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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) (2) — 1894

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Nr. 171 - Nr. 180 (25. Juli - 4. August)
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Nummer 171. H- Jahrgang.

Mittwoch, 25. Juli 1«»4.

für Heidelberg und Umgegend



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Betrügerische Staatsbankerotte.
Die Verhandlungen zwischen der griechischen
Regierung und dem Gläubiger-Ausschusse haben
sich zerschlagen. Wer die Verhältnisse des griechischen
Königreichs mit einigermaßen aufmerksamen Augen
versolgt hat, konnte an diesem Ausgange niemals
einen Zweifel hegen; denn abgesehen von der
Zahlungsunfähigkeit des griechischen Staates war
auch die Zahlungsunwilligkeit seit geraumer Zeit
handgreiflich. Jetzt erhebt sich in der Presse ein
heftiger Sturm gegen die Staatsmänner von
Athen. Man bezeichnet offen diesen Staats-
bankerott als einen betrügerischen, und man hat
dazu ein gutes Recht. Aber was nützt es, solche
Urtheile zu fällen, wenn man ihnen keine weitere
Praktische Folge gibt? Mancher andere Staat
hat ebenfalls Bankerott gemacht, und seine soge-
nannten „Werthe" haben dennoch wieder Absatz
auf den europäischen Märkten gefunden. Und
wenn morgen Griechenland sich auf irgend einen
unwürdigen, den Staat geradezu schädigenden
Ausgleich einzulassen versteht, so muß man nur
zu leicht besorgen, daß alsbald der Versuch ge-
macht wird, die Effekten auch Griechenlands wieder
in Deutschland zu verbreiten. Wir gehören nicht
zu den Fanatikern, die überhaupt gegen alle
fremden Werthe eifern. Das wäre eine große
Thorheit und ein bedeutender wirthschaftlicher
Schaden für das deutsche Volk.
Aber es ist nothwendig, Schutzmaßregeln gegen
betrügerische Gläubiger zu vereinbaren, soll nicht
die Verstimmung, die gegen einzelne Werthe und
Staaten mit Recht herrscht, auf andere mit Un-
recht übertragen werden. Man weiß, daß eine
Privatperson oder eine Gesellschaft, die verschwen-
derisch gewirthschaftet, Ausgaben über ihre Ver-
hältnisse gemacht, überhaupt eine unsinnige Wirth-
schaft getrieben hat, nicht nur der Verfügungs-
fähigkeit entkleidet, sondern auch strafrechtlich be-
langt wird. Naturgemäß fragt man, ob sich nicht
ähnliche Bestimmungen gegenüber bankerottirenden
Staaten treffen lassen. In der That sind einzelne
Zahlungseinstellungen und Uebervortheilungen
völlig unentschuldbar.
Das gilt nicht nur von Griechenland; wir
haben dasselbe Spiel in Argentinien und Por-

