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Volksgemeinschaft: Heidelberger Beobachter, NS-Zeitung für Nordbaden (6) — 1936 (Juli bis Dezember)

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^siis 9


„Volksgemeinschafl"

Freitag, i»e« LS. Sevtember 183k


r^.'-Sind Bewerbungen um den zweiten Buch-
^ulterposten eingelaufen, Wernicke?"

»Eine Unmenge, Herr Möller".

2 »Alle mit lückenlosem Lebenslauf, genauen
"^Ugnisabschriften, Lichtbild, Auskünsten?"

, »Jawohl. Nach der Sichtung kommen diese hier
^ Frage."

Der erste Buchhalter überreichte dem Chef die
^un von ihm ausgewählten Bewerbungsschreiben.
r ^iöller Lberflog das erste, legte es wieder bei-
! "e. „Njchts fjir uns". Ebenso machte er es mit
,ur zweiten. Bei dem dritten und vierten las er
noch die oberen Zeilen.

^^»Haben sich denn nur alte Leute gemeldet?"

sichti^" besonders Familienväter berück-

x- Der Chef schlug mit der flachen Hand auf die
^chreibtischplatte. „Aber Wernicke! Wir benöti-
U eine frische unverbrauchte Kraft, einen jungen
. lanni Sie haben anscheinend die herausgesucht,
^ die meisten Kinder haben?"

^ »Nein, die mit den besten Zeugnissen und
-/upfehlungen. Allerdings glaubte ich, datz ein
°"erer Mann, ein Familienvater . . ."

. »Ausgeschlossen! Nicht Lber dreitzig und am
beosten ein Unverheirateter, der noch nicht den
voll Sorgen hat."

»„.A^ernicke wagte noch eine Einrede. „Aeltere
uaben es am nötigsten, Herr Möller,"

»Wir sind kein Altersversorgungsheim. Hier",
r reichte Wernicke die vor ihm liegenden Vewer-
sUNgsschreiben zurück, „suchen Sie geeignetere
"Ure heraus. Wie gesagt: nicht Lber dreitzig und
^uglichst ledig oder allenfalls kinderlos ver-

. Als Wernicke das Zimmer des Chefs verlassen
wrte und wieder an seinem Pult satz, wollten
Eedanken nicht gleich zur Arbeit zurückfin-
en. War man denn, wenn man über dreitzig
unaus war, zu alt? Schon verbraucht? Konnte
nicht mehr so viel leisten wie die Jüngeren?
^7. Das war doch wohl nicht richtig. Von den
^"rzigern hretz es doch oft, sie ständen auf der
L"^?hrer Schaffenskraft. Feierten Fünfziger oder
>^chzrger xju Jubiläum, wurde ihnen regelmätzig
kesch . n^und Zeitungsnotizen die oolle Rüstigkeit

> Er selbst hatte bei der Firma Möller L Sohn
^.!.n Jubiläum gefeiert — fiinfundzwanzigjährige
u.atrgkeit. Bei dem Vater des jetzigen Jnhabers
Anv er als junger Kontorist eingetreten, später
^uchhalter geworden. Er meinte, datz er heute
nnch so arbeitete wie damals.

^eheiratet hatte auch er und Sorgen gehabt.
Mr er deswegen, weniger pflichteifrtg gewesen?

glaubte im Eegenteil, datz sein Fleitz noch grö-
ner gervorden war. Man hatte doch der Familie
gegenüber eine Verantwortung, mutzte seinen
xchten festhalten, vorwärtskommen, Als ihm die
»rau frühzeitig starb, war er innerlich so zerbro-
che.n gewesen, datz ihm auch die Freude an der Ar-
genommen war. Aber er hatte Trost in sei-

'"n Kindern gefunden — --

,, Die Jahre waren dahingegangen. Zweiund-
;?"Mg hatte er jetzt auf dem Rücken. Sie drückten
'Un nicht. Doch vielleicht war das Täuschung?
Aiäre er stellungslos, würde eine andere Firma

ihn kaum nehmen. Möller war nicht der einzige,
der aus seinem Eeschäft kein „Altersversorgungs-
heim" machen wollte!

