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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Juli bis Dezember)

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Nr. 177 - 203 (1. August 1901 - 31. August 1901)
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https://doi.org/10.11588/diglit.37097#0249

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Diciista«, 13. August IM.

Zweites Blatt.

43. Jahrgang. — str. 187.


Erscheint täglich, Sonntags ansgenommen.

Anzeigenpreis: 20 Pfg. die Ispaltige Petitzeile oder
vorgeschcledcnen Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen.

P,M „d d,. Sw.,.,«,» .».ch.tt M P„. Dmch d.- P.« d..
»der deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg Für hiesige Geschäfts- nnd Prioat'anzeigen ermäßigt. - Für die Aufnahme von Ameiaen an bestimmt
„t n.m-.. _ Anschlag der Inserate ans den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den Plakatsänlem -

Bittere Not.
Ein Dresdener Armenpfleger veröffentlicht in ei-
nem konservativen Dresdener Blatte folgenden trostlosen
Bericht:
9t o ch nieseitvie l e n I a h r e n haben die Ge-
meinden, säst ohne Ausnahme, nnd insbesondere Dres-
den nnd seine Vororte, so viele Armennnt er-
st ii ßnngen zu erledigen gehabt, als das jetzt der Fall
ist. Die Leute drängen sich förmlich nach den Armenst
ämtern und was — ans der Praxis eines Armenpflegers
entnommen — für sonst gut situierte Leute jetzt der Ar-
wvnnnterstntznng teilhaftig werden müssen, sollte man
nicht für möglich halten. Unzählige Gesuche lausen ein,
in welchen um Erlaß der Steuern, des Schulgeldes
n. s. w. gebeten wird und Vorschüsse aus den Armen-
kassen werden erbeten, damit nur für ein oder
Zwei Monate die Miete wieder bezahlt werden kann,
denn sonst werden die Leute aus der Wohnung gewiesen.
Arme Wöchnerinnen bitten um den leihweisen Betrag der
Hebammengebühr, wieder andere Bittsteller ersuchen das
Armenamt um Geld, damit die vor dem Verfall stehenden
Betten, Kleider u. s. w. auf dem Leihhause prolongiert
oder dort eingelöst werden können. Keine Arbeit —
kein Verdienst, Krankheit, Schulden u. s. w. u. s. w. das
sind die Lamentationen, die das Armenamt oder die Ap-
Uienpfleger täglich, ja stündlich zu hören bekommen. In
den Wohnungen der Bittsteller fehlt es zumeist am Not-
wendigsten, oder aber auch: an den guten Möbelstücken
klebt das Pfändnngszeichen. Und was bekommt der Ar-
Menpfleger in diesen Wohnungen zu sehen! Es giebt
Straßen zumal in den Vororten, die sich durch ihre
schönen eleganten Häuserfronten auszeichnen, aber was
für bitteres Elend verbirgt sich hinter dieser äußeren
Eleganz. Da ist jetzt der Armenpfleger in eine Familie
gekommen, in der das Oberhaupt seit einem halben
-Fahre darniederliegt. Der Mann hat bei den Wasser-
s'egnlierungsarbeiten Verdienst gehabt, er hat sich aber
in dem Wasser erkältet, die Lungenentzündung bekommen
find sieht nun den: Tode entgegen. In der großen
schönen Stube der Wohnung in erster Etage steht ein
Tisch, ein Stuhl und ein großes Bett. In diesem liegt
der kranke Mann und auf die Frage des Armenpflegers,
wo die fünf Künder und die Mutter schlafen, giebt es eine
schüchterne, ausweichende Antwort: Die siebenköpfige
Familie in erster Etage hat nur ein Bett, und nachts
schlafen drei Kinder mit den: lungenkranken Vater die
Widern liegen aus zurecht gemachten Lagern auf der
Diele. Für diese Familie wurde sofort und ausreichend
gesorgt. In einer anderen Familie die mir zwei Betten
Wir Verfügung hat und die aus falscher Scham sich
dicht an das Armenamt um Unterstützung gewendet hatte,
lagen von sechs Kindern deren vier an Keuchhusten und
Lungenentzündung darnieder. Die Familie hatte nur
->wei' Betten und Vater und Mutter, Arbeitsleute, saßen
des nachts auf Stühlen und pflegten die Kinder, beide
WIbst krank vor Abspannung. Auch hier wurde sofort
lfelfend eingegriffen. Und so giebt es der Fälle unzäh-
lige und immer schlimmer wird es, denn jetzt suchen auch
bereits Leute wie Kaufleute, Agenten, kleine Händler
M s. w. darum nach, ihnen das Schulgeld und die Steuern
Wl erlassen denn sie verdienen nichts, obwohl die Männer
b°n früh bis abends nach Arbeit Umschau halten. Die
Diruererlaßgesuche zählen nach Hunderten, nur dreser
^teuererlaßgesuche wegen laufen die Armenpfleger trepp-
..^--

