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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) (2) — 1894

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Nr. 211 - Nr. 220 (10. September - 20. September)
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Nummer 218. H. Jahrgang.

Aeuev

Dienstag, 18. September 1894


General-GAMiger

für Heidelberg nnd Umgegend

Jnsertionöprciör
die Ispaltige Petit,eile oder deren Raum S Pfg.,
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Expedition: ^cruptftrcrße Mr. 25.

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mit «fettigem tllustrirtem Sonntagsblatt: monatlich
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Verlag und Redaktion
des Neuen General-Anzeiger.
Rivalität zwischen England und
Frankreich.
Gleichzeitig mit den Nachrichten von einem
zwischen England und Italien angeblich verein-
barten gemeinschaftlichen Unternehmen gegen den
Mahdi, welches im November d. I. ausgeführt
würde, ist auch ein Abkommen bekannt geworden,
welches England mit China über die Grcnzvcr-
hältnisse und den Grenzverkehr zwischen Tibet und
der südwestlichen chinesischen Provinz Jünnan
einerseits und Birma anderseits getroffen hat.
Mit dec Sudan-Expedition mag es sich etwas
anders verhalten, als angegeben worden ist, aber
die Thaisachen der Besetzung Kassalas durch ita-
lienische Truppen, der Verschiffung von englischen
Truppen und Kriegsmaterial von Cypern und
Malta nach Suakin, der Lieferung von Waffen
und Munition von englischer Seite an die dem
Mahdi feindlichen Beduinenstämme, weisen darauf
hin, daß ein Vorstoß nach dem Süden beabsich-
tigt wird. Die Tendenz desselben wird aber mehr
gegen Frankreich als gegen den Mahdi gerichtet sein,
wie auch der englisch-chinesische Vertrag seine Spitze
gegen Siam und Tonkin kehrt.
In Afrika wie in Hinterindieu ist die Thätig-
keit Frankreichs eine so fieberhafte, daß sein Ri-
vale keine Zeit verlieren darf. Die Franzosen
haben durch die Auseinandersetzung mit dem Kongo-
staate den Weg von ihrem Konkogebiete nach dem
Nil u. uordwärts in die Südländerfrei erhalten. Eng-
land hat sich die Sudanländer Kordofan, Wadai
und Dafür durch den Vertrag mit dem deutschen
Reiche als britisches Einflußgebiec bestätigen lassen,
aber die Republik wird darüber anders denken,
und da sie schnell zu handeln Pflegt, so hat
die Absicht der Engländer und Italiener, ihr zu-
vorzukommen, innere Wahrscheinlichkeit.

Den italienischen Finanzen wäre es gewiß
zuträglicher, swcnn von afrikanischen Kriegszügen
Abstand genommen würde, und die englischen
Truppen mögen nicht verlangen, nach Kartum
und El Obeid ihre Knochen zu tragen. Allein
das finanzielle Risiko kann an Italiens Stelle
England tragen, und die Zahl der Europäer,
welche mit den Miethstruppen marschiren, braucht
nicht groß zu sein. Man darf annehmen, daß
der Ehrgeiz des Khedive, welcher mehrfach seinen
lebhaften Wunsch, daß die Sudanländer zurück-
erobert würden, ausgesprochen hat, von den Eng-
ländern klug benutzt wird, und daß sie mit ihm
ein Abkommen getroffen haben, welches, wenn
die Expedition unter Mitwirkung egyptischer
Truppen erfolgreich ist, England und Italien
volle Gewähr bietet, daß der Vizekönig ihre In-
teressen nicht beeinträchtigt. Die Wiedereröffnung
der alten Handelsstraße aus dem Sudan nach
Unteregypten würde allen Betheiligten große Vor-
theile gewähren. Auf eine freundliche Einigung
mit der egyptischen Regierung ist England auch
deßhalb angewiesen, weil es für seine Ansprüche
auf das Gazellenland, welches für kurze Zeit dem
Kongostaate überlassen war, dem französischen
Widerspruche und Wettbewerbe gegenüber eines
Rechtstitels bedarf.
Dieselbe britische Taktik, welche den Vertrag
mit dem Kongostaate geschaffen hat, sehen wir
befolgt in dem Abkommen mit China. Auch
hier tritt England Landstrecken ab, um China
gegen Frankreich zu engagieren, und um selbst
gedeckt zu sein. Gleichzeitig erhielt England
werthvolle handelspolitische Zugeständnisse, welche
ihm den Vorsprung vor Frankreich in Jünnan
sichern. Die Rivalität Englands und Frankreich
sichert den Frieden in Europa, denn zwischen den
beiden Weltmächten kann es nicht zum Kriege
kommen. Die Engländer wollen ihn nicht, und
die Franzosen, so sehr sie auch wegen eines Vor-
theiles des Nachbars sich erhitzen mögen, sind
schnell abgekühlt durch einen Blick nach den Vo-
gesen. Auf den Freund an der Newa wird für
kriegerische Eventualitäten nicht mehr gerechnet.