Ein bitteres Wort! Dabei war der Chef durch-
aus kein rücksichtsloser Mann. Er war zweifellos
der lleberzeugung, datz ihm eine jüngere Kraft
mehr nützen würde als eine ältere.

Er hatte an dem einen alten Buchhalter wohl
genug, dachte am Ende, daß er dem schon das
Enadenbrot gäbe — — —

Der Jugend gehörte die Welt, das Alter mutzte
ihr weichen, bis sie selbst alt wurde, neue Jugend
nachdrängte und ihr dasselbe Schicksal bereitete.

Wernicke war in Nachdenken versunken, hörte
nicht, datz Möller ins Kontor kam, merkte es nicht,
als er schon neben ihm stand.

Möller sagte: „Wissen Sie, Wernicke, ich hab's
mir überlegt. Warum sollen Sie sich die Mühe
machen, die Bewerbungsschreiben noch einmal
durchzusehen? Unter denen, die Sie ausgesucht
haben, wird schon einer sein, der für uns tauglich

ist. Sie haben bisher immer das Richtige getan.
Lassen wir es nur dabei bewenden. Welchen neh-
men wir?"

„Aber Sie wollten doch einen jüngeren..."

„Die Jahre sind nicht immer matzgebend, die
Jungen nicht immer die Tüchtigsten! Jch weitz
zum Beispiel doch, was ich an Jhnen habe!"

„Herr Möller, ist das Jhr Ernst —?" Ein
Freudenschimmer breitete sich über die Züge des
alten Buchhalters.

„Sie kennen mich, um zu wissen, datz ich im
Eeschäft nicht scherze. Jm übrigen — wenn man
so lange zusammen gearbeitet hat, wie wir, ist man
doch allmählich in eine untrennbare Kameradschaft
^ineingewachsen und die ist, scheint mir, das

Wernickes Augen leuchteten.

„Und ich fürchtete, ich sei auch schon zu alt und
zu verbraucht —", sagte er, „nun glaube ich aber,
es wirklich noch mit der Jugend aufnehmen zu
können!"


Der herkulisch gebaute Neger Mahengo vom
Stamme der Kioto schritt durch das niedrige Gras
dem heimatlichen Dorfe zu. Hinter ihm trippelte
sein kleiner sechsjähriger Sohn Mabunda. Baide
trugen ein BLndel Holz auf dem wolligen Kopf,
denn sie kamen vom Brennholzsammeln.

Da flatterte ein kleiner, unscheinbar aussehen-
der Vogel fast vor dem Eesichte Mahengos hin
und her, flog dann nach rechts zu den dort stehen-
den Dornbüschen, kam wieder zUrück und streifte
fast den Wollschädel des Alten. Deutlich spurte
Mahengo den Luftschlag der leichten Schwingen.
Hin und her pendelte wieder der Vogel, als ob er
in der geheimnisvollen Zeichensprache der Wild-
nis den Menschen etwas mitzuteilen hätte.

Da rief der kleine Mabunda dem stur dahin-
dösenden Vater zu: „Baba! Siehst du ihn nicht,
den Honigvogel? Er weitz einen hohlen Vaum mit
einem Bienenvolk und viel Honig. Er wird uns
führen. Komm, Baba, wir wollen mit ihm gehen
und den Honig für die Mutter holen."

Wortlos wandte sich der Alte nach rechts und
schritt dem aufgeregt flatternden kleinen Vogel
nach, der immer zurückkam und dann wieder vor-
flog.

Der Waldrand wurde lichter, und bald standen
die beiden vor einem mehr als' maNnsdicken
Stamm, um den der Vogel aufgeregt herum-
flatterte.

„Dort, Vaba, ist das Loch!" sprach der muntere
kleine Mabunda und zeigte dem Vater eine viel-
leicht faustgrotze Oeffnung unter einem dürren
Ast, etwa drei Mannslängen hoch vom Boden.
Einige Bienen flogen geschäftig ein und aus. llnd
der Honigvogel satz jetzt ruhig auf dem Ast eines
anderen Baumes in der Nähe.

