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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) (2) — 1894

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Nr. 211 - Nr. 220 (10. September - 20. September)
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Nummer 215. H. Jahrgang.

Neuev

Freitag, 14. September 1«»4.


General-GAnreiger

für Heidelberg «nd Umgegend

Expedition: Hauptstraße Ar. 25.

Jttsertionöprcisr
die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum 5 Pf-.,
für auswärtige Inserate 10 Pfg», bei öfterer Wieder-
holung entsprechender Rabatt»

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mit Sseitigem tllnSrtrtem SonntagSblatt: monatlich
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Expedition: Hauptstraße Wr. 26.

Geleseirstes Blatt irr Stadt rr. Anrt Heidelberg und Mngegend. Grsfzter Lässig Mr Inserate.

LÄ" Telephon-Anschlutz Nr» 102.
zM" Bestellt "NU
jetzt schon den Neue» General-Anzeiger
sür das kommende Quartal.
Lebensdauer und soziale Verhältnisse.
Auf dem achten internationalen hygienischen
Kongresse in Pest hielt der russische Gelehrte
Professor Fedor Crismann einen Vortrag über
ven Kampf mit ^em Tode, der um seiner sozialen
Bedeutung willen in seinen wichtigsten Momenten
Knedergegeben zu werden verdient.
Die Statistik, führte der Gelehrte aus, be-
weist, daß die Sterblichkeit einen durchaus anor-
malen Charakter besitzt, und daß nicht das Alter
me erste Rolle unter den Todesursachen spielt,
vielmehr eine Menge Umstände einwirken, die
Unter günstigeren Bedingungen besestigt werden
können.
Ei» Beweis hierfür ist die Differeuz in der
Mortalität in den verschiedenen Ländern, vor-
nehmlich die große Mortalität der Neugeborenen,
dann die Differenz in der Sterblichkeit unter den
verschiedenen gesellschaftlichen und Berufsklassen.
In Schweden und Norwegen sterben jährlich
H bis 18 von 1000 Bewohnern, in der Schweiz
vnd Frankreich 24, in Deutschland 27, in Oester-
reich 32, in Rußland 36. Eine ähnliche Ver-
schiedenheit in der Sterblichkeit finden wir unter
großen Städten. Es gibt deren, wo die
Sterblichkeit nur 22—23 von je 1000 Bewohnern
ausmacht, dann andere, wo die Ziffer auf 35 -40
steigt. Es läßt sich also eine große Ungleichheit
fu der territorialen Vertheilung der Mortalität
kanstatiren.
Betrachtet man die Daten über Alter der
verstorbenen, so findet man, daß in Belgien
Mehr als 20 pCt. der Verstorbenen auf Kinder
Unter einem Jahre und 37 pCt. aus Kinder
Unter 5 Jahren entfallen; nur 17 pCt. der
-verstorbenen haben ein Alter von 70 Jahren
^reicht. In Rußland ist dieses Verhältniß noch
ungünstiger.
Diese Daten beweisen, daß eine ungeheure
Anzahl von Menschen frühzeitig stirbt, darunter
^Ue große Masse Kinder im zartesten Alter.
Fst? große Ungleichheit in der territorialen Ver-
keilung der Mortalität der Neugeborenen beweist,
öuß die Kindersterblichkeit keine unabwendbare
Aothwendigkeit ist, sondern eine Thatsache die
UMn bekämpfen soll und muß. Die materielle
?mge und die professionelle Beschäftigung sind
M>N großem Einflüsse auf die Sterblichkeit der
Kinder.
Die Engländer waren die Ersten, die erkannten,

