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Neuer Heidelberger Anzeiger (27) — 1900

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Nr. 251 - Nr. 260 (27. Oktober - 7. November)
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drichstraße 40.

Nr. 281._27. Jahrgang.
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Samstag, 27. Gktabrr 1900.
IHMItlb: »Um Inlichch 8.

Neiöellll'rgkr Alyeiger.

Erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn- u. Feiertage.
MS Beilagen das „Heidelberger Bolksblatt" und das
8seitige „Illustrierte Sonntags blatt". Preis 25 Pfg.,
mit den Beiblättern S6 Pfg. monatlich. Durch die
Post viexttiiäbrlich 99 Hs«, ebne Nestellaelh.

Ittfevtttettvltttt
Mr KeiöelDerg unö Wmgegenö.

Anzeigen: die 1-spalttgr Petitzeile oder deren Raum
15 Pfg. Lokale Geschäfts- und Privat-Anzeigen be-
deutend ermäßigt.? Reklamen 59 Pfg. Mr Auf-
nahme von Anzeigen an bestimmten Tagen wird nicht
garantiert. Gratisverbreitung durch SäulenanWag.

DK" 1. Klatt.

Deutscher Nachrichtendienst aus China.
Warum erhalten wir keine deutschen Depeschen? —
^ir haben 20,000 deutsche Landsleute nach dem fernen
^stcn gesandt, wir haben 100 Millionen für die Expedition
verausgabt, wir haben einen deutschen General als Führer
verbündeten Heere nach Peking geschickt. Aber sobald
kic Transportschiffe der deutschen Dampferlinicn China
^reicht hatten und damit auch die Telegramme über Per-
leib der beförderten Mannschaften aufhörten, weiß der
offiziöse Draht nichts mehr von ihnen. Sic könnten vom
Erdboden verschlungen sein, wenn nicht englische Zcitungs-
^rrcspondcnten hier und da etwas von einem deutschen
ffxpcditionskorps zu erzählen wüßten. Wir haben gehört,
^vß die telegraphische Verbindung von Peking und Tientsin
'Rt der Küste hcrgestcllt sei, auch unser Schutzgebiet hat
doch Drahtlcitungcn. Können oder wollen die Leiter
Unserer Expedition nichts melden? Hat nicht das deutsche
^vlk, das solche schweren Opfer für die chinesische Politik
^ingk, ein Recht darauf, zu erfahren, was aus den An-
Hchvrigen vieler lausend deutscher Familien geworden ist?
flst cs nicht ein unwürdiger Zustand, daß wir auf eng-
lische und französische Dcpcschenburcaus angewiesen sind,
^enn wir wissen wollen, was unsere deutschen Generale
A PetschiUi thun? — Die dürftigen Depeschen des
tftottenvereins find doch in keiner Weise danach ange-
lhnn, ül>er diesen Mangel hinwcgzuhclfen. Was sich
Lokalanzeiger" leisten kann, muß doch schließlich
?uch die Regierung des Deutschen Reiches, das mir
schein Rauschen in das Meer der Wcltpolitik steuert, be-
^crkstelligcii können. Die Rücksicht auf die militärischen
Operationen und die dabei notwendigerweise zu wahrende
Zurückhaltung kann noch nicht das Ausbleiben jeder, aber
?Uch jeder amtlichen Depesche entschuldigen. Das Wolff-
'che Bureau veröffentlich fast täglich lange Depeschen über
Mitteilungen des russischen Gencralstabs. Das deutsche
Oberkommando aber und sein Stab schweigen nach wie
^>r. Was ift's mit der Expedition nach Paotingfu? —
var sie bereits begonnen, wo stehen unsere Truppen, wo
su>d unsere Generale, wo der Kommandeur des ostasiatische
^vrpg v. Lcssel? Heute meldet man aus Washington, daß
paotingfu bereits genommen, morgen aus London, daß
kstst Nachricht erfunden, dann hcißl's wieder ans Paris,
dvatingfu sei von Franzosen besetzt. Wo bleiben da die
putschen? Graf Waldcrsec ist jetzt mehrere Wochen
screits ür China. Worin hat bisher seine Thätigkcit be-
fanden? Englische und amerikanische Rcportter berichten
^chr oder weniger boshaft von Paraden, die er abgchaltcn:
^s ist alles, was wir von ihm erfahren. Die „Nordd.
^llg. Ztg." teilt den Opcrationsplan gegen Paotingfu mit.
^vhcr stammt er? Ist er schon ausgeführt? Wir, die
Ar mit dem größten Apparat an Feldausrüstungen übcr's
^cer gezogen, sollten den anderen Nationen Nachrichten
^ben können, und müssen nun froh sein, wenn wir über
"as Schicksal unserer Landsleute aus zweiter, dritter Hand
9>vas erfahren. Es ist hohe Zeit, daß hierin Wandel
^schaffen wird, zumal das Ende der chinesischen Krisis