Schnell sammelte Mahengo ein VLschel trocke-
ner Halme, vermischte sie mit frischen, grünen
Eräsern und band daraus eine lose Fackel, um da-

mit die Bienen auszuräuchern und wehrlos zu
machen.

llnterdessen hatte der kluge Mabunda mit dem
Buschmesser des Vaters einige Meter dünner
Lianen geschlagen und daraus einen ovalen Klet«
tergürtel verfertigt, mit dessen Hilfe er den Baum
besteigen wollte.

Der Alte setzte die Rauchfackel in Brand und
half dem Kleinen, den Lianengürtel um Vaum
und RLcken zu legen und sicher zu verknoten. Ma-
bunda straffte den schmalen Rücken, stemmte zuerst
den einen, dann den anderen Futz gegen den glat-
ten Stamm und stieg hinauf, ruckweise den Eür-
tel mitnehmend, Dann reichte ihm der Alte das
schwelende Vündel.

An der Oeffnung angekommen, blies Mabunda
in die Elut der rauchenden Fackel, der Wolken
schweren Qualmes entströmten. Zwej-, dreimal
schlug er sachte mit dem Brand gegen die Oeff-
nung. Die Bienen waren verschwunden. Dann
streckte der Kleine sein dllnnes Aermchen durch das
Loch, um die Waben herauszuholen.

„Baba! Jch finde den Honig nicht."

„Hole ihn, der Honig liegt tiefer."

Da warf Mabunda die qualmende Fackel zur
Erde, streckte den Arm bis zur Achsel in den
Stamm und schrie mit gellender Stimme: „Baba!
Njoka! Njoka!"

Er ritz den Arm aus der Oeffnung und hing,
halb ohnmächtig vor Schrecken, im Klettergllrtel.
Da huschte durch die schwarze Oeffnung des Stam-
mes der Kopf und Vorderkörper einer dicken gel-
ben Kobra. Mit wütendem Fauchen bitz sie den
Kleinen blitzschnell zweimal in den Hals und ver-
schwand dann wieder im Jnnern des hohlen
Baumes.

Langsam rutschte Mabunda den Stamm hinab
in die starken Arme seines Vaters, der mit ihm
rasch von dem Ort des Erauens entfloh. Am Wald-

rand stellte er den Kleinen auf die Fütze. Aber
Mabunda sackte wie leblos zusammen. Die Bisse
der gefährlichen grotzen Eiftschlange hatten die
Halsschlagader getroffen. Da gab es keine Ret-
tung. llnd wenn in einem gleichen Falle ein er-
wachsener Mensch vielleicht noch einige Stunden
gelebt hätte — der kleine Mabunda war zu zart
und zu jung. Er starb in den Armen seines
Vaters. Piet Hein.

Äie Asüt

Eine Anekdote. erzählt von Serbert Sesse.

Man sagte uns einmal. besonders vom west-
lichen Europa her, nach, datz es unserem Wesen an
Schmiegsamkeit und gewandten llmgangsformen
mangele . . . Die folgende kleine Evisode scheint
aber zu beweisen. datz man den unvermeidlichen
Särten des Lebens auf eine männkich gefahte Art
begegnen kann, ohne darüber Witz und Schlagfer-
tigkeit zu versäumen.

Es war der Fürst von Ligne, der seinert
Stammbaum bis auf die ältesten Franken- und
Niedersachsenherrscher zurückführte und der am Hok
Maria Theresias eine der bskanntesten Persönlich-
keiten war. Der weilte einmal längere Zeit in
Paris. llnd begegnete da eines Tages einer Mar»
auise, der er vor Monaten eifrig den Hos gemacht
hatte, um sie dann jedoch. ernüchtert. vlötzlich sitzen
zu lassen. Nun bat ihn die Dame um einen Be-
such. Der Fürst war böflich genug. zuzusagen, aber
auch klug genug, zwei geladene Pistolen zum Ren-
dezvous mitzunehmen. Und das war gut. Denn
der Kavalier ward aufs liebensmürdigste empfan-
gen, bewirtet und unterhalten, so dab es schon
schien, als solle die alte Liebe aufs neue erweckt
werden. Plötzlich aber sah er das Schäferstündchen
bitter unterbrochen, die Tür flog auf. und herein
stürzten vier Bediente. Mit dicken Stöcken bewaff-
net, und warfen sich auf den Fürsten. Auf Befebl
der Marauise ward er auf ein zartblaues Ruhe-
bstt gelegt. die hinderlichen Kleidungsstücke wur»

8cku1rci'err»e *

den. mit Respekt gesagt, ein wenig umdrapiert,
und auf die entblöhte Rückseite fielen nun genaU
gezählt. fünfzig Schläge nieder.

