Nummer 1L1. LL. Jahrgang.
Usttev
Montag, 2. ZuLi 1894.
General-W Anzeiger
Krpedition: K«rrpiktratze Wr. LS.
Kxpvdrtion: „Hauptstraße Ur. LS.
für Heidelberg und Umgegend
(Würger-Zeitung).
Jnsertionöpretsr
die Ispaltige Petitzetle oder deren Raum S Pfg.,
für auswärtige Inserate 10 Pfg., bei öfterer Wieder-
holung entsprechender Rabatt.
AbonnementSpreiö r
mit Zeitigem illustrirtem SountagLblatt: monatlich
40 Pfennig frei in's Haus, durch die Post bezogen
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Geleseirstes Blatt iir Stadt «. Aißrt HeLdeLSeVg und Ltnrgegeird. GVstztev Lvfolg firv Insevate.
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für das HI. Quartal 1894
aus den
Neue u
General - Auzeiger
für Heidelberg und Umgegend
nebst 8seitig. rllustr. Sonntagsblatt
nehmen alle Postanstalten, Landbrief-
träger und unsere Agenten entgegen.
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preis nur §^44. abgeholt.
(Vom Briefträger ins Haus gebracht 40 Pfg. mehr.)
Für Heidelberg und nähere Umgebung
werden von unseren Trägern und Trägerinnen B e-
stcll ungen zum Preise von
4O Pfg. monatlich,
frei ins Haus, entgegengenommcn.
Der Kerlag des „Neuen General-Anzeigers",
Hauptstraße 25.
Etwas über Berufswahl.
Wenige Menschen werden als Rentner geboren,
noch weniger geborene Rentner sterben als solche;
im Gegentheil, zahlreiche Personen, die in den
glänzendsten Verhältnissen geboren worden sind,
sterben in Armuth, lediglich aus dem Grunde,
weil sie nicht zu tüchtigen, brauchbaren Menschen
herangebildet wurden. Der Segen des Himmels
ruht in rastloser, ehrlicher Arbeit.
Man sollte es kaum glauben, und doch ist
dem so, daß bei uns noch sehr die Achtung vor
der ehrlichen Arbeit fehlt, möge dieselbe bestehen,
worin sie wolle. Wir haben noch viel zu viel
Kastengeist und man muß mit Beschämung sehen,
mit welchem Hochmuthe der Beamte auf den
Handwerker herabsieht, der Studirte auf den Um
siudirten — mag der Letztere auch zehn Mal
klüger sein — und man wird, wenn man diese
Umstände berücksichtigt, es verstehen, warum so
viele Menschen zu einer fälschen Berufswahl förm-
lich gezwungen werden.
Wollen wir uns zunächst klar darüber werden,
wann der Mensch seinen Beruf zu wählen hat.
Man nimmt allgemein an, ein junger Mann
müsse seinen Beruf wählen, wenn die Schulbil-
dung vollendet ist. Diese Ansicht ist ganz un-
richtig. Wer z. B. das Gymnasium durchgemacht
hat und dann erst einen Beruf wählen soll, hat
gar keine Wahl mehr: er ist darauf angewiesen,
zu studiren und entweder Gelehrter, Arzt, Jurist,
Geistlicher oder Lehrer zu werden; außerdem steht
ihm noch der höhere Beamtendienst in einzelnen
Zweigen offen. Will er sich, einer unüberwind-
lichen Neigung folgend, der Technik zuwcndcn,
so wird er meist hinter anderen Leuten zurück-
stehen, die eine geringere Bildung, als er, genossen
haben; er wird es jahrelang nicht Leuten gleich-
thun können, die eine Realschule, ja selbst nur
Gewerbeschule besucht haben.
Die Berufswahl muß also lange vor Vollendung
der Schulbildung erfolgen, wo möglichst, bevor die
Schulbildung beginnt; und hier kommen wir zu
der Frage: Wer hat die Wahl zu vollziehen?
Da der Junge zu unverständig ist, eine Wahl
zu treffen, so ist es Pflicht der Eltern, dies zu
thun. lkm eine solche Wahl vorzunehmen, muß
man sich der Elternpflicht voll und ganz bewußt
sein, nicht nur der, die Kinder zu ernähren, zu
bekleiden und zur Schule zu schicken, sondern auch
der Pflicht, die dahin geht, sie zu brauchbaren und
nützlichen Gliedern der menschlichen Gesellschaft zu
machen, ihnen so viel als möglich den Weg durch's
Leben zu ebnen, sie als ausgerüstete Kämpfer in
den großen Kampf um's Dasein hinauszuschicken.