gar nicht abznschen ist und immer neue Verwicklungen
entstehen. Sonst liegt die Gefahr vor, daß die Verstim-
mung in weiten Schichten des Volks auch Kreise ergreift,
die den Bahnen unserer Politik mit Verständnis und Sym-
pathie folgen und Ju nachdrücklicher Unterstützung der Re-
gierung bereit sind. („Tägl. Rnndsch.")
Moltke-F-eiern.
L.idi. Karlsruhe, 26. Oft. Mit einem Festbankett
in der Festhalte zum Hund ersten Geburtstage
Moltkc's, an dem ea. 3000 Personen teilnahmcn, feierte heute
die Einwohnerschaft der Residenz das Andenken des großen
Fcldmarschalls. Prinz Karl von Baden, Vertreter der
Regierung und der Stadt, sowie zahlreiche Offiziere wohnten
der erhebenden Feier bei. Nach einer Begrüßungsansprache
des Herrn Geh. Rat Freiherr« von Marschall, die in
ein Hoch auf Kaiser und Großhcrzog ausklang, trug Hof-
schauspieler Hörkcr einen von Chefredakteur Herzog ver-
faßten Prolog vor. Die Festrede hielt Professor von
Occhel Häuser, in der er die Verdienste und strategische
Bedeutung Moltkcs feierte. Das Programm der schön
verlaufenen Feier wurde stimmungsvoll ergänzt durch Vor-
träge der „Liederhalle" und des Orchesters des Lcib-
grcnadierregimcntS.
Berlin, 26. Oft. Das „Annceverordmiugsblatt" ver-
öffentlicht folgenden kaiserlichen Befehl: „Heute sind
hundert Jahre seit dem Tage verflossen, an dem Gencral-
feldmarschall Graf Moktkc das Licht der Welt erblickte.
Dankerfüllten Herzens preise ich die Gnade des Allmäch-
tigen, der dem Vatcrlandc diesen Mann geschenkt hat, und
freudigen Stolzes beglückwünsche ich mein Heer, daß es
diesen Feldherr« sein eigen nennen durste. Die Thatcu
des verewigten Feldmarschalls, der in glorreichen Kriegen
von welterschuttcrnder Bedeutung meinem unvergeßlichen
Herrn Großvater als treuer Berater zur Seite gestanden,
sind mit Flammeuschrift auf den Tafeln der Geschichte
verzeichnet. Unauslöschlich wird in meiner Armee die Er-
innerung an ihn fortlcben, dem bis zu seinem -letzten Tage
seines gottgcscgncten Lebens in treuer Pflichterfüllung und
unwandelbarer Vaterlandsliebe cs niemand zuvor gcthan.
Möge dieses Muster aller Krieger der Armee in den fern-
sten Zeiten ein Vorbild sein, woraus sic neue Kraft für
ihre erhabenen, schwere« Ausgaben schöpfen kann, die ihr
zugewiescu sind."
Berlin, 26. Oft. Der Kaiser sagte bei der heu-
tigen Frühstückstafel im königlichen Schlosse: „Unser Glas
sei geweiht dem Andenken des großen Fcldmarschalls, der
gleich unerreicht als Sieger und Heerführer auf dem
Schlachtfcldc, als Lehrer und Ausbilder im Frieden und
als treuer Freund, Berater und Diener meines Hauses
und inctncr Person gewesen. Den Manen und dem An-
denken des Fcldmarschalls, dessen Geist meinen General-
stab auch fernerbin zu treuen Arbeiten nnd Siegen führen
möge."
Schweidnitz, 26. Oft. Der hundertste Geburtstag
Moltkcs wurde heute in Kreisa« durch eine weihevolle
Gedächtnisfeier im Mausoleum begangen. Darannahmen
teil die Verwandten Moltkcs, Vertreter des großen Gcncral-
stabcs, Vertreter des Generalstabes vom 6. Armeekorps,

