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Volksgemeinschaft: Heidelberger Beobachter, NS-Zeitung für Nordbaden (6) — 1936 (Juli bis Dezember)

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https://doi.org/10.11588/diglit.9507#2650

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Lsiis 24

„Dollsgemesnschafl*

Dvuucrsla». »1. De». lXill.

es ein aukeraewöknlicker Tag sei. dieler letztr
Ta« eines lanaen oergangenen Jabres.

Als micki meine Mutier ickiickle. ibn endlich »um
Ellen zu bolen. da legte er aui meine Einladung
keinen belonderen Wert Er iragte nur. ob iü> mit
wolle ..Wu aeb mer denn bie?" wollte ick wilien.
Aber er hatte lckon ein Bündel Aeu gevackt. nabm
m.ck bei der Hand und binaus gings in die eilige.
fröitelnde Kälte. Vorber aab er mir nock die Mah-
nung. kein Wort zu iorecken. und wenn ick auck
nickt wutzte warum. ick iühlte. dak es so sein
urüsse.

Am naben Waldrand breitet er unter einem
Baum das sliutter aus. und wir traten einige
Meter zurück. Es dauerte nickl lange da börten
wir Zweige brecken und iallenden Scknee. Lang-
sam löste sick ein Reb aus dem Sckatten äusle vor-
licklig umber. ktutzt« und kckob nck Sckritt um
Sckritt näber dem verlockenden Dukt krilcken beues
entgegen. Die barten balme knackten unter seinen
Zähnen. wieder und wieder ioa es orüiend die
Lukt ein und rickleten sick keine glänzenden Lick-
ter zu uns berüber.

Es lollte nickt lange obne Gelelllckast bleiben:
«rneut raickelte es in den Bllicken und mehrete
Tiere traten zualeick bervor. Darunter beianden
kick zwei Itarke Vöcke. Das ansänalicke Miktrauen
vsrlor ück bald. obne iick weiter um uns zu küm-
mern. mackten sie kick über das !o ielten gewor-
dene srutter ber. Nie wieder babe ick sväter Tiere
ko vollkommen obne Sckeu ä!en geleben.

Derwundert blickte ick dem ieltiamen Treiben
zu und bätte am liebiten mit meinen srostltarren-
den Sänden ibr weickes lliell gestreickelt. Dock da
nabm mick mein Dater wieder bei der Hand und
glücklick itavite ick durck den Scknee der warmen
elterlicken Wobnung zu. Aus dem Dork klan» seier-
lick das Horn des Nacktwäckters beraus. das mit
üngendem Tonkall verkündete:

Hört. ibr Leut. es kkt Neuiabr.

Macket eure Recknung klar.

Eott, der Herr, der woll euch geben

Gekundbeit und ein langes Leben.

Es ist nickt von weltbeweaender Traaweit«. mein
sckömtes Neuiabrserlebnis. aber es ikt kür mick
eine bleibende Erinnerung an glücklirbe Jugend-
tage.

Ein Neujahrswort an
unsere Zeit

Don Friedrich Nietzsch«

Soviel babe ick bearisfen: wenn man das Ent-
stsben aroker und keltener Menlcken abhängig ge-
mackt bätte von der Zuitimmung der vielen lein-
hegriisen. dak dieke wükten. welcke Eigenkckaslen
Lur Eröke gebören und insgleicken auk wessen
llnkosten all« Eröke sick entwickelt) — nun. es
bätte nie einen bedeutenden Menscken gegeben! —
Dak der Eang der Dinge unabhänaig von der
Zuktimmung der allermeisten leinen Weg nimmt:
daran liegt es. dak einiaes Erktaunlicke kick aus
der Erde einaelcklicken bat.

Nickt die Mem'cken ..bssker" mocken. nickt zu
ibnen auk iraendeine Art Moral reden. als ob
..Moralität an sick" oder eine ideale Art Menlch
überbauvt geaeben sei: kondern Zuktände lckaisen.
unter denen ktärkere Menscken nötig kind. welcke
iillü - .-..

De«nvpfe,,»mWHW. soklDel»

BekenntniS -nm Sozialismu-
sein. We, nich« ,nm Opsern
teret« ift. lehnt den Sozialis.
mus ab und ftellt sich so autzer,

balbnulererBolksgemetakchasl.

IIMM»U»»»»»»UNNIUNIU»»»»»IN»U»»»»I»»»»»NN»MN»»»MIIMNUIUU»N»»IMMIM

ibrerkeits eine Moral (deutlicker: eine leiblick-
geistige Dikzivlin). welcke ktark mackt. braucken
und solalick baben werden!