Leider sind sich die meisten Eltern dieser Pflicht
nicht bewußt; Bequemlichkeit oder Noth legen ihnen
den Wunsch nahe, die Kinder so bald als möglich
los zu werden. Noch mehr aber vernachlässigen
diejenigen Eltern ihre Pflicht, welche bei der Be-
rufswahl ihrer Kinder nur ib»? persönliche Eitel-
keit öefrieoigen wollen, welche nicht überlegen, was
das Studium kostet, was es bedeutet, unter heu-
tigen Verhältnissen die Gelehrtenlaufbahn zu er-
greifen, durchzuführen und darin eine Stellung
zu erringen. Sie wollen, daß ihr Sohn studire,
deßhalb schicken sie einen dafür vielleicht ganz un-
geeigneten Jungen auf das Gymnasium, und be-
klagen sich dann, wenn aus dem Sohne nichts
wird, derselbe ihnen gar wohl Schande macht.
Wenn ein kleiner Beamter, der seine Söhne
um jeden Preis studiren lassen muß, sich selbst
und seine Kinder in's Verderben stürzt, sich sagen
würde: „Ich kann meine Söhne nicht studiren
lassen, aber etwas Ordentliches muß aus Ihnen
werden", so würde er sich und seinen Kindern
manche Qual ersparen.
Welchem Berufe könnte er denn seine Söhne
zuführen? Es gibt in der That viele anständige
und schöne Berufe, daß einem die Wahl fast
schwer fallen könnte. Da ist die Kunstgärtnerei,
die Technik, der Kaufmannsstand, der vorgcbildete
Leute gern aufnimmt; das Kunsthandwerk, das
neuerdings einen Aufschwung genommen hat, und
noch eine Menge anderer Berufsarten, in denen
allen mit verhältnißmäßig wenig Mitteln ein Fort-
kommen zu finden ist.
Auch das Handwerk hat heutzutage noch seinen
goldenen Boden, und die Ansicht, daß es mit dem
Handwerke bergab gehe, daß dasselbe seinen Mann
nicht mehr ernähren, daß der Handwerker gegen-
über dem Fabrikanten nicht mehr bestehen könne
re., ist nur zum Theil wahr. Auch heute noch
kann der Handwerkömanu eine achtungswerthe
Stellung erringen, es darf ihm nur nicht an Ver
stand und Fleiß, vor Allem aber an einer tüchtigen
Vorbildung fehlen. Es geht zwar bergab mit
manchem Handwerker, aber warum? Weil sie zum
großen Theile Pfuscher sind, die nichts Ordentliches
gelernt haben, und ihrem Berufe sich nicht mit
voller Freudigkeit hingeben.
Möchten doch alle Eltern, welche Söhne haben,
durch diese Betrachtung veranlaßt werden, bei der
Berufswahl etwas mehr nachzudenken, als bisher.
Dann hätten diese Zeilen ihren Zweck vollständig
erreicht.
Deutsches Keich.
Berli«, 2. Juli.
— Die Kommission für Ar b e i t er sta tist i k
macht?, wie der „Reichsanz." berichtet, am 26. d.
M. die Erhebungen über Arbeitszeit, Lehrlingsver-
hältnisse und Kündigungsfristen im Handclsge-
werbe zuin Gegenstände ihrer Berathung. Nach
einem Vortrage des Referenten über das Ergebniß
des zweiten Theils der Erhebungen, welcher in der
Einforderung und Zusammenstellung von Gutachten
zahlreicher kaufmännischer Organisationen bestand,
beschloß die Kommission, die zur Ergänzung
des Materials in Aussicht genommenen mündlichen
Vernehmungen — in Abweichung von ihren früheren
Beschlüssen — nicht durch Kommissare an Ort
und Stelle, sondern vor dem Plenum der Kom-
mission zu bewirken. Für diese Entschließung war
der Wunsch maßgebend, jedem Mitglied den un-
mittelbaren Eindruck von sämmtlichen Verneh-
mungen zu verschaffen. Diesen Weg ließen auch
die bei den Erhebungen über das Bäckergewerbe
gemachten Erfahrungen rathfam erscheinen. Es
wird beabsichtigt, 36 Prinzipale, 36 Gehilfen und
10 Geschäftsdiener (Packer re.) zu vernehmen. Bei
Auswahl dieser Auskunftspersonen sollen die ver-
schiedenen Branchen (Schnitt-Kurzwaren, Lebens-
mittel, Zigarren), große, mittlere und kleine Ort
sowie die verschiedenen Gegenden des Reichs be-
rücksichtigt werden. Vorschläge in dieser Beziehung
sollen von kaufmännischen Verbänden und Ver-
einen erfordert, die Auswahl selbst einem Ausschuß,
in welchen die Herren Dr. von Scheel, Molken-
bubr und Schmidt gewählt wurden, überlassen
werden. Zu den Berathungen waren 3 Prin-
zipale, 3 Gehilfen, und 3 Geschäftsdiener als
Sachverständige anwesend.
— Wie jetzt bekannt wird, ist der Antrag,
welcher den Reichskanzler ersucht, die Ausarbeitung
eines Gesetzentwurfs über die Bestrafung unwahrer,
nichteidlicher Zeugenaussagen in Erwägung zu
ziehen, von Sachsen im Justizausschuß des Bundes-
raths gestellt und unter Zustimmung der übrigen
Staaten gegen die Stimmen Preußens angenommen
worden. In der gestrigen V llsitzung des Bundes-
raths wurde dem Anträge des Ausschusses zum
Gesetzentwurf, betreffend Aenderungen und Ergänz-
ungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und dec
Strafprozeßordnung, die Zustimmung ertheilt.