Das neue Waarenschutz-Gesetz.
In dem gewaltigen Concurrenzkampfe der Neu-
zeit hat jede renomirte Fabrik und jedes bedeutende
Handelshaus ein großes Interesse daran, diejenige
Waare, welche sie mit gewissen guten Eigenschaften
Herstellen oder vertreiben lassen, vor Nachahmungen
und Täuschungen von Seiten der Concurrenten zu
schützen. Gewöhnlich geschah dies bisher durch
Anwendung einer Handelsmarke, welcher ein gesetz-
licher Schutz eingeräumt wurde. Da nun aber
der Waarenschutz nicht nur durch die Schutzmarke,

sondern auch noch durch andere Mittel der Fabri-
kanten und Kaufleute vollzogen wird, so hat sich
eine Reform des Waarenschutzgesetzes nöthig gemacht
welcher mit dem 1. Oktober d. I. in Kraft tritt
und für alle Handel und Gewerbe treibenden Per-
sonen sehr wichtige Neuerungen enthält. Nach
dem neuen Gesetz gibt es nicht nur Schutzmarken,
sondern sämmtliche Waarenzeichen, wie Marken,
Etiquetten, Wortzeichen, Devisen u. s. w. können
zum gesetzlichen Waarenschutz verwendet werden,
wenn sie bei dem kaiserlichen Patent-Amte in Berlin
welches vom 1. Oktober ab als Waarenzeichen-
Centralstelle fungirt, angemeldet werden. Das
Patent-Amt prüft jede Anmeldung in Bezug auf
ihre gesetzliche Berechtigung und hat das Recht,
Anmeldungen, welche mit bereits bestellenden Schutz-
marken und Waarenzeichen Verwechselungen hervor-
zurufen im Stande sind, abzulehnen.
In Confliktfällen können Inhaber collidirender
Waarenzeichen ihre Berechtigung, bezw. ihr allei-
niges Recht durch gerichtliche Klagen herbeiführen.
Phantasieworte sind auch schutzfähig, nur dürfen
sie nicht die Waare nach Ort, Zeit, Beschaffenheit
Maß und Gewicht bezeichnen. Verpackungsarten
und Ausstattungsformen sind nur dann schutzfähig,
wenn in denselben das Publikum die Zeichen ge-
wisser charakteristischer Eigenschaften einer Waare
erblickt. Damit wird aber auch der Nachahmung
gewisser renomirter Verpackungsarten ein Riegel
vorgeschoben.
Verboten sind ferner nach dem neuen Waaren-
schutzgesetze unrichtige, also auf Täuschung des
kaufenden Publikums berechnende Angaben über
den Ursprungsort der Waare, doch macht das Gesetz
die Strafbarkeit dieser falschen Angabe von der
Absicht der Täuschung über die Beschaffenheit der
Waare abhängig. Wichtig ist schließlich noch, daß
der Bundesrath nach dem neuen Gesetze ermächtigt
ist, gegenüber denjenigen Staaten, welche der
deutschen Waare bei der Einfuhr besondere Waaren-
bezeichnungen auferlegen, Gegenmaßregeln zu er-
greifen.
Deutsches Reich.
Berlin, 18. September.
— Trotzdem die deutschen Grenzen gegen Ruß-
land für die russischen Juden wahrend des
ganzen Jahres 1893 gesperrt waren, sind dennoch
in dieser Zeit 11732 russische Juden von Ham-
burg nach Amerika befördert worden, wie dem
neuen Jahresberichte der Hamburger Behörde für
das Auswanderungswesen für 1893 zu entnehmen
ist. Trotz der Sperre sind viele Personen in
erster oder zweiter Eisenbahnwagenklasse oder auf
Schleichwegen nach Deutschland gelangt. Erst von
Mitte Juni an wurden diese Juden vom Ham-