tugal erlebt, und ein Blatt, das auch die finan-
ziellen Interessen seiner Leser vertritt, kann nicht
aufhören, auf die Gefahr, die von Mexiko droht,
das Augenmerk zu lenken. Die Silberkrisis und
die Mißwirthschast werde in Mexiko dahin führen,
daß man den Gläubigern einen Theil ihrer zu-
gesicherten Rente entzieht. Man wird auch bei
richtiger Würdigung der Sachlage nicht umhin
können, vor jeder Vertrauensseligkeit gegenüber
Serbien zu warnen. Die politischen Zustände
dieses Landes sind völlig unhaltbar, und darauf
ist nicht das Geringste zu geben, daß heute all-
gemein eine gewisse Schönfärberei getrieben wird,
weil erstlich eine neue serbische Anleihe im An-
zuge ist und zweitens der König von Serbien in
Berlin erscheinen will, also einigermaßen für
diesen Besuch durch eine Schönfärberei hinsichtlich
der serbischen Finanzen Stimmung gemacht wird.
Was nun gegen solche Staaten zu thun wäre,
die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, sie
vielmehr in ganz unzulässiger, Vertragsbrüchiger
Weise abschütteln, das wäre ein Problem für
einen völkerrechtlichen Kongreß. Wir halten
nichts von militärischen Maßregeln, nichts von
Gewaltmitteln. Aber so gut Deutschland neuer-
dings hinsichtlich des Handelsvertrages mit
Spanien zu einer schärferen Tonart übergegangen
ist, so könnte wohl der europäische Areopag auch
bankerottirten Staaten gegenüber wirthschaftliche
Maßregeln ergreifen, die den diplomatischen Vor-
stellungen genügend Nachdruck zu geben geeignet
wären. Ein Staat, der so betrügerisch gegen
seine Gläubiger handelt wie Griechenland, der
sollte von allen übrigen Staaten zu einer Hunger-
kur verurtheilt werden; er sollte von jedem wirth-
schaftlichen Verkehr abgeschnitten werden; die
Einfuhr aller seiner Erzeugnisse sollte durch hohe
Ausnahmezölle erschwert werden. Dann würde
man bald in einem solchen Staate merken, daß
man den äuswärtigcn Gläubigern gegenüber nicht
geringere Pflichten hat als gegenüber den inlän-
dischen Beamten und Offizieren. Es könnte auch
in Erwägung kommen, ob es nicht an der Zeit
wäre, die sämmtlichen Werthpapiere bankerottiren-
der Staaten von dem Handel und der Notirung
an den europäischen Börsen auszuschließen, und
zwar nicht nur neue Papiere fern zu halten,
sondern auch die alten aus dem amtlichen Ver-
kehre zu verdrängen. Jedenfalls aber sollte es
die Aufgabe der öffentlichen Meinung sein, der
Presse, mit dem nöthigen Nachdruck bankerottiren-
den Regierungen die Verwerflichkeit ihres Ver-
fahrens zu Gemüthe zu führen und die morali-
schen, politischen und wirthschaftlichen Folgen zu
kennzeichnen, die ein Beharren bei dieser betrü-
gerischen Taktik herbeiführen müßte. Am wenigsten
erzielt man solchen Staaten gegenüber mit Leise-

treterei, mit Nachsicht, mit Anerbietungen eines
Opfers. Die Erfahrung hat gezeigt, daß au
diesem Wege nur die Dreistigkeit gefördert und
Staatsbankerotte verschlimmert werden.

Deutsches Steich.
Berlin, 25. Juli.
— Bezüglich der Einfuhr von Schafen
aus Deutschland nach Frankreich hat sich im ver-
flossenen Jahre eine ganz bedeutende Steigerung
bemerkbar gemacht. Während diese Einfuhr im
Jahre 1892 nur 147 669 Stück betrug, ist sie
im Jahre 1893 240 533 Stück gestiegen. Gleich-
zeitig ist in demselben Zeitraum die Einfuhr
russischer Schafe in Frankreich von 133 387 auf
22100 Stück zurückgegangen. Ja selbst aus
Algier, das doch keine Einfuhrzölle zu zahlen
hat, wurden 1893 nur 778 699 Schafe gegen
901 548 im Jahre 1892 nach Frankreich gebracht.
Ob die unter diesen Umständen besonders auf-
fallende Steigerung der deutschen Schafeneinfuhr
nur eine auf zufälligen Gründen beruhende vor-
übergehende Erscheinung ist, muß die Erfahrung
lehren.
— Von deutschen Handelshäusern wird noch
immer bei Waarensendungen über
Frankreich gegen die französischen Bestimmungen
über die Bezeichnung von Maaren gefehlt. Da
hieraus häufig unliebsame Weiterungen entstehen,
so sei darauf hingewiesen, daß nach dem neuen
französischen Zolltarifgesetz die Einfuhr aller aus-
ländischen Natur- und Gewerbserzeugnisse ver-
boten ist, die, sei es auf sich selbst, sei es auf
den Umschließungen, Kisten, Ballen, Umschlägen,
Streifen oder sonstwo eine Fabrik- oder Handels-
marke, einen Namen, ein Zeichen oder irgend
eine Angabe tragen, die den Glauben zu erwecken
geeignet ist, daß sie in Frankreich verfertigt oder
französischen Ursprungs find. Auch sind dergleichen
Erzeugnisse von der Aufnahme in der Niederlage,
von der Durchfuhr und dem Verkehr ausgeschlossen.
Diese Bestimmung findet auch auf ausländische
Gewerbs- und Naturerzeugnisse Anwendung, die
an einem mit einem französischen gleichnamigen
Orte gewonnen sind und dre nicht zugleich mit
dem Namen dieser Ortschaft in deutlichen und in
die Augen fallenden Buchstaben den Namen des
Ursprungslandes und die Angabe „imxorts"
tragen.
Karlsruhe, 24. Juli. Die schon seit dem
Monat Mai durch den Tod des Geh. Oberre
gierungsraths v. Preen erledigte Amtsvor-
tandstelle beim hiesigen Bezirksamt, um
welche, wie seiner Zeit Minister Eisenlohr in der
Kammer erwähnte, in der ersten Woche nach dem
Freiwerden noch kein Bewerber aufgetreten war.

