt, hatte aber die Geistesgegenwart, sich an einem Puffer der
Maschine sestzuhalten und die Füße Hochzuziehen, in welcher
Stellung er von der Maschine etwa 400 m weit mitgsschleppt
wurde, bis der Maschinenführer, durch Zurufe aufmerksam ge-
macht, die Maschine zum Stehen brachte. Der Schaffner kam,
ohne Verletzungen erlitten zu haben, mit dem Schrecken davon.
L.U. Schopfhetm, 5. Septbr. (kleber das Unglück in
Hausen) wird folgendes Nähere berichtet: Der 4stöckige Neu-
bau der Buntweberei Brennet, welcher an Stelle des im Früh-
jahr abgebrannten Fabrikteils erstellt worden war, stürzte nach-
mittags plötzlich zusammen, wodurch zahlreiche Arbeiter schwer be-
troffen wurden. Der Neubau bildete den nördlichsten Teil des aus-
gedehnten Fabrikanwesens, das sich am rechten Ufer der Wiese ober-
halb der Eisenwerkbrücke hinzteht. Die mächtige Fassade hat
eine Länge von 42 Meter. Sie ist zwischen dem ersten und
zweiten Stockwerk fast vollständig durchgebrochen. Die Backstein-
mauer der beiden untersten Stockwerke war nach dem Brande
nicht abgerissen, sondern als Unterbau für das neuzubauende
dritte Stockwerk benutzt worden. Als Skelett des Baues waren
starke Eisenträger verwendet, die Böden sowie das ebenfalls schon
vollendete flache Dach aus Cementbeton hergestellt. Die noch am
Bau beschäftigten Arbeiter waren eben daran, die letzte Hand an
den Rohbau zu legen, als die Katastrophe eintrat. Wie Augen-
zeugen dem „Markg. Tgbl." berichten, erfolgte der Zusammen-
bruch nicht plötzlich, sondern die gewaltige Masse rutschte mit all-
mählich wachsender Schnelligkeit in östlicher Richtung, nach der
Wiese zu, ab, bis sie endlich mit furchtbarem Getöse den Erd-
boden erreichte. Der Schrecken und die hochaufwirbelnde Staub-
wolke ließen zunächst den Umfang.des Unglücks gar nicht über-
sehen. Einzelne Arbeiter hatten die rutschende Bewegung noch
so zeitig wahrgenommen, daß sie sich auf eine Seitenmauer und
von dieser aus auf das Gerüst retten konnten. Die Toten waren
wohl meist von den schweren Eisenträgern getroffen worden, denn
fast allen waren die Schädel furchtbar zerktafft oder zerquetscht.
Von der Wucht des Sturzes geben die zumteil wie ein Schilf-
rohr geknickten oder arabeskenartig gekrümmten Eisenträger, die
wie ein Rtesengerippe aus der Schuttmasse emporragen, einen

Begriff. Unglücklicherweise war schon während des Baues der
beiden oberen Stockwerke in dem untersten der regelmäßige
Fabrikbetrieb wieder ausgenommen worden. Bevor der Durch-
bruch der oberen Böden erfolgte, konnten sich die in dem Par-
terremaschinenraum beschäftigten Personen sämtlich retten dis auf
eine italienische Arbeiterin namens Adelaide Montanati. Erst
abends 9 Uhr gelang es, dieselbe tot. in furchtbar ver-
stümmeltem Zustande dicht vor dem Thor unter der Schuttmasse
aufzufinden. Einer der Schwerverletzten ist auf dem Transport
nach Zell und einer im Spital in Zell gestorben. Die Zahl der
Toten beträgt sechs. Die bereits an der Unglücksstätte aufge-
fundenen Toten sind: Maurer Kaiser, früher in Steinen. Mau-
rer I. Croppi, Taalöhner Dalleni und Fabrikarbeiterin Adelaide
Montenari aus Italien. Schwerverletzt sind zwei Italiener
(Vater und Sohn). Ueber die Ursache der Katastrophe läßt sich
vorerst natürlich noch kein abschließendes Urteil abgeben. Die
Bauleitung war dem Architekten Hartmann in Lörrach übertra-
gen; ein Teil der Arbeiten wurden von Gg. Brüdcrlin in
Schopfheim ansgeführt Beide Firmen sind durch gewissenhafte
Ausführung ihrer bisherigen Arbeiten bekannt. Es wird die
Vermutung ausgesprochen, daß die vom Brand her stehen geblie-
bene Mauer der beiden unteren Stockwerke damals entweder
durch Hitze oder durch 1>as eingespritzte Wasser stark von ihrer
Solidität eingebüßt habe. Offenbar hat man ihre Tragfähig-
keit überschätzt. Die Untersuchung dürste über die Ursache dieser
schrecklichen Katastrophe Klarheit schaffen.