— lieber das voraussichtliche Ergebniß der
Untersuchung gegen den Cermonien-
mei st er v. K o tz e werden in Sensationsnachrichten
zum Theil eingehende Nachrichten verbreitet. Be-
sonders im Auslande rufen diese Erzeugnisse der
Einbildungskraft anscheinend Verwirrung und Ver-
wunderung hervor, zu der jeder Anlaß fehlt. Wir
wollen deßhalb aufklärend feststellen, daß alle jene
Nachrichten aus der Luft gegriffen sind.
,Wic die bürgerliche, wird auch die militärische Vor-
untersuchung mit Ausschluß der Öffentlichkeit ge-
führt. Der Kreis der bei der Untersuchung be-
theiligten Offiziere ist zudem so klein, daß es völlig
ausgeschlossen erscheint, dgß auch nur einer von
ihnen aus der Schule plaudern sollte. Das Unter-
suchungsgericht besteht aus dem zuständigen Au-
diteur, sowie einem Major und einem Rittmeister.
Diese beiden Offiziere sowie der Auditeur und der
Gerichtsherr sind diejenigen Leute, die zur Zeit ein
Urtheil über das bisherige Ergebniß der Unter-
suchung haben. Daß auch nur einer von ihnen
pflichtvergessen wäre und gegenüber einem Dritten
sich über dies Ergebniß vertraulich aussprechen
könnte, ist bei dem Charakter unserer Offiziere und
Militärpersvnen vollständig ausgeschlossen. Herr
v. Kotze ist bisher nur Angeschuldigter, nicht Ueber-
führter. Die Aufgabe der jetzt schwebenden Unter-
suchung ist grade die, festzustellen, ob die vorliegen-
den Verdachtsgründe begründet sind, oder ob Herr
v. Kotze fceizusprechen ist. Das Militärstrafver-
fahren hat jedenfalls den einen großen Vortheil
vor dem bürgerlichen Verfahren voraus, daß es
viel rascher arbeitet. So lange aber das Erkenntniß
nicht bestätigt und veröffentlicht ist, entzieht sich
jede zuverlässige Kunde über das Ergebniß der
Untersuchung der Öffentlichkeit.
Ausland.
Paris, 30. Juni. Es herrscht eine ganz
ausnahmsweise Fülle und Bewegung auf den
großen Boulevards. Alle Augenblicke werden
Trauerkränze vorübergetragen. Es herrscht eine
drückende Hitze. Die Polizeipräfektur schätzt die
KesüHnL.
Roman von H. von Gabai«.
9) (Fortsetzung.)
„Aber mein Himmel, es ist so gemüthlichbei
Ihnen, verehrte Frau, daß ich die Zeit vergesse,"
rief Frau Hannipot, eine von Brillanten fun-
kelnde Uhr aus dem Gürtel ziehend. rovoir,
mein Engel," nickte sie, Olga's Hand sanft
streichelnd und einen leichten Kuß auf deren Stirn
hauchend. „Richt zu spät, wenn ich bitten darf,"
winkte sie, Abschied nehmend, Frau von Adrino-
witfch zu und rauschte, von beiden Damen be-
gleitet, wie eine Kerkermeisterin, die ihren Ge-
fangenen einen süßen Leckerbissen gezeigt, hinaus,
daß aber ätzendes Gift in dieser Speise die Haupt-
substanz bot, erkannte Olga, das unschuldige, un-
verdorbene Gemüth. Ihr Stolz war tief durch
d-cses Lügengewebe verletzt; das Herz, in dessen
tiefsten Schrein das Bild des so unwürdig herab-
gesetzten Mannes ruhte, pochte laut auf und nur
ihrer Willensstärke verdankte sie es, daß ihr Schmerz
sich nicht in lauten Thränen Luft machte.
Die Baronin stürmte aufgeregt durch den engen
Raum und erging sich in Lobeserhebungen über die
prächtige Erzellenz, die gleich dem Engel Gabriel
ihre segnende Hand auf ihr dunkles Leben gelegt,
zwischendurch den blasirten Ausdruck, der nach ihrer
Auffassung auf Olgas Zügen ruhte, in scharfen,
zurechtweisenden Worten tadelnd.
„Bist Du blind? Erkennest Du nicht die Teu-
felin?" Hätte dos arme Mädchen am liebsten ge-
rufen. Allein, was hätte es gefruchtet! Die ver-
blendete Frau wollte nicht den gähnenden Abgrund
sehen, dem sie, geblendet durch den Schein, zueilte.