Sick nickt durck blaue Augen oder gesckwellte
Buien veriübren lassen: die Eröke der Seele bat
nickts Romantisckes an kick. Und leider gar nickts
Liebenswürdiges!

Aus einem neuen Roman: „Mneck"

Von Irma von Drygalski, Heidelberg

Vorbemerkuna: Mlt Erlonbnis des Verlages Carl SckiinEann. Bremen. bei dem lSS7
der Alvuilin „Riueck" eiickeliu dliuae» wii ctue» Ävlckiu» uus ü^l, buld abgeicklossenc» Werke.
Ei» vaur ,)SeaUiten ücs Huuiaiuläiszcualleis uiid vo» üei udec üeiellen. ialirendes Vvlk. Berbre-
cher »uü andcre üanllc Elcinenle durch Aniiedluna zu ictzliailen Baucrn und aiuen Siaaisvürgern
zu machcn So cnlttcbi das Dvri Rineck un ern Mosbach Aber dic anacbvrenen aioztalen Anlaacn
brcchen bei -cn Mncckern immer wiedei durch und ivrechen aUcn noch 10 reinen Erztebiiiiasabiichten
Hvbn Dnrch ckahrzchnte wird Rineck ziun grebsichadcn iür dic aanze Umaebuna. dte über dt«
ftäiiüiaen Dicbiläkle und Einbrückc in den nuilieaendcn Orten tmuier mehr aeaen dic Rinecker
aiuaebrachl wird. Bts tick ltzö« dte badtsche Reaieriin« aczwuiiaen iab das Dori aiiiznlsicn und
dte Bewvhner nach Amerika abziiilbiebcn. Heute'aebl über öas etnsliae Dors der Pslua.

Uiuenftebender Abichni« »em crtten Tetl ücs Rouiaiis cninvmmen. zctgl etne für den wettcren
Berlaui ichickialbaste Beaeanuna mti ctnem Rinecker jtind.

... Und doch stapste mit schweren Schritten um
die Altjohrswende das Schicksal heran Rinecks
urtümliches Schicksal — gezeugt aus Leichtstnn und
Not —, Rinecks eigener Dämon, den kein Beten
und kein Drohen wieder aus den Mauern trieb, b:s
sie zerbrochen waren.

In den Zwö'.fen war es, als ein furchtbarer
Sturm üen vereisten Schnee in breiten Schollen von
den Baumkronen her weitläusiaen Wälder fegle,
und in den Gassen mit seinen, scharsen Eiskristal-
len ein schmerzhastes Wtderjpiel trieb. Der Weiler

wenns ein Wechselbalg wär. vom wilden Jäyer
selbst kopfüber herabgewirbelt, — ste kann das nicht
länger anhören Sie bindet den Rock übers Hemd,
greift den Rosenkranz. Hebt das kleine Kru§ifix
dran steil über die Faust. Schleicht blotzsützig
um den Mann nicht zu wecken, aus der Schlaf-
kammer.

Drunten am Herd schlägt ste Feuer. Denn das
Herdseuer ist gelöjcht. Datz es nich! den Schwar-
zeu, wenn sie durch den Kamin gefahren kommen
hinter einem zweiköpsigen Eber her, zu feurigen

vom Zeuer der Liebe

80 wle der Zchwur in unsern yerzen loht,
so muh das Zeuer unsrer Liebe pammen,
und wer nichi mit uns looeri. den wird Not
und Linsamkeit aus unserm Nreis verdammen.

Vir aber zimden Zeuer ringrher an,
die ragen aus wie stumme Lichtgebete
und rusen in die ferne Sonnenbahn,

-ah ste zurück in unsre Lande ttete.

voch tieser als das Zeuer brennt das vlut,
-as tn uns kündel vom geheimen Reich,
und Vrüder werden, Scheit bei Zcheii, zu Slut
und Flammenwurs, des find wir alle gleich.

llnd ist einmal der letzte ksauf' geschichtet,
zum Gpserseuer leuchtend ausgetan,

-ann stötzt er in der Nacht, hochausgerichtet,
wie ein Sebet, und Sonne muh fich nah'n.

llnd sollten wkr verbrennen wie der Stotz,
ber vor uns lodett - wenn die Nacht nnr finkt
und unser klcker, das ist unser Lor.
vom Licht der Sonne wieder satt fich trinkt.

vie klsche düngt, aus kl'che grvnt bar Zelb,
Gott segnet, bie baran -as Leben messen.
Jhn anzurusen, wenn -ie Glut zersüllt, ,
des taht in biejer Nacht uns nichl vergefien.

hrrbert vöhme.

