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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 11 - No. 20 (13.Januar - 24. Januar )
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https://doi.org/10.11588/diglit.43990#0051

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Die „Bürgerzeitung"
erscheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummcr liegt ein Unter-
haltungsblatt, „Der Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei

Verkündigimgsblatt und Anzeiger
sür Stcröt und Lund.

Aborrnem entspreis
sür Heidelberg: monatl. 48 Pfg. mit
Trägerlohn, durch die Post bezogen
vierteljährl. Mk. 1.— ohne Zustellgeb.
ZnserlianspreiS: 10 Pf. für die 1-spalt-
Petitzcile od. deren Raum. Für locale
Geschäfts- u. Privatanzeigen 5 P?»

11.

Heidelberg, Freitag, 13. Januar

1893.

Zum Abonnement
auf die „Bürgep-Zeitung" laden wir ergebenst
ein. Bei
Reichhaltigkeit und Billigkeit
ist dieselbe auch kein Parteiorgan.
Der Preis ist der niedrigste aller Blätter
in Baden, er beträgt
monatlich nur 19 Psg.
mit Trägerlohn, durch die Post bezogen
vierteljährlich 1 Mk.
ohne Zuftcllungsgebühr.
Bestellungen werden für auswärts durch die Post,
innerhalb der Stadt durch unsere Träger entgegenge-
nommen.
Verlag der „Bürger-Zeitung".
Zum H*unumu- Prozeß.
Seit zwei Tagen ist der Panamascandal, nachdem
er unendlichen Staub aufgewirbelt, auf den Weg des
Prozesses gelangt und zwar vor den Appcllbof des Seine-
Departements. Die Angeklagten wie ihre Begünstiger,
Staatsanwalt und Richter, haben es aufgegeben, dte Sache
mit rabulistischen Spitzfindigkeit hinauszuschieben, durch
Verweisung an ein'anderes Tribunal, die Verjährungsfrist,
welche für den größeren Theil des Sündenregisters bereits
erreicht ist, auf sämmtliche Änklagepunkte auszudebnen und
so dem öffentlichen Rechtsbewußtsein einen letzten Faust-
schlag zu versetzen, welcher das volle Maaß der Volks-
geduld doch wahrscheinlich zum Ueberlaufen bringen dürfte.
Die Entrüstung, die Erbitterung ist zu allgemein und zu
tiefgehend, als daß die Insolenz gallischer Justizbehörden
ihr noch länger zu trotzen wagte. Man hat sich denn zu
der Einsicht bekehrt, daß cs für alle Betheiligten am Vor-
theilhaftesten sei, sic gleich jetzt, bevor die schlimmsten
Enthüllungen eingetreten, der Justiz des „rücksichtsvollen"
Präsidenten Perivier auszuliefern, der die Schuldigen
unter allen Umständen glimpflicher behandeln wird als
zu späterer Zeit von einem anderen Richter zu erwarten
wäre.
Um zu begreifen, wie bei dem Canal-Unternehmen ge-
schwindelt, unterschlagen und gestohlen wurde, wie es
möglich war, von den dem Publikum abgelockten dreizehn

Hundert Millionen mindestens zwei Drittel ihrem recht-
mäßigen Zweck zu entfremden und in den Taschen eini-
ger weniger Flibustier verschwinden zu lassen, muß man
sich vergegenwärtigen, daß die Geschichte des Canal-
baues in drei Perioden zerfällt, nämlich in die der Ver-
schleuderung, die der Unterschlagung und die des gemeinen
Raubes. Die erste Periode umfaßt die Jahre 1881 bis
1885, die Zeit da die Direktion in Paris sich noch be-
mühte, mit ihrem Actiencapital von 300 Millionen, sowie
mit dem Ertrag der drei ersten Obligationsanleihen, welche
insgesammt 425^/z Millionen ergeben hatten, auszu-
kommen bezw. das Canaluntcrnehmen durchzuführcn. Da-
mals waren die Arbeiten aus dem Isthmus an eine große
Zahl kleiner Unternehmer verdingt, welche sich sehr hoch,
ungebührlich hoch bezahlen ließen, dabei immerhin etwas
leisteten und verhältnißmäßig anständig vorgingen. Herr
MariuS Fontane, der General-Secretär der Gesellschaft,
und andere im Einverständniß mit ihm handelnde Ad-
ministratoren begnügten sich damals mit fünf Prozent
Provision, wenn sie Lieferungen und Arbeitscontracte ver-
gaben. Dieses relativ bescheidene Trinkgeld wurde von
jeder Seitens der Gesellschaftskasse regulirten Zahlung er-
hoben, an Baron Reinach abgeliefert und von diesem nach
Abzug des ihm selbst gebührenden Antheils an Fontane
und Consorten vertheilt. Der Appetit der Herren wuchs
mit dem Essen. Es kam ein Moment, wv ihnen die
Trinkgelder nicht mehr genügten, wo sie die bis dabin
den Bauunternehmern zugewiesenen großen Bencfizien für
sich selbst zu behalten beschlossen. Die zahlreichen kleinen
Unternehmer wurden verabschiedet und durch ein halbes
Dutzend von General-Entrepriesen ersetzt, welchen die
Dircction in Paris noch weit vortheilhaftereBedingungen
zugestand und von denen die Directoren sich noch un-
gleich fettere Beutestücke zuweisen ließen. Eine besonders
begünstigte Gruppe von Entrepreneurs war die „Acticn-
Gesellschaft für öffentliche Bauten und Constructionen".
Diese Actien-Gesellschaft bestand — aus den Herren
Charles und Victor de Lesseps, Marius Fontane, Baron
Eottu, Donon Vater und Sohn. Es war eine Gründung
der unseligen „Depot- und Conto-Corrent-Gesellschaft",
in deren Vorstand die Mehrzahl der Panama-Directoren
saßen und die bekanntlich von diesen selben Herren zum
Ruin, zum Bankrott geführt worden ist. Als Admini-
stratoren der Depot-Bank riefen die Directoren der Panama-
Gesellschaft einen Bau-Verein ins Leben, dessen Aetien sie
zum weitaus größten Theil für sich behielten, dem sie so-
dann die Bauausführungen auf dem Isthmus übertrugen,
den sie in schwindelhaftester Weise begünstigten und dessen

