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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Juli bis Dezember)

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Nr. 282 - 305 (2. Dezember 1901 - 31. Dezember 1901)
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Drittes Blatt.

43. JchrMW. — ßr. 305.





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Dienstag, 31. Dezember IM.


den Zweigstellen -bgeholt 4V Pfg. Durch sie Post be.

Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit FamilienbLättern monatlich SV Pfg. in'S Haus gebracht, bet der Expedition und
zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.
Akzeigenpr eiS: 20 Pfg. die Ispaltige Petitzeile oder deren AauM. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Ameiaen an bestimmt
vorgefcyriebeueu Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Anserate auf den Plakattafcln der Heidelberger Zeitung und den Plakatsäulen. — Fernsprech-Aulchluß Nr 82

Ire Sparpolitik auf den preußischen Kisen-
öaHnen und das Unglück von Menöeken.
Zn dem Eisenbahnunglück bei Altenbeken veröffent-
licht der „Wests. Merkur" eine Zuschrift, die wiederum
ein L-treislicht auf die übelangebrachte sparsamkeits-
Politik der preußischen Eisenbahnverwaltung wirft. Es
heißt darin:
„Die L-trecke sei früher mit 25 Bahnwärtern
besetzt gewesen, während jetzt Mir nach 13 P o r h a ir-
den seien. Auch die Bahnwärterbnde neben der lln-
glücksstelle sowie das zugehörige Wohnhaus hätten leer
gestanden. Diese Sparsamkeit in der: Ileber-
wachungskrästen hängt unmittelbar mit dem U rr glück
znsaminen, da ein ans den Bahnkörper geratenes
P ferd den verhängnisvollen Aufenthalt des O-Zuges
veranlagte. Wenn die Bahnwärterbude neben der Un-
glücksstelle besetzt gewesen wäre, so hätte der betreffende
Wärter das Pferd entfernen oder den Zug warnen
können. Am Tage vorher war der Kronprinz
mit dem D-Zug 31 gefahren; da hatte man die
Strecke n arbeiter als Bj a h n w ärte r auf die
Strecke verteilt. Hätte der Kronprinz sehr zeitweiliges
Vorhaben, am Freitag zu fahren, ansgeführt, so wäre
das Unglück aller Wahrscheinlichkeit nach überhaupt nicht
Passiert, weil dann alle gefährlichen Posten besetzt ge-
wesen wären. Die Verwinde r u ng des Wärte r-
personals ist um so schlimmer, als die Strecke
Paderborn-Altenbeken mit Zügen überlastet ist." Zu
alledem kommt, wie die „Frankfurter Zeitung" hinzn-
stigt, die schlechte Bezahlung der Bahnwärter
mit 740 Mark und das System von Geldstrafen für sie,
wenn sie einen Schnellzug unnötiger Weise halten lassen.
Das hält sie nur zu leicht ab, in Zweiselssällen ein Halte-
signal zu geben. Ein rheinisches Blatt macht ferner
darauf aufmerksam, daß in Altenbeken nicht ein selbst-
thätiges sogenannter elektrisches Blocksignal besteht, son-
dern die Signale von einem Blockwärter durch den Tele-
graph weiter gegeben werden. Das erschwert den Fall
für die Eisenbahnverwattung, denn wegen der geringen
Zuverlässigkeit dieses L-ystems ist seit 1898 durch die
vom Bund es rate erlassene Betriebsordnung für-
alle Bahnen mit schneller Zugfolge die „e lektrische"
Streckenblockung vorgeschrieben Dieser Vorschrift ist die
preußische Eisenbahnverwaltung wie der Altenbeker Un-
glücksfall beweist, für diese wichtige Bahnlinie noch nicht
nachgekommen. Hätte dort die elektrische Blockung be-
standen, so wäre die Katastrophe unmöglich gewesen,
denn der Personenzug hätte an der letzten Station nicht
abgelassen werden können, bevor der D-Zug die nächste
Station durchgesahren und dadurch das Signal „Bahn
frei" ansgelöst hatte.

