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Neuer Heidelberger Anzeiger (27) — 1900

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Nr. 150 - Nr. 160 (2. Juli - 13. Juli)
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Nr. 131. 2?. Jahrgang.
ktWsßklr: llilttk AMKrch 11

Neuev

Dienstag, Juli 1900.
GlfWßMk: üstrlk Rkitlirßrsßk 17.

sikidtllingkr Aml'iyer.

Lrschkim täglich m:l Ausnahme dcr Sonn- und Feirnage.I
BIS Beilagm das „Heidelberger BolkSblatt" und daSf
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InfevateirSlatt
für KeiöelVerg und Mrngegenö.

Badischer Landtag.
Karlsruhe, 2. Juli.
Zweite Kammer.
Präsident Gönner eröffnet 'Z10 Uhr die Sitzung.
Beratung der Anträge zur Verfassungsänderung.
Am Ministcrtisch Minister Eiscnlohr und Medizinalem
Glöckner.
Abg. Hcimbnrgcr berichtet über die Anträge dcr
Abtzg. Wacker und Gen. über die Einführung des direkten
Wahlrechts; eine Einigung sei in dcr Kommission nicht
erzielt worden, da die Minderheit derselben Kautclen gestellt,
Mit der sich die Mehrheit nicht einverstanden erklärt hat.
Zur Annahme stehen die Anträge Wacker u. ev. Drcesbach
auf Einführung des direkten Wahlrechts auf dcr Grund-
lage des Proporti onalspstcms.
Abg. Wilckcns begründet die Stellungnahme' dcr
nationallibcralcn Partei, worauf Abg. Muser in längerer
Rede erwiderte.
Nachdem noch die Abgg. Zehnter und Fcndrich
gesprochen, erklärt sich Minister Eisenlohr namens der
Negierung gegen die Kommissionsbcschlüssc und betonte das
Festhalten dcr Regierung an den Kautclen für den Fall
der Einführung des direkten Wahlrechts. Wenn ein Wahl- i
gcscp nicht zu Stande komme, werde die Regierung zur
Revision der Wahlkrciscintciluug schreiten. Es sprachen
noch die Abgeordneten Drcesbach, Wacker, Fieser,
Wilckcns und Fcndrich, worauf die Sitzung auf nach-
mittags 4 Uhr vertagt wurde.
Nachdem in der Nachmittagssitzung dcr Berichterstatter
Abg. Hcimburgcr nochmals die Ausführungen dcr ein
zclncu Rednern einer kurzen Besprechung unterzogen, wird
dcr Wackcr'chc Gesetzentwurf auf Einführung dcr direkten
Landtagswahlcn mit -">6 gegen 22 Stimmen angenommen,
gilt aber für abgclchnt, da zur notwendigen Zweidrittel-
mehrheit zwei Stimmen fehlen. Dcr weitere Kommissions-
antrag, die Ausführungen dcr Denkschrift der Regierung
nicht als eine Grundlage zur Verständigung anzuschcn,
wurde einstimmig angenommen, da die Nationallibcralcn
sich dcr Abstimmung enthielten. Es folgten die Beratung
der weiteren Wackcr'schcn Gesetzentwürfe, betreffend die
Abänderung dcr W a h lkrciseinteilung, die in
drei Teile zerfallen, in einem Entwurf dcr 76 Abgeordnete
Vorsicht, in einen solchen, dcr 6i> und endlich in solchen,
öcr die bisherige Zahl bcibchaltcn, einen ländlichen Bezirk
anfbcbcn und für Mannheim einen weiteren Abgeordneten
Vorsicht. Dabei sind für die Kreise 2.'> 000 rcsp. .->0 000
Einwohner als Grundlage dcr Abgrenzung vorgesehen.
Abg. Dbkircher erklärt namens der nationallibcralcn