L.O. Konstanz. 5. Sept. (Fallimente.) Der schlechte
Geschäftsgang hat zwei bedeutende Fallimente gebracht bezw.
aufgedeckt, nämlich das der Firma Henning in Konstanz und
Piristi in Rielasingen. In beiden Fällen erreichen die Passiven
je 200 000 M.
Aus Baden- Ueber den Nachlaß des verstorbenen Stadt-
Pfarrers Fridolin Honold in Bonndorf, bekannt durch
seinen Kampf gegen Wacker, wurde das Konkursverfahren er-
öffnet.
Theater- und Kunstnachrichten.
Ein interessantes Debüt soll demnächst in der Dresdener
Hofoper staltfinden.- Dr. med. Alfred v. Vary wird als neu ver-
pflichtetes Mitglied in der Partie des „Lohengrin" zum ersten
Mal auftreten; derselbe war bis vor kurzem erster Assistent des
Professors Dr. Flechsig an der Universitätsklinik für Nervenkranke
in Leipzig. Gegenwärtig studiert er noch in der „Dresdener
Musikschule" bei Dr. Richard Müller.
Handel und Verkehr.
Mannheim. S. Septbr. (Aktien.) An der heutigen Börse
gelangten mehrfach Umsätze in Gutjahr-Aftien zum Ku se von
122 pCt. zur Notierung. Nachfrage bestand noch für 3'/zproz.
Pirmasenset Stadt-Obligationen zu 96 vCt. und für die Aktien
des Verein deutsch. Oelfabriken zu 108 50 pEt.
Krankfnrt, 5. Sept. Effektensozretat. Abends 6'/. Mr.
Krrditaktien 196.40 b.. Disconio-Kommandit 17370—174 b,
Dresdener Bank 128.40 b., Northern 98.70 b., Schweiz. Nordost
100.40 B. 30 G., Schweizer Union 9230 B. 20 G.. Harpener
158.28 b. G-, Concorida 258.50 b. G.
6V,-6'/g Uhr:
Bei geringen Umsätzen blieb die Tendenz behauptet. Diskonto
Kommandit konnten eine Kleinigkeit anziehen.
Wasserstau dSrrachrichren.
Neckar. Rhein.

Heidelberg, 6.. 1,26 gest 0,07m
Heilbronn, 5. 0,68, gest. 0,05m
Mannheim. 5.3.97 gest 0 08m

Lauterburg. 5. 4.32 gef 0,01m
Maxau, 5., 4.48. gef. 0,05m
Mannheim. 5,4,03 gest. 0,09m

Neueste Nachrichten
Offcnbach a. M., 6. Sept. Der seit gestern Nach-
mittag 5 Uhr vermißte seitherige Kassier des hiesigen
landwirtschaftlichen Lokalvereins, August Rettig, hat
sich laut „Offenb. Ztg." auf einem von ihm gepachteten
Stück Land am Lindensee erschossen. Zu der ge-
stern Nachmittag anberaumten Versammlung des Ver-
eins war Rettig nicht erschienen.
Offenbach a. M., 6. Sept. (Frkf. Ztg.) In der
letzten Nacht hat laut „Offenb. Ztg." in der Wasserhos-
straße die seit zwei Monaten dort wohnende, aus Frank-
furt zugezogene Witwe des Eisenbahnbetriebssekre-
tärs Ullrich ihre vier Kinder, zwei Knaben im
Alter von 11 und 2i/h Jahren sowie vor acht Tagen
heimlich geborene Zwillinge erdrosselt und sich
selbst erhängt.
Kaiserslautern, 6. Sept. In der gestrigen Ge-
ne r a l v e r s a m m l u n g des deutschen Pro-
test a n t e n v e r e i n s wurde, laut „Pfälz. Presse",
beschlossen, aus dem 73 000 Mk. betragenden Vermögen
des Vereins die Summe von 26 000 Mk. als Diakonissen-
fonds abzusondsrn.
München, 5. Sept. Die Leiche des von der Zug-
spitze abgestürzten Ingenieurs Brandes ist in schreck-
lich verstümmeltem Zustande aufgefunden worden
und wird nach Wolfenbüttel transportiert werden.
Berlin, 6. Sept. Der Regierungsassessor Dr.
Leist, Syndikus und Kollektivprokurist des Schaaff-
hausen'schen Bankvereins ist ein sehr reicher Mann; sein
Selbstmordversuch ist lediglich durch sein Ohrenleiden,
das ihn fast völlig taub gemacht hat, veranlaßt worden.