„Oh, dieser odiöse Küchengeruch ! ich ersticke!"
stöhnte Frau von Hannipot hinter ihrem Taschen-
tuch, als sie die ihr endlos dünkenden Treppen
heruuterstieg und alsdann naserümpfend, wie ein
geschmeidiges Kätzchen, über den mit Wasser-
pfützen reichlich versehenen Hof von Stein zu
Stein schlich, um ja nicht die Sämmipfödchen zu
besudeln.
„Oh, das ist geradezu horrible!" ächzte die
empfindsame Frau, „und das nennen die Leute
Leben. Ohne Licht und Sonne in dunkler Hinter-
stube dahinsiechen. Ah, wie cs mich alterirt hat!"
Unter diesem Selbstgespräch hatte die Dame ihr
Coupee bestiegen, sich in die dunkelblauen Damast-
polster zurückgelegt und während die Gummiräder
lautlos über das Straßenpflaster rollten, ver-
schwand der letzte Rest des süßlich bestrickenden
Lächelns, das sie vorhin mit solcher nachahmens-
werthen Natürlichkeit zur Schau getragen. Um
den spöttisch verzogenen Mund zuckte es ein paar-
mal, dann stieß sie die Worte hervor:
Das Mädchen wäre toll, wollte sie meine ver-
mittelnde Hand zurückweisen. Hans Ullrich ist
in die schöne Larve des Mädchen sterblich ver-
liebt; den Löwen des Tages reizt der energische
trotzige Widerstand, er soll und muß siegen, denn
ich will es! „Fast zu laut für einen Monolog
eiferte die Frau in ihrem engen Coupee gegen
einen dunklen Schatten, der sich zwischen ihre
Wünsche schob." „Ah, bah," beschwichtigte sie
einen aufsteigenden Gedanken, „die Neigung wird
sich mit der Zeit finden und wenn nicht! Hab'
ich es nicht an mir selbst erfahren, daß die Ehe
ein Rechenexempcl ist? Auch ich litt an fixen
Ideen, hing mich an Ideale, sträubte mich hart-
näckig, mein junges Leben an einen alten, ge-
brechlichen Mann zu schenken, bis der kindische
Widerstand dem zwingenden Muß nachgab und
der alte Mann das Jawort erhielt." Fröstelnd
drückte sich die in der Vergangenheit Suchende
tiefer in die schwellenden Kissen. Mit einer Ge-
berde des Unwillens entriß sie sich endlich diesen
Grübeleien, denn das fürstliche „zu Hause" war
erreicht und mit dem trotzigen Referain: „Ich
will," der all' ihre Entschlüsse und Jntriguen
krönte, ließ sich die egoistische, obflächliche Frau
von dem herbeieilendcn Lakaien aus dem Wagen
heben.
.Das kalt gewordene Mittagessen
wollte der Baronin von Adrinowitsch durchaus
nicht munden; sie schob schließlich den Teller hef-
tig bei Seite, so daß die Fettsauce weit herum-
spritzte und sprudelnd häufte sie Vorwürfe und
Schelte auf Olga's geduldiges Haupt.
„Ich habe nach Jahren des Ruhmes, im
Golde wühlend, die Misdre des Lebens kennen ge-
lernt, bis auf die Neige den bitteren Kelch der
Armuth ausgekostet. Dies Gelump, was ich von
einem Trödler kaufte und gezwungen war, hier
aufzustapeln, ist ein Bettlerkram, dem die Prä-
sidentin einen theilnehmenden an Mitleid grenzen-
den Blick gönnte. Dir ist es freilich entgangen,
weil Deinem unreifen Verstände das richtige Er-
wägen fehlt."
„Du irrst, Mama," entgegnete Olga verletzt,
„ich sah alles, hörte auS all' den groben Schmeiche-
leien, die mich auf's tiefste beleidigten, die Ab-
sicht heraus, um zu bethören und ihren selbst-
süchtigen Absichten geneigt zu machen. Besser wie
mir, wird Dir bekannt sein, daß man die Dame
fürchtet, daß ihr nichts heilig ist, wenn es
gilt, ihre Pläne zu verfolgen und an Jemand
Rache zu nehmen, der ihr im Wege steht oder
sie in ihrer Eigenliebe und Eitelkeit kränkte.
Wie abscheulich behandelt sie den guten, alten
Präsidenten, dem sie alles verdankt und aus dessen
Augen nur Güte und Liebe spricht! Ihn, den
elenden hinfälligen Greis liebt und ehrt alle Welt,
sie, die kalte, intriguante Weltdame fürchtet jeder
und nur da hat sie Liebe zu erwarten, wo gleich-
gesinnte Herzen ihr entgegenschlagen. Unsere Ar-
muth will sie sich zu Nutzen machen und ich be-
schwöre Dich, Mama, beuge Deinen Willen,
Deinen Stolz nicht unter diese Tyrannei! Sie
versteht es die Menschen bei ihrer schwächsten Seite
zu fassen und die gebotenen Brennnesseln mit Gold-
schaum zu umziehen." Olga's Augen glänzten wie
Sterne, aus denen Treue und Wahrheit leuchteten.