ans und treppab. Während der eine Bittsteller verlegen
- weil ers das erstemal thut — um Unterstützung ans
der Armenkasse nachsucht, tritt ein anderer schon kecker
ans: er sagt dem Armenpfleger: „Ich verdiene nichts —
darum zahle ich nichts, geben Sie mir Arbeit, anderen
Falls nehmen Sie mich mit Frau und Kind ins Armen-
haus!" Es ist die Verzweiflung die aus dem Manne
spricht, ihm ist eben alles gleich. Das ist ein Bild, wie
es thatsächlich sich täglich entrollt. Wenn es so fortgeht,
wie in den letzten Wochen, dann dürften den Gemeinden
schwere Lasten erwachsen, die Armennnterstützungen häu-
fen sich, wie es noch nie der Fall war, eine Arbeitslosig-
keit und eine Zahlungsunfähigkeit machen sich bemerk-
bar, die ernste Schlüsse ziehen lassen, ohne daß man dabei
übertreibt. Hunderte von Familie sehen dem Winter mit
Bangen entgegen, nnd wie viele brave, arbeitsame Leute
unverschuldet leiden müssen, weil sie nirgends etwas ver-
dienen können, davon können die Armenpfleger ein Wort
erzählen.
Von drohender Arbeitslosigkeit wird auch von an-
derswo gemeldet.

Aus Ltadt und Land.
Stadt. Arbeitsnachweis-Anstalt Heidelberg. Monatsbericht.
Im Monat Juli wurden nach amtlicher Zusammenstellung im
na,ne» 1299 Gesuche eingetragen und zwar: 491 von Arbeitgebern,
367 für männl. und 124 für weibl. Personen, welche 728 Arbeits-
kräfte (599 männliche und 129 weibl.) verlangten und denen
889 Arbeitskräfte (791 männl. und 98 weibl.) zugewiesen wurden
Arbeitnehmer wurden L08 eingetragen (733 männl), 75 weibl.),
von welchen 780 sofort Arbeit nachgewiesen werden konnte (713
männl.. 67 weibl ). Befriedigt wurden im ganzen 1036 und
zwar: 407 Arbeitgeber (351 männl., 56 weibl.) und 629 Arbeit-
nehmer. darunter 569 männl. und 60 weibl. Personen. Außer,
dem haben noch 756 Arbeitnehmer (735 männl.. 21 weibl.) bei
der Anstalt um Arbeit nachgesucht, die aber, da ihnen nicht
sofort passende Arbeit nachgewicsen werden konnte, auf einen
Eintrag verzichteten. Wie aus obigen Zahlen ersichtlich ist. kamen
auf 599 in diesem Monat verlangte männliche Arbeitskräfte
1468 Arbeitsuchende, während im gleichen Monat verigen Jahres
auf 645 verlangte Arbeitskräfte nur 1035 Arbeitsuchende kamen,
ein Beweis, daß die Arbeitslosigkeit immer noch anhält.
Mannheim, 11. Anglist. (Ein blutiges R e k o n t r e)
spielte sich gestern Abend knrz nach 6 Uhr Zwischen einem
bayerischen Soldaten und einem Zivilisten
in einer Wirtschaft des Stadtquadrats lll 5 ab. Der Sol-
dat war mit einem Zivilisten in Streit geraten, der dahin
ansartete, daß Elfterer sein Seitengewehr blank zog nnd das-
selbe seinem Gegner in den Bauch stieß. Der'Gestochene brach
bewußtlos zusammen und mutzte, schwer verletzt, in das All-
gemeine Krankenhaus überführt werde». Der sofort re-
quirierten Schutzmannschaft gegenüber benahm der Thäter
sich derart renitent, das; eine Militärpatrouille aus der Rhein-
thorkaserne beordert werden mußte. Mit aufgepflanztem
Seitengewehr transportierte diese den Soldaten, welcher sich
äußerst frech nnd gewaltthätig benahm, in den Militärarrest.
Karlsruhe, 11. Ang. (Zur W e i h e r ä ck e r a n ge-
leg c n h e i t.) Bei der Hitze ist, so schreibt der hiesige Kor-
respondent des „Schw. Merkur", es nicht verwunderlich, das;
die Sceschlange der Weihcräcker wieder auftaucht. Nach
dem „Landsmann" ist eine „Südcnd-Terrain-Gesellschaft" in
der Bildung begriffen, welche die Weiheräcker um den Preis
von 3 Mark 13 Pfg. pro Quadratmeter übernimmt. Die bis-
herigen Besitzer, Frühauf, Elkuch und Noth erhalten jedoch kein
bares Geld, sondern lediglich Anteilscheine an der Gesellschaft,
nnd zwar 729 volleinbezahlte zu 500 Mark und 900 mit 35
Prozent einbezahlte. In dieser Rechnung stimmt etwas nicht.
Bei einem Ausmaß bon 411 722 Quadratmeter würde der
Ilebernahmepreis, zu 3 Mark 13 Pfg. den Quadratmeter.