Auch eine WeiHnachLsöescherung.
Der „Dzicnnik Pozncniski" schreibt:
Das Wreschener Komits, das für die Kinder
der in Gnesen Verurteilten sorgt, hat diesen am 24. De-
zember eine großartige Weihnachtsbescherung bereitet. In
der Reitbahn des Grafen Poninski waren vier riesige,
geschmückte Tannen ausgestellt und lange Tische, aus denen
Anzüge für die Kinder, Bücher, Spielsachen, Pfefferkuchen
und Nüsse lagen. Von der Decke herab hingen bunte !
vemtianische Lampen. Um 5 Ubr wurden die Kinder in -

die Reitbahn geführt, zuerst 13 Kinder der 1. Klasse, dis
die meisten Züchtigungen erlitten hatten, dann die Kinder
der Verurteilten, schließlich klassenweise die übrigen Schul-
kinder, zusammen 660. Darauf folgten die Eltern der
Kinder, und Gäste. Nachdem die Kinder dreistimmig
Weihnachtslieder gesungen hatten, hielt Graf Poninski
eine längere Ansprache, in der er den Kindern ihre
Pflichten ge genüber der Kirche und gegenüber der Nation
klarlcgte. Ein Posener Photograph nahm hierauf mehrere
Bilder der Kinder und der Bescherung aus. Nun begann
die Verteilung der Geschenke. Diejenigen Kinder, welche
die härtesten Züchtigungen erlitten haben, konnten unter
der Fülle der nützlichen Gegenstände wählen, was ihnen
gefiel. Außerdem erhielten sie eine Menge Spielzeug und
Süßigkeiten. Darauf wurden die Kinder der Verurteilten
und die übrigen K-nder beschenkt. Den Gesichtern der
Kinder sah man cs an, daß sie eine große Genngthuung
für die erlittene Züchtigung fühlten. Unter den Damen,
welche bei der Verteilung der Geschenke der Gräfin Po-
ninska und ihrer Tochter, der Gräfin Mydelska, behülflich
waren, befand sich die Gattin des bekannten Herrenhaus-
mitgliedcs, Frau Koscielska ans Milowslaw mit ihren
Töchtern.
Diese Art und Weise, Prämien für die von den
Schulbehörden bestraften Kinder ausznsetzen, ist allerdings
ein sehr wirksames Agitationsmittel, und man
kann voraussehen, daß auch anderwärts die Polenkinder,
gelockt durch diese Bescherung, den Wreschener Kameraden
in der Auflehnung gegen ihre Lehrer nacheisern werden.
Deshalb aber ist dieses Verfahren des polnischen Adels
auch eine so offenkundige Verhöhnung der Behörden, daß
cs die Regierung zu Gegenmaßregeln gradezu heraus-
fordert.
Wir wollen hoffen, daß die preußische Regierung sich
von den Heiren Poninski und Konsorten nicht wird auf
der Nase herumtanzen lassen. Es giebt ein sehr einfaches
Mittel: Diejenigen polnischen Kinder, die sich der Schul-
ordnung nicht fügen wollen, enlbinde man ganz vom
Schuld.such. Durch deutsche Bildung sind die preußischen
Polen in die Höhe gekommen, sodaß sie kulturell ihren
Stammesgenossen in Oesterreich und Rußland weit über-
trcffen. Es wird sich fragen, ob es nicht thörichl von
Preußen ist, dis polnische Opposition selbst geistig zu
drillen. Jedenfalls solle man die lieben Polen nicht noch
schön bitten, daß sie in den deutschen Schulen deutsch anr-
worten, sondern ihnen einfach sagen: Entweder ihr fügt
Euch, oder ihr zstht hinaus!

LsrrLsches Weich.
Hessen.
Dar m st adt, 27. Dez. Eine neuliche Mitteilung,
betreffend den Ilmban der Darmstädter Bahnhöfe,
kann das Darinst. Tagbl." dahin ergänzest, daß bei die-
sem Umban eine Zusammenlegung der zur Zeit be-
stehenden zwei Bahnhöfe ins Auge gefaßt ist und zwar
auf der gegenwärtig von denselben eingenommenen
Stelle; die Bahnhöfe sollen so zu gemeinsamem Betriebe
vereinigt werden . Die wesentlich zu vergrößernde Haupt-
werkstätte wird auf ein beiBessungen demStaat gehöriges