Gewinnste sie aus der Panama-Kasse in ihre Tasche
gleiten ließen. Es galt, die regierenden Parteihäuptlinge
als Mitschuldige zu gewinnen, und sich im Voraus
Straflosigkeit zu erkaufen. Diese Berechnung wäre auch
beinahe geglückt. Nahezu vier Jahre haben die Regenten
der Republik verstreichen lassen, ehe sie zum Schein eine
strafrechtliche Untersuchung einleiten ließen, und die volle
Verjährungsfrist von fünf Jahren wäre sicher erreicht
worden, wenn nicht der ahnungslose Engel Ricard, der
seinerzeit nicht bestochene, q erköpfig ehrliche Justizminister
des vorletzten Cabincts in seiner Unkenntniß der Verhält-
nisse das Verderben heraufbeschworen hätte. Die zweite
Periode war übrigens nur von kurzer Dauer. Nachdem
im Jahre 1886 der Bautcnminister Baihaut sich mit
einer Million hatte kaufen lassen, seitdem der für die
Panama-Direction vernichtende Bericht des Staats-
ingenieurs Rousseau durch das CabinetFreycinet-Sarrien-
Baihaut-Sadi Carnot unterschlagen war, brauchte die
Gründersippe sich keinen Zwang mekr aufzuerlegen. Mit
Hilfe des Consortiums Eiffel-Hebrard, welchem die ge-
summten Arbeiten, die gesummten „Lieferungen" über-
tragen wurden, begann die Vertheilung der letzten Beute,
begann die kurzhändige Unterschlggung im Großen. Eine
vierte und fünfte Emission von Obligationen hatten neues
Kapital im Betrage von 323 Millionen ergeben und die
im Jahre 1888 mit staatlicher Genehmigung emittirte
Loos-Anleihe brachte weitere 300 Millionen, obwohl sie
nur zum kleineren Theil Abnehmer fand. Dieses Geld
fft einfach gestohlen worden. Herr Eissel und sein
Complice, derSenatorHebrard (Herausgeber des „Temps" I
schlossen mit einem Male Verträge über Lieferungen im
angeblichen Werth von 102 Millionen ab und wirklich
liquidirten sie vor Eintritt der Katastrophe 72 Millionen.
Wie es dabei herging, mag man aus der einen That-
sachc entnehmen, daß sie sich ein: Maschinen-Lieferung
für 9,600,000 Frcs. übertragen ließen, deren Ausführung
sie sodann für 1,600,000 Frcs. — mit 500 Prozent
Gewinn! — an die Maschinenbau-Anstalt Fives-Lille
weiter vergaben, Sachverständige haben nachgerechnet, daß
Herr Eissel allein, wenn es zur Herausgabe der betrügerisch-
erzielten Gewinnste käme, mindestens 45 Millionen zu-
rückzuerstatten hätte.

Deutsches Reich.
Karlsruhe, 11. Jan. Aus militärischen Kreiseu
verlautet, daß für morgen ein Kaisermanöver
zwischen Ettlingen-Malsch geplant ist.

In schwerem WeröcrchL.
10) Crirninal-Novclle
von Reinhold Ortmann.
(Fortsetzung.)
„Der läuft ja davon, als wenn er etwas auf dem
Gewissen hätte!" murmelte der Portiert „ich muß doch
die Kammerjungferfragen, ob sie auch während der ganzen
Zeit bei ihm geblieben ist!"
Mit dieser Frage schien es der treue Hüter des Hauses
indcß gar nicht sehr eilig zu haben; denn als ihm in
diesem Augenblick gerade seine behäbige Gattin das aus
einem Glas Rothwein und diversen Schinkensemmeln be-
stehende Frühstück brachte, waren Mechaniker und Kammer-
jungfer absolut vergessen. Mit vergnügtem Schmunzeln
ließ er sich in seinen gewichtigen Sorgenstuhl nieder und
vertiefte sich während des Kauens zum tausendsten Male
in die Lektüre eines bluttriefenden Romanes, den er schon
vor einem Jahre zu studiren begonnen und nur deßhalb
bereit mehrmals ganz durchgelesen hatte, weil er nie wußte,
wie weit er Tags vorher gekommen war, und deßhalb der
Sicherheit wegen immer wieder ganz von vorn anfing.
Während sich nun unten in seiner Loge der Portier
des Lauenfeld'schen Palais bei Rothwein und Schinken-
semmeln mit deu Thaten und Schicksalen des unmensch-
lichen Räubers Käsebier befaßte, hatte sich die Kammcr-
juNgfer der Gräfin, die nur wenige Stunden der Nacht-
rude hatte genießen dürfen, noch sür eine „Minute" auf
das Sopha geworfen, das Klingeln der gnädigen Frau

erwartend und in tiefer Ermattung allmälig sanft ent-
schlummernd.
Die übrigen Hausbediensteten saßen zum größten Theil
noch immer in dem nach dem Hofe hinaus gelegenen Do-
mestikenzimmer bei ihrem Morgenkaffee, der sich heute,
wo man noch keinen einzigen Befehl der energischen und
ziemlich gefürchteten Gebieterin auszuführen gehabt, zu
einem allerliebsten Plauderstündchen ausdehnte. — Der
Koch hatte sich in aller Gemächlichkeit eine bei irgend einer
Gelegenheit „abgefallene" Cigarre angesteckt und schrieb
an dem großen Küchentisch einen zärtlichen Brief an sein
fernes Lieb. Die Kutscher und die beiden Reitknechte
standen, die Pfeife in dem Munde, im Hofe und char-
mirten mit den Köchinnen und Mägden, — kurz, das
ganze Haus bot ein Bild so vollständiger Ruhe und
Sorglosigkeit, daß auch nicht ein einziger seiner Bewoh-
ner von den grausigen Vorgängen der letzten Nacht das
Geringste wahrgenommen haben konnte.
Die amerikanische Uhr im Zimmer der Kammerzofe
schlug bereits ein halb 10 Uhr, als das junge Mädchen
verwirrt und erschreckt a.s seinem süßen Morgenschlummer
erwachte. Ein Blick auf das Zifferblatt hatte sie über-
zeugt, daß sie das Läuten der Gräfin überhört und jeden-
falls einen strengen Verweis, wenn nicht gar eine Dienst-
entlassung zu erwarten habe. Pflegte doch ihre Gebieterin
stets uni neun Ubr die erste Toilette zu machen und war
es doch geradezu nnerhört, daß die Jungfer dazu nicht auf
das erste Klingelzeichen erschienen. —
Angstvoll und hastig ordnete darum die Zofe ihren
etwas derangirten Anzug und eilte in den Ganenflügel,
um den Zornesausbruch der Gräfin über sich ergeben zu

lassen. Vor der verhängnißvollen Thür blieb sie noch
einen Augenblick stehen, um zu lauschen.
Drinnen rührte sich noch nichts, und als auch auf ihr
erstes, schüchternes Klopfen keine Antwort erfolgte, athmete
sie erleichtert auf. Wenn die Gräfin noch schlief, war sie
ja von dem Vorwurf der Unachtsamkeit befreit.
Nichtsdestoweniger war es an der Zeit, die gnädige
Frau zn wecken, und die Kammerjungfer ließ deßhalb
auf ihr erstes, zartes Pochen ein starkes und noch ein stärkeres
folgen. Aber auch jetzt noch drang kein Laut aus dem
Inneren des Gemaches, und das junge Mädchen mußte
sich nach einigem Zögern entschließen, dasselbe zu betreten,
dessen Thür, wie sie wußte, jederzeit unverschlossen war.
In dem ersten Zimmer, dem eigentlichen Boudoir, deutete
nichts darauf hin, daß die Gräfin dasselbe am Morgen
bereits betreten, die Zofe trat zu der Thür des Schlaf-
kabinets und hob vorsichtig die Portiere auf. Die Gräfin
hatte ibr den Rücken zugewendet und lag auf dem kost-
baren Bette, anscheinend im tiefsten Schlafe.
„Die gestrige Gesellschaft muß sie doch sehr ange-
griffen haben," dachte die Dienerin; „sie hat sonst keinen
so festen Schlaf."
„Gnädige Frau!" rief sie mit gedämpfter Stimme in
das Gemach hinein.
Keine Antwort!
„Gnädige Frau!" wiederholte sie noch einmal mit
stärkerem Nachdruck und näher an das Lager herantretend.
Die Angerufene aber regte sich nicht, und die Brust des
jungen Mädchens erfüllte sich Plötzlich mit einer unerklär-
lichen Bangigkeit. Scheu und zitternd schlich sie dicht
an die Ruhestätte heran und beugte sich über die vermeint-
 
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