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Neuer Heidelberger Anzeiger (27) — 1900

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Nr. 291 - Nr. 300 (13. Dezember - 24. Dezember)
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Z4. Dezember.

1900

Nr. 300

-g-

ichändutjg von Leichen durch Boxer und kaffer- j nioniell für die Empfänge der fremden Gesandtschaften in


Des Weihnachtsfestes wegen erscheint
die nächste Nummer am Donnerstag,

Erscheint tüztich
mit AllSlnchme der Sonn- und
Feiertage. Als Beilagen das
„Heidelberger Bolksblat!" und
das8scitige „JllustricrteSonn-
tagsblatt". Preis 30 Pfg.,
mit den Beiblättern 40 Pfg.
monatlich. Durch die Post vier-
teljährlich 1 Mk. ohne Be-
stellgeld.

Deutsches Reich.
Karlsruhe, 22. Dez. Heute fand hier eine Besprechung
der Minister v. Brauer, Dr. Buchenberger und Dr. Schenkel
mit den rcichsländischcn Nnterstnatssekrctären v. Schraut
und Baron Zorn v. Bulach über die Frage der Rhein-
rcguliruug statt.
Dresden, 22. Dez. Der Reichskanzler Graf Bülow
ist heute Mittag hier eingetroffcn und hat sich sofort zur
Audienz beim König von Sachsen nach Villa Strehlen begeben.
Der König verlieh ihm den Orden der Rautenkrone.
Quellendorf bei Köthen, 22. Dez. Gencralfeld-
marschall Graf v. Blumenthal ist in vergangener
Nacht sanft entschlafen.
Mit dem Feldmarschall Grafen v. Blumenthal ist einer
der letzten jener ehrwürdigen Helden aus großer Zeit ins
Grab gesunken. Er war geboren am 30. Juli 1810 in
Schwedt a. O-, er erhielt seine Bildung im Kadettenkorps,
wurde 1827 Offizier und 1848 zum Großen Gencralstab

6. Eine entsprechende Entschädigung soll gezahlt werden an
die Staaten, Gesellschaften und einzelnen Personen und ebenso
an die Chinesen, die eine Unbill erfahren haben, weil sie bei
Fremden in Diensten standen. China wird entsprechende finan-
zielle Maßnahmen treffen, die für die Mächte annehmbar sind,
um die Zahlung der Entschädigungen und den Anlcihcdienst sicher
zu stellen.
7. Eine ständige Wache soll für die Gesandtschaften aufrecht
erhalten und das diplomatische Viertel befestigt werden.
8. Die Forts von Taku und die Forts zwischen Peking
und den Seen sollen geschleift werden.
9. Es soll eine miltnrischc Besetzung der Punkte statt--
finden, bei denen eine solche geboten erscheint, um die Berbindungs
linic zwischen Peking und der See sicher zu stellen.
10. In ganz China sollen zwei Jahre lang Aufrufe
angeschlagen werden, die jede Person mit dem Tode be-
drohen, die sich fremdenfeindlichen Gesellschaften anschließt,
und die Strafen aufzählcn, die von der chinesischen Regierung
den schuldigen Rädelsführern bei den Unruhen auferlegt wordeu
sind. Ferner soll ein kaiserliches Edikt erlassen werden, das an-
ordnet, daß die Vizekönige, Gouverneure und sonstigen Provinzial-
beamten für die gegen die Fremden gerichteten Erhebungen uud
Verletzungen der Verträge in ihrem Machtbereich verantwortlich
gemocht werden. Im Falle sie es unterlassen, falche Aus-
schreitungen zu unterdrücken, sollen die verantwortlichen Beamten
sofort cafsiert werden und niemals wieder eine Staatsstellung
erhalten.
11. China übernimmt es, eine Durchsicht der Handels-
verträge ausznführen, um die Handelsbeziehungen zu erleichtern.
Das Tsung li-Aamcn soll umgestnltet und^dgs höchste Cere-
einem von den Mächten angegebenen Sinne abgeändert werden.
So lange den vorstehenden Begingungen nicht ent-
sprochen wird, können die Mächte keine Frist stellen in der
sie ihre Truppen zurückziehen, die jetzt Peking und die
Provinzen besetzt halten.