Der Ueberraschte gab keinen Ton von sich, wie
etn Gentleman empfing er seinen Teil und stand
dann auf. um immer noch wertlos, vor dem Svie-
gel seine Kleider zu ordnen, als sei nichts ge-
scheben. Plötzlich aber fuhr er herum. mit gezückten
Pistolen, und herrschte die Bedienten an: „Bindet
jetzt die Marquise — oder ich schieh'!"

Dienertreue und Frauenprotest sahen stch von
den schuhbereiten Waffen überredet. In genau der
gleichen demütigenden Lage empfing die Mar«
quise . . . und ebenso empsingen dann die vier
Lakaien. einer immer von den anderen. ihre füns-
zig Hiebe — nicht alle so gefaht und stumm wie
der aus Wien.

Und, nochmals von den Pistolen untersttschen,
ward auck noch eine letzte Ditte des Fürsten ge«
währt. Die fünf gaben ihm genau ausgefertigt,
eine Quittung über zweihundertundfünfzig
Hiebe. Mit einer höflichen Verbeugung ging der
Kavalier davon.

Freitag, de« 28. September 1938.

tJohann Strautz, 1819 sest.s:

Die Mustka ist das beste Labsal eines betrüb»
ten Menschen. Marti» Luther.


sru» mwsi WsItisl >sr» vwr» vsr» Stslrik:«ll«r-

Fortsetzung

. »Na. na, Mädel! — Eut, dab ich dich wieder
«abe! — Und jetzt als Herrin und Besitzerin von
^reitenfelde. Da muh ich mich wohl ducken?"

„Ach, Unsinn, Tante Eva!"

Renate hatte nun wirklich das Eesühl, zu Hause

sein. Der spärlich erleuchtete Kleinftadtbahn-
drauhen neben einem ofsenen Eepäckwagen die
^alesche, ja wirklich, die alte gute, noch ebenfo
'4ief und ramponiert wie früher.

. Renate tätschelte die Pferdeköpse. Lieh sich dann
u das Eefährt verpacken, während Anny von dem
urinsenden Venael, der den einsvännigen Eepäck-
'Uqgen lenkte, auf diesen komvlimentiert wurde.

. „Das geht nicht. Anny erkältet siF bis auf den
^öd!" wandte Renate ein.

„Ja. warum bringst du das braune Gestell aber
Ustch mit! Das gibt sicher Krach mit Stins. Die
"idet keinen neben sich. So etwas Exotisches schon
S°r nicht!"

Renate antwortete nicht. Sie war noch mal
uusgestiegen. holte Anny von dem offenen Wagen
perunter und brachte sie in eine Pferdedecke gewik-
"It auf den Fuhboden der Kalesche.

„So. Tante Eva, nun kann es losgehen!"

. „Na, meinetwegen! Aber so etwas Verrücktes
ut mir auch lange nicht vorgekommen. — Hüh,
"ellberg! Na, denn man tau!" —

. „Er hört nämlich noch schlechter als vor einem
Tahr!"

, „Man könnte vielleicht ein Auto anschassen und
^lnen Chaufseur einstellen!"

„ „Was denn nicht sonst noch? Damit noch mehr
^eute bei mir herumsitzen. Es ist schon Stunk ge-
Uug mit meiner alten Rasselbande!"

Renate schwieg. Reformen soll man nicht mit
Eewalt einführen. Es kam alles allmäblich: Brei-
tenfelde gehörte ja doch ihr!

„Meine Heimat!"