Fraktion, daß sic gegen die drei Anträge stimmen werde;
sic verlange vor allem Beibehaltung der Städteprivilegicn,
wobei die Städte, in denen mehrere Abgeordnete gewählt
würden, in so viele einzelne Wahlbezirke eingekeilt werden
sollten.
Minister Eiscnlohr erklärt, daß die Regierung zu
einer Revision der Wahlkrciscinteilung bereit sei, doch müsse
seitens dcr Kammer die Waylrcchtsfrage im Sinne dcr
Regierung gelöst, oder die Hoffnung anfgcgcbcn sein, diese
Frage im Sinne dcr heutigen Mehrheit zu lösen. Auel;
sei die in 6 Monaten stattfindendc Volkszählung abzn
warten. Die Abgeordneten in den größeren Städten müß
tcn vermehrt und diese Städte in einzelne Wahlbezirke ein
geteilt werden. Nach langen Debatten wird dcr Gesetz
cntwurf Wacker, der die bisherige Abgcordnctcnzahl bei
behält mrd eine neue Wahlkreiseintcilung vorsieht, ange-
nommen und der Ersten Kammer zur glcichsallsigcn Bc
ratung zugewicscn.
Morgen 9 Uhr Petitionen.
Deutsches Reich.
L.N. Karlsruhe, l. Juii. Dcr Abg. Fcndrich hat
über die Bitte dcr Zcntralkommission dcr Bauarbeiter Badens
um Abstellung dcr Mißstände im Badischen Bau-
gewerbe einen größeren schriftlichen Bericht erstattet. Die
Wünsche dcr Petcntcn gehen im Allgemeinen dahin: n. Er-
richtung von Bauhütten von mindestens 2,60 Mtr. lichter
Hohe, die vom 1. November bis l5. März auf Kosten
des Unternehmers geheizt werden, d. Errichtung von Aborten
bei allen Neu und Umbauten, die den Anforderungen der
Hygicnie und Sittlichkeit entsprechen, e. Verbot der Heizung
in offenen Koaksöfen oder Koakskörben während der Arbeits-
zeit. <1. Notfenfter und Notthnrcu gegen schädliche Zugluft.
6. Ausreichende sanitäre Einrichtungen für vorkommendc
Unglückssällc auf allen Bauten. Die weiteren Forderungen
beziehen sich auf Schutzmaßrcgeln gegen Unfälle
und zur wirksamen Durchführung dcr gesetzlichen Bestim-
mungen eine Kontrolle, die von dcr Arbeiterschaft zu wählen
ist. Die Kommission gelangte zu der Ansicht, daß eine
Lücke in der Gesetzgebung nach dcr Richtung besteht, daß
cs an für das ganze Land geltenden gesetzlichen Bestim-
mungen über den Schutz der Bauarbeiter fehlt. Wünschens-
wert ist deshalb ein Landcsgcsctz, das ein nicht zu eng
gestecktes Minimum von Bau-Unfallverhütungs-Vorschriftcu
enthält, dessen Ergänzung gemäß den örtlichen Verhältnissen
den lokalen Behörden überlassen wird. Dcr Antrag der
Kommission geht in diesem Sinne auf empfehlende Ucbcr-
ivcisung.
ö.N. Karlsruhe, 6. Juli. Der Bericht der Petition^

Der Schmied von Pirk.
Erzählung aus dcr Oberpfalz von Jos. Baierlein.
^Nachdruck verboten.!
(Fortsetzung.)
Arme RoSl! Einen Starken hast du den Schmied ge-
heißen und einen Braven, und die Worte im geheimen
wiederholt, bis die Hoffnungskeime Wurzel schlugen und
'-n stillen Stunden dcr Krankheit zum Wachsttim fröhlich
gediehen Aber ehe die zarten Pflänzchen in die Halme
schießen und zum Blühen gelangen konnten, waren sie auch
schon zum Verwelken verurteilt!
„>tann's denn sein, kann's denn möglich sein",
jammerte Rosl in der überqucllendcn Bitternis ihrer Seele,
„der einzige Bursch, dein ich sc gut g'wcsen bin, dcr ein-
zige, den ich vom ersten Sehen an hab' gern haben müssen
von ganzem Herzen, für dem seine Bravheit ich die Hand
ms Feuer g'tcgt hätt', zu jeder Minuten, ohne mich zu
Hunnen, das ist unser „Binggcs!" Und ich - o
Lchaud und Spott! ich wein' noch um ihn und schäm'
mich nicht vor mir selber, daß ich ihm dengcrst gut bin
und ch„ „och alleweil mag!"
siicf war in Pirk das Vorurteil gegen die jcwci-
ligcn Eigentümer der „BinggcS-Hüttcn" eingewurzelt, daß
man ihnen schon der einzigen Thatsachc halber, daß sie
^as berüchtigte Anwesen im Besitz hatten, absolut nichts
'Utes zutrante. Hatte doch bisher jeder von ihnen seine
eigenen gewichtigen Ursachen gehabt, sich auf dcr Hütte
sißhafl zn machen, und kein einziger hatte sic wieder auf- .