Limbach schlief unter elnem grämlich verhüllten
Mond, der nur da war, um das 2agen der jchwar-
zen Wolken deutlich zu machen, die wie Raben und
Wölse ihre zeifetzten Fittiche und verzerrlen Leiber
duich den sahlen Dunst treiben lietzen. Ein unauj-
hörliches Heulcn Mwang um die Hausecken, böse
Finger rissen an Sparren und Stroh der Dächer.
5n den Ställen das Vieh duckte sich ties oor den
llnsichtbaren, die Heerzug halten in solchen Nächten,
Milch aus den Eutern jaugen und das Junge ab-
würgen rm Mutlerleib.

Die Frau vom Stabhalter RZntsch setzt stch aus
schweitznossen Krssen auf, rüttelt mit flatternden
Fingern ihren Mann, der schläft wie ein Stein.
„Lhristoph, — es weint eins vor der Tür." Der
Mann brummt: .„.Was soll da weinen?" — „Der
Hund knurrt, äber schlägt nicht an, — mutz es ein
Ungefährliches sein, etwa ein Kind." — „Ein Un-
gejährliche-?! 2n den Zwölsep? Ick geh nicht
nachjckaun, — schlag's Kreuz und schlaf weiter."
Und er wälzt sich zur Wand.

Abcr die Frau bleibt sttzen und horcht. — Doch,
— es wimmert, es lratzt gar an die Haustür. Und

Futzsohlen verhilft, mlt denen ste dann über Diele
uud Tenne tanzen. Der Teusel und seine Eesellen
baden die Fütze gern in der Herdglut. — Wer weitz,
ob in diejen entjetzlrchen Nächten die geweihten
Kräuter Bannmacht genug haben über das Böse.
Der Kienspan leuchtet lapser aus. Sie entzündet
den Talgstumpen in der Stallaterne und schleicht
durch den Ehrn.

Jo. noch immer weint es und schluchzt hinter
den Vohlcn der Tür. Da schieht ste die zwei Rieael
zurück, stemmi aber das Knie wider d!e Tür. bis
sie Kruzisix un-d Laterne recht in Händen oor fich
herhält. Dann drückt sie mit dem Ellenbogen die
Klinke nieder, — der Sturm haut ihr die Tür an
den Leib, — und nun endlich leuchtet und segnet
sie hinaus.

Ein Dub kniet auf der Staffel. Seine langen,
blonden Strähnen stehen steil im Sturm. Augen,
schwarz wie Wodans Raben droben vorm Mond,
starren sie an.

„Um Eott, — komm herein bei der Kälte? „Wer
bist? Wo kommst her?" Wic er aus allen Bieren
heieingejchlürst rst, jchlietzt sie erst di« Haustür.

Aeujahrsnacht bei 30 Grad unter Aull

Brennende Pappeln illnminieren unsere „Seidenstraßen-Sxpedilion" / Von Sven Heöin

Noch rccktzettla vor Jabresschluk itt be> B r o ck-
baus. Leivzia. das neuc Buch des aroken k^or-
schers »Die Seidenttrabe" herausaekommen. Die
„Seidcnttratze" ist der uralie riarawaueuivea. auf
dem vor zwct Iahriaulendcn Kamelkarawancn
chiuesiiche Seid« ins Römiicke Reick brachten.
Siach Bersall des Römerreichs versiel die Siratze.
Jebl ioll dieser alte Bcrkebrswea durch eine
Autoftratze neu erschlotten werden. Sven Hedins
Autoervedition diente der ^ettttelluna der Mög-
lickkeite» einer solchen Strabe.