Als die Kalesche ohne sonderliche Unfäll« jetzt
'n das Rondell vor dem hellerleuchteten Schloste
^tnbog, war es ihr einen Moment, als sühe sie
'bren Mann. — Sicher — er sreute sich jetzt mit
tbk. —

Aber es war eben nur eiiwn Augenblick, dann

zeigte stch die Wirklichkeit in Gestalt von Peter-
sen und der recht füllig gewordenen Stine.

Händeschütteln! Begrühungszeremonien! — Ein
wenig laut und etwas viel nach dem lieben
Traumgesicht. das ihr eben erschienen war. — Als
dann Anny sich aus ihrer Decke schälte, und Stine
mit gerungenen Händen: „Alle guten Eeister lo-
ben Eott, den Herrn!" rief, fiel es ihr geradezu
auf die Nerven, und sie sah sich genötigt. als erste
Regierungshandlung in der Heimat, das treue,
braune Eeschöps vor der hier eingesessenen Diener-
schaft in Sicherheit zu bringen. —

Dieser erste Schock wich dann aber bald der
Freude, über die alten Räume, in denen ste woh-
nen sollte, und über eine Schale mit frischen Veil-
chen, in die sie tief ihr Eesicht drückte.

„Na. Mädel, nun erzähl' mal!"

Tante Eva schien nach dem Abendesten. als man
gemütlich am Kamin sah, geneigt, die Erlebniste
des Jahres in Ceylon in sich aufzunehmen.

Ob sie etwa Sensationen erwartete?

Es kam Renate vor, als sei ihr Erleben dort
viel zu zart, viel zu feierlich gewesen. um es in
weitschweifigen Schilderungen preiszugeben. Sie
lenkte auf Peter hin. —

Ein Thema. in dem ste mit der Tants «ins
war. —

„Kannst dir nicht denken, wie dankbar ich dei-
nem Mann war, als er ihn herüberholte! Hier wäre
im Leben nichts aus ihm geworden!"

„Ja. und dort macht er sich immer bester. sagt
Dieter!"

„Dieter, wer ist Dieter? — Ach so, der Ver-
wandte deines Mannes?"

„Mein Neffe!" sagte Renate schlicht. und lu-
stige Uebermutsteufelchen sprühten um ihren
Mund.

„Nsffe?" — Na. aber sehr weitläufig! — Weiht
du. Renachen, aber mit Peter, da kann man ja
nicht wisten. — Vielleicht, vielleicht! Doch du bist
noch in Trauer. da will ich jetzt noch keine Pläne
machen."

„Ich legc das Sckwarz den ganzen Soinmer
über nicht ab, wenn ich dadurch um Tantes Pläne
kommel" dachte Renate.

Wie wonnig. sich nachher von ihrer Ajah aus
gewohnte Art zu Bette bringen zu lasten. Unter
deren stetem Eebrummele übrigens. — Hier war
kein Moskitonetz und kein elektrischer Fächer, hier
sehlte auch Gnäffu ihr rosa Seidenkisten, das ste
immer ins Eenick legte.

„Haben wir vergessen!" lachte Renate und Lber-
legte, ob Dieter es vielleicht gefunden hatte. —
Und dann — keine Limonade! Keine frischen
Früchte vor dem Bett wie auf Ceylon — bemän-
gelte Anny.

„Za, wo wollen sie die hernehmen in dieser
Jahreszeit! — Ach, Anny, dumme Anny, schimps
nicht! Wir sind doch in Holstein, sind zu Hause."

Renate zog ste auf den Stuhl neben ihrem
Vett.

„Da, setz dich, und erzMe von Mount Lavinia.
von der Villa Renate oben in den Bergen, von
Schlangen, Haifischen und Krokodilen!"

„Anny auch jungen Sahib verzählen!"

„Meinetwegen, wenn's nicht anders geht. Er-
zähl' bloh, immerzu, Anny!"

Unter einem seltsamen Kauderwelsch von
deutsch, englisch und singalesisch schlief Renate am
ersten Abend in der Heimat ein. —

Jn Vreitenfelde — oder auf Ceylom — Sie
wurde sich nicht ganz klar darüber!-

«k

Sonnenwetter! Weiche Frühlingsluft! Renate
ergrifs Besttz von Vreitenfelde. — Jnnerlich we-
nigstens. — Aeuherlich regierte Tante Eva nach wie
vor.