gegeben, ohne die Gemeinde in Angelegenheiten und finan
zielten Schaden gebracht zu haben. Und da man gegen
die „Binggcscn" rechtlich nnd gesetzlich nichts ansrichtcn
konnte, nahm man ihre Anwesenheit hin, wie ein unab-
weisbares liebel, rächte sich aber an ihnen durch offen
kundgcgcbcnc Verachtung und bitteren Haß.
Rosl, in solchen Anschauungen ausgewachsen und von
Jugend auf bestärkt, vermochte sich des herrschenden -
und bisher stets durch die nachfolgenden Ereignisse gerecht-
fertigten Vorurteils ebenfalls nicht zu entschlagcu. Sic
beurteilte einen „Binggcs" nicht viel besser denn als
Gauner, dcr unter dem Schutze eines dein Landvolk unbe
greiflichcn Gesetzes darauf ausging, die Gemeinde und die
wohlhabenden Bauern von Pirk straflos zn schädigen. Und
deshalb empfand sie es jetzt als brennende Schmach, sich
gestehen zu müssen, daß sie, die Tochter des reichsten
Bauern, des stolzen Vorstehers von Pirk, ihr Herz verloren
hatte an einen, der belastet war mit der allgemeinen Ver-
achtung, mit den stillen Verwünschungen des ganzen Dorfes.
Nein, das durfte nicht sein! Rosl Hicrlingcr und dcr
Pinkus von Pirk — die zwei paßten in alle Ewigkeit
nicht zusammen! Nur gut, daß kein Mensch eine Ahnung
hatte von ihrer Verirrung! Aber sic wollte die Sache vcr
winden, — sic mußte ja verwunden werden, wenn auch
ihr Herz blutete und darüber in Stücke ging! Sie wollte
schon morgen der Sache ein - Ende machen-gleich
—, morgen — —
Jetzt hatte sie sich schließlich wirklich in den Schlaf
geweint! Beneidenswertes Vorrecht dcr Jugend, auch beim