Berlin, 6. Sept. Prinz T s ch u n hat gleich nach
seinem Eintreffen hier, begleitet von TschentGyimnao,
General Jin-Tschang, Gesandten Tuhaihwan und dem
Legationssekretär Kinginthai, im Auswärtigen
Amte dem Staatssekretär v. Richthofen einen Be-
such abgestattet, den der Staatssekretär alsbald er-
widerte.
Berlin, 6. Sept. Die Berliner Stadtverordneten-
versammlung nahm in ihrer heutigen Sitzung zu der
B ü r g e r in ei st e r w a h l Stellung. Aus den Er-
klärungen der Fr.aktionsführer geht hervor, daß sie den
nicht bestätigten Herrn Kau ff mann wieder
wählen wird. Eine thörichte Demonstration.
Berlin, 6. Sept. Ueber den Stand der Frage einer
Revision des B ö r s e n g e s e tz e s liegt nach län-
gerer Pause wieder einmal eine amtliche Mitteilung
vor. Der Handelsminister hat nach der „Pol. Korr."
einige hervorragende Kenner des Börsenwesens und
Börsenrechts ans den 18. d. M. zu einer Besprechung
eingeladen, die, wie das amtliche Organ hinzusetzt, hof-
fentlich die ebenso schwierige als dringliche Angelegenheit
weiter klären wird. Es verdient nach der „Franks. Ztg."
bemerkt zu werden, daß die Revision des Börsengesetzes
auch von dem neuen Handelsmmister als eine dringende
Angelegenheit angesehen wird. Schwierig ist sie Wohl
nur vom Standpunkt der parlamentarischen Machtver-
hältnisse, die sich aber überwinden lassen, wenn die Re!-
gierung eine ernste und dringliche Angelegenheit auch mit
dem nötigen Ernst vertritt.
Berlin, 5. Sept. Der Kaiser tritt morgen seine
Reise nach Königsberg an.
Berlin, 6. Sept. (Lok. Anz.) Aus einer Unterhal-

tung mit einem Herrn des chinesischen Gefolges, dev
früher nie in Europa war und auch kein Wort einer
europäischen Sprache versteht, geht hervor, daß die an
westländische Zeremonien nicht gewöhnten Chinesen mir
dem Empfang sonderbarer Weise sehr zufrieden
sind. Da in China Lärm auf den Straßen bei Vorbei-
zug von Fürsten als Zeichen der Unehrerbietigkeit ange-
sehen zu werden pflegt, so waren die Chinesen eigentüm-
licherweise sehr erfreut, die Ruhe des Publikums zu be-
obachten. Die verkehrte Auffassung europäischer Sit-
ten geht so weit, daß die Abwesenheit militärischer Es-
korte bei der Ankunft in Potsdam und bei der Auffahrt
zum Neuen Palais als Aufmerksamkeit empfunden
wurde. Am Pekinger Hofe nämlich haben nur die in
Audienz empfangenen Fürsten unterworfener Völker-
schaften eine Soldatenhecke zu durchschreiten: Dieselben
werden nach dieser Auffassung symbolisch mit bewaff-
neter Hand vor den Thron geführt. Der Herr ans dem
Gefolge des Prinzen meint, alles das sei eine angenehme
Überraschung gewesen bis zum Augenblick, als sie ins
Schloß traten und hier die Militärwache zu durchschrei-
ten hatten. Die Chinesen haben den Kaiser auf dem
Thron sitzen sehen: sie fanden den Empfang über alle
Erwartung glänzend. Die Thatsache, daß der Kaiser
beim Eintritt des Prinzen eine grüßende Bewegung ge-
macht hat, erscheint ihnen als ungewöhnliche Auszeich-
nung. Der chinesische Kaiser sitzt bekanntlich bei allen
Audienzen bewegungslos. Die Anwesenheit der Prin-
zen des kaiserlichen Hanfes und des Hofstaates gab, nach
ihrer verkehrten Auffassung, dem ganzen den Charakter
einer glänzenden Privatandienz. Der Prinz begrüßte
den Kaiser nach chinesischer Hofsitte, wie er seinen älteren
Bruder, den chinesischen Kaiser offiziell zu grüßen vev-
Pfichtet ist, nämlich indem er in geneigter Haltung mit
kleinen Schritten auf ihn zuging. Das Rückwärtsschrei-
ten des Prinzen bei Schluß der Audienz gehört demsel-
ben Zeremoniell an. Kurz, die Chinesen haben sich die
Ansicht gebildet, daß Prinz Tschnn imgrunde vom Kai-
ser ähnlich empfangen wurde, wie er in Peking in der
Eigenschaft eines hohen Reichswürdenträgers empfan-
gen wäre. Das sonderbarste ist, daß der Sinn der nach
der Audienz erwiesenen militärischen Ehren den Chine-
sen gänzlich entgangen ist. Die Unglücklichen haben sich
eingebildet, das sei jetzt die Sühnedemonslration! Man
ist soweit gegangen, sein Bedauern darüber auszudrücksn!