1 284 672 Mark-betragen. Die 729 vollcinbezahlten Anteil-
scheine zu 600 Mark ergeben jedoch nur 364 500 Mark, die
900 teilweise einbezahlte» 167 600 Mark, zusammen 522 000
Mark. Die Käufer Frühauf, Elkuch nnd Roth haben ihrer-
seits für die Weiheräcker zu bezahlen: der Stadt Ettlingen
1.60 Mark den Quadratmeter 017 683 Mark, für die auf den
Weihcräckern stehenden Bäume 6000 Mark, für den llebergang
des Gemarknngsrcchis an Karlsruhe 200 000 Mark, einem
Vermittler 3088 Mark, dem Staat Aceise 16 439 Mark, zu-
sammen 842 110 Mark, wozu noch einige Nebenkosten kommen.
In einem Prospekt ladet die neue Gesellschaft ein, weitere Ge-
schäftsanteile zu zeichne»; sie lobt den Wert des Geländes
derart nnd nennt den Kaufpreis so billig, daß der „Lands-
mann" meint, beinahe könnte der Verkauf die Stadt Ettlingen
reuen.
Sdi. Lahr, 11. Ang. (Automobilsport.) Die
Ruine Hohengcrolseck beim Schönberg, 21h Stunden
von Lahr entfernt nnd 626 Meter hoch gelegen, ist dieser Tage
auch von einem Automobil, erstiegen worden. Den steilen,
schmalen Fahrweg hinauf, der von der Landstraße Lahr-Schön-
berg-Biberach bei der Ludwigssänle nach dem Bergkegel der
Ruine abbiegt, fuhr das Töff-Töff um den Berg herum, den
alten Nittcrwcg empor bis in den Vorhof der Burg. Der
Insasse des Gefährtes, dem Dialekt nach ein Elsässer, fuhr
mit großer Sicherheit nnd Ruhe den steilen Weg wieder hinab,
wahrend die Landlente auf dem Felde mit anfgerissenen Au-
gen nnd Mündern das Vehikel anstarrten.
DL Freiburg, 11, Aug. (Verschiedenes.) Pro-
fessor Kraus hat, wenn die „Frkf. Ztg." recht unterrichtet
ist, der Stadt Trier kunsthistorische Sammlungen, die einen
Wert bon 200 000 Mk. repräsentieren, geschenkt. Die Stadt
verlieh dem Spender zum Dank dafür das Ehrenbürgerrecht.
Kraus ist aus Trier gebürtig. — Im oberen Elzthal rüstet man
sich ans die B a h n e r ö f f n n n g. Die als Hochbahn an-
gelegte Strecke Kollnan-Elzach bietet eine Fülle der schönste»
Landschaftsbilder. Die erste Station von Waldkirch aus ist
Kollnau mit seiner großen Spinnerei, die gegen 600 Arbeiter
beschäftigt; dann folgt die Station Gutach. Zwischen dieser
Station nnd Bleibach hat man schöne Blicke in das Simons-
wälder und Sicgclaner Thal. Weiterhin zeigt sich die kühn
gelegene Waldfahrtskapelle ans dem Höruleberg, links mündet
das Biederbacherthal, rechts das Nachthal und schließlich findet
die Bahnstrecke ihren einstweiligen Abschluß im anmutig dele-
geue» Städtchen Elzach. Hier wird sich in kurzer Zeit ei»
neuer Industriezweig, die Edelsteinschleiferei, einnisten, die
sich namentlich für Heimarbeit eignet.
LL. Hornberg, 11. Ang. (Für das Huber-Denk-
mal") ans dem sogenannten Spitzenfelsen (alter Weg nach
Haslach) sind bis jetzt bei dem Komitee in Oberprecksthal
über 300 Mark eingclanfen. Von den lebenden Verwandten
des damaligen verdienten Obervogtes der Herrschaft Triberg,
einer Frau von Gleichenstein geb. Farina in Köln und einem
Enkel, Herrn vyn Gleichenstein, stehen namhafte Beiträge in
Aussicht. Vorläufig wurde mit Freilegung des Felsens be-
gonnen, damit er auch vom Gntachthal aus sichtbar wird. Be-
absichtigt ist, den Felsen durch eine entsprechende Tafel oder In-
schrift auch auf größere Entfernung hin kenntlich und als
Denkmal bemerkbar zu machen.
LL. Villingen, 11. Ang. (Einen guten Fang)
machte dieser Tage die Gendarmerie von Niedereschach. Als
die beiden Gendarmen um 11 llhr nachts von der Patrouille
hcimkehrten, kam auf dem Wege von Horgen ein Mann der
einen fetten Ochsen führte. Da ihnen der nächtliche Bieh-
transport verdächtig vorkam, hielten sie den Treiber an. Die-
ser gab auf die Frage nach Name nnd Wohnort unsichere Ant-
worten, weshalb er durchsucht wurde, wobei es sich heraus-
stellte das; man es mit dem 47 Jahre alten berüchtigtenViehdieb
Friedrich Hackcnjos von St. Georgen zu thun hatte. Der-
selbe hatte erst im Juni Zuchthausstrafe b. 2 Jahren wegen
Viehdiebstahl abgesessen. Den Ochs im Wert von 680 Mark
hatte er ans dem Stalle des Landwirts W. Heimbnrger in
Horgen gestohlen. Vor einigen Wochen wurde in Flöhingen