Zum Jahreswechiel nahm die Kälte zu. Zn der
Nacht zum 31. Dezember hatten wir 30,7 Grad unter
Null. Der Silvesterabend wurde durch ein Festessen
geseiert. Aus dem roten Trjchiäuser standen zwei
Lreiarmige Leuchter. Ich hielt eine kurze R.de.
Eeorg und Effe waren w.llkommene Eäfte. Sie hat.
tea m t Hilfe unjerer zwölf Diener oerdorrte Pap-
pefftämme aus dem ossenen Platz zwischen den Zel.
ten wie eine Eewehrpyramide aufgestellt. Jhren
Znnenraum MUen sie mit Aesten, Zwsigen, Re sig.
Kurz vor Mitternacht zogen wir alle hinaus, jeder
eine Kerze in der Hand Der Elockenjchlag 12
wurde durch einen Flintenschutz angezeigt. woraus
wir alle an den Holzstotz herantraten und ihn an-
zündeten. Daraus lietzen wir uns im Kreis um den
Scheiterhausen nieder. Funken stiegen zuw Nacht-
hrmmel empor. Es prastelte und knisterte in den
gtühenden Stämmen, die nach und nach zu Boden
kielen und neue Kometenschweise von Funken her-
vorriefen. Es war mehr als 2V Grad kalt, aber
yier konnte man sich braten lasten, unnn es einem
Leliebte. Vor der Winterkälte brauchten wir uns
nickt zu fürchten. Der ganze Wald war voll von
diirrem Holz. Das Ties der Neujahrsnacht betrug
8V Erad unter Null.

In den d'chten Tamariskengebüschen, die aus den
DLnen am anderen User des Oboen-gol wachsen,
dimmslte es von Fasanen. Die Anhänger des Bud-
dhas töten ste nicht. Die Tiere wistcn. datz sie „ge-
Zchützt" find. unb lommen daher bi, an di« Zelt«

heran. Abcr ste täuschten sich. Unsere Schützen wa-
ren kerne Buddhlsten. Wahrenü unjeres Aujeul-
yatles am Edstn-goi gab es Fajanen bei jeder
Mahtzeil. Jch vcrbot jedoch die Fa>anenjagö in der
'llähe des Lagers. Stundenlang lonnte ich üie jchö-
nen vornehmen Bügel beobachlen. Eie l.ejen mit
würdevollen Schriiten zum Kuchenzelt am Rand
der Userbö>chung. Hter befand sich ein im Flutz-
bett gegrabener Brunnen, um den stets Eisstückchen
herumlagen. Der Brunnen war das erfte Ziel
eines jeden Erkundigungsyorstoges der Fasanen.
Die Spitze des Spahtrupps 5110°.!« ein Hahn. Er
naherte jlch dem Brunnen mit langen Schrrlten, den
Blick aufmerkjam nach vorn gerichtet. Dann solgten
e.n paar andere Hähne. Nachdem dieje Rrtter-
wacht in ihrer bunt jchimmernden Federprachr vas
Eelände erkundet hatte, wagten sich die Hennen
yeran. Sie trtppelten kokett in den Spuren der
Hahne, in einem Kleid oon genau der gleichen
graugelben Farbtönung wie der sandige Boden.

Da konnten sich etwa zwanzig Tiere am Brun-
nen versammeln, um am Eise zu picken und zu knab-
bern. Kung, e'n erklärter Frcund der Fasanen,
streute ihnsn Reiskörner und Brotkrumen hin, eine
Kost, die sie vollaus zu schätzen wutzten. Sie störten
stch nicht daran, datz unsere Diener ein paar Schritte
von ihnen Holz hackten. Wenn Sanwatze zum
Brunnen hinunterstieg, um Wasser zu holen, gingen
ste etwas zur Seite. Sie kamen jedoch schnell zu-
rück, sobald er stch sntfernt hatte. Die Hähne waren
aegen d'e Hennen nicht besonders izuvorkommend
Wenn diese herantrippelten und Reiskörner picken
wollten. wurden sie weggejagt.

So oornehm, edelgesormt und anmutig in ihren
Bewegungen di« Fajanen waren, so leichtgläubig
und unvorsichtig waren ste auch. Nach ein paar
Tagen hatten ste den Etndruck. datz wir Menjchen
waren, die nichts Böjes gegen ste im Sch lde führ-
lLS. Llle«m ste geahut hätten, datz wrr viel« Bürge«

rhres Fajanenstaates töteten und verzehrten, hätte«
ste oieUerchl andere Eedanken von uns gehegt. Aber
>re wuglen ja nichl, üatz die leckeren Düfte aus dem
Kuchenzelt oon ihren in Butter und Fett schmoren-
den Berwandten,.herrüt>lten, die rn unseren Pfan-
nen brutzelten.

hrsta

Der Neujahrstag verflotz still und ruhig. Kein
Liistchen regte jrch, man hätte m:t brennender Kerze
rm Freien sttzen können. Der Himmel wö bte seine
biaue Kuppcl über dem schweigenden Wald und
ustjern Iurten. Das Abendrot war oft prächtig.
Eegen einen lebhaft flammenden rotgelben Hinter-
grund zeichneten jrch die Pappeln und Tamarisken
als schwarze Echerenjchnitte ab. Die b-wachsenen
Dünen auf dem Ostufer und ihre schön gewölbten
Hange wurden von ernem langsam erlöschsnden Wr-
derschein beleuchtet.