wird vorerst nicht endgiltig besetzt werden. Aus
guter Quelle verlautet als nahe bevorstehend, daß
Ministerialrat!) v. Bodmann im Ministerium des
Innern mit der Versetzung der Stelle betraut,
Oberamtmann Nikolai beim Bezirksamt Freiburg als
Hilfsarbeiter in das Ministerium berufen werde.
Die gedachte Verwendung des Ministerialraths v.
Bodman ist eine praktische Betätigung der Absicht,
mit welcher die von den Landständen abgelehnte
Erhöhung des Gehalts der Vorstände der vier
größten Bezirksämter von 5300 auf 6800 Mk.
zum Theil begründet wurde, nämlich ab und zu
ein Collegialmitglied des Ministeriums wieder in
den äußeren Dienst zurückkehren zu lassen. Herr v.
Bodman war früher schon beim Bezirksamt Karls-
ruhe beschäftigt, und zwar als zweiter Beamter.
Karlsruhe, 23. Juli. Bisher wurde hinsicht-
lich der Kapitalrentenfteuer gegen die für ihre Per-
son an ver Hinterziehung nicht schuldigen Erben
des steuerpflichtigen Nachlasses keine Strafe erkannt,
wohl aber war dies bei der Einkommensteuer
der Fall, wo nicht die einfache Nachzahlung statt-
fand, sondern die doppelte Schuldigkeit des nicht
verjährten Betrags erhoben wurde. Dies erstreckt
sich bei öffentlichen Schuldigkeiten auf fünf Jahre
rückwärts. Neber die juristischen Bedenken hat man
sich, wie in andern Staaten, im Interesse des
Steuerfiskus hinweggesetzt. Durch das jüngst ver-
kündete Gesetz über die Veränderungen der Kapital-
rentensteuer und Einkommensteuer sind nun die
Strafungen für die (nicht schuldigen) Erben in
beiden Steuergattungen gleich gestellt, was auch der
Natur der Sache entspricht. Sehr drakonisch sind
nun die Strafen gegen jene Erben festgesetzt, welche
in eigener Schuld den Stand des Nachlasses ver-
heimlichen; sie werden, wie der Pflichtige selbst von
dem 50fachen Jahresbetrag betroffen, und zwar jeder
Erbe für die ganze Schuldigkeit ohne Rücksicht auf
seinen Antheil am Nachlaß. Voraussetzung der
Bestrafung des Erben ist, daß ihm eine Anmelde-
pflicht obliegt. Weiterhin ist als Rechtsvermuthung
zugunsten des Fiskus ausgesprochen, daß während
der maßgebenden fünf Jahre schon das ganze bei
dem Tode des Erblassers vorhandene Vermögen be-
reits in dessen Besitz war. Das Gegentheil ist von
den Pflichtigen zu beweisen.
Ausland.
London, 24. Juli. Von gut unterrichteter
Seite wird berichtet, daß nach Mittheilungen des
englischen Geschäftsträgers in Tokio an den bri-
ischen Konsul in Schanghai die japanische Re-
gierung Schanghai als außerhalb etwaiger krie-
gerischer Bewegungen gelegen erklärt habe. Die
Klagen über Störungen des britisch-chinesischen
Handels werden dadurch gegenstandslos. Der
Stand der Verhandlungen ist nach zuverlässiger

H e s ü H n L.
Roman von H. von Gavain.
29) (Fortsetzung.)