20)

dr-

uck

Die Brieftasche.
Roman von F. von Kapff-Esscnther.
(Fortsetzung.)
Nein, mein Herz ist nicht freil" entgegnetc sie mit Nach-
Cr wich einen Schritt zurück und stöhnte schmerzlich ans.
Tiefe unumwundene Erklärung kam ihm unvermutet, raubte
'un die Fassung. . ^ .
, Eine lange, düstere Pause trat em. Keuies von ihnen
M den Bluff Sic fühlten, daß sie vor einer schicksalsschweren
^c»d,mg standen. . „
Möhring faßte sich Zuerst und sagte: »Ottilie. Sie sehen
'mr doch gar nicht aus wie eine glücklich Liebende.
»Das bi» ich auch nicht," entgegnetc sie schmerzlich. „Im
^Oenteil, ich bin sehr, sehr unglücklich."
. »So erweisen Sic mir die einzige Gunst, flehte er, „ver-
tuen Sie sich mir an. Sie werden einen treuen, ergebenen
'^>>»d an mir finden." ^ ^
,, Das Herz des Mädchens war übervoll. S,e hatte
Achcnlang ihr Leid in sich verschließen müssen. Ihren Ellern
(Ar Schwestern davon zu sprechen, hatte keinen Sinn, man
Arte sie einfach gar nicht verstanden. Aber auch ihrer
Mundin hatte sie sich nicht anvertrant. Die jungen
Mdchen waren eng befreundet, so lange es sich um-keinen
m""n, um keinen Kurmacher handelte. Jda, weniger hübsch,
s'A -viel koketter als Ottilie, wurde neidisch nnd schadenfroh,
"Ue ei» Mann ins Spiel kam.
n Ottilie aber brannte darauf, sich ausznsprechen. Möh-
( A flößte ihr wirklich Vertrauen nnd Achtung ein. Sie
^Moß, sich ihm anzuvertrauen. , ^ .
st, Leise, mit stockender Stimme, nach nnd nach aber immer
j,,Ar n„p lebhafter, begann sie zu erzählen, wie der vornehme,
( ,'8e Mann, den sie bei Jda v. Nauen kennen gelernt, sie
fAch sein ritterliches Wesen bezaubert, wie sie ihm aber an-
"9s doch nicht recht getraut hatte; wie seine Liebe dann