„Du sprichst sehr, altklug, mein Kind," ent-
gegnete Frau von Adrinowitsch verweisend. „Allein,
meine Langmnth hat ein Ende und ich bin müde."
Sie gähnte sthrlaut, streckte sich auf das Sopha
und während Olga die Mutter in eine Decke ein-
wickelte und ihr den stets bereitliegenden Roman
in die Hand drückte, konnte die Baronin nicht
umhin, noch einige Bemerkungen, die ihr das
Herz beschwerten, fallen zu lassen.
»Deine letzte, unstatthafte Aeußerung übe„
die Präsidentin muß ich widerlegen, sagte sie mi
wunderbarer Stimme. „Wenn Deine Wortx
Usttev
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Der Kerlag des „Neuen General-Anzeigers",
Hauptstraße 25.
Etwas über Berufswahl.
Wenige Menschen werden als Rentner geboren,
noch weniger geborene Rentner sterben als solche;
im Gegentheil, zahlreiche Personen, die in den
glänzendsten Verhältnissen geboren worden sind,
sterben in Armuth, lediglich aus dem Grunde,
weil sie nicht zu tüchtigen, brauchbaren Menschen
herangebildet wurden. Der Segen des Himmels
ruht in rastloser, ehrlicher Arbeit.
Man sollte es kaum glauben, und doch ist
dem so, daß bei uns noch sehr die Achtung vor
der ehrlichen Arbeit fehlt, möge dieselbe bestehen,
worin sie wolle. Wir haben noch viel zu viel
Kastengeist und man muß mit Beschämung sehen,
mit welchem Hochmuthe der Beamte auf den
Handwerker herabsieht, der Studirte auf den Um
siudirten — mag der Letztere auch zehn Mal
klüger sein — und man wird, wenn man diese
Umstände berücksichtigt, es verstehen, warum so
viele Menschen zu einer fälschen Berufswahl förm-
lich gezwungen werden.
Wollen wir uns zunächst klar darüber werden,
wann der Mensch seinen Beruf zu wählen hat.
Man nimmt allgemein an, ein junger Mann
müsse seinen Beruf wählen, wenn die Schulbil-
dung vollendet ist. Diese Ansicht ist ganz un-
richtig. Wer z. B. das Gymnasium durchgemacht
hat und dann erst einen Beruf wählen soll, hat
gar keine Wahl mehr: er ist darauf angewiesen,
zu studiren und entweder Gelehrter, Arzt, Jurist,
Geistlicher oder Lehrer zu werden; außerdem steht
ihm noch der höhere Beamtendienst in einzelnen
Zweigen offen. Will er sich, einer unüberwind-
lichen Neigung folgend, der Technik zuwcndcn,
so wird er meist hinter anderen Leuten zurück-
stehen, die eine geringere Bildung, als er, genossen
haben; er wird es jahrelang nicht Leuten gleich-
thun können, die eine Realschule, ja selbst nur
Gewerbeschule besucht haben.
Die Berufswahl muß also lange vor Vollendung
der Schulbildung erfolgen, wo möglichst, bevor die
Schulbildung beginnt; und hier kommen wir zu
der Frage: Wer hat die Wahl zu vollziehen?
Da der Junge zu unverständig ist, eine Wahl
zu treffen, so ist es Pflicht der Eltern, dies zu
thun. lkm eine solche Wahl vorzunehmen, muß
man sich der Elternpflicht voll und ganz bewußt
sein, nicht nur der, die Kinder zu ernähren, zu
bekleiden und zur Schule zu schicken, sondern auch
der Pflicht, die dahin geht, sie zu brauchbaren und
nützlichen Gliedern der menschlichen Gesellschaft zu
machen, ihnen so viel als möglich den Weg durch's
Leben zu ebnen, sie als ausgerüstete Kämpfer in
den großen Kampf um's Dasein hinauszuschicken.
Leider sind sich die meisten Eltern dieser Pflicht
nicht bewußt; Bequemlichkeit oder Noth legen ihnen
den Wunsch nahe, die Kinder so bald als möglich
los zu werden. Noch mehr aber vernachlässigen
diejenigen Eltern ihre Pflicht, welche bei der Be-
rufswahl ihrer Kinder nur ib»? persönliche Eitel-
keit öefrieoigen wollen, welche nicht überlegen, was
das Studium kostet, was es bedeutet, unter heu-
tigen Verhältnissen die Gelehrtenlaufbahn zu er-
greifen, durchzuführen und darin eine Stellung
zu erringen. Sie wollen, daß ihr Sohn studire,
deßhalb schicken sie einen dafür vielleicht ganz un-
geeigneten Jungen auf das Gymnasium, und be-
klagen sich dann, wenn aus dem Sohne nichts
wird, derselbe ihnen gar wohl Schande macht.