„Du weißt, ich fü,^e mich gern in Deine
Wünsche," sagte Ruth, wir däucht aber, der junge
^bemann hat sich in letzter miserabel taktlos gegen
Dich benommen, so daß sein Fern bleiben Dich ge-
rade nicht unangenehm berühren dürfte. Für mei-
nen Theil denke ich mir, Dein Stolz möchte über
^ie Art und Weise seiner Vernachlässigung tief ver-
ätzt sein; es sind doch schon recht vertrauliche Ge-
Mäche zwischen Euch gewechselt worden. Eine
°unkle Röt-e drang durch Ruth's südländischen
4eint, als sie etwas widerwillig entgegnete:
Du magst Recht haben, Papa, allein laß uns
Hans Ullrich's leidenschaftlichem Naturell rechnen.
Dlga's Madonnenschönheit hat ihn in einen Zauber-
°ann gethan; es ist ein Rausch, der vorüber gehen
!^rd. Laß ihm Zeit, sich wieder zu finden. Ich
!jsbe den Mann einmal mit der ganzen unendlichen
^luth, ich möchte sterben, wenn ich ihn verlöre.

„Hm, hm, es ist unbegreiflich! Die Liebe macht
Dich blind und taub. Du und wir alle wissen
wie erbärmlicher sich gegen den alten Vater be-
!sirnint! Seine Herrschsucht, seine wahnwitzigen Pas-
^°Nen, sein Renommö —* Ruth legte dem Er-
sten ihre feinen Fingerspitzen auf den Mund.

«Bitte, bitte, kein Wort weiter. Du weißt
f/Ht, was wahre, echte Liebe über einen Mann ver-
Du ahnst nicht, Papa, wie Deine harten
^°rte mein Herz verwunden."
»So, meinetwegen. Nur so viel muß ich noch

sagen, mir könnte der wilde Charakter Grauen ein-
flößen !"
„Mir nicht," entgegnete Ruth und ein halbes
Lächeln spielte um den schönen, vollen Mund. Der
Bankier wollte etwas erwidern, allein ein Massen-
auflauf vor dem Offizierkasino, bei dem sie gerade
vorbeifahren wollten, änderte seinen Gedankengang.
Mit einem kräftigen Ruck öffnete er das Fenster
und winkte einen jungen Burschen heran.
„Heda, Sie, kommen Sie einmal her; was hat
das dort zu bedeuten! Er deutete mit der Hand
nach dem Menschenknäuel." „Kutscher halten!"
rief der Banquier, den dicken Kopf weit heraus-
streckend.
Ruth, deren weiches, mitleidiges Herz bei der-
artigen Ünglücksfällen und aufregenden Straßen-
szenen weich wurde, drückte sich tief in die Seiden-
polster. Sie wollte lieber nichts hören, nichts sehen ;
sie war ohnehin mißgestimmt und traurig. Der
junge Mann hatte sich langsam genähert.
„Weiß nicht, Herr Banquier, was es dort giebt.
Die Leute reden von einem schweren Unglückefall,
der einen Offizier betroffen haben soll. Vor ein
paar Stunden schon brachte der Bauer, dessen Ge-
höft nicht weit von Klein-Trianon entfernt ist, den
Schwerkranken angefahren. Dort drinnen liegt er."
Der Bursche deutete mit der blaugefrorenen Hand
nach den Paterre-Fenstern des Casinos.
„Kennen Sie seinen Namen?" forschte der
Banquier weiter.
„Nein, es geht ganz geheimnißvoll da zu, zwei
„Nein, es geht ganz geheimniß da zu, zwei
Doktors laufen aus und ein und machen schrecklich
lange Gesichter."