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15 Pfg. Lokale Geschäfts» und Privat - Anzeigen be-
deutend ermäßigt. Reklamen 30 Pfg. Für Ausnahme
von Anzeigen an bestimmten Lagen wird nicht garantiert.
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tommission dcr zweiten Kammer über die Petition des
Badischen Gastwirtevcrbandes um Aufhebung dcr Trans-
ferieningstapc, vom Abgcodnctcn Kramer erstattet, ist im
Druck erschienen. Die Kommission beantragt, die Petition
der Groß!;. Regierung zur Kenntnisnahme zu überweisen.
Die Wirren in China.
Tschifu, l. Juli. Der deutsche Gesandte in Pe-
king wurde am 16. Juni ermordet, als er sich zum
Tsung-li-Namcn begeben wollte. Ein Dolmetscher, dcr ver-
wundet wurde, konnte sich in eine fremde Gesandschaft
retten. Am 2!>. Juni waren nur 6 Gesandschaften un-
versehrt.
Berlin, 2. Juli. Die „Norddeutsche Allgemeine Zei-
tung" schreibt: „Nach einer Zeitspanne bangen Zweifels
und sich widersprechender Nachrichten kam endlich die trau-
rige Aufklärung. Der deutsche Gesandte Frhr. v. Ket-
tel er wurde nach dcr vorliegenden Nachricht, während er
mit einem Dolmetscher zum Tsung-li-Namcn ritt, vom
Pferde gerissen und c r m o r d e t. Der Dolmetscher wurde
verwundet, konnte sich aber retten. Die Gesandschaften
sind größtenteils uicdcrgcbraunt. Die übrigen Vertreter
der Mächte sind mit dem Personal und der kleinen Ma-
rincschutzwachc, soweit die Nachrichten reichen, noch im
Kampfe um ihr Leben begriffen; doch soll die Munition
bereits knapp sein, sodaß auch hier das Schlimmste zu be-
fürchten ist. Es ist eine erschütternde Nachricht, die aus
dcr Hauptstadt des Reiches dcr Mitte kommt. Ganz.
Deutschland wird die Kunde von dem Schicksal des Ge-
nannten mit dem Gefühl größter Teilnahme nnd Trauer,
aber auch mit tiefer Empörung aufnchmcn." Das Blatt
gedenkt sodann dcr rastlosen Energie nnd dienstlichen Gc-
wandhcit v. Kettclcrs, verbunden mit einem offenen sym-
patischcn Wesen, das leicht alle Herzen gewann und ihn
auf allen Posten zu einem gern gesehenen Mitarbeiter nnd
Kameraden machte. Das Blatt rühmt seine persönliche
Unerschrockenheit nnd die Hintansetzung seiner eigenen Person,
wenn cs galt, ein als gut erkanntes Ziel zu erreichen.
Diese selbstlose Aufopferung dürfte auch die Unmittelbare
Ursache seines tragischen Geschickes sein. v. Kcttclcr hatte
sich augenscheinlich nicht gescheut, sich dem tobenden Pöbel-
hansen ansznsctzcn, als er sich am 16. Juni nach dem
Tsung-li-Namcn begab, um seiner Pflicht gemäß dort Vor-
stellungen zn erheben. Der Artikel schließt: Wenn es etwas
gibt, was die Verwandten, Freunde und Landsleute Kette-
les trösten kann, so ist cs das Bewußtsein, daß er in
treuester Erfüllung seiner Pflicht wie ein Held auf dem
Schlachtfeldc gefallen ist.

schweren Leid Vergessenheit und Trost im Schlummer zu
sinden!
Vielleicht hatte bei dcr RoSl auch die Schwäche infolge
dcr überstandenen Krankheit mit dazu bcigctragen!
6.
Der nächste Tag war ein Regentag, weshalb Rosl
das Zimmer nicht zu verlassen wagte. Sie konnte daher
ihren am vorigen Abend gefaßten Entschluß nicht aus-
führen, fand dagegen hinlänglich Zeit, denselben gründlich
zu überlegen und in allen Einzelheiten auszudcnkeu. Die
Hauptsache blieb, daß Vater und Mutter von ihrem Vor-
haben nichts merkten; doch dafür wollte sic schon sorgen.
Als am darauffolgenden Morgen die Sonne hell von
einem wolkenlosen Himmel glänzte, bat sic die Mutter um
Erlaubnis, ein wenig in den Garten gehen zu dürfen.
„Ich glaub'", sagte sic, „ich werd' schneller zu Kräf-
ten kommen in dcr frischen Luft, und wenn mich die Sonn'
wieder anschcint. 's leidet mich schier nimmer in dcr
Stuben und im Haus."
Die Bäuerin konnte dem einzigen Kind ohnehin nur
schwer etwas abschlagcn; dennoch machte sie einige Ein-
wendungen.
„Wcnn's Dir mir nicht schad't, Rosl; es ist heut'
erst dcr sechste Tag, und Deine G'sundhcit ist noch ganz
neubacken!"
„Mußt kein' Angst haben nm mich, Muttcrl", schmei-
chelte sic. „Führ' mich nur selber 'naus in den Hinteren
Garten und such' mir ein gnt'S Platzl aus. Ich spür'
ja fast keine Schmerzen mehr in meinem Bein, und wcnn's
 
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