immer ernster und tiefer zu werden schien, und wie er endlich
ihr Herz ganz und gar eingenommen habe. Sie berichtete,
wie er ans Liebe zu ihr ein Leben der Arbeit beginnen und
sich eine bürgerliche Stellung erringen wollte. In bezaubernd
innigem Tone schilderte sie, wie glücklich sie gewesen und
welche unheilvolle Wendung dann plötzlich durch den Leicht-
sinn ihres Geliebten eingetreten war. Sie fügte Hinzu, dafz
der Betreffende nun neuerdings nach England gereist sei, um
einen Pferdeeinkanf für einen vornehmen Besitzer eines Renn-
stalles zu vermitteln, allein er schrieb unbestimmt, gedruckt,
fast hoffnungslos; auch immer seltener und seltener. Was
sollte sie glauben? Gewiß hatte er den Mut verloren, ein
Mädchen aus kleinbürgerlichen Verhältnissen zu heiraten.
Vielleicht setzte er seine Hoffnung ans eine standesgemäße Ver-
bindung, vielleicht hatte er irgend eine blendende .iusstcht
nach dieser Richtung. Sie fühlte, daß ihr nur übrig bleibe,
zu entsagen, nnd das habe sie auch bereits gethan und ans
seinen letzten Brief nicht mehr geantwortet, obgleich er sie,
trotz der trübseligen Sachlage, noch immer seiner Liebe ver-
sichere. So ständen jetzt die Dinge.
Möhring war tief erregt aufgesprungen. Der aristo-
kratische verführerische Nebenbuhler, obgleich er in nebelhafter
Ferne erschien, empörte sein Blut, seine Sinne. Welch ein
ungleicher, schrecklicher Kampf für ihn, den Arbeiter, mit dem
vornehmen, glänzenden jungen Manne I
Aber er wollte den Kampf wagen; und sollte es ihm
nicht gelingen auch diese Schranke zu besiegen?
„Vergessen Sie den Unwürdigen I" rief er. „Vergessen
Sie ihn, dem Sie ohnehin entsagt haben. Erhören Sie die
Werbung eines Mannes, der niemals schwankte, niemals
zweifelte, für den Sie immer das Höchste, das Begehrens-
werteste ans Erde» waren."
„Ich hatte ja immer Sympathie für Sic, Herr Möhring,"
stammelte sie, mädchenhaft errötend; „aber mein Herz ist
noch nicht gnnz frei, das durfte ich Ihnen nicht verschwei-
gen,"

„So werde ich warten, hoffen," rief er leidenschaftlich,
„nur Hoffnung geben Sic mir!"
„Das will ich gern," flüsterte sie, „aber lassen Sie mir
»och einige Wochen Bedenkzeit, Ruhe."
Er fügte sich knirschend, aber er fügte sich. Im Geheimen
ahnte er, wozu sie Bedenkzeit wollte. Noch immer hoffte sic
auf irgend eine Wendung, welche den Entfernten, Verlorenen
ihr wieder znführen sollte.
lind wenn sie am Ende nicht vergebens hoffte? —-
Einige Wochen vergingen. Cr hatte richtig geahnt.
Ottilie, deren Herz noch immer an Edgar hing, hoffte wirklich
im Stillen noch, aber ihr Hoffen erwies sich als ein trügeri-
sches. Keinerlei Kunde, keinerlei Lebenszeichen mehr kam von
dein Entschwundenen.
Und endlich gab sic auf Möhrings erneute Werbung hin
ihr Jawort.
So stand er denn am Ziele seiner kühnsten Träume und
Wünsche. Das einst ans scheuer Entfernung angebetete
Mädchen war seine Braut. Mit vieler Feierlichkeit wurde
das Verlobnngsfest bei Bohnemann begangen.
„Ich weis; nicht, was Sie von mir wollen und warum
Sie gerade zu mir kommen," sagte Möhring barsch und ein
Blick scheuen Mißtrauens streifte dabei Fritz Elbe, der in ge-
drückter Haltung vor ihm stand.
Es war in dem neuen eleganten Bnrean Möhrings,wel-
ches im ersten Stockwerke der Maschinenfabrik lag. Elbe war
gekommen, um von dem ehemaligen Kollegen einen Rat zu
" Er handelte sich um den Lotteriegewin». Der unselb-
ständige Mensch wußte nicht, was er damit beginnen. Er und
eine Frau hätten ihn doch so gern behalten, aber sic wagten
es »übt Sie Hallen das Gelüste nach dem unrechtmäßigen
Gewi»», aber nicht den Mut dazu, ihn sich anzneignen. Was
also konnte man ihn», um de» Verlnstträger zu finden, zu
entschädige»? .
(Fortsetzung folgt.)
 
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