Me verborgene Knnö.
Kriminal-Roman aus der neuesten Zeit
von E. von -er Have.
38 (Fortsetzung.)
Des jungen Mannes Stimme ward so gedämpft,
daß Jertha die Worte nicht verstand.
„Wie wäre das zu machen?" fragte Dr. Rogge
gleich darauf laut und klar zurück.
„Nichtseinfacher als das," erklärte der junge Mann
wie zuvor. „Der alte Johann muß sich krank melden,
indes einen vertrauten Freund empfehlen, der ihn ver-
treten will; dieser Freund muß unser Mann sein."
„Und was soll der?"
„Die Frau mit der Schutzbrille überwachen ! Aus
allem, was Sie mir mitgetheilt haben, hat sie mein
Hauptinteresse erregt."
Der ältere Mann überlegte.
„Du könntest nicht so ganz unrecht haben," sagte
er. Hm, dein Plan ist nicht schlecht. Wenn wir ihn
ausführten!"
Alex hatte sich erhoben und war ans Fenster ge-
treten. Er ließ seinen Blick hinausschweifen auf die
alten, baufälligen Häuser und die kleinen Gärten
zwischen demselben, welche in ihrer Blatt-und Blüthen-
lofigkeit erst so ganz ihre Nichtigkeit darthaten.
„Perloren ist nichts dabei", sagte er. „Der alte
Johann scheint mir ein ganzes Studium zu fein. Mich
wundert nur, daß dieser Falb ihn nicht längst einmal
ins Betrauen gezogen hat."
Auch Dr. Rogge stand auf.
„Du kannst recht haben, Alex," wiederholte er.
„Ich möchte deinen Plan fast genial nennen. Ich
werde mir Falb kommen lassen und ihm deine Idee
mittheilen. Vielleicht führt dieselbe sogar zur Ent-
deckung der verschwundenen Tochter des Hauses!"
Jertha hörte nichts mehr. Wie ein Brausen
schwirrte es ihr vor den Ohren. Gleichsam aus weiter
Ferne hörte sie, wie nach einiger Zeit die Thür des
Nedengemachs geschlossen ward wie Alex, ins Gemach

zurücktretend, dasselbe durchkreuzte mit ruhelosen Schrit-
ten; offenbar hatte er die offene Zwischenthür völlig
vergessen.
„Liebes Kind, was ist Ihnen?"
Frau Wilsemann's Stimme war es, welche Jertha
aus einer Halden Bewußtlosigkeit aufschreckte. Wie
lange sie in demselben zugebracht, sie hätte es nimmer
zu sagen vermocht.
„O, nichts, nichts!" stammelte sie, mit Anstren-
gung sich aufraffend. „Es war das Geschehene, dessen
Erinnerung mir alle Kraft raubte!"
„O, mein armes, armes Kind!" flüsterte Frau
Wilsemann, die Arme in mütterlicher Zärtlichkeit um
des jungen Mädchens Hals schlingend.
„Es war jemand bei Ihrem Sohne, — die Thür
mußte nicht fest geschlossen sein, — ich hörte, was sie
sprachen!" stammelte sie nnznsmmenhängend, indeß
ihre Arme sich von dem Halse der Matrone lösten und
schlaff ihr zur Seite niedersanken. „Es betraf den ge-
heimnißvollen Tod meiner Mntter!"
Frau Wilsemann erschrack sichtlich.
„Welches Verhängniß!" flüsterte sie. „Und doch,
wie einfach! Mein liebes Kind, ängstigen Sie sich
nicht; niemand ahnt etwas, am wenigsten Alex, der
jahrelang fort war und Sie nicht kennt. Wenn wir
recht vorsichtig sind, so Haden Sie nichts zu befürchten,
es sei denn, Sie selbst wünschen in das Vaterhaus
zurückzukehien."
„O, nein, nein, um keinen Preis!" stieß Jertha
aus. „Aus dem, was ich hörte, Weitz ich aber jetzt,
daß ein furchtbarer Verdacht obwaltet, ein Verdacht,
der sich gegen Hans, meinen Bruder, richtet!"
Frau Wilsemann ergriff des jungen Mädchens
Hand.
„Lassen Sie sich das nicht anfechten," sagte sie.
„Ihr Bruder ist weit fort, also in Sicherheit —"
„Aber er ist nicht schuldig, er kann nicht schuldig
sein!" unterbrach Jertha sie. „O, könnte ich den
Schleier lüften, welcher die Wahrheit verhüllt, freudig
wollte ich mein Leben dafür lassen!"
Das Anziehen der Glocke draußen tönte schrill in