Terrain verlegt, so daß ziemlich viel Raum ans dem
Mmn-Necknr-Bahnhof gewonnen wird. Die Darmstäd-
ter Werkstätte der Gemeinschaftsverwaltung soll durch
eine Abteilung für Lokomotivansbesserung ergänzt wer-
den, die über den Bedarf der Main-Neckav-Bahn hinaus
den Bedürfnissen des Gemeinschaftsbetriebes zu diesten
hätte. Die Kosten des Umbaues der Hauptwerkstätte
sind zu 2 930 000 Mark veranschlagt; für das Etatsjahr
1902—1903 werden davon im Hauptvoranschlag als
erste Banrate 600 000 Mark vorgesehen. Die Kosten
des Bahnhofumbaues werden zu rund 10 Millionen
Mark veranschlagt und werden als erste Vanrate ebenfalls
600 000 Mark gefordert. Falls die von den betreffenden
Regierungen geplante anderweitige Verwaltung der
Main-Neckar-Bahn die Zustimmung der Landstände fin-
det, sollen die sehr umfangreichen Aenderungen an Ge-
bäuden und Geleisanlagen sobald als möglich in Angriff
genommen werden.
— Es ist bemerkenswert, daß in dem Entwurf ei-
nes R e g e n t s ch a f t s g e s e tz e s mit der Möglichkeit
gerechnet wird, daß die Thronfolge ungewiß ist. Bis
jetzt nahm man an, daß das landgräfliche Haus nach dem
Anssterben des jetzt herrschenden Hauses thronfolge-
berechtigt ist. Vielleicht bezieht sich indessen die betref-
fende Bestimmung nur auf den Fall, daß auch die land-
gräfliche Linie ausstirbt.
Bayern.
M ü n ch e n , 29. Dez. Der frühere Nuntius S a m-
bucetti zog sich ins Privatleben wegen Arterienver-
kalkung zurück. Monsignore Tarnassi, den die va-
tikanische Presse als den zukünftigen Nuntius in München
bezeichnete, ist von neuem erkrankt.

A rr s l er n d.
Oesterreich-Ungarn.
Wien, 30. Dez. Die geplante große Kundgebung
des galizi scheu Landtages in der Wreschener
An gelegenheit wird, wie die „Neue Fr. Presse"
meldet, unterbleiben. Gestern beschlossen die Ob-
männer der Landtagsparteien, von einer besonderen
Kundgebung und Debatte abzusehen und sich darauf
zu beschränken, bei der heutigen Budgetdebatte die Er-
klärung abzngeben, daß die Parteien sich den Ausführun-
gen des Grafen Dzieduszyczki im Abgeordnetenhause an-
schließen. Diese Wendung ist, wie die „Neue Fr. Presse"
hinzufügt, ans Einwirkung der Regierung zstrückzu-
führen.
—> Zn dem von den Erzbischöfen und Bischöfen Cis-
leithaniens in einem Gesamtsendschreiben neuerdings
wieder in Erinnerung und Anregung gebrachten Plan,
in Salzburg eine spezifisch katholische Hoch-
schule zu errichten, schreibt der Wiener Korrespondent
der „Allg. Ztg.": Die Sammlungen für eine katholische
Universität in Salzburg gehen recht langsam von stat-
ten. Durch den jüngsten Hirtenbrief der österreichischen
Bischöfe erfährt man, daß eine halbe Million Gulden für
diesen Zweck bereits vorhanden ist, daß aber im ganzen 10
Millionen Gulden notwendig sein würden, um die Uni-
versität nicht nur ins Leben rufen sondern auch erhalten
zu können. Es brauchte, so tröstete der Hirtenbrief, von
den 20 Millionen Katholiken Cisletthaniens ein jeder
nur jährlich durch zehn Jahre bloß 5 Kreuzer beizustsuern
und der Bedarf wäre gedeckt. Es würde jedoch sehr

Kleine Zeitimg.
— Hochschulnachrichten. Der außerordentliche Pro-
fessor der englischen Philologie an der Universität Gie-
ßen, Dr. Wilhelm Wetz, früher Privatdozent in Straß-
burg, hat, der „Franks. Ztg." zufolge, einen Ruf als
ordentlicher Professor an die Universität Freibnrg i.
Br. erhalten. ' ^
— FrankstiHt, 28. Dez. Ueber die Weihnachten
eines llntersuchnngs gefangenen schreibt
man der „Frkf. Ztg.": Der Sohn eines hiesigen Post-
sekretärs war am Dienstag Vormittag in der Wohnung
seiner Eltern verhaftet worden. Kurz darauf wurde er
dem Amtsgerichtsrat Menzen zur Vernehmung vorge-
sührt Bekanntlich befinden sich im Gerichtsgebäude
Gefangenenzellen, in denen die Häftlinge provisorisch bis
zu ihrer Vernehmung und Aburteilung untergebracht
werden. Rat Menzen gab nun dem Gefangenenaufseher
den Auftrag, er solle während jener Vernehmung aus
dem Gefängnis die anderen Häftlinge holen. Der Auf-
seher ging fort, und als die Vernehmung beendet war,
sagte der Rat dem Gerichtsdiener Lange, er solle den
Arrestanten bis zur Rückkehr des Aufsehers in eine der
Zellen des Jnstizgebäudes einsperren. Das ist ein Ver-
fahren, das täglich vorkommt. Der Gerichtsdiener
sperrte nun den Arrestanten aus Versehen in eine Frauen-
zelle ein; an sich wär das nicht schlimm gewesen, da die
Zelle ja leer war. Aber es kam schlimmer. Der arme
Mensch wurde vergessen, gänzlich vergessen! Von Diens-
tag Vormittag bis Freitag Morgen um halb 7 Uhr war
er ohne jegliche Nahrung cingesperrt. Beinahe 66
Stunden bat er in der tteinennngeheizten und fast völlig
dunklen Zelle, ohne einen Schluck Wasser, ohne einen