daß das Augenmerk auf den Schutz der ganzen
Bevölkerung als eines sozialen Organismus ge-
richtet sein und daß man das Uebel mit kollek-
tiven Kräften bekämpfen müsse. Große und kleine
Städte bauen ihr Kanalnetz aus, errichten Wasser-
leitungen; ihre öffentlichen Bauten sind muster-
giltig für ganz Europa. Es ist den Engländern
denn auch gelungen, die Sterblichkeitsziffer im
Allgemeinen und diejenige in Fällen von infek-
tiösen Krankheiten im Besonderen herabzudrücken.
Ueberhaupt darf nicht in der therapeutischen Me-
dizin der Schlüssel zum Kampfe gegen den Tod
gesucht werden. Wir müssen unsere Hoffnungen
auf die Aufklärung des Volkes setzen, welche ihm
ermöglichen wird, einen höheren Grad von Wohl-
stand zu erreichen und nicht nur sein eigenes
Wohl, sondern auch das der Gesammtheit besser
zu erfassen. Das Individuum vermag wenig in
diesem ungleichen Kampfe; die Gesellschaft allein
kann ihn mit Erfolg führen. Das Beispiel zahl-
reicher Städte in England und Deutschland zeigt
uns, daß dort, wo früher Typhus und Cholera
heftig und andauernd wütheten (z. B. in München),
eine gute Kanalisation bedeutende Wirkungen zu
Gunsten des Ortes erzielt hat.
Aus diesen wenigen Auseinandersetzungen er-
geht zur Genüge, daß wenn die Sterblichkeits-
ziffer eines Volkes herabgedrückt werden soll, viele
günstige Faktoren einwirken müssen, um dem
Uebel entgegen steuern zu können.
Freie Fahrt für unbemittelte Ur-
lauber.
Die Gewährung von Freifahrtscheinen an un-
bemittelte Urlauber ist eine Frage, welche die Mili-
tärverwaltung thunlichst bald in den Kreis ihrer
Erwägungen ziehen sollte.
Die Frage tritt durch die Verlegungen vieler
Regimenter in die Grenzprovinzen, namentlich nach
Elsaß-Lothringen, in den Vordergrund. Der Soldat,
der aus weiter Ferne zum Dienst heraNgezogen wird,
ist offenbar gegen seine Kameraden, die in der Nähe
des häuslichen Herdes bleiben können, im Nachtheil,
und es erfordert eigentlich schon die ausgleichende
Gerechtigkeit eine Schonung der wirthschaftlichen
Kräfte der durch die weite Entfernung aus dem
Heimathorte Betroffenen.
Das Recht auf Urlaub ist ein den Soldaten
zustehendes, natürliches Recht, gute Führung und
genügende Leistungen vorausgesetzt. Verbieten ihm
die eigenen finanziellen Mittel die Ausnutzung
dieses Rechtes durch zu weite Entfernung von den
Angehörigen und die damit erwachsenen erheblichen
Kosten, so erwächst zweifelsohne für die Militär-
verwaltung, die aus strategischen Gründen den
Dienstort bestimmt, eine moralische Verpflichtung

zur möglichsten Schadloshaltung der also betroffenen
unbemittelten HecreSpflichtigen. Für den Staat
würden die Kosten der Gewährung einer einmaligen
jährlichen Urlaubsreise an unbemittelte Militärs
nicht erheblich sein, während sie für einen sehr
großen Theil der aus inneren Gegenden stammen-
den Leute geradezu unerschwinglich find.
Der unbemittelte Soldat, dem es bei Gewäh-
rung freier Fahrt ermöglicht ist, gleich seinen be-
mittelten Landsleuten auch einmal zur heimath-
lichen Scholle zurückzukehren, wird dadurch auch
erheblich an Berufsfreudigkeit gewinnen, während
er andererseits gegen das Gefühl einer gewissen
Bitterkeit schwerlich mit Erfolg ankämpfen wird.
Deutsches Reich.
Berlin, 14. September.
— Ein in Offizierskreisen sich behauptendes
Gerücht, das vielleicht nur als Einspruch gegen die
französische Meldung von dem Aufgeben des 2.
September als deutschen Festtages aufzufassen ist,
will, wie wir der „Köln. Ztg." entnehmen, wissen,
daß im nächsten Jahre aus Anlaß der fünfund-
zwanzig st en Wiederkehr des Sedan s-
tagesvomKaiserErinnerungsmedaillen
verliehen werden sollen an die Inhaber der Kriegs-
denkmünze von 1870/71. Diese Verleihung soll
davon abhängig gemacht werden, daß die Betreffenden
den Krieg als Kombattanten mitgemacht, ihre Land-
wehrzeit vorwurfsfrei abgedient haben und im Be-
sitz der bürgerlichen und militärischen Ehrenrechte
sich befinden. Zu den Medaillen soll Bronze aus
erbeuteten französischen Geschützen benutzt werden.
Sollte das Gerücht sich bestätigen, so würde diese
Medaillenverleihung der anläßlich der fünfzigsten
Wiederkehr des Tages der Völkerschlacht bei Leipzig
in Preußen erfolgten Dekorirung der Veteranen
aus den Freiheitskriegen entsprechen.
— Auf Grund der Ergebnisse der letzten
Volkszählung in Deutschland und in fremden Ländern
hat das Kais. Statistische Amt soeben die Nach-
weisungen über die Deutschen imAuslande
und die Ausländer im Deutschen Reich
veröffentlicht. Die bei uns lebenden Ausländer
sind selbstverständlich nach ihrer gesammten Zahl
ermittelt worden; dagegen ließ sich die Zahl der
im Auslande lebenden Deutschen nur annähernd
feststellen, da nicht in allen Ländern Volkszählungen
bisher stattgefunden haben; insbesondere fehlen
Nachweise über die Deutschen in Rußland, dann
über die in kleineren europäischen und in einigen
überseeischen Ländern, aber meist nur in solchen,
die für unsere Auswanderung keine große Be-
deutung haben. Das Gesammtergebniß, das sich
für das Reich beim Volksaustausch mit dem Aus-
lände herausstellt, kann daher nur ermittelt werden