die momentane, tiefe Stille hinein, welche des jungen
Mädchens Worten, wie das Schweigen in der Natur
dem Sturme, gefolgt war.
Die Wohnungsthür wurde geöffnet, von der alten
Dienerin aus dem dritten Stockwerk, welche eben an-
wesend war; es entspann sich ein kurzes Gespräch
draußen; dann ward die Eingangsthür wieder ge-
schlossen.
In der folgenden Minute klopfte es.
„Herein!" rief Frau Wilsemann.
Das alte, runzelige Gesicht der alten Doris kam
zum Vorschein.
„Ach, Madame," sagte »sie, „da ist ein Herr, der
will das Fräulein sprechen."
Jertha war bis in die Lippen erblaßt, ihre Hand
tastete nach der Kante des Tisches, neben welchem
sie stand.
Frau Wilsemann hingegen bewahrte vollkommen
ihre Fassung.
„Das Fräulein, Doris?" wiederholte sie. „Da
irrst du dich doch sicher! Wer sollte das Fräulein,
das hier fremd ist, aufsuchen?"
Die Alte machte ein kluges Gesicht.
„Der Herr scheint auch ein Fremder zu sein,"
sagte sie. „Ich habe ihn in die blaue Stube geführt!"
„Ich werde gleich kommen!" beschick Frau Wilse-
mann die Dienerin resolut. „Jertha, beunruhigen Sie
sich nicht. Wenn der Mensch Ihnen gefährlich ist,
bekommt er Sie nicht zu sehen."
Sie verließ das Gemach, und in athemloser Angst
beide Hände gegen das znm Zerspringen klopfende Herz
gepreßt, sank Jertha auf ihren Sessel zurück, ahnungs-
los, daß in dem Nebenraume ein anderes Menschen-
kind sich gleichsam nicht zu rühren wagte unter der
erdrückenden Last besten, was er hören mußte.
„Ist Sie es?" Es war die einzige Frage, die sein
Inneres durchgellte. „Ist sie es? Mein Gott, kann
sie es sein?" . . .
Wie abgestorben für alles um sie her, lag Jertha
in ihrem Sessel, als der Eintritt Frau Wilsemann's
sie gewaltsam aufrüttelte.
„Sie müssen selbst kommen," sagte sic zaghaft.

burgischen Staatsgebiet polizeilich zurückgewiesen.
Viele russische Juden fuhren von Hamburg aus
nicht im Zwischendeck, sondern in zweiter Kajüte,
um der strengen gesundbeitspolizeilichen Ueber-
wachung, wie sie für die Zwischendecks-Passagiere
besteht, zu entgehen.
— Aus Anlaß der aus landwirthschaftlichen
Kreisen vielfach beim Reiche eingegangenen Klagen
über erhebliche Schädigungen durch angeblichen un-
lauteren Wettbewerb der Margarinefabrikanten
wird jetzt in landwirthschaftlichen Handelskreisen
einiger Landestheile folgende Umfrage veranstaltet:
1) Welche Erfahrungen sind im Allgemeinen bei
der Handhabung des Gesetzes gemacht und nach
welcher Richtung ist das Gesetz als abänderungs-
fähig befunden worden? 2) Ist eine regelmäßige
Kontrole des Handels mit Butter und Margarine,
namentlich auf den Wochenmärkten, eingeführt?
3) Sind Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz be-
kannt geworden und mit welchem Erfolg ist dagegen
eingeschritten? 4) Welchen Umfang hat die Jahres-
produktion von Anstalten zur Herstellung von
Margarine und Margarinekäse? 5) Ist im All-
gemeinen ein Sinken oder ein Steigen des Preises
für Naturbutter seit dem Erscheinen der Margarin-
Erzeugnisse wahrgenommen?
Varzin, 16. Sept. Die Theilnehmer an der
Huldigungsfahrt zum Fürsten Bismarck aus der
Provinz Posen trafen heute 12 Uhr mit Sonder-
zug in Station Hammermühle ein. Der Altreichs-
kanzler hatte 45 Wagen für die älteren Theilnehmer
gesandt. Der Rest ging zu Fuß im Festzuge nach
Varzin, eine Militärkapelle an der Spitze. Bei
sonnigem Wetter langte der Festzug in Varzin an.
Fürst Bismarck trat mit seiner Familie auf die
Terrasse und wurde mit Hochrufen begrüßt. Der
Landes - Oekonomierath Kennemann verlas eine
Adresse, in welcher Fürst Bismarks Verdienste in-
sonderheit um die Deutschwerdung der polnischen
Landestheile betont wurden. Als Antwort hielt
Fürst Bismarck eine längere Ansprache, in welcher
er nach