Der südafrikanische Krieg.
London, 22. Dez. Die neuesten Vorbereitungen des
Kriegsamts für den Nachschub nach Südafrika
werden durchweg als ein Schritt in der rechten Richtung
von der öffentlichen Meinung und Presse beifällig ausge-
nommen, doch werden vielfach Zweifel laut, ob die ange-
kündigten Maßregeln ausreichend sein werden. Besonders
die weitest verbreitete „Daily Mail" hebt hervor, die
Wirkung der neuesten Schritte dürfte in fünf oder sechs
Wochen die allgemeine Verstärkung von Kitcheners Streit-
macht um ein Prozent sein. Wolle man wirksam vor-
gehen, so müsse man schleunigst für weitere 50000 Mann
Nachschub sogen, die am stärksten mitgenommenen Truppen
ablösen oder zur Schonung in ruhigere, rückwärtige Gar-
nisonen legen. Eigentlich hätte das vor drei Monaten
bereits geschehen müssen. Ueberhaupt müsse man jedenfalls
mit der Möglichkeit rechnen, daß sich der Kleinkrieg bis
zur vollständigen Beendigung noch ein ganzes Jahr hin-
schleppen könnte
London, 22. Dez. Nach dem „Evening Standard"
soll Kimberley ernstlich bedroht sein.
.Kapstadt, 22. Dez. Es verlautet, einer Meldung

kommandiert. Im Stab des Generals v. Bonin machte
er den dänischen Feldzug mit und wurde im Mai 1849
zum Chef des Gencralstabs der schleswig-holsteinischen Ar-
mee ernannt. 1853 zum Major befördert, wurde er 1858
als Oberstleutnant zum persönlichen Adjutanten des Prinzen
Friedrich Karl, im Dezember 1863 aber zum Chef des
Generalstabcs des kombinierten mobilen Armeekorps in
Schleswig-Holstein ernannt. Im Juni 1864 zum General-
major befördert, übernahm er nach der Wiederherstellung
des Friedens das Kommando erst der 7., dann der 30.
Jnfantericbrigade und wurde 1866 unter dem Oberbefehl
des Kronprinzen von Preußen Chef des Generalstabs der 2. Ar-
mee. Die ausgezeichneteLeitung der Operationen dieser Armee
bei Nachod und Königgrätz war zum Teil sein Werk und
fand die verdiente Anerkennung. Er avancirte im Oktober
zum Generalleutnant und erhielt das Kommando der 14.
Division. 1870 ward er wieder Generalstabschef des
Kronprinzen als Oberbefehlshaber der dritten Armee. Nach
Becndigang des Krieges wurde er durch eine Dotation
von 450 000 Akk. ausgezeichnet. Im März 1872 er-
hielt er das Kommando des 4. Armeekorps, wurde 1883
in den Grafenstand erhoben und von Kaiser Friedrich II
25. März 1888 zum Generalfeldmarschall und zum Ge-
neralinspektcur der 4., 1892 zu dem der 3. Armeeinspektion
ernannt.

