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Neuer Heidelberger Anzeiger (27) — 1900

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Nr. 221 - Nr. 230 (22. September - 3. Oktober)
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8r. 230

Mittwoch, 3. Oktober 1900

GrsMtzk: Irlm Rttkrrßnb v.

Neiöelbrrgtr Amrigcr

Sie mochte durch den Umgang mit Herbert und auf ihren
Reisen viel gelernt haben; aber — selbst die Voreinge-
nommenheit der Gräfin-Mutter verhehlte sich dies nicht —
wenige Monate des vorzüglichsten Umganges reichten nicht
hin, aus einer Bäuerin eine wirklich große Dame zu
machen, und Gertrud gab sich als vollendete Weltdame,
bis auf die schreckliche Rücksichtslosigkeit ihrer Antworten
an die Gräfin-Mutter. Nie würde sich eine Dame der
guten Gesellschaft dergleichen erlaubt haben! Nur vergaß
die alte Gräfin-Mutter bei ihrem Entsetzen über diele Rück-
sichtslosigkeit völlig, daß sie lediglich eine Art der Not-
wehr gegen ihre, der Gräfin, ebenso rücksichtslosen An-
griffe bildeten.
Gertrud ahnte, was in der Seele ihrer Schwieger-
mutter Vorgehen mochte, und je gereizter diese erschien,
desto ruhiger wurde die Tochter des Dorfarztcs, allerdings
nur äußerlich; innerlich hatte sie einen furchtbaren Kampf
zu bestehen, um die äußere Ruhe zu bewahren. Jetzt glitt
auch ein leichtes Lächeln über ihr Gesicht, dem ein sehr
aufmerksamer Beobachter wohl den Zwang angemcrkt hätte,
den Gertrud sich auferlegcn mußte, als sie, um auf die
letzten Bemerkungen der Gräfin zu antworten, sich dieser
zuwandtc.
„Die Fabel vom Fuchs und den Trauben kenne ich
sehr gut", sagte sie mit ihrer wunderbar klaren, wohl-
lautenden Stimme. „Es widerstrebt mir zu wiederholen,
was ich über Rang und Reichtum von jeher dachte und
noch immer denke. Wer zu oft ein und dasselbe ver-
sichert, gerät leicht in den Verdacht, daß er seine Ansichten

sich selbst versichern muß. Aber Sie wollen mir auch zu
verstehen geben, daß Herbert mich einzig und allein meiner
Schönheit wegen geheiratet hat. Ich kann nicht annehmen,
daß Sic selbst dies im Ernste glauben; es wäre eine Be-
leidigung für die Urteilskraft Ihres Sohnes, die Ihnen
niemand zutrauen wird."
Trotz der Entrüstung, welche sich deutlich in den Zügen
der alten Gräfin zeigte, lachte Graf. Körting laut auf:
„Liebe Gertrud, Sie hätten Advokat werden sollen, ich
mache Ihnen mein Kompliment für Ihre Schlagfertigkeit."
„Es wird wohl am besten sein, wenn ich mich entferne,
damit Du Deine Komplimente mit noch weniger Reserve
anbringen kannst", warf seine Schwester beleidigt ein und
machte Miene sich zu entfernen. Doch Herbert hielt sie
zurück. „Mit einem Mißton darf der erste Abend, den
ich mit meinem Weibe im Vaterhause verlebe, nicht schließen;
bleibe, Mama, ich erzähle euch von Taormina, Du mußt
bald einmal mit Menti dorthin, es ist zu schön dort."
Herbert erzählte mit Lebhaftigkeit und Wärme, und
schließlich gelang es dem jungen Grafen wirklich, ein all-
gemeines unpersönliches Gespräch in Gang zu bringen,
woran sich alle beteiligten, wenn auch die Gräfin-Mutter
es stets vermied, Gertrud direkt anzusprcchcn, um einer
Entgegnung auszuweichen, und jedesmal finster blickte,
wenn sie ihre Tochter und Gertrud sich einander „Du"
nennen hörte.
So trennte man sich an diesem Abend anscheinend in
besserer Stimmung, als nach dem ersten Zusammenstoß
zwischen der alten Gräfin und ihrer Schwiegertochter hatte

Chinesische Blätter berichten, Li-Hung-Tschang werde
demnächst die viecköniglichcn Siegel von Petschili über-
nehmen. In den Kreisen der Fremden mißt man der
Meldung keinen Glauben bei.
Petersburg, 2. Okt. Nach Berichten, die dem Ge-
neralstabe heute zugegangen sind, ist eine Schwadron der
Argunerkosaken von Omoffo am 19. September ab-
gegangen, um die Verbindung mit dem Detachement des
Generals Orlow aufrecht zu erhalten. Am Passe über
die Katbatin-Gebirgskette trafen sie auf 2500 Chinesen.
Die Kosaken saßen ab, arbeiteten sich zunächst mit dem
Gewehr an den Feind heran und griffen ihn dann zu
Pferde an. Die Chinesen flohen unter großen Ver-
lusten. Sic verloren sechs Fahnen, sechs Geschütze und
Proviant. Die Verluste auf russischer Seite sind nicht
nennenswert.
Washington, 2. Okt. Der chinesische Gesandte
erhielt die amtliche Bestätigung von dem Erlaß eines
Ediktes, daß Prinz Tuan und andere hohe Beamte
degradiert werden.