die Offizierkorps der Garnisonen Breslau, Oels, Schweid-
nitz und Glatz, Deputationen des Rcichskriegcrverbandes
und zahlreicher Kricgervercine der Umgegend. Im Auftrage
des Kaisers legte Generalmajor Graf Moltke einen
prächtigen Lorbccrkranz nm Sarge nieder. Er trug die
Inschrift: dein Gencralfeldmarschall Grafen Molkte von
seinem dankbaren Könige nnd Kaiser Wilhelm, 26. Okt.
1800 — 1900. .Zahlreiche Kranzspenden wurden ferner
am Sarge niedcrgelegt. Nach der Feier fand im Schlosse
ein Diner statt.
Parchim, 26. Oft. In der hiesigen Stadt, dem Ge-
burtsorte des Fcldmarschalls Grafen Moltke, fand an
läßlich seines 100. Geburtstages ein großer Festzug
statt und eine Feier vor dein rcichgcschmückten Moltke-
dcnkmal. Die Schwestern des Verstorbenen hatten dem
Kriegervercin für den Fesizug einen Zweig des Baumes
gewidmet, unter dem er als Knabe gespielt hatte. Die
Stadl ist festlich geschmückt: abends wird sic illuminiert.
Die Wirren in China.
London, 26. Oft. Das Reutersche Bureau meldet
aus Anschou vom 18. Okt.: Die P a o t i n g f u - Unter-
neh m u n g lagerte am 16. Okt. bei Kutsching, wo sie die
Nachricht erhielt, daß 2000 Mann chinesischer
Truppen den Vormarsch der Verbündeten zu verhindern,
in nordwestlicher Richtung ausgeschickt seien. Die Ko-
lonne nahm den Marsch am 17. Oft. wieder auf, er-
reichte Anschou und besetzte cs. Heute wurden deutsche
Vorposten sieben Meilen von Anschou von einer Abteilung
chinesischer Truppen beschossen. Die Deutschen
griffen die Chinesen an, schlugen diese
nach hartem Kampfe und erbeuteten
zwei montirte Geschütze, sowie eine Anzahl anderer
Waffen und vier Fahnen. Man erwartet, daß die Ope-
rationen gegen den Feind, mit Paotingfu als Grundlage,
uiiternomme« werden.
London, 26. Okt. Die „Times" meldet aus Pe-
king vom 23. d. M.; Es verlautet, daß eine deutsche
Brigade in Paotingfu überwintern werde. Es ist kein
Grund vorhanden, weshalb die Feldopcrationen nicht bis
Taiyuenfu, der Hauptstadt von Schansi, ausgedehnt
werden sollen, wo so fürchterliche Nicdcrmetzlungcn von
Europäern stattgefunden haben sollen.
London, 26. Okt. Der Berichterstatter des „Daily
Telegraph" in Shanghai verzeichnet nach einer chinesischen
Quelle die Angabe, Li-Hung-Tsch ang habe sämtlichen
Gesandten außer dem englischen folgende gleichlautende
Botschaft übermittelt: „Ihre Güte ist Chinas einzige
Hoffnung: die übrigen Mächte sind unzuverlässig." „Daily
Mail" und „Daily Chronicle" berichten aus Hongkong
über ein grausiges Gemetzel in einem dreitägigen
Kamps zwischen einer Rebellenhorde und etwa 4000
Bauern 120 Kilometer östlich von Canto« in Samtotschen
(Bezirk Kwcischin), wobei 400 Aufständische und gegen
2000 Bauern, sowie deren Weiber und Kinder getötet
und etwa 3000 Häuser zerstört worden sein sollen. Aus
Hongkong wird der „Times" berichtet, der Reformer
Kangyuwci bestreite jeden Zusammenhang mit dem Auf-
stand im Süden.

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'»rtosreilSn»
wünscht!