Tie Note der Mächte an China.
London, 22. Dez.
Die „Times" veröffentlicht die aus Peking unter dem
20. telegraphierte gemeinsame Note der Gesandten der
Mächte. Dieselbe beginnt mit einer längeren Einleitung,
in der die neuerlichen Unthaten als in der Ge-
schichte der Menschheit unerhörte V erb rechen, als
Verbrechen gegen Völkerrecht, Menschlichkeit und
Civilisation verurteilt werden. Die Note zählt die
hauptsächlichsten dieser Verbrechen auf: Die Ermordung
des Gesandten v. Kette ler durch reguläre, dem Befehl
eines kommandierenden Offiziers gehorchende Soldaten;
die Belagerung der Gesandtschaften durch Boxer und kai-
serliche Soldaten unter Befehlen, die sic vom Hofe cr-
crhicltcn. Die Note beschuldigt die chinesische Regierung
des Verrates, da diese durch ihre Vertreter im Auslande
erklärte, sie beschütze die Gesandschaften, während sie sie
tbatsächlich belagern ließ. Sie erhebt Anklage wegen der
Ermordung vonAusländern inPeking und vielen
Provinzen, wegen Entweihung von Friedhöfen der Aus-
länder und S
liche Soldaten. Gezwungen nach Peking zu marschieren
und die chinesischen Streitkräfte zu besiegen, sind-die Ver-
bündeten Mächte bereit, der Bitte Chinas um Frieden
unter nachstehenden unwiderruflichen Bedingungen, die als
unerläßlich für die Sühnung der begangenen Ver-
brechen und für die Verhinderung von Wiederholungen
erachtet werden, stattzugebcn:
1. Ein chinesischer Prinz soll nach Berlin gesandt werden
und dort dem Bedauern des Kaisers über die Ermordung Ket-
telers Ausdruck geben. Ferner soll an der Stelle, wo der Mord
stattgcfundcn hat, ein Denkmal errichtet werden, das in latei-
nischer, deutscher und chinesischer Sprache das Bedauern des
Kaisers über den Mord ausspricht.
2. Eine Strafe soll entsprechend den begangenen Verbrechen
den in dem kaiserlichen Dekret vom 21. November bezeichneten
Persönlichkeiten aufcrlcat werden. Ihre Namen werden noch
genannt. Es sind die Prinzen Tuan, Tschwang und zwei an-
dere Prinzen, Herzog Lan, Tfchaotschutschian, Kaugyi, Jinghien,
und eine Anzahl anderer Personen, die die Gesandten noch be-
zeichnen werden.
Z. Die Staatsprüfungen sollen in den Städten, wo Fremde
ermordet oder grausam behandelt wurden, fünf Jahre unter-
bleiben. Japan soll für die Ermordung seines Kanzlers gebüh-
rende Gcnugthuuug erhalten.
4. Sühnedenkmäler sollen auf allen Kirchhöfen der Aus-
länder errichtet werden, wo Gräber geschändet wurden.
5. Die Einführung von Waffen und Kriegszeug und ihre
Herstellung werden untersagt.

NeuerHeidelbergerAnzeiger

A rr; e l K c u:
die 1-spa!tige Peiitzcilc oder
deren Raum 20 Ufg. Lokale
Geschäfts- und Privat-An-
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(27. MhrgZng.)
Druck und-Berlag von E. Weisendorfer. Verantwortlich: Hch. Weisendorfer.
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Heidelberger
okal-Anzerger


Der Hochzeitstag.
Roman von H. Palms-Paysen.
26) jNachdruck verboten.)
(Fortsetzung.)
In Gisela's Brust loderte eine Feuersbrunst. Sie
hätte aber nicht sagen könen, welches der brennenden Ge-
fühle in dieser Stunde das Vorherrschenden war, so zer-
rissen, unklar uns wehvoll sah es in ihr aus.
Als der alte Rat ihr in bekümmertem Ton sagte: „Ich
glaube, meine La, Du hast sowohl uns, als auch Dir selbst
einen sehr schlimmen Streich mit den heutigen Gescheh-
nissen gespielt," da wußte sie, daß es der Zorn war, der
Alles in ihr in Glut gesetzt, Zorn gegen Welt und Menschen,
Zorn gegen sich selbst. Das stand fest: sie hatte Uner-
hörtes gethan — etwas, was sie im Grunde nicht eigent-
lich gewollt, aber plötzlich nicht hatte lassen können und
das jetzt in seinem tiefgehenden und tiefeinschneidenden
Folgen in ihr Gewissen griff. Es ward ihr elend zu
Mut, wenn sic an Ulrich dachte. War sie noch wert, von
der Sonne beschienen zu werden, wenn ihm Unrecht ge-
than war?! Unerschrocken frei und stolz mit dem offenen
Blick der Wahrheit hatte er vor ihr gestanden und ihre
Angriffe zurückgewiesen, ohne jede Verwirrung, ohne Schreck
und Scham — auf dem Antlitz die Glut ehrlicher Ent-
rüstung, in Ton und Wort den zuckendcu Schmerz der so
grausam getroffenen Liebe.
„Und das glaubst Du?" Kein Wort, nicht das här-
teste, kein Vorwurf, keine Schmähung hätte sie so treffen