Wenn ein kleiner Beamter, der seine Söhne
um jeden Preis studiren lassen muß, sich selbst
und seine Kinder in's Verderben stürzt, sich sagen
würde: „Ich kann meine Söhne nicht studiren
lassen, aber etwas Ordentliches muß aus Ihnen
werden", so würde er sich und seinen Kindern
manche Qual ersparen.
Welchem Berufe könnte er denn seine Söhne
zuführen? Es gibt in der That viele anständige
und schöne Berufe, daß einem die Wahl fast
schwer fallen könnte. Da ist die Kunstgärtnerei,
die Technik, der Kaufmannsstand, der vorgcbildete
Leute gern aufnimmt; das Kunsthandwerk, das
neuerdings einen Aufschwung genommen hat, und
noch eine Menge anderer Berufsarten, in denen
allen mit verhältnißmäßig wenig Mitteln ein Fort-
kommen zu finden ist.
Auch das Handwerk hat heutzutage noch seinen
goldenen Boden, und die Ansicht, daß es mit dem
Handwerke bergab gehe, daß dasselbe seinen Mann
nicht mehr ernähren, daß der Handwerker gegen-
über dem Fabrikanten nicht mehr bestehen könne
re., ist nur zum Theil wahr. Auch heute noch
kann der Handwerkömanu eine achtungswerthe
Stellung erringen, es darf ihm nur nicht an Ver
stand und Fleiß, vor Allem aber an einer tüchtigen
Vorbildung fehlen. Es geht zwar bergab mit
manchem Handwerker, aber warum? Weil sie zum
großen Theile Pfuscher sind, die nichts Ordentliches
gelernt haben, und ihrem Berufe sich nicht mit
voller Freudigkeit hingeben.
Möchten doch alle Eltern, welche Söhne haben,
durch diese Betrachtung veranlaßt werden, bei der
Berufswahl etwas mehr nachzudenken, als bisher.
Dann hätten diese Zeilen ihren Zweck vollständig
erreicht.
Deutsches Keich.
Berli«, 2. Juli.
— Die Kommission für Ar b e i t er sta tist i k
macht?, wie der „Reichsanz." berichtet, am 26. d.
M. die Erhebungen über Arbeitszeit, Lehrlingsver-
hältnisse und Kündigungsfristen im Handclsge-
werbe zuin Gegenstände ihrer Berathung. Nach
einem Vortrage des Referenten über das Ergebniß
des zweiten Theils der Erhebungen, welcher in der
Einforderung und Zusammenstellung von Gutachten
zahlreicher kaufmännischer Organisationen bestand,
beschloß die Kommission, die zur Ergänzung
des Materials in Aussicht genommenen mündlichen
Vernehmungen — in Abweichung von ihren früheren
Beschlüssen — nicht durch Kommissare an Ort
und Stelle, sondern vor dem Plenum der Kom-
mission zu bewirken. Für diese Entschließung war
der Wunsch maßgebend, jedem Mitglied den un-
mittelbaren Eindruck von sämmtlichen Verneh-
mungen zu verschaffen. Diesen Weg ließen auch
die bei den Erhebungen über das Bäckergewerbe
gemachten Erfahrungen rathfam erscheinen. Es
wird beabsichtigt, 36 Prinzipale, 36 Gehilfen und
10 Geschäftsdiener (Packer re.) zu vernehmen. Bei
Auswahl dieser Auskunftspersonen sollen die ver-
schiedenen Branchen (Schnitt-Kurzwaren, Lebens-
mittel, Zigarren), große, mittlere und kleine Ort
sowie die verschiedenen Gegenden des Reichs be-
rücksichtigt werden. Vorschläge in dieser Beziehung
sollen von kaufmännischen Verbänden und Ver-
einen erfordert, die Auswahl selbst einem Ausschuß,
in welchen die Herren Dr. von Scheel, Molken-
bubr und Schmidt gewählt wurden, überlassen
werden. Zu den Berathungen waren 3 Prin-
zipale, 3 Gehilfen, und 3 Geschäftsdiener als
Sachverständige anwesend.
— Wie jetzt bekannt wird, ist der Antrag,
welcher den Reichskanzler ersucht, die Ausarbeitung
eines Gesetzentwurfs über die Bestrafung unwahrer,
nichteidlicher Zeugenaussagen in Erwägung zu
ziehen, von Sachsen im Justizausschuß des Bundes-
raths gestellt und unter Zustimmung der übrigen
Staaten gegen die Stimmen Preußens angenommen
worden. In der gestrigen V llsitzung des Bundes-
raths wurde dem Anträge des Ausschusses zum
Gesetzentwurf, betreffend Aenderungen und Ergänz-
ungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und dec
Strafprozeßordnung, die Zustimmung ertheilt.
— lieber das voraussichtliche Ergebniß der
Untersuchung gegen den Cermonien-
mei st er v. K o tz e werden in Sensationsnachrichten
zum Theil eingehende Nachrichten verbreitet. Be-
sonders im Auslande rufen diese Erzeugnisse der
Einbildungskraft anscheinend Verwirrung und Ver-
wunderung hervor, zu der jeder Anlaß fehlt. Wir
wollen deßhalb aufklärend feststellen, daß alle jene
Nachrichten aus der Luft gegriffen sind.