Bissen Brot znbringen müssen! Stundenlang^ hat der
junge Mensch mit Händen und Füßen an die Thüre ge-
trommelt, um so die Aufmerksamkeit der Vorübergehen-
den zu erregen. Aber niemand hörte ihn oder küminejrte
sich darum, obgleich auf dem gleichen Korridor die Ab-
teilungen für Untersuchungsangelegenheiten liegen und
während der Feiertage immer ein Beamter am Vormit-
tag anwesend sein soll. Erst am Freitag Morgen er-
stattete der Gerichtsdiener und Kastellan Lange Anzeige,
daß anscheinend jemand in der Zelle sitze. Der Häftling
ist daraufhin sofort ins Untersuchungsgefängnis zurück-
gebracht worden. Die Gefängnisverwaltung hatte über
den fehlenden Mann dem ersten Staatsanwalt berichtet,
niemand aber kam auf den Gedanken, daß derselbe,
völlig vergessen, in der Zelle im Gerichtsgebäude saß.
Die Darstellung des fast unglaublich klingenden Vorfalls
wird dem genannten Blatt noch von anderer Seite
bestätigt, mit dem Hinzufügen, daß „die Untersuchung
bereits im Gange ist und heute Morgen im Gerichtsge-
bäude selbst unter den Beamten große Aufregung
herrschte".
— Henry Dunant, welcher den Nobel-Friedenspreis
im Betrage von 104 000 Francs erhielt, suchte und
fand, nachdem er sein Vermögen verloren hatte, Unter-
kunft erst im Kurort Heiden, dann eine kurze Zeit in
Herisau (Appenzell), um dann wieder nach Heiden zu-
rückznkehren, wo er im dortigen Bezirkskrankenhanse zur
Zeit eine Wohnung inne hat. Gegen einen mäßigen Pen-
sionspreis wurden ihm zwei hübsche Zimmer zur Ver-
fügung gestellt und auf sein Verlangen durch eine Glas-'
thüre von den übrigen Räumen abgeschlossen. Anfänglich
verkehrte Dunant. der stets nur französisch spricht und

nur wenig Deutsch versteht, oft mit verschiedenen Bewoh-
vern von Heiden; aber nach und nach zog er sich voll-
ständig zurück, so daß er monate-, ja jahrelang den
Leuten nicht mehr zu Gesicht kam. Von morgens ffrüh
bis. abends spät sitzt er am Schreibtisch und korrespon-
diert mit all den Großen und Führern der internationa-
len Frtedensbestrebnngen. Die Außenwelt vergaß ihn
nach und nach und bald wurde er überhaupt nirgends
mehr erwählst, denn in seinem Charakter liegt es nicht,
die Welt an sich zu erinnern. Aber er blieb nicht ver-
schollen, sein Werk ist so bedeutend, daß man ihn gerech-
terweise wieder finden mußte. Dem verstorbenen Herrn
Scholder-Develay in Zürich ist es zu danken, daß die
Welt auf den vereinsamten Einsiedler in Heiden wieder
aufmerksam geworden und nun endlich, am Abend seines
Lebens, wieder ein Heller Sonnenschein ins Kämmerlein
des Mannes fällt, der für andere alles, für sich selber
aber gar nichts gethan hat.
— Tod durch einen Papageibiß. Aus Wiener-Neustadt
wird dem „W. F." berichtet: Große Teilnahme erweckt
hier das tragische Schicksal des Fräulein Paula Seidl,
der Inhaberin des ersten hiesigen Modesalons. Die
Dame, eine große Vogelfreundin, wurde vor einigen
Tagen von ihrem Papagei in den Arm gebissen, ^-ie
beachtete den Biß nicht, bis der Arm anzuschwellsn
begann. Es war eine Blutvergiftung eingetreten, dw
trotz zweimaliger Operation immer weiter um sich griff.
Gestern hätte eine dritte Operation vorgenommen wer-
den sollen. Allein in der Nacht ist Fräulein Seidl, die
erst im 30. Lebensjahre stand, gestorben.
 
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