„So — so! Was meinst Du, Ruth, soll ich
einmal Erkundigungen einziehen?" Ruth nickte
stumm und beide standen bald mitten unter den
Neugierigen, ohne daß es ihnen gelang, einen der
Offiziere, die ab und zu gingen und kamen und
deren ernstes Aussehen nichts Gutes weissagte, zu
fragen.
„Platz da," donnerte ein Polizist. Die Leute
stoben gewohnheitsmäßig bei dem Ruf auseinander,
um jedoch sogleich wieder Posto zu fassen. Niemand
fiel es ein, zu weichen, bevor nicht die Neugierde
befriedigt war. Da trat ein Offizier aus dem Ge-
bäude. „Ordonnanz, besorgen Sie schnell einen
geschlossenen Wagen, keine Drotschke, der Gaul ist
zu langsam," befahl er, sich zu einem Soldaten'
wendend.
„Herr von Maltenbach," rief der Banquier mit
lauter Stimme, während er, Ruth am Arm, sich
an seine Seite schob, „verfügen Sie über meinen
Schlitten, darf ich fragen, wer von den Herren
verunglückt?" Rittmeister von Maltenbach sprach
leise, erregt: „Ach, mein Gott, der Graf Ulestein?"
„Ist er todt?" „Leider nein, er ist wahnsinnig, die
näheren Details fehlen. Es ist uns unerklärlich,
wie der Kamerad dort mit „Schnellläufer" hinge-
rathen konnte."
Mit einem leisen Angstschrei war Ruth beim
Nennen des Namens einige Schritte zurückgewichen,
denn diese grauenvolle Nachricht kam so unerwartet,
daß selbst diese stolze Natur nicht ihre innersten
Gefühle beherrschen konnte.
„Gnädiges Fräulein sollten sich lieber ent-
fernen," bat der Rittmeister, voll inniger Theilnahme
das schmerzlich bewegte Antlitz der jungen Dame

betrachtend. „Es ist ein trauriger Anblick, den ich
niemals vergessen kann.
„Nein, nein, ich bleibe. Der Graf war
unserem Hause intim befreundet; ich will ihn ein-
mal sehen!" Wie gebrochen von innerer Qual war
der Ton ihrer sonst so klaren, metallenen Stimme.
„Giebt der Arzt gar keine Hoffnung?" zwang sie
sich noch zu fragen. Maltenbach schüttelte zweifelnd
den Kopf.
„Die Zeit muß es lehren, vielleicht — aber
xnräon, ich höre die Stimme des Aztes, Sie
gestatten also, Herr Bankier, daß wir ihre Güte in
Anspruch nehmen?" Rachwitz winkte seinen Kutscher
herbei, rief ihm einige Worte zu und der Schlitten
stand bereit, den Kranken aufzunehmen.
Starr und unbeweglich stand Ruth; ihre dunklen
großen Augen sahen voll Verlangen nach dem Ein-
gang des Hauses, als wollte ihr brennender Blick
die dicke Eichenthür durchdringen. Instinktiv fühlte
sie, daß der Moment gekommen sei, in dem der
geliebte Mann den schweren Gang in das düstere
Asyl antreten müsse. In demselben Augenblick
wurde die HauSthür von zwei Soldaten geöffnet.
„Er kommt, Papa!" flüstert- Ruth, sich mit
beiden Händen an den sie stützenden Arm klam-
mernd. „Oh, mein Gott, wie er zittert, wie furcht-
bar verändert sein Aussehen ist!" Es worin der
That ein ergreifender Anblick, der sich den zunächst
Stehenden bot. Von zwei kräftigen Leuten —
mit dem Abzeichen eines Krankenwärters um den
Arm — halb getragen, halb geleitet, erschien der
Beklagensrverthe. Das Haupt war schwer auf die
Brust gesunken, die brennenden Lippen bebten, wie
wenn heiße Fiebergluth den Körper durchwühlte.
 
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