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Kunst und Wissenschaft.
„ Weingartner Konzert. Mit reichem Beifall begrüßte
Ae zahlreiche Zuhörerschar gestern Abend den genialen Dirigenten
Weingartner nebst seinem in jeder Beziehung großartigen
Htcheßer, stand doch ein Kunstgenuß seltener Art bevor. Und
's hochgespanntesten Erwartungen wurden nicht getäuscht; denn
Hs selten einer seiner Kollegen besitzt Weingartner die eminente
Migkeit all die Schätze orchestralen Klangzaubers aus den
Frittüren hervorzuholen, in geistvoller Weise zu interpretieren
HW vereint neben einer gesunden musikalischen originellen Auf-
^wung verblüffend gutes Gedächtnis mit virtuoser technischer
Fscrigkeit in der Behandlung nnd Beherrschung des aus nur
süchtigen Musikern bestehenden Orchestcrapparats. Entzückten
dem aus klassischen Nummern bestehenden Programm die
Gnausgcarbeiteten reizenden Sätze der Bachschen Suite, so rissen
,P. schwungvoll dirigierten drei Ouvertüren von Mozart, Gluck
Weber zu begeisterten Beifallsbezcugungen hin. Diese
viiverturcn bildeten den Glanzpunkt des Abends und werden
,', 'hrer klassisch schönen Wiedergabe jedem Hörer unvergeßlich
tz^ben. Beethovens Fünfte bildete den Schluß des Programms,
HI bei jedem Musikfreund den Wunsch neu erstehen lassen
HMc, den reichbegabten Dirigenten samt seinem cxcellenten
Orchester in Bälde in Heidelbergs Mauern wieder zu hören.
Heidelberg, den 26. Oktober 1S00. veb.

Mannheimer Hoftheatcr. Es herrscht ein reger, er-
freulicher Eifer in den Räumen unseres Musentcmpels. Dank
einer flotten, temperamentvollen Wiedergabe fand gestern die
Novität „Der Hochzeitstag" von Wolters und Königsbrun-
Schaup, ein sehr geschickt gearbeiteter, humorvoller Schwank,
einen vollen, verdienten Erfolg. Das zahlreiche Auditorium
amüsierte sich bei dem, was da in tollem Wirbel an ihm vorüber-
fliegt, was man nicht nacherzählen kann, sondern eben sehen und
hören muß, vortrefflich. Die Herren Köckert und Hecht.cxccl-
lierten in den Hauptrollen, die Regie des Letzteren ließ nichts
zu wünschen übrig.
Dem Schwank folgte ein Goldrausches Possenspicl „Der
Diener zweier Herren", in der Pohl'schcn Bearbeitung.
Goldoni, der fruchtbare Bühnendichter einer längstvergangenen
Zeit, arbeitete noch mit dem Hanswurst, der hier im Gewand
eines verschlagenen Bedienten erscheint. Des Autors Humor
wirkt auch heute noch vortrefflich. Die Harlekinade wurde von
Herrn Lösch, dem Diener, und Frl. Lissl, die in einer Hosen-
rolle geradezu bildschön aussah, getragen und prächtig durch-
geführt. Auch hier hatten unsere Künstler mit Recht die Lacher
auf ihrer Seite. —k.
Mannheim, 25. Oktober 1900.

Das Ladenfräulein.

Den allerschrecklichsten Verdruß
Bringt das Gesetz uns ein'
-Herz, mit dem Neunuhr-Ladcnschlnß
Schlägt auch dein Stündelein!
Wie war's bisher so wunderschön.
Man ward nicht kontroliert:
Ich könnt' mit meinem Alfred geh'n
Und hab' mich amüsiert.

Ob elf die Uhr, ob zwölf, je nun,
— Das war ganz einerlei!
„Man hatte im Geschäft zu thun
Und war nicht früher frei!"
Es nimmt die Mutter jetzt — o Not! —
Des Hausthors Schlüssel mir;
Futsch ist das warme Äbendbrod!
Futsch ist das echte Bier!

Mir bringt — dahin ist mein Humor!
Der Schluß das grimmste Weh.
Was red' ich jetzt der Mutter vor,
Wenn ich mit Alfred geh?
(Aus dem „Ulk".)
 
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