wenn man für diese letzteren Länder annimmt,
daß die Zahl der Personen, die aus denselben nach
dem Deutschen Reiche überzewandert sind und hier
bei der letzten Volkszählung angctroffen wurden.
Man erhält dann folgende Summenzahlen : Deutsche
im Auslande 3 458 665, Ausländer im Deutschen
Reich 472867. Danach ergiebt sich für das Reich
ein erheblicher Verlust beim Wanderungsverkehr:
auf 100 Fortgewanderte (Deutsche im Auslande)
kommen nur 13,7 Zugewanderte (Ausländer im
Deutschen Reich). Bezüglich der Ausländer im
Deutschen Reich und soweit möglich auch bezüglich
der Deutschen im Auslande bringt die Veröffent-
lichung noch spezielle Nachweise, die sich auf Ge-
schlecht, Alter, Familienstand, Beruf und Religions-
bekenntniß beziehen.
— Das Anfang September d. I. vom kaiser-
lichen Statistischen Amt herausgegebene 3. Viertel-
jahrsheft zur Statistik des D e ut s ch en R e ich s
enthält zunächst eine Abhandlung über die amt-
liche Arbeiter-Statistik in England als Beitrag
zur Kenntniß der Organe und Ermittelungsme-
thoden dieser Statistik, sodann die Konkurs-Sta-
tistik für das Jahr 1893, eine Uebersicht, das
Etatsjahr 1893.1894 betreffend, über die Straf-
fälle In Bezug auf die Zölle und Steuern, über
die Zollbegünstigungen der Weinhändler und über
die Zollkartenfabriken und den Verkehr mit Spiel-
karten im Deutschen Reich. Für Preußen, Bayern,
Württemberg, Baden und Hessen wird dann eine
die Jahre 1879 bis 1893 umfassende Zusammen-
stellung der Marktpreise von Getreide, Kartoffeln
und Fleisch im Landesdurchschnitt gegeben, es
werden die Dampfkessel-Erplosionen während des
Jahres 1893, zugleich auch an der Hand erläu-
ternder Zeichnungen, geschildert und die Zahlen
der überseeischen Auswanderung über deutsche
Häfen, Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam für
das zweite Vierteljahr 1894 gegeben. Die Deut-
schen im Auslande und die Ausländer im deut-
schen Reich betrifft eine eingehende Abhandlung,
welche nach dieser Richtung die Ergebnisse ^der
letzten Volkszählungen im Deutschen Reich und
in fremden Ländern verwerthet. Der Schluß des
Heftes bildet eine Nachweisung der Bestände in
Zucker in den Zuckerfabriken und amtlichen Nieder-
lagen des deutschen Zollgebiets am 31. Juli 1894.
Swinemünde, 13. Sept. Der Kaiser ist
heute früh 8 Uhr hier eingetroffen und von einer
zahlreichen Menschenmenge jubelnd empfangen
worden; Er begab sich an Bord der „Hohen-
zollern", die um 10 Uhr den Hafen verließ. Die
in Parade liegenden Schiffe gaben bei dem Nahen
der Kaiseryacht den Kaisersalut ab. — Der
Kaiser ist um 9^2 Uhr an Bord der „Hohen-
zollern" in See gegangen. Die Flotte ist in drei

Die Verborgene Kcrnö.
Kriminal-Roman aus der neuesten Zeit
von E. von der Have.
(Fortsetzung.)
. Janos Sandory ist sein Name wiederholte Rosa —
Vs echt künstlerischer Name, wie du zugeben mußt.
Umgangsweise ist eine entzückende, — mir hul-
°chte er offenkundig," — in Wirklichkeit hatte eben die
^enzenlose Passivität des schlauen Intriganten sie auf-
Zereizi — „und alle beneideten mich darum- Mein
I^wr sah nichts davon, gottlob nicht, denn, bei aller
schwäche sür sein Töchterchen, darin würde er doch
hl , icht andere Saiten aufziehen. Mein Himmel, ich
I nke ja auch gar nicht an Ernsteres. Uns trennt eine
i^'E Kluft, aber doch schwärme ich für ihn! — Als
fw?Eold, meinen Bruder, später auf's Gewissen be-
h?Pe, woher er den obskuren Fremden, — ich mußte
s''N des Scheines halber des Ausdrucks bedienen, —
sie>e^' antwortete er mir, und ich denke, das interes-
ü dich außergewöhnlich, daß Hans Volkheim ihn in
d fJKlubb eingeführt habe. Apropos, Volkheim! Weißt
kwon, daß der junge Volkheim von der Bildfläche
verschwunden ist? Wie es heißt, soll er im
ab» seines Vaters nach der neuen Welt gereist sein,
Unk man glaubt nicht daran! — Mein Gott, wie
msaarsichtig jch war! Ich weiß ja, wie eng ihr liirt