,T)a mische dich nur nicht ein!"

„Das überlah nur mir!"

„Das habe ich schon anders angeordnet!"

Man mubte zartfühlend sein und schweigen
dazu! Wenn einem die Zunge mal durchging, war
Tante Eva so leicht gekränkt.

„Ja, wenn Breitenfelde dir gehört, dann habe
ich ja nichts mehr zu sagen, muh mir irgendwo
sonst ein Dach über dem Haupte suchen!"

Aehnlich wie Tante Eva waren auch die Dienst-
boten eingestellt. Wenn sie ihre Herrin bis aufs
Vlut quälte, segen die iunge Enädige bildeten
ste eine geschlostene Front! — All« Versuche Rena-
tes, eine Bresche in dies Bollwerk zu schlagen, wa-
ren vergebens.

Die heimatlichen Verhältnisse gestalteten sich für
di« junge Herrin von Breitenfeld» alsp reichlich

schwierig. Sie stand aus ihrem Erund und Voden,
wohnte in ihrem Hause, atmete die holsteinische
Lust und sah ihr Vieh sich in den grünen Mar-
schen tummeln. Sie freute sich Lber alles. Sis
versuchte allem näher zu kommen! Aber es gelang
nicht. Sie blieb auhen stehen! Das Vindeglied
fehlte, der Mensch, zu dem sie und mit ihr afles
gehörte! — Tante Eva war dies scheinbar nicht.
Cbensowenig war sie es für Tante. — Wo war
nun ihre Heimat?. Wie konnte sie diese erobern?.
Wie wieder einen Halt finden?—- Jn Jndien
war es ihr Mann gewesen. Wer war es jetzt? Wie
sollte sie hier leben und sich den Abfonderlichkeiten
der Menschen anpassen? Sie war noch jung. Das
Leben lag vor ihr. Sie befand sich in der glück-
lichen Lage, es nach eigenem Eeschmack gestalten
zu können, viele Menschen daran teilnehmen zu
lassen. Sie konnte aus Breitenfelde ein Muster-
gut machen, ihren Arbeitern eine herrliche Existenz
verschaffen, wenn —! Ja, eben —. wenn sie sreie
Hand hatte, wenn sie mit den eingeristenen Zu-
ständen reinen Tisch machen — und selber herrschen
dürfte. — Aber eben — wenn. — Sie konnte die
alte Tante Eva. die es so gut meinte, doch nicht
unglücklich machen.

Jn allen diesen Wirren spielte die arme, braune
Anny noch eine besonders tragische Rolle. Sie
wurde von allen Seiten beklatscht und verlacht. Jm
günstigsten Falle war si« ein Schaustück, was man
wie im Zirkus anglotzte. Dah sie in die christliche
Kirche ging, emvörte allseitig. Dah ste ihre jUnge
Herrin eifersüchtig bewachte und niemanden zu
ihrer Bedienung heranlieh, das ärgerte nicht nur
die allmäcktige Stine, sondern auch Frau Allstedt
fand es unnötig.

„Sie ist immer wie 'ne bissige Vulldogge. So-
gar die Schlüstel von deinen Schränken Lewacht sie.
Wie kann man „solcher Wilden" so viel Vertrauen
schenken? Elaub mir's, das rächt stch eines Tages.
bitter!" nickte diese.

Die allgemeine Lage schien rettungslos. Rena
konnte nicht anders, sie schilderte sie in einem halb
lachenden, halb weinenden Briefe Dieter. Das er-
leichterte sie wesentlich! Sie stellte sich sein Eesicht
beim Lesen vor. Es waren immerhin acht Seiten
geworden. —

Die Antwort kam wundervoll schnell. Sckon in
drei Wochen. Jn Eestalt einer Kabeldepesche na-
türlich. aber unverkennbar von ihm selbst, nicht
von dor Sekretärin! —

(Fortsetzung folgt) ,
 
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