r. Geisendörs^
rg-

den Martern gewaltsam gestorben sind, und als Ankläger
Ew. Maj. erscheinen. Reichen die von Ew. Maj. be-
troffenen Trankopfer für alle diese Anschuldigungen aus?
Ich mache nicht Ew. Majestät persönlich verantwortlich
für die Unbill, welche gegen die bei allen Völkern für un-
antastbar geachteten Gesandtschaften verübt worden ist,
noch für die schwere Kränkung, welche so vielen Nationen
und Konfessionen und den Unterthancn Ew. Maj,, die
meinem christlichen Glauben angehörcn, zugcfügt worden
ist. Aber die Rath gcbcr des Thrones Ew. Maj.,
die Beamten, auf deren Häuptern die Blutschuld des Ver-
brechens ruht, das alle christlichen Nationen mit Ent-
setzen erfüllt, müssen ihre Schandthat büßen, und wenn
Ew. Maj. sic der verdienten Strafe zuführen, so will ich
dies als Sühne betrachten, die den christlichen Nationen
genügt. Wollen Ew. Majestät Ihren kaiserlichen Arm
dazu leihen und hierbei die Unterstützung der Vertreter
aller beleidigten Nationen genehmigen. Ich erkläre mich
meinerseits damit einverstanden. Auch würde ich die Rück-
kehr Ew. Maj. nach der Hauptstadt Peking zu diesem
Zwecke gern begrüßen. Mein Generalfeldmarschall Graf
Waldersec wird Befehl erhalten, nicht nur Ew. Majestät
nach Rang und Würde ehrenvoll zu empfangen, sondern
auch Ew. Majestät jeden militärischen Schutz zu ge-
währen, den Sie wünschen und dessen Sie vielleicht gegen
die Rebellen bedürfen. Auch Ich sehne Mich nach Frie-
den, aber nach einem Frieden, der die Schuld sühnt und
in vollem Umfange und nach jeder Richtung wieder gut
macht, sowie allen Fremden in China volle Sicherheit
bietet an Leib und Leben, an Hab und Gut, besonders
aber zu der freien Ausübung ihrer Religion.
Mailand, 2. Okt. Gestern Nachmittag fuhr in
Mailand ein Sonderzug mit deutschem Kriegsmaterial
durch, begleitet von 12 Offizieren und 30 Soldaten, die
sich heute in Genua nach China einschiffen.
London, 2. Okt. Das Reutcrsche Bureau meldet
aus Taku vom 29. Sept: Die Expedition nach Paotingfu
ist bis zum 6. ds. hinausgeschoben worden. Die daran
teilnehmenden Truppen aus Peking werden von General
Gaselce, die aus Tientsin vom deutschen General befehligt
werden. Die Zahl der amerikanischen Truppen, die un-
verzüglich nach Manila zurückfahrcn, beläuft sich auf 4000.
Die Russe» besetzten Tangschan, ohne Widerstand zu finden.

Erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn- u. Feiertage.
Als Beilagen das „Heidelberger Bolksblatt" und das
8seitige „Illustrierte Sonntagsblatt". Preis 25 Psg.,
mit den Beiblättern 36 Pfg. monatlich. Durch die
Boll viertelWrlich KO Wen okye VcMoeid.

China und die europäischen Mächte.
Franzosen und Deutsche.
Unter diesem Titel veröffentlich der „Matin" nach-
stehenden interessanten Bericht eines seiner nach China ent-
sandten Korrespondenten. Der betreffende Journalist hatte
sich mit dem General Boyron an Bord des „Polynesien"
cingeschifft und hat seinem Blatte von Singaporc aus u. a.
was folgt geschrieben: „-— In dem Hafen von
Colombo lagen bei unserer Ankunft zwei ungeheure deutsche
Transportdampfer, der eine mit 1800, der andere mit
1900 Mann Truppen . . . Auf dem Lande waren die
Beziehungen mit den Deutschen höflich und korrekt, aber
nichts weiter, Unserseits wurde keinerlei Entgegenkommen
bewiesen, während man aus allem herausfühlte, daß die
Deutschen vor Begierde brannten, sich mit uns in freund-
schaftliche Beziehungen zu setzen. Zum Beweis diene fol-
gendes kleine Vorkommnis: Mehrere Offiziere unseres
Schiffes begaben sich nach dem Diner in eine Singspiel-
halle, wo sie eine Menge deutscher Unteroffiziere antrafen.
Diese erkannten dieselben sofort, obgleich unsere Offiziere
keinerlei Gradabzeigcn trugen. Sofort standen die Deutschen
auf und grüßten militärisch. Einige riefen sogar: „Es
lebe Frankreich!" und forderten die Musikkapelle auf, die
„Marseillaise" zu spielen. Unsere Offiziere beschränkten
sich darauf sehr höflich zu grüßen und entfernten sich einige
Minuten später, da das Konzert höchst miserabel war.
Es liegt auf der Hand, daß die Deutschen nach einer
von höchster Stelle ausgegangenen Anweisung handeln.