Wichtig ich war! Ich weiß ja, wie eng ihr liirt
und nun meine Achtlosigkeit! Ich möchte mir
Zunge abbeißen dafür!" — Sie hatte jdie Rede so
in / berechnet. — Liebste Toni, verzeihe mir, ich weiß
s.ff.daß ihr euch liebt. War doch kern Ball, keine ge-
xsf chaftliche Vereinigung, ohne daß Hans dich nach
ff geleitete, kurz, dir alle jene Ritterdienste erwies,
-Fs, ue so ständig ein junger Mann nur seiner Aus-
tz^buen widmet. Ihr seid gleichalterig, gleichen
ji'"ssves; einer Verbindung in einigen Jahren, sobald
wL bas dazu erforderliche Alter erreicht hattet, würde
b»n S Jur Wege gestanden haben. So war alles im
so uUnd nun ist er fort, ganz Plötzlich,
daß dre Gesellschaft den Kopf darüber schüttelt und

keine Erklärung dafür weiß, weil sie, die, welche ihr
gegeben wird, nicht glaubt .... Liebste Toni, sei
einmal ganz aufrichtig gegen mich, deine wahrhaftigste
Freundin! Nicht wahr, du weißt, warum er abgereist
iL? Du hast sicher noch einmal mit ihm gesprochen
mrhei, oder er hat dir geschrieben?"
Ihr schmeichelnder Ton glich der Berührung
der kralleneingezogenen, sammtnen Pfote der spielenden
Katze.
Von der Seite beobachtende sie die Freundin scharf,
und ihr entging die Wandlung in deren Zügen nicht.
„Nein," stammelte sie, mit aller Gewalt sich auf-
recht haltend, „ich weiß nichts davon. Du irrst dich
übrigens. Er betrachtete mich stets als die intimste
Freundin seiner Schwester und als solcher erwies er
mir alle Zuvorkommenheiten, welchen du eine so weit-
gehende Auslegung gieb .... Hörtest du von Jertha?"
„Gewiß! Du weißt doch zweifellos, daß sie
zu Verwandten ihrer Mutter nach Düsseldorf gereist ist?"
Toni schüttelte den Kopf; sie befaß kaum noch die
Fähigkeit dazu. Und doch mußte sie sich beherrschen
vor ihrer Besucherin.
„Auch das weißt du nicht?" rief diese aufrichtig
erstaunt aus. „Mein Gott, du mußt dich ja förmlich
abgeschlossen haben von aller Welt! Aber ich vergesse,
— die Katastrophe im Volkheimschen Hause ist dir näher
gegangen, als du zugiebst. Verzeihe mir! Ich will die
Sache nicht wieder berühren. — Kommen wir zu dem
eigentlichen Zweck meines Besuches zurück. Nicht wahr,
ich habe deine Zusage zu dem Kostümball?"
Toni war es, als stieße ihr jemand ein Messer er-
barmungslos gerade ins Herz hinein.
„Ich weiß es noch nicht," stammelte sie, nach Fas-
sung ringend, „wenn ich Wohler bin —"
„Das sind Ausreden, die ich nicht gelten lasse!"
fiel die andere ihr ins Wort. „Ich will dich dabei
haben und du mußt mir den Willen thun! Du mußt
kommen! Im Vertrauen: dieser Künstler, der schöne
Ungar, Janos Sandory wird auch dabei sein!"
Welche Bedeutung der Name, der da vor ihr ge-
nannt wurde, für ihr Leben gewinnen sollte, Toni
ahnte es nicht.