— Es ist unglaublicherweise als eine Vergünstigung an-
gesehen worden, daß der Kaiser das große Gefolge des
Prinzen nicht hat empfangen wollen. Die Chinesen
drücken ihre Befriedigung darüber aus, daß auf diese
Weise die Audienz sozusagen ein Privatbesuch des Prin-
zen beim Kaiser geworden wäre, was bei dem traurigen
Anlaß, der ihm zugrunde liegt, von großem Wohlwollen
des Kaisers zeuge.
Erstfcld, 6. Sept. Eine zur Kur iu Engelberg
weilende Engländerin, die mit ihrer Schwester ohne
Führer eins Tour auf den Schloßberggletscher ausführte,
ist heim Abstieg in eine Gletscherspalte gefallen.
Ihre Leiche wurde geborgen und nach Erstfeld gebracht.
Sofia, 6. Sept. Karawelow hat seine Demis-
s i o n eingereicht. Blau glaubt, daß der Fürst dieselbe
ablchnen wird.
Paris, 4. Sept. Die Abreise des türkischen Bot-
schafters M u n ir Be y aus Paris war keine frei-
willige; er wurde vielmehr von Delcasss aufgesordert,
Frankreich ohne Verzug zu verlassen. Der Grund hierfür
scheinen hauptsächlich die tendenziösen und erlogenen
Berichte über seine angeblichen Verhandlungen mit Del-
cassä und Constcms gewesen zu sein. Munir ging zuerst
nach Bern, wurde aber auf Befehl des Sultans nach
Konstantinopel berufen. — Von Paris ist er abgereist,
ohne seine Lieferanten und Dienerschaft zu bezahlen.
Die Regierung ist laut „Frkf. Ztg." entschlossen, sämt-
liche türkischen Geheimpolizisten auszuweisen, welche
von Munir-Bey zur Ueberwachung der Jungtürken un-
terhalten worden waren.
Paris, 6. Sept. Die „Agence Havas" meldet aus
K o n st a n t i n o p e l: Der Botschaftsrat Bapst lehnte
gemäß der ihm aus Paris zugegangenen Instruktion die
Einladung des türkischen Ministers Tewfik Pascha, ihn
in seiner Privatwohnung zu besuchen, ab.
Paris, 6. Sept. Sofort nach den Zarentagen wird
ein bedeutender Wettkampf aller Untersee-
boote zur Prüfung ihrer Gesamtleistungen angestellt
werden. Das Marineamt will schlüssig werden, welche
der beiden Haupttypen, „Morse" oder „Narval", bei
günstigem Gelingen zu bevorzugen seien.
Konstantinopcl, 5. Sept. Die Pforte erhielt die
Nachricht, der Kommandeur eines englischen
Kriegsschiffes hindere im persischen Golfe eine
türkische Korvette an der Einfahrt in den Ha-
sen von Koweit. Die Pforte verständigte das britische
Auswärtige Amt, daß die Haltung des Schiffskomman-
danten der Freundschaft der beiden Länder widerspreche.
Anderweite Berichte behaupten, der Vorfall habe einen
anderen Verlauf gehabt. Der englische Kommandant
habe die türkische Korvette nur an der Ausschiffung von
türkischen Truppen in Koweit in der Besorgnis gehindert,
daß Unruhen entstehen könnten. Die Entsendung von
türkischen Truppen nach Koweit soll von dem Sultan
von Bassorah veranlaßt worden sein.
Konstantinopcl, 3. Sept. Der Minister des Aus-
wärtigen lud heute den französischen Botschafts-
rat Bapst in seine Privatwohnung. Bapst berichtete da-
rüber nach Paris und erbat Weisungen seiner Regie-
rung.
London, 6. Sept. Den Morgenblättern zufolge er-
klärte der hiesige türkische Botschafter einer Protest-
note an die englische Regierung, daß das Verbot des
englischen Schifsskommandanten, türkische Truppen an
der Küste am Horn in Koweit auszuliefern unverein-
bar mit den freundschaftlichen Beziehungen zwischen
Großbritannien und der Türkei seien. Die Befürchtung
des englischen Schiffskommandanten, dis Landung von
türkischen Truppen würde zu Unruhen Veranlassung
geben, sei unbegründet, da die Mehrheit der Bevölkerung
Muselmannen seien.
Peking, 3. Sept. Die fehlenden Edikte
wegen welcher die Zeichnung des Schlußprotokolls aus-
geschoben wurde, sind eingetrofsen und werden von den
Gesandten geprüft werden.
 
Annotationen