,Wic die bürgerliche, wird auch die militärische Vor-
untersuchung mit Ausschluß der Öffentlichkeit ge-
führt. Der Kreis der bei der Untersuchung be-
theiligten Offiziere ist zudem so klein, daß es völlig
ausgeschlossen erscheint, dgß auch nur einer von
ihnen aus der Schule plaudern sollte. Das Unter-
suchungsgericht besteht aus dem zuständigen Au-
diteur, sowie einem Major und einem Rittmeister.
Diese beiden Offiziere sowie der Auditeur und der
Gerichtsherr sind diejenigen Leute, die zur Zeit ein
Urtheil über das bisherige Ergebniß der Unter-
suchung haben. Daß auch nur einer von ihnen
pflichtvergessen wäre und gegenüber einem Dritten
sich über dies Ergebniß vertraulich aussprechen
könnte, ist bei dem Charakter unserer Offiziere und
Militärpersvnen vollständig ausgeschlossen. Herr
v. Kotze ist bisher nur Angeschuldigter, nicht Ueber-
führter. Die Aufgabe der jetzt schwebenden Unter-
suchung ist grade die, festzustellen, ob die vorliegen-
den Verdachtsgründe begründet sind, oder ob Herr
v. Kotze fceizusprechen ist. Das Militärstrafver-
fahren hat jedenfalls den einen großen Vortheil
vor dem bürgerlichen Verfahren voraus, daß es
viel rascher arbeitet. So lange aber das Erkenntniß
nicht bestätigt und veröffentlicht ist, entzieht sich
jede zuverlässige Kunde über das Ergebniß der
Untersuchung der Öffentlichkeit.
Ausland.
Paris, 30. Juni. Es herrscht eine ganz
ausnahmsweise Fülle und Bewegung auf den
großen Boulevards. Alle Augenblicke werden
Trauerkränze vorübergetragen. Es herrscht eine
drückende Hitze. Die Polizeipräfektur schätzt die
KesüHnL.
Roman von H. von Gabai«.
9) (Fortsetzung.)
„Aber mein Himmel, es ist so gemüthlichbei
Ihnen, verehrte Frau, daß ich die Zeit vergesse,"
rief Frau Hannipot, eine von Brillanten fun-
kelnde Uhr aus dem Gürtel ziehend. rovoir,
mein Engel," nickte sie, Olga's Hand sanft
streichelnd und einen leichten Kuß auf deren Stirn
hauchend. „Richt zu spät, wenn ich bitten darf,"
winkte sie, Abschied nehmend, Frau von Adrino-
witfch zu und rauschte, von beiden Damen be-
gleitet, wie eine Kerkermeisterin, die ihren Ge-
fangenen einen süßen Leckerbissen gezeigt, hinaus,
daß aber ätzendes Gift in dieser Speise die Haupt-
substanz bot, erkannte Olga, das unschuldige, un-
verdorbene Gemüth. Ihr Stolz war tief durch
d-cses Lügengewebe verletzt; das Herz, in dessen
tiefsten Schrein das Bild des so unwürdig herab-
gesetzten Mannes ruhte, pochte laut auf und nur
ihrer Willensstärke verdankte sie es, daß ihr Schmerz
sich nicht in lauten Thränen Luft machte.
Die Baronin stürmte aufgeregt durch den engen
Raum und erging sich in Lobeserhebungen über die
prächtige Erzellenz, die gleich dem Engel Gabriel
ihre segnende Hand auf ihr dunkles Leben gelegt,
zwischendurch den blasirten Ausdruck, der nach ihrer
Auffassung auf Olgas Zügen ruhte, in scharfen,
zurechtweisenden Worten tadelnd.
„Bist Du blind? Erkennest Du nicht die Teu-
felin?" Hätte dos arme Mädchen am liebsten ge-
rufen. Allein, was hätte es gefruchtet! Die ver-
blendete Frau wollte nicht den gähnenden Abgrund
sehen, dem sie, geblendet durch den Schein, zueilte.
„Oh, dieser odiöse Küchengeruch ! ich ersticke!"
stöhnte Frau von Hannipot hinter ihrem Taschen-
tuch, als sie die ihr endlos dünkenden Treppen
heruuterstieg und alsdann naserümpfend, wie ein
geschmeidiges Kätzchen, über den mit Wasser-
pfützen reichlich versehenen Hof von Stein zu
Stein schlich, um ja nicht die Sämmipfödchen zu
besudeln.
„Oh, das ist geradezu horrible!" ächzte die
empfindsame Frau, „und das nennen die Leute
Leben. Ohne Licht und Sonne in dunkler Hinter-
stube dahinsiechen. Ah, wie cs mich alterirt hat!"