und schmerzen, sic so in tiefster Scham erglühen lassen
können, als diese Frage, von seinen Lippen in einem Ton
gerufen, der sie jetzt noch, jetzt in der Erinnerung —
durchbebte.
Sic drückte die Hand gegen die Brust, als wenn sie
damit den hämmernden Schlag ihres Herzens beruhigen,
sich des verborgenen Briefes erinnern und sich von neuem
aufstachcln wollte.
Unseliger Brief!
Der war eine Versuchung für sie geworden, die sie
nicht bestanden. Ein böser Zauber hatte ihr den Blick
getrübt, sie unruhig, unstät, sie unehrlich gegen sich selbst
gemacht, und dieser hieß Mißtrauen. Daraus war alles
entstanden, das ganze Unglück. Sie machte sich das plötz-
lich klar und noch etwas anderes, was sie die Zähne auf-
eiander beißen — die Lippen zusammenprcssen machte in
leidenschaftlichem Schmerze, etwas das übermächtig über
ihr Herz herficl und es blutig geißelte — die Liebe.
Sie hatte Ulrich von sich gestoßen — sie hatte ihn
verloren!
Dem alten Rat war keine Antwort auf seine Bemer-
kung geworden. Gisela mochte gewiß nicht Acht darauf
gegeben haben. Er sah, wie sie sich tief in die Ecke des
offenen Wagens gedrückt und den Kopf auf die Brust ge-
senkt hatte. Die vor sich hinstarrcnden Augen verrieten,
wie stark sie mit sich beschäftigt war. Manchmal stöhnte
sie laut auf und fuhr mit der Hand über die Stirn.
Er verhielt sich nun ganz still — cs mußte, sollte sich

erst alles in ihr ausringen, ausbluten, ehe er die Sonde
an die Wunde ihrer Seele legte.
Der Wagen flog pfeilschnell auf der glatten Landstraße
hin, au Saaten und Kornfeldern vorbei. In einer hal-
bsn Stunde war die Station erreicht.
Während der Rat das Nötige für die Fahrt besorgte,
hielt sich Gisela in den seitwärts liegenden Gartcnanlagen
auf. Dort war es menschenleer. Sie ging auf einem
kurzen, geraden Weg immer auf und nieder. Die regungs-
lose Luft, das unbewegliche Laub der Bäume, der wolken-
lose, stcrnbcsäete Himmel, die Stille der ganzen Natur
verschärfte ihre inneren Qualen. Es hätte stürmen, reg-
nen, hageln müssen. Sie sehnte sich nach tosenden Win-
den und jagenden Wolken, nach dem Gebraus einer schäu-
menden See! War denn die ganze Welt eingcschlafen und
nur sie noch in dieser Grabesstille?!"
Ah, endlich, der Zug, endlich Stimmengewirr und
Lärm!
In dem dahinsausenden Bahnzuge ließ sich die langsam
schleichende Zeit leichter ertragen.
In wenigen Minuten lag die Heimat schon weit
hinter ihr.
Als der Rat einmal verstohlen zu Gisela hinüber-
schaute, bemerkte er, daß sie eingcschlummert war.
Bewegungslos lagen die dunklen Wimpern auf der
Wange. So, in der Ruhe und Blässe, ohne Blick und
Feuer wirkte in dem Halblicht des kleinen Raumes ihr
edclruhiges Gesicht wie ein Kunstgebild aus Marmor. Der
 
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