Eeorg und Effe hattcn uns schon in dsr Nacht
ihre Nsujahrsglückwünsche abgestattet und lietzen
stch am ersten Tag des Iahres nicht blicken. Sre
hatten es eilig. dre süns Krastwagen gründ ich zu
reinigen. Vei ihrer Werkstatt hatten sie auch eine
Jurte und ein Zelt. Sie empfingen tägl'ch Besuch,
alles Freunde von unserer Grotzen Expedrtion her.
Auch torgotische Frauen kamen und halfen ihnen
ihre Sachen ausbessern und waschen.

Das Jahr 1934 hatte seinen ungewissen Lauf
begonnen. Was würden seine Tage uns wohl brin-
gen? W r wutzten ja nichts oon der Lage in Sin-
kiang. Ke'ne Karawanen, keine Reisenden oder
Boten kamen aus der grotzen rätsslhaften Provinz
am Edsin-gol vorüber. Die Leute, die uns aus-
luchten, waien aus Su-tschou, An-Hsi oder Liang-
tschou. Wenn wir sichere Nachrichten aus Sinkiang
gchabt hättsn, wären wir dann umgckehrt? Nein
bestimmt nicht. Wi^ hatten einen Auftrag über-
nommen und hatten u»s ins Spiel eingelassen. Wir
waren entschtojsen. jeden Sturm auszuretten.

Beleuchtet dann von unten nach oben den nuir
Srehenden.

Nein, das isi kein Nachtschratt, das rst ern arm«
selrger Menschenbub. 2n Lurnpen stecken seine
B«rne. Ader sein Wams ist so jchlecht nicht, nur
zu dünn jür die Kälte. Er war unterwegs mlt
seinesgleichen, ste sind ihm davongelausen und er
har siq verirrt. Rach Rrneck gehöit er.

Eie sühn ihn in die Küche. Weil kein warme»
Eetränk bei der Hand ist, mischt j'ie ein wenig
Vranntwein mit Wasser und gibts ihm zu trinken.
Eine daumendicke Echeibe Speck schneidet sie ab,
legt sie auf ein grotzes Stück Brot. Er jchlingt
gierig. Dann richtet ste ihm ein Lager aus oer
Bank neben dem Herd. Der Bub lächelt ihr dank«
bar zu, jprcchcn kann er kaum, seine Lrppen sind
blau. „Aus Morgen denn", sagt sie, zeiamel ihm
ein Kreuz auf die Stirn, wie er eingewickelt liegt,
löjcht die Laterne und geht wieder nach oben.

Wie der Hahn ein schneeblaues Akorgenlicht
anschmetrert nach der wüsten Nacht, und der Stab-
halter sich erwachcnd in den Pülwen rekelt, geht
ste noch nicht gleich hinunter, Morgenjuppe unS
Säufutter beizujetzen. Sie erzählt ihm, was in der
Nacht gejchehen ist. Er brummelt oon Vaganten»
H>ack, das die chrlichen Leut nicht einmal des Nachls
rn Frieden lätzt. Aber vor ihrer klaren. jelbstoer-
ständlichcn Eüte mag er nrcht allzuoiel hacte Worte
fagen. Erleichtert, weil er nicht gescholten hat,
macht ste stch sertig, geht hinunter und össnet leis»
die Küchentür.

Die Fensterluke ist zurückgeschlagen, das Fenster
steht ossen dünner Schnee rieselt herein. Der Bub
ift sort. Sie springt vor zum Rauchfang. — schilt
stch und schämt stch. dah ste's tut. Aber fie muh
ihrem Argwohn recht aeben. Eine Speckseite rst
weg. Und wie ihre Augen nun durchs Zimmer
jogen, greift ste sich ans Herz. Der Maüonnenfigur
in der Ecke fehlt die feine Halskette mit der dün«
nen, goldeuen, gcweihten Münze, die ihre Mutter
ihr im Sterben schenkte und die am Halje der Eot»
tesmutter ihren Ehrenplatz hat.

Sre weih aur das eine: ihr Mann darf nicht»
davon wissen. Es ist ein dummer Kinderstreich, —
mag er auch aus verdorbenem Blut ins Kinder«
gehirn gedünstet sein. Denn wenn eins angibt,
woher es stammt, — und sie spürt, datz er wahr
sprach, — dann ist es dumm, saudumm ist es, zu
strhlen, das Fenster offen zu lassen und —das spürt
ste auch und lächelt, — spornstreichs mit der Beut«
nach Hause zu rennen. Sie selbst hat zu viel Schwe«
res verwinden müssen in ihrem kargen, jungen Ls»
ben, umtsonderlich erschüttert zu sein. Aber sts
weitz, datz ihr Mann ein grotzes Eetös von dsr
Sache machen wird, weil er allen Rrneckern nicht
grün ist. Und das ist nicht nötig.

So schlieht ste das Fenster, rückt die Mutter«
gottes ein wcnig tieser in die Echattenecke und be«
jorgt ihre Morgenarbeit, als sei nichts geschehen.
Der Mann mutz nach Lohrbacki auss Amt, das ist
ihr lieb. Wie er mrt dem Schlitten fortgekllngert
ist, gibt ste der Magd die Arbeit an, hüllt sich
warm ein, nimmt einen derben Stab für den
Schnee und eine Stallaterne für die srühe Nacht
und machte sich auf den Weg. Die Speckseite hätte
sie verschmerzt, aber das Kettlein mrt der Münz«
mutz ste wfeder haben.

Die Sonne ist freundlich und hat den Wind ge«
duckt, er raschelt kaum in den dürren Hecken a«
Feldweg. So kommt die Frau rasch vorwärts. und
es ist erst Mrttag, wie sie zu Rineck einwandert...

Vle^giehen

Bou Richard Euriuger

Ob Aberglauben, ob Silvesterulk: er hat doch
glcichnisreichen Sinn, der alte Neujahrsbrauch, Zu
kunft zu gietzen aus jtüsjigem Blei, das zijchend er«
starrt in slietzendem Wajjer. Dann neigt stch di«
Neugier, ein wenig steptijch, ein wenig bang, über
das m tzgeformte Klümpchen, das — abgeschreckt auS
„heih" und „kalt" — sich geformt hat in zitterndeM
Falk, und jedcr erblickt, was ihm am liebsten wär«,
und was sein Herz sich jo recht ersehnt.

Deutlich erkennt das Mädchen den Freier, daS
mütterliche Weib ein langverjagtes Kind. Der arm«
Teusel sieht den Eeldsack, der Wohnungslose ein«
Villa. Alle heih-n Wünsche nehmen Gestalt an. wo
der Spielverderber nichts besteres entdeckt als gro«
teske kke ne Scheujale alraunischer Mihgeburt.

Eeschieht ihm recht!

Oh Iahr! Oh Tag! Wir bannen unsere Irr*
tümer und Aergern sse in kleine Fetische dsr Znr,
bestürzen ste mit unjerer Kümmernis, zerchncn ste
mit Widerwärtiakeit, gietzen unsere llnzulänglick^
keit in Wort und Forrnel, und wsrfen >re hinter
uns. Dann sind sic hählich, wsil wir hatzten; zwsr«
gr>ch. weil wir Zwerge waren; traumhaft, wcil w"
einmal träumten.

Mit sedem Pu'sschkag fällt ein glühender TroP'
sen heitzen Bemühens in kalte Ernüchterung und
erstarrt zu Unvollkommenheit. Wie dürften ustr
wagen zurückzuschauen ohne selbst zur Säuls zu er'
starren, hätten wir nicht guten Mut, menschlicher zU
sern als jene kle'nen Eötzen, die wir von
jtotzen! llnd wäre da nicht die Liebe des Blicks, dre
das Bollbrachte erst vollendet!

Ewig bliebe Eeformtes sormkos, Erstarrtes starr,
schmölze nicht Liebe noch einmal cs um. aus ei
Spröde in heitzes Bcmühen. Zwischen unfatzlichrr
Zukunkt und verkrampfter Vergangenheit blieb«
keine Gegenwart.

Zittern wollen wir und falken — gctrest
unsers Stnnde schlägt, zittein und sailen und n>ck>
furchten dus E lächter des grotzen Derneiners, df'
nur das kleine Scheusa! fieht, d:e groteske Mist'
geburt: über uns wisscn wir ein Auge, dar köstliq
ftndet und erfüllt, was wir geworden ia ZitterK
ttnd Zujall.
 
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