Unter diesem Selbstgespräch hatte die Dame ihr
Coupee bestiegen, sich in die dunkelblauen Damast-
polster zurückgelegt und während die Gummiräder
lautlos über das Straßenpflaster rollten, ver-
schwand der letzte Rest des süßlich bestrickenden
Lächelns, das sie vorhin mit solcher nachahmens-
werthen Natürlichkeit zur Schau getragen. Um
den spöttisch verzogenen Mund zuckte es ein paar-
mal, dann stieß sie die Worte hervor:
Das Mädchen wäre toll, wollte sie meine ver-
mittelnde Hand zurückweisen. Hans Ullrich ist
in die schöne Larve des Mädchen sterblich ver-
liebt; den Löwen des Tages reizt der energische
trotzige Widerstand, er soll und muß siegen, denn
ich will es! „Fast zu laut für einen Monolog
eiferte die Frau in ihrem engen Coupee gegen
einen dunklen Schatten, der sich zwischen ihre
Wünsche schob." „Ah, bah," beschwichtigte sie
einen aufsteigenden Gedanken, „die Neigung wird
sich mit der Zeit finden und wenn nicht! Hab'
ich es nicht an mir selbst erfahren, daß die Ehe
ein Rechenexempcl ist? Auch ich litt an fixen
Ideen, hing mich an Ideale, sträubte mich hart-
näckig, mein junges Leben an einen alten, ge-
brechlichen Mann zu schenken, bis der kindische
Widerstand dem zwingenden Muß nachgab und
der alte Mann das Jawort erhielt." Fröstelnd
drückte sich die in der Vergangenheit Suchende
tiefer in die schwellenden Kissen. Mit einer Ge-
berde des Unwillens entriß sie sich endlich diesen
Grübeleien, denn das fürstliche „zu Hause" war
erreicht und mit dem trotzigen Referain: „Ich
will," der all' ihre Entschlüsse und Jntriguen
krönte, ließ sich die egoistische, obflächliche Frau
von dem herbeieilendcn Lakaien aus dem Wagen
heben.
.Das kalt gewordene Mittagessen
wollte der Baronin von Adrinowitsch durchaus
nicht munden; sie schob schließlich den Teller hef-
tig bei Seite, so daß die Fettsauce weit herum-
spritzte und sprudelnd häufte sie Vorwürfe und
Schelte auf Olga's geduldiges Haupt.
„Ich habe nach Jahren des Ruhmes, im
Golde wühlend, die Misdre des Lebens kennen ge-
lernt, bis auf die Neige den bitteren Kelch der
Armuth ausgekostet. Dies Gelump, was ich von
einem Trödler kaufte und gezwungen war, hier
aufzustapeln, ist ein Bettlerkram, dem die Prä-
sidentin einen theilnehmenden an Mitleid grenzen-
den Blick gönnte. Dir ist es freilich entgangen,
weil Deinem unreifen Verstände das richtige Er-
wägen fehlt."
„Du irrst, Mama," entgegnete Olga verletzt,
„ich sah alles, hörte auS all' den groben Schmeiche-
leien, die mich auf's tiefste beleidigten, die Ab-
sicht heraus, um zu bethören und ihren selbst-
süchtigen Absichten geneigt zu machen. Besser wie
mir, wird Dir bekannt sein, daß man die Dame
fürchtet, daß ihr nichts heilig ist, wenn es
gilt, ihre Pläne zu verfolgen und an Jemand
Rache zu nehmen, der ihr im Wege steht oder
sie in ihrer Eigenliebe und Eitelkeit kränkte.
Wie abscheulich behandelt sie den guten, alten
Präsidenten, dem sie alles verdankt und aus dessen
Augen nur Güte und Liebe spricht! Ihn, den
elenden hinfälligen Greis liebt und ehrt alle Welt,
sie, die kalte, intriguante Weltdame fürchtet jeder
und nur da hat sie Liebe zu erwarten, wo gleich-
gesinnte Herzen ihr entgegenschlagen. Unsere Ar-
muth will sie sich zu Nutzen machen und ich be-
schwöre Dich, Mama, beuge Deinen Willen,
Deinen Stolz nicht unter diese Tyrannei! Sie
versteht es die Menschen bei ihrer schwächsten Seite
zu fassen und die gebotenen Brennnesseln mit Gold-
schaum zu umziehen." Olga's Augen glänzten wie
Sterne, aus denen Treue und Wahrheit leuchteten.
„Du sprichst sehr, altklug, mein Kind," ent-
gegnete Frau von Adrinowitsch verweisend. „Allein,
meine Langmnth hat ein Ende und ich bin müde."
Sie gähnte sthrlaut, streckte sich auf das Sopha
und während Olga die Mutter in eine Decke ein-
wickelte und ihr den stets bereitliegenden Roman
in die Hand drückte, konnte die Baronin nicht
umhin, noch einige Bemerkungen, die ihr das
Herz beschwerten, fallen zu lassen.
»Deine letzte, unstatthafte Aeußerung übe„
die Präsidentin muß ich widerlegen, sagte sie mi
wunderbarer Stimme. „Wenn Deine Wortx