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für Keiöewerg und MngegenS

es mit 150"°
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eines Kabels
rm Mittwoch
ebiiilde hier.

Wie es endete.
Roman von Maria Theresia May.
jNachdruck verboten.!
(Fortsetzung.)
. Unbefangen nahm Gertrud, ehe sie etwas erwiderte,
Zj Stück Gebäck von der silbernen Platte, die ihr Graf
Ufiting bot — man hatte die Diener fortgeschickt — die
Age Frau benahm sich überhaupt mit solcher Ungc-
Amgenhcit, als säße sic schon seit Jahren an dem Tische
A gräflichen Hauses, und als wären ihr Kristall und
Silber, Damast und chinesisches Porzellan das gewohnteste
4-stchgerät.
Gerade in dieser Sicherheit, die wohl das Beiwort
"bvrnehm" verdiente, lag etwas, das die Gräfin mehr
j^te, als sie sich selber cingcstand. Wäre Gertrud schüch-
i^U und demütig gewesen, hätte sie sich Blößen gegeben,
o würde die Gräfin-Mutter wahrscheinlich spöttische Ber-
atung, vielleicht Mitleid, ganz gewiß aber Gcnugthuung
Grüber empfunden haben, daß der Widerstand gegen die
Mesalliance ihres Sohnes durch das Verhalten der Bür-
AUichen eine so eklatante Rechtfertigung erfuhr. Und diese
Befriedigung hätte, so sonderbar es klingt, wahrscheinlich
1?ch und nach die Abneigung der Gräfin gegen ihre
Schwiegertochter gemildert. Doch so empörte es die alte
Gräfin, daß sie an der Frau ihres Sohnes so garnichts
bemäkeln fand; woher kam dieser Dorfprinzessin die
Sicherheit der Bewegungen, die elegante Haltung, die ge-
ödete, nicht allein verständige, sondern geistvolle Sprache?

:rr.
kcldbcute!
euenhcim uist
uholeu gegen
Zoh. Barth.-

Die Wirren in China.
Berlin, 2. Okt., Kaiser Wilhelm antwortete in
^chstchcndem Telegramm vom 30. September: An den
^iscr von China. Ich, der Kaiser von Deutschland,
'^c das Telegramm Sr. Majestät des Kaisers von China
galten und habe daraus mit Gcnugthuung erfahren, daß
A- Majestät bestrebt find, die schändliche und jeder Kultur
Ansprechende Ermordung meines Gesandten nach Ge-
such und Vorschrift Ihrer Religion zu sühnen. Doch
Ay ich als deutscher Kaiser und Christ diese Unthat durch
^ankopfcr nicht als gesühnt erachten. Neben
seinem ermordeten Gesandten ist eine große Anzahl von
pudern des christlichen Glaubens, Bischöfe, Missionare,
^auen und Kinder, vor den Thron Gottes getreten, die
A ihres Glaubens willen der auch der Meinige ist, unter

Anzeigen: die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
15 Pfg. Lokale Geschäfts- und Pyvot-Anzeigen be-
deutend ermWgt- Reklamen 30 Wg. Wr Auf-
nahme von Anzeigen »n bestimmten T^gen wird nicht
garantiert. Grattsverbreitung durch Säulenanschlag.

27. Jahrgang.
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Deutsches Reich.
i, Karlsruhe, 2. Okt. Der italienische Botschafter Graf
Aza wird heute Abend dem Großhcrzog auf Schloß
Awau ein Handschreiben des Königs von Italien über-
Aen.
l, 2. Okt. Heute Vormittag 100^ Uhr fand
^standesamtliche Trauung des Prinzen Albert von
,-Zlgien mit der Herzogin Elisabeth in Bayern
At- Die standesamtliche Handlung nahm der Staats-
Aister Frhr. v. Crailsheim vor. In feierlichem Zuge
Aden sich die Fürstlichkeiten in die Hofkirchc, wobei die
Aur vom Könige der Belgier und dem Prinzrcgenten
^itet wurde, während der Bräutigam zwischen dem
Aig von Rumänien und der Gräfin von Flandern schritt.
A Trauung wurde durch den Erzbischof von München
"llzogen.
München, 2. Okt. Heute Nachmittag fand im Palais
A Herzogs Karl Theodor ein Festmahl statt, an dem
Atliche fürstliche Hochzeitsgästc tcilnahmcn. Bei der
?stsel brachte der Prinzrcgcnt auf den König der Belgier
Ay Trinkspruch aus. Dieser erwiderte mit einem Hoch
den Prinzregcntcn und die Neuvermählten.
Spanien.
Madrid, 2. Okt. Der Kriegsminister will betreffs
A Reformen in der Artillerie und der Schaffung von
^ricidigungswcrkcn auf den Kanarischen Jn-
in seinem Budget Ersparnisse machen. DcrMarinc-
Aister beschäftigt sich mit dem Entwurf betreffend den
Au der Flotte, wofür 550 Millionen erforderlich sind.
 
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