„Ich weiß es noch nicht, Rosa," sagte sie kopf-
schüttelnd. „Ich kann dir noch keine Zusage geben!"
Die hübsche junge Modedame schnellte von dem
Sofa empor.
„Für heute entbinde ich dich derselben, aber ich
komme wieder!" rief sie lebhaft. „Du sollst, du mußt
daran theilnehmen; ich habe es mir einmal in den
Kopf gesetzt und du weißt, ich dulde keine Einrede. In
wenigen Tagen komme ich wieder und dann sollst du
deine reizenden Malmaisons haben wie früher, hörst
du? Bis dahin au revoir, vbario!"
Sie umarmte und küßte das junge Mädchen wie
bei ihrem Kommen mit förmlichem Ungestüm. Dann
eilte sie auf die Thür zu, bei derselben angelangt, der
untrennbaren Busenfreundin noch Kußhändchen zu-
sendend.
Mit einem tiefen Seufzer sank das junge Mädchen,
kaum daß die Thür sich geschlossen, auf das Plüsch-
sofa, vor dem sie stehen geblieben war, weil ihr die
Kraft zu versagen drohte, nieder und gegen die Polster-
lehne zurück. Ihre Augen waren nicht geschlossen,
sondern starr vor sich hin auf den Teppich gerichtet.
Ihre Hände hatte sie fest in einander verkrampft; um
ihre Lippen zuckte es qualvoll. Nur ein Bild stand
vor ihrer Seele, — ein Bild, vor dem alles andere
versank in ein leeres Nichts.
„Von mir gegangen — ohne einen letzten Blick,
ohne ein Wort des Abschieds!" gellte es durch ihre
Seele, rang es sich wie ein Todesschrei über ihre Lip-
pen. „Gott im Himmel, ist das denkbar, ist das mög-
lich? Ohne ein letztes Lebewohl fort, fort, und —
wer weiß, ob wir uns Wiedersehn?"
Und den weiten, mächtigen Ozean, auf dem die
Orkane schrankenlos wüthen, wie nirgend sonst, und
wo alle Elemente toben in wild entfesselter Gewalt,
durchfurchte eine riesige Dampfbarkasse, deren Ziel die
neue Welt war-
Der scharfe Nord, der zum Sturm angewachscn
war, trieb große Schneeflocken, durchmischt von scharfen
Eiskörnern, vom Himmel herab und in das Meer, in
welches sie alle untergingen, wie die zahllosen Men-

schenleben unausgesetzt untergehen in dem großen, end-
losen Meere des Lebens.
Am Bugspriet lehnte ein blutjunger Mensch in
Seemannstracht. Außer der dienstthuenden Bemannung
war er der einzige auf Deck. Er achtete nicht des
wilden Wetters, nicht der Flocken und Eiskörner, dw
ihm der Sturm ins Gesicht trieb. Er starrte vor sich
hin, auf die hochgehenden Wogen, wie weit, weit der
Gegenwart entrückt.
Er sah vor sich ein graues Haupt, einen vorzeitig
gealterten Mann. Derselbe streckte die Arme aus nach
ihm und seine Angen standen voller Thronen.
Und jäh veränderte sich das Bild. . „
Das Gesicht, das er sah, wurde starr und kalt, —
er beugte sich über ein anderes, ach, chvhlbe-
kanntes Antlitz, das leblos dalag, und der Mundhatte
ein einziges Wort für ihn, — das eine, einzige Wort:
„Verflucht!" ....
Und ein stilles Gesicht tauchte auf aus dem dunk-
len Grunde, den er vor sich sah, ^errya. Sie rang
die Hände in stummer Verzweiflung, und das Bild
verschwamm vor den eigenen Thranen, welche ihm über
die Wangen rannen . . . - „ „
Und ein neues Antlitz sah er vor sich, — ein lieb-
reizendes, junges Gesicht. sahen ihn groß,
forschend an, sie senkten auch uicht ihre Lider vor seinem
Blick, und zwei Hände streckten fick ihm entgegen und
er ergriff sie in heißem Zvey und zog die zitternde
Gestalt fest, fest in seine Arme, um sie nimmer, nimmer
mehr von sich zu lassen -- . .
„Ahoi!" tönte her Helle Ruf aus dem Mast herab.
Ein Schiff war in Sicht
Und die Wogen rauschten und der Sturmwind
tobte. Er psifl, nm bas Haupt des einsamen Jüng-
lings am Bugspriet und plötzlich, — jäh, zuckte er
zusammen.
Klar und deutlich, vom Winde getragen, tönte es
zu ihm herüber, wie aus einer andern Welt:
„Wer weiß, ob wir uns Wiedersehn!"-
Seine Hande griffen nach seiner Brust, als wollten
sie dieselbe zerreißen in namenlosem Weh, und nieder
stürzte er auf die Kniee.

Lvangcn rannen . . - - „ „
Und ein neues Antlitz sah er vor sich — lieb'

forschend an,
 
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