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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) (2) — 1894

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Nr. 191 - Nr. 200 (17. August - 28. August)
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Mumwer 1Ä4. LL. Jahrgang.


Dienstag, 21. August 1«»4.

General-GAmeiger

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für Heidelberg «nd Umgegend
(Würger-Zeitung).

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MV" Telephon-Anschluß Nr. u»2.

Fovtwätz^eMd
«erden von allen Postanstalten, Landbriefträgern
unseren Agenten und Trägerinnen Abonnements
entgegengenommen.
Gegen den Wucher.
Daß der Wucher nicht mit Strafen aus der
Welt geschafft werden kann, ist nachgerade allge-
meine Ansicht geworden. Und wer noch etwa
anders gedacht haben sollte, der hat sich gründ-
lich getäuscht.
Die Hauptsache, den Wucher bei der länd-
lichen Bevölkerung theilweise aus der Welt zu
schaffen, bleibt die Kreditbeschaffung und hierzu
ist das beste Mittel die Gründung ländlicher
Kreditgenossenschaften und Sparkassen. Ueberall,
wo solche Sparkassen einige Jahre bestanden
haben, ist eine stete Abnahme des Wuchers zu
bemerken. Die ängstlichen Leute, die lieber den
Handelsmann als die Sparkasse um Geld an-
gehen, werden von Jahr zu Jahr weniger. Es
ist auch falsch, zu glauben, daß die Verschuldung
eines Bauern beim Handelsmann besser geheim
gehalten wird, als bei der Sparkasse. Die Spar-
kasse schweigt auch und zwar gewissenhafter als
der Geldmann, der nur so lange reinen Mund
hält, als sein Interesse es erfordert.
Allein bei aller Selbsthülfe durch Kreditver-
eine u. s. w. ist es unerläßlich, daß die Hals-
abschneider so streng wie möglich gestraft werden.
Das Wuchergesetz ist nützlich und nothwendig und
es ist nur zu bedauern, daß es zu wenig in
Anwendung kommt. Dies aber ist nicht die
Schuld des Gesetzes und auch nicht die Schuld
der Gerichte. Wo kein Kläger ist, da ist kein
Richter, wegen Wuchers aus dem Lande stehen
aber verhältnißmäßig selten Kläger aus. Das
rührt daher, daß der Bewucherte es meistens für
eine sehr bedenkliche Sache hält, seinen Gläubiger
beim Staatsanwalt zu verklagen. Oft fürchtet
er, seine schlechte Lage offenkundig zu machen,
seinen Kredit noch mehr zu schädigen u. s. w.
Sehr häufig weiß auch der Bauer gar nicht, daß
das Geschäft, welches der Wucherer mit ihm ge-
macht, ein strafbares ist. So kommt es, daß
viel zu wenig Anzeigen wegen Wuchers bei Ge-
richt erstattet werden.
In diesem Punkte könnte das Gesetz verbessert
werden. Es geht natürlich nicht an, den Be-
wucherten, etwa gar unter Androhung von Strafe,
vorzuschreiben, die wucherverdächtigen Geschäfte
dem Staatsanwalt zu unterbreiten. Eine solche
Vorschrift würde auch gar nichts nützen. Es

handelt sich also darum, andere Personen, die
von Wuchergeschäften wissen, zu zwingen, bei Ge-
richt davon Anzeige zu machen. Solche Personen
find die Notare, die Grundbuchrichter, Hypotheken-
bewahrer u. s. w. Diese Beamten, namentlich
die Notare, können bei der Aussetzung oder Hinter-
legung von Urkunden sehr oft merken, wie es mit
dem Schuldverhältuis steht. Haben sie den Ver-
dacht, daß die Geschichte nicht sauber ist, so sollen
sie verpflichtet sein, die Sache sofort der Staats-
anwaltschaft zu übergeben. Für die Notare ist
dies allerdings keine besonders angenehme Auf-
gabe, aber wenn alle Notare gleichmäßig diese
Verpflichtung erfüllen, so hat keiner einen Schaden
davon.
Ein weiterer Vorschlag wäre der, daß die Straf-
gerichte, welche über einen Wuchersall aburtheilen,
zugleich auch über die Zivilstreitigkeit (das Schuld-
verbältniß) erkennen sollen. Auch dies wäre kein
geringer Vortheil. Das Strafgericht erfährt aus
der Voruntersuchung, von dem Bewucherten oder
sonstigen Zeugen und durch das Verhör des
Wucherers ganz genau, wie die Schuld des Be-
wucherten entstanden und wie sie allmählich ange-
wachsen ist. Das Strafgericht hat die Pflicht,
allen Praktiken der Wucherer nachzugehen, das Zi-
vilgcricht kann das gar nicht. Das Strafgericht
kann deßhalb auch besser als das Zivilgericht be-
urtheilen, wie viel der Schuldner von dem Wucherer
wirklich an Darlehen erhalten hat.

Zur wirtWaftlichen Lage.
Der schwere und in den weitesten Volkskreisen
gespürte Druck, welcher nun schon so lange auf
dem gesummten Erwerbsleben Deutschlands lastet,
will leider noch immer nicht weichen. Wohl lassen
sich in einzelnen industriellen und gewerblichen
Zweigen unlüugbar Ansänge einer Wendung zum
Besseren erkennen, aber im Großen und Ganzen ist
die wirthschastliche Lage in unserem Vaterlande nach
wie vor doch noch eine recht gedrückte. Diese fort-
dauernde Ungunst der Zeiten auf wirthschastlichem
Gebiete spiegelt sich zahlenmäßig in dem soeben
veröffentlichten Ausweise über den Ausfuhr- und
Einfuhr-Handel Deutschlands für das erste Halb-
jahr 1894 wieder, denn nach beiden Richtungen
hin nimmt sich der Ausweis, im Ganzen betrachtet,
unerfreulich genug aus. Die Ausfuhr hat in dieser
Epoche im Vergleiche zu dem entsprechenden Zeit-
raum des Vorjahres um ca. 96 Millionen Mark
abgenommen, während dieWaaren-Einfuhr aus dem
Ausland nach Deutschland im ersten Semester des
laufenden Jahres eine Zunahme von ca. 140 Mill.
Mark gegenüber der gleichen Periode des Vor-
jahres aufweist. Das Anschwellen der Einfuhr
sür das erste Halbjahr 18^4 betrifft hauptsächlich

Getreide und Vieh, die Zunahme in der Werth-
Einsuhr beider Artikel beträgt zusammen rund
116 Mill. Mark und es muß darum diese be-
trächtliche Zunahme wohl auf das Verlust-Conto
der deutschen Nationalwirthschaft gebucht werden.
Bedenklicher jedoch, als dieses Plus in der
deutschen Einfuhr ist offenbar das Minus von
96 Millionen Mark in der deutschen Ausfuhr.
Die Einfuhrzunahme Pro erstes Semester 1894
kann theilweise als eine wieder vorübergehende
Erscheinung bezeichnet werden, wie denn z. B. die
größeren Viehbezüge aus dem Auslande lediglich
als eine Folge des Futtermangels in Deutsch-
land im vergangenen Jahre zu betrachten sind.
Dagegen zeichnet sich in der Abnahme der Werth-
ausfuhr Deutschlands deutlich die vorhandene
wirthschastliche Misere ab. Die Hauptverlust-
träger bei dieser Einbuße von 96 Mill. Mark
sind die wichtige Textilindustrie und ihre ver-
wandte Zweige, also vornehmlich die Artikel
Baumwolle und Baumwollwaaren, Wolle und
Wollenwaaren, Seide und Seidenwaaren und
Leder und Lederwaaren. Es ist nach Lage der
Dinge auch kaum anzunehmen, daß sür diese
Industriezweige baldigst wieder eine Wendung
zum Besseren kommen könnte, sodaß sich die ge-
schäftliche Zukunft für die betreffenden Industrien
in nichts weniger als rosigem Lichte malt.
Freilich ergeht es auch anderen großen Industrie-
zweigen Deutschlands nicht besser, speziell tritt im
Eisengewerbe die ungünstige geschäftliche Conjunk-
tur merklich hervor.
Zu dieser fortdauernd erfreulichen Situation
in den wirthschaftlichen Gesammt-Verhältnissen
Deutschlands tragen indessen eine ganze Reihe
widriger Umstände vereint bei, nichts wäre ver-
kehrter, als die Schuld hieran lediglich nach einer
einzigen Richtung hin zu suchen, sie z. B. etwa
den neuen Handelsverträgen aufzubürden. Man
kann den letzteren einen gewissen Antheil bei der
Steigerung der Einfuhr nach Deutschland zwar
unbedingt zuschreiben, aber die eigentlichen Ur-
sachen der fortdauernden Depression auf Wirth-
fchastlichem Gebiete wurzeln denn doch wo anders.
Es sind die Geschäftskrisen der überseeischen
Ländern, hauptsächlich in Nordamerika, dann die
Silber-Calamität, weiter das eigene Emporkommen
ehedem von Europa und speziell von Deutschland
aus mit Jndustrieartikeln versorgter Länder —
Japan, Indien, Ausstralien, Nordamerika u. s. w.
— dann das Schutzzollstystem vieler Staaten,
endlich der im Sinken begriffene Jnlandskonsum.
Non der Beseitigung wenigstens eines Theiles
der genannten Erscheinungen hängt im Wesent-
lichen die Wiederbelebung des Geschäfts in Deutsch-
land ab, wann da aber die erhoffte Wendung

zum Besseren eintreten wird, dies entzieht sich
natürlich noch ganz der Berechnung. Jedenfalls
darf man erwarten, daß die deutsche Geschäfts-
welt den Muth nicht sinken lassen wird, deutsche
Ausdauer, Zähigkeit und Unternehmungslust haben
schon schlimmere Zeiten wieder überwunden.

Deutsches Reich.
Berli«, 21. August.
— Bei der auf den 20. August einberufenen
Sitzung der Reichs-Cholerakommiision
werden, wie die „Nat. Ztg." hört, die Berichte
zur Vorlage und Berathung gelangen, welche in
den letzten Wochen über den Verlauf der Cholera
aus dem Deutschen Reiche selbst und aus dem
Auslande eingegangen sind. Diese Berichte zeigen,
daß von der Cholera eigentlich bedroht nur der
Osten der preußischen Monarchie ist; indesfen
sind auch die bisher von dort gemeldeten Zahlen
verhältnißmäßig so gering und die dort sofort
getroffenen sanitären Maßnahmen haben einer
Weiterverbreitung der Seuche bisher so wirksam
entgegengearbeitet, daß zu einer Beunruhigung
kein Anlaß vorliegt. Immerhin lassen die ein-
gegangenen Berichte der letzten Wochen, die wir
zum Theil bereits mitgetheilt haben, doch erkennen,
daß die Erkrankungs- und Sterblichkeitsziffern an
Cholera eine geringe und langsame Zunahme auf-
weisen. Namentlich bezieht sich dies auf den
Kreis Johannisberg in Ostpreußen, auf das
Grenzstädtchen Gollup im Kreise Briesen, wohin
die Cholera über die russische Grenze eingeschleppt
wurde, ferner auf das Stromgebiet der Weichsel
und auf den Netze-Warthe-Distrikt. An die be-
drohten Orte sind bereits Medizinalbeamte ent-
sandt, es sind Desinfektions- und Quarantäne-
Einrichtungen getroffen, auch für das Oder-Gebiet
ein Reichskommissar ernannt, kurzum mit dankens-
werther Beschleunigung alle jene Maßregel n getroffen
worden, welche sich bei Bekämpfung der Cholera be-
reits in den letzten Epidemiejahren bewährt haben.
Nächst Rußland kommen für uns in diesem Jahre
die Niederlande als Choleraherd in Betracht.
Zwar ist bis jetzt nur ein vereinzelt gebliebener
Cholerasall in Köln vorgekommen, aber bei der
stetigen Zunahme der Cholera in Maastricht rc.
und bei dem regen Schiffsverkehr mit den Nieder-
landen dürften demnächst wohl Abwehrmaßregeln
auch für die Rheinlande geboten sein. Wie ver-
lautet, soll demnächst wieder ein Reich skom-
missar für das Stroyrgebiet des Rheins
ernannt werden; als solcher sungirte im ver-
gangenen Jahre Landrath Gescher.
— Das neueste Heft Nr. 62 der „Verhand-
lungen, Mittheilungen und Berichte" des Zentral-
verbandes deutscher Industrieller ist

Die verborgene Kcrnö.
Kriminal-Roman aus der neuesten Zeit
von E. von der Have.
13) (Fortsetzung.)
So vernehmen Sie denn: meine Mutter ist in der
vorherigen Nacht durch Gas erstickt ausgefunden worden.
Das Unglück will es, daß sie gerade tags zuvor das
unselige Brillantkollier, das erste, welches ich Ihnen
brachte, mir gab, um eine Ehrenschuld zu decken, welche
ich triftiger Gründe halber dem Vater nicht einzuge-
stehen wagte. Bei der Untersuchung von feiten des
Gerichts stellte sich heraus, als man den Juwelcnfchrank
Meiner Mutter öffnete, um zu sehen, ob nichts darin
fehle, daß die beiden Brillantkolliers, von denen die
Mutter mir eins gegeben, nicht auf ihrem Platze waren.
Es sind alte Familienerbstückc; ihr Werth ist darum
ein weit höherer, als irgend ein Mensch zahlen kann.
Der mysteriöse Todesfall der Mutter ließ die Beamten
sogleich die weitgehendsten Schlüsse ziehen. Sieglauben
selbstredend an den Raub der beiden Kolliers. Daß
Meine Mutter mir eins gab, um eine Schuld zu tilgen,
wissen sie nicht. Wer aber nahm das zweite und sandte
es Ihnen, um darauf den gleichen Betrag zu erheben,
den ich auf das. erste Kollier von Ihnen erhielt? Wer
that es? Wer konnte davon wissen? Welche ver-
borgene Hand ist hier im Spiele? Begreifen Sie jetzt
Meine Aufregung? Der geheimnißvolle Tod meiner
Mutter stürzte mich schon in ein Uebermaß von Ver-
zweiflung. Dieses neue Räthsel raubt mir alle Fassung,
alle Besinnung! Ich sage Ihnen das alles so ganz
vffen, weil nur die Wahrheit Sie die Situation m
ihrem vollen Umfang ermessen lassen kann. Wissen Sie
wirklich nichts — gar nichts, — keine Spur, die aus
den Thäter führt?
Der ehrenwerthe Herr Kranz hatte Muße gefunden,
nch zu fassen.
„Gnädiger Herr," stieß er aus, „ich habe Ihnen
vlles gesagt, was ich weiß. Den Schein aber habe ich
Nicht anders ausstellen können, wenn er mir Deckung

gewähren soll, und ich kann beim besten Willen die
Kolliers nur aus den Händen geben, wenn Sie mir ihn
unterschreiben, oder mir das Geld bringen. Lassen Sie
sich doch von Ihrem Herrn Vater das Geld geben.
Was für unsereins ein Vermögen, ist für ihn ja Baga-
telle, nur ein Namenszug auf einen Check. Ich will
Ihnen ja gern alles glauben, aber in Geldsachen hört
aller Glaube auf; da kommt es einzig auf das Soll
und Haben an. Nehmen Sie mir das nicht für ungut,
gnädiger Herr; der Markus Kranz kann nicht anders
handeln, bei Golt nicht!"
Hans hatte sich schwer gegen das Pult gelehnt,
starr vor sich niederblickend. Jetzt hob er die Lider und
unheimlich glühte es in seinen Augen.
„Sie wollen mir die Kolliers nicht geben ohne die
Unterschrift auf diesem Dokument, mit der ich eine Lüge
sanktionieren soll?" rang es sich schwer von seinen
Lippen.
Der andere sperrte sich, so viel er nur konnte.
„Gott ist mein Zeuge, ich kann es nicht!" zeterte
er. „Ich habe mein schwer verdientes Geld darauf hin-
gegeben und die Kolliers stehen hier so sicher, wie bei
Ihnen im Hause. S ie können jede Stunde haben.
Aber ohne Schein, — bei Gott, ich kann es nicht!"
„Und ich kann den Schein nicht unterschreiben,"
stieß Hans dumpf hervor, „weil es eine Lüge wäre!
Behalten Sie die Kolliers," fuhr er, sich aufraffend,
fort, „sie bieten Ihnen Sicherheit für den doppelten
Betrag. Ich werde meinem Vater die ganze Wahrheit
sagen und er wird sie gegen die Summe, welche ich von
Ihnen erhielt, bei Ihnen einlüsen."
In dem Gesicht des Händlers prägte sich Besorg-
niß aus.
„Sie empfingen auf das erste Kollier volle zehn-
tausend Mark," sagte er etwas unsicher. „Sie ertheilten
mir Quittung darauf!"
Hans konnte trotz seiner verzweifelten Lage ein
bitteres Lachen nicht unterdrücken.
„Die besitzen Sie, ja," sagte er, „das hindert mich
indeß nicht, daß ich meinem Vater völlig reinen Wein
einschenke und ihm nicht verheimliche, unter welchen Be-
dingungen Sie das Werk der Menschenliebe übten."

Er griff nach seinem Hut. „Sie werden von uns hören
und Ihre Zahlung empfangen. -Guten Morgen, Sie
Ehrenmann!" Damit schritt er hastig der Thür zu.
„Herr Volkheim — gnädiger Herr —" hielt der
andere ihn zurück. Hans wandte sein Gesicht; es war
hart und kalt wie Marmor. „Sie wünschen?" fragte
er sehr von oben herab.
„Daß Sie einem ehrlichen Menschen für seine Dienst-
willigkeit nicht mit Undank lohnen wollen—" Er stockte
vor des jungen Mannes Blick.
„Ich werde der vollen Wahrheit die Ehre geben,
der Wahrheit, die Sie hoffentlich nicht zu scheuen haben
werden!" schnitt er ihm kurz das Wort ah.
Damit verließ er rasch das Gemach und eilte über
die kleine Treppe und durch den Trödelladen auf die
Straße hinaus.
Mit Krallen der Verzweiflug hatte ihn, nachdem
sich diese Mission als verfehlt erwiesen, der Gedanke an
den Wechsel gepackt, welcher bereits in dieser Stunde
das Verderben auf sein Haupt herabbeschworen haben
konnte.
So stürmte er, ohne an den ferner wartenden
Wagen zu denken, durch die Gasse in entgegengesetzter
Richtung davon, nicht achtend auf alles um ihn her.
Er kam erst wieder zu sich, als er, nachdem er mehrere
Straßen durcheilt, sich plötzlich am Ufer des Flusses
sah, welcher hier ein weites Becken brloet und erst jen-
seits des Dammes, den eine mächtige Brücke verbindet,
seinen stolzen Lauf entfaltet.
Zahllose Böte lagen hier an mehreren Bootshäusern.
Weg von den Menschen, deren Anblick ihn anwiderte!
Das war der einzige Gedanke, welcher Hans beseelte.
So schritt er auf das erste der Bootshäuser zu und
miethete sich ein Boot. Der Mann mit der kupfer-
knöpfigen, blauen Jacke und der goldstreifumränderten,
blauen Mütze mußte ihn schon kennen. Er nahm sehr
devot von Hans Zahlung im voraus und beorderte
einen gleich ihm selbst gekleideten, keckblickenden Burschen,
den Herrn zu begleiten und das Boot znrückzubringen.
Hans ruderte selbst; er kümmerte sich kaum um
seinen Begleiter, der am Ruder saß und seinen Hellen
Blick über das Wasser schweifen ließ, welches die regel-

mäßig fahrenden Dampfböte, die den Verkehr mit den
Außenorken vermittelten, sowie zahlreiche Böte belebten.
Es war mehr mechanisch als mit Wissen, daß Hans
das Boot die gewohnte Richtung nehmen ließ. Wes-
halb kehrte er überhaupt zurück? Warum ließ er das
Boot nicht jähe Schwenkung machen, die für einen un-
glückseligen Zufall gelten konnte u. ihn herausriß aus dieser
nichtswürdigen Komödie, die sich Leben nannte und die
doch im Grunde nichts anderes war als ein Lug,
ein grausamer Lug und Trug?
Was harrte seiner? Er wußte es nicht- Dachte
er überhaupt etwas? Er sah nur im. Sonnenschein
die glitzernde Wasserfläche und scbte die Ruder ein,
Stoß um Stoß, Schlag um Schlag, nut automaten-
hafter Gleichmäßigkeit, kaum wissend, daß er es that.
Und am Steuer saß der hübsche, blauäugige Bur-
sche des Bootsvermiethers und seinen Hellen Augen
entging nichts. Nicht im mindesten fiel ihm auf, daß
der andere kein Wort zu ihm sprach- -s)a^ war er ge-
wohnt an diesen geldstolzen jungen Leuten, welche auf
ihren ererbten Besitz pochen und sich zu hochstehend
dünken, um mit Niedriggestalten ein Wort zu wechseln.
Dennoch haftete sein Blick wiederholt auf ihm. Sein
ausnehmend schönes Gesicht, seine elastischen Bewegun-
gen fesselten und er sagte sich mit Bedauern, daß ein
Seemann an demselben verloren gegangen sei. Aber
je näher sie dem aartenberranzten Ufer kamen desto
mehr schweifte sein Blick dorthin und er sah die präch-
tigen Villen durch das schon fahle und gelichtete Laub
der Bäume schimmern; er sah die hübschen Pavillons
am Ufer der vielfach terrassenförmig angelegten
Gärten; er sah die Bote hinter denselben sich an den
Anlegeplätzen schaukeln und er sah auch ein Boot, das
unter den tief ^rabhangeuden Weiden versteckt lag und
in welchem fich^u Mensch befand. Beim Heran-
nahen des Booten verschwand er aus dem still liege-'
den Fahrzeug im Dunkel der Weiden. Und
auf den Garten, hinter welchem jene das Ufe-
ten, schoß Pas von dem schweigsamen Jill
Boot zu. Zwei Minuten später legte
treppe mit den Löwenköpfcn zu b"
der junge Mann sprang ans
 
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