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Neuer Heidelberger Anzeiger (27) — 1900

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Nr. 221 - Nr. 230 (22. September - 3. Oktober)
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Nr. 22 l._27. Jahrgang. 5 Samstag, 22. Septrnkber 1800.
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Erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn- u. Feiertage.
Als Beilagen das „Heidelberger Volksblatt" und das
8seitige „Illustrierte Sonntagsblatt". Preis S5 Pfg.,
mit den Beiblättern 36 Pfg. monatlich. Durch die
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deutend ermäßigt. Reklamen 30 Pfg. Für Auf-
nahme von Anzeigen an bestimmten Tassen wird nicht
garantiert. Gratisverbreitung durch Saulenanschlag.

Deutsches Reich.
Karlsruhe, 21. Sept. Der Groß Herzog hat an
den Minister des Innern Dr. Eiscnlohr aus Anlaß
besten Uebcrtritts in den Ruhestand das nachstehende
Schreiben gerichtet:
Lieber Herr Minister Eisenlohr!
Sic wissen, mit welchen Gefühlen des Bedauerns ich
Sie aus dem hohen Amte scheiden sehe, das Sic so
lange Jahre erfolgreich geführt haben. Sic wissen aber
auch, wie dankbar ich der Zeit gedenke, in der wir
gemeinsam gearbeitet haben, und in welcher Sie mir
Hilfe und Stütze gewährten. Nur sie selbst können
ermessen, in welchem Maße ich Ihnen Dankbarkeit
widme, denn Sie kennen die Ausdehnung Ihrer Wirk-
samkeit besser, als ich Ihnen dieselbe schildern könnte.
Gerne aber nehme ich an, daß sie überzeugt sind, wie
hoch ich Ihre Wirksamkeit geschätzt habe und wie sehr
ich die ruhelose Dichtigkeit anerkenne, mit welcher Sie
gearbeitet haben. Die Einsetzung Ihrer Kräfte hat ja
leider Ihre Gesundheit geschwächt und diese Ursache
Ihres Rücktrittes vom Amte bildet einen bleibenden
Gegenstand meines Bedauerns. Bon Herzen wünsche
ich daher, daß die wohlverdiente Ruhe Ihnen auch volle
Genesung bieten möge und Sie noch viele Jahre mit
Befriedigung auf Ihre treue Arbeit zurückblicken dürfen.
Diesen meinen Gefühlen der Anerkennung und Dank-
barkeit möchte ich auch einen öffentlichen Ausdruck geben,
indem ich Ihnen hiermit das Großkrcuz des Bertholb-
vrdcns verliehen.
Schloß Mainau, Ihr
den 15. September sehx wohlgeneigter
1900. lgcz.) Friedrich.
An den Minister des Innern
Herrn Dr. Eisenlohr in Karlsruhe.
Karlsruhe, ^1. Tcplbr. Wcgcu Ablebens S. K. H.
des Prinzen Albrecht von Sachsen und Sr. Gr. H. des
Prinzen Heinrich von Hessen und bei Rhein legt der
Großhcrzogliche Hof vom 21. an die Trauer auf zehn
Tage bis zum 30. September einschließlich, für beide
Zleichzeitig, nach der 4. Stufe der Drauerordnuug an.
Berlin, 21. Sept. Tic „Nordd. Allg. Ztg." meldet:
Puf die Nachricht von der Ankunft derFreifrau v. Kcttelcr
'n Tientsin richtete der Kaiser an die schwer geprüfte
8rau folgendes Telegramm:
Nachdem Sie die lange Schreckenszcit, die Sic gleich
zu Anfang des Gemahls beraubt hat, willensstark über-
standen haben, begleitet sie auf dem Heimwege meine
herzlichste Teilnahme. Mein Volk trauert mit Ihnen.
Tröste Sic Gott!

Freifrau v. Kettcler sprach dem Kaiser ihren tiefempfundenen
Dank aus für die gnädige Teilnahme.
Berlin, 21. Sept. Der Vorstand des Kysihäuser-
BundcS der deutschen Kricgerverbände berichtet über den
am 10. und 11. ds. Mts. auf dem Kyffhäuscr gehaltenen
ersten Bertretcrtag des Kyffhäuserbundcs: „Nach lang-
jährigen Bemühungen ist cs endlich gelungen, sämtliche
Landeskriegerverbände des Reiches in einem nach Analogie
der Rcichsverfassung zusammengesetzten Bund zu vereinigen.
Der Bund umfaßt zur Zeit etwa 22000 Vereine mit
nahezu 2 Millionen Mitgliedern.
Mainz, 21. Sept. Der sozialdemokratische
Parteitag sprach sich in namentlicher Abstimmung mit
163 gegen 66 Stimmen für den Antrag Bebel aus,
in dem die sozialdemokratische Partei verpflichtet wird, bei
den nächsten preußischen Landtagswahlen in die Wahlagi-
tation cinzutrctcn, und wonach ohne Zustimmung des
Partcivorstandcs keinerlei Abmachungen mit den bügcr-
lichcn Parteien getroffen werden dürfen. Ein Antrag
Hoffmann-Berlin, dahingehend, daß Wahlbündnisse mit den
bürgerlichen Parteien zwecks Aufstellung geeigneter Can-
didaten nicht getroffen werden sollen, wird in namentlicher
Abstimmung mit 137 gegen 93 Stimmen abgclehnt. Da-
rauf wird der Parteitag geschlossen.
Serbien.
Die Heiratsgeschichte des Königs Alexander
wird immer interessanter. Es treten jetzt Dinge zu Tage,
von denen man früher in breiteren Kreisen keine Ahnung
hatte. Aus Budapest wird hiezu gemeldet, Exkönig Milan sei
seit Jahren auf der Suche nach einer reichen und schönen
Braut für feinen Sohn gewesen, lange ohne jeglichen Er-
folg. Endlich fand er mit Hilfe des deutschen Gesandten in
Belgrad und des serbischen Gesandten in Berlin eine solche
in der Person der einundzwanzig Jahre alten Prinzessin
Alexandra, Tochter des Prinzen Wilhelm von Schaum-
burg-Lippc. In Berlin wurde Milans Plan gebilligt,
und vor seiner Abreise nach Karlsbad teilt er ihn anch
dem Minister Grafen Goluchowski mit. Alles war
vorbereitet, nnd die beiden erwähnten Gesandten sollten be-
reits für König Alexander um die Hand der Prinzessin
anhaltcn. Man erwartete nun mehr die Zustimmung des
Letzteren, dem Milan erst im letzten Moment mitteilte,
welch' herrliche Braut er für ihn ausfindig gemacht habe.
Zum größten Erstaunen Milans traf aber statt der Zu-
stimmungscrklärung seines Sohnes die Nachricht von seiner
Verlobung mit Draga Maschin ein. Der junge König
war ungehalten darüber, daß man, ohne ihn auch nur zu
verständigen, für ihn aus Brautschau ausgegangen war.
Dazu kam noch der Umstand, daß er von dem Plan, der

darauf ausging, Draga Maschin zum Verlassen Belgrads
zu bewegen, Kenntnis erhielt. Dies veranlaßte ihn, die
Verlobung sofort zu proklamircu. Prinzessin Alexandra
und ihr Vater waren von den Plänen Milans bereits
verständigt gewesen und sahen sich nunmehr furchtbar kom-
promittiert, Die weitere Folge war die Pensionirung der
serbischen Gesandten in Berlin und Wien. Auch der deut-
sche Gesandte in Belgrad, Baron Wäckcr-Gotter, soll nun-
mehr in Folge dieser Asfaire die erbetene Abberufung von
seinem Posten erhalten haben. Bestätigt sich diese Dar-
stellung aus der Heiratsgeschichte des Königs Alexander,
dann kann man ihre Folgen nur begrüßen. Der deutschen
Prinzessin aber kann man nachträglich nur dazu gratulireu,
daß sie dem Schicksal, den Thron der Obrenowitsch zu
zieren, glücklich entgangen ist.

Die Wirren in China.
Tien tsin, 21. Sept. Das RcuterschcBureau meldet:
3600 Deutsche sind vorgestern abmaschicrt, um sich mit
den in der Gegend von Taku stehenden 4000 Mann, von
denen 1500 Deutsche, die übrigen hauptsächlich Russen
sind, zu vereinigen. Am Tage darauf mit Tagesanbruch
sollten die Peitsangsforts angegriffen werden.
Tokio, 21. Sept. Kombinierte deutsche, russische
nnd französische Truppen nahmen gestern die Peitfang-
forts.
Peking, 21. Sept. Wie das Rcuterschc Bureau
meldet, gingen deutsche Truppen am 17. von hier ab,
um mit Wilsons Colonnc auf Pcitatichni vorzugehen. Die
Deutschen sollten den Ort von Osten angrcifen, die Colonnc
Wilson von Westen. Wilson soll alsdann das Arsenal
von Sanhai nehmen.
Taku, 21. Sept. Das Wolffschc Telcgraphenburcau
meldet: Die russischen Kosaken geleiteten Li-Hung-
Tschang vom Bahnhof nach dem für den Kaiser von
China seiner Zeit hier erbauten Palast. In der ver-
gangenen Nacht feuerten die Pcitsang-Fo rts auf
die russische Infanterie und verwundeten 25 Mann.
Seit hente früh werden Forts und Sadt von der
deutschen Haubitz cnbattcric beschossen.
Shanghai, 21. Sept. Hier ist die Meldung ein-
getroffen, daß die „Hertha" heute Mittag in Wusung ein-
trifft, von wo Graf Waldcrscc mit der „Hela" nach
Shanghai wcitcrfährt. Am Landungsplatz werden deutsch c,
französische, englische und japanische Ehren-
wachen mit der deutschen Geschwadermusik Aufstellung
nehmen. Eine englische berittene Escorte wird ihn zum
Generalkonsulat geleiten.

S7)

Wie es endete.
Roman von Maria Theresia May.
jNachdruck verboten.)
(Fortsetzung.)
„O, das wußte Ihre Frau nicht'?" rief der Marchese
P äußerster Ucberraschung.
. „Nein." — Und Graf Lnndskron erzählte in flicgcn-
Worten die wichtigsten Momente seiner Bekanntschaft
"R Gertrud, seiner Verlobung und Heirat.
Der Marchese schüttelte den Kopf. „Wenn Ihre Frau
,'Mahlin nur eine hübsche Frau wäre, mit allen Vorzügen
Mer rechten Evastochter, so würde ich die Sache sehr
^ßhaft finden und überzeugt sein, daß sic vielleicht wegen
M Täuschung ein wenig schmollen, aber im Grunde des
'j^zens sehr befriedigt sein wird, Gräfin zu heißen. Doch
den Augen, auf der Stirn und um den Mund Ihrer
. Mahlin liest man Willenskraft und energisches Festhal-
an dem für Recht Erkannten. Sic werden cs nicht
haben, Ihre Frau zu versöhnen. Indes, wenn sie Sie
— — —! Es gicbt keine Macht auf Erden, welche
-I Liebe glcichkommt. Doppelt haben wir aber die Pflicht,
D, Ihre Gemahlin alle Rücksichten zu erzwingen, welche
gesellschaftlichen Stellung zukommcn. Was den
hZs. Cosway anbelangt, so fürchte ich nicht, daß Sie
iZP haben werden, sich mit ihm zu schlagen. Er wird
Perzcihung bitten."
CM Saale angekommen, sprach der Marchese eindring-

lich mit dem Fürsten Bogdanow, und dieser begab sich
zur Großfürstin. — —
Als die beiden Herren Gertrud verlassen hatten, schlug
diese mit einem Seufzer, der einem Schluchzen glich, beide
Hände vor das Gesicht; aber keine Thränc feuchtete die
brennenden Augen. Großer Gott! Was war geschehen,
wohin war sic geraten! Dem armen jungen Weibe war
zu Mut, als sei sie allein auf tosender, wildbewegtcr See,
in schwankendem Kahne, ohne Steuer.
Ihre Schläfen klopften, tausend Gedanken durchbrachen
ihr Hirn; aber mit schneidender Schärfe und Klarheit be-
herrschte alle die eine Vorstellung: „Herbert hat gelogen,
durch Betrug bis Du sein Weib geworden!" Er, dem
sie zuerst ihre Neigung zugewcndet, weil seine Offenheit,
der klare, wahre Blick seines Auges ihr unbegrenztes Ver-
trauen einflößte, er hatte Wochen und Monde ihr eine
Komödie vorgcspiclt!
„Vater, lieber Vater!" flüsterte sie mit zitternden
Lippen. Ach, er konnte seinem heißgeliebten Kinde nicht
zu Hilfe kommen in den Qualen dieser Stunde, und nie-
mals hatte sie so schmerzlich empfunden, daß sie elternlos
war, daß sie kein Heim mehr besaß, als in diesen Augen-
blicken, da sie unter Fremden war, deren erstaunte, mit-
leidige, höhnische Blicke sie noch zu fühlen glaubte.
Sie hatte freilich keine Ahnung, warum man sie mit
Mitleid und Hohn angesehen, sic begriff nur, daß sie bis
dahin einen geborgten Namen getragen. Sie, eine Gräfin
Landskron! Was hätte ihr Vater gesagt, dessen ganzes
Glück Adelshochmut zerstört, dem Adelsvorurtcile das ge-

liebte Weib getötet hatten! Was hätte ihr Vater gesagt,
der seinem einzigen Kinde als bestes Erbe seinen unaus-
löschlichen Aristokratenhaß in die Seele gepflanzt. Sie
sollte jetzt diesen Kreisen angehören, aus denen ihren El-
tern alles Unheil gekommen war, sic sollte ihnen angc-
hören, weil man sie durch einen listigen Betrug hiueiu-
gcbracht hatte!
„Ich wehre mich!" sprach Gertrud leise vor sich hin
und erhob in stolzem Trotz das Haupt, da jetzt der Mar-
chese und Herbert zurückkehrtcn, gefolgt von einem Diener,
welcher eine Platte mit Erfrischung trug.
„Verzeihung, Frau Gräfin", rief der Marchese leb-
haft, „daß wir Sic so lange allein ließen, das Büffet
war aber in einer Weise belagert —"
Gertrud zuckte zusammen, da sic sich mit dem Titel
„Gräfin" anredcn hörte; doch gelang es ihr, in höflicher
und ruhiger Weise dem Marchese zu antworten und ihn
sogar mit einer gewissen Dringlichkeit einzuladen, an dem
Tischchen Platz zu nehmen, welches der Diener herbei-
geschoben hatte. So dankbar sie cs empfunden hatte, daß
man sie vorhin allein gelassen und ihr Zeit gegönnt, sich
zu sammeln, so lieb war es ihr jetzt, daß durch die An-
wesenheit des Marchese eine Aussprache mit ihrem Manne
noch hinausgeschoben wurde. Wie einen körperlichen
Schmerz empfand Gertrud den Gedanken daran, und be-
harrlich wich sie Herberts zärtlichem Blick aus, der so
heiß bittend den ihren suchte.
„Fühlst du dich wohler Gertrud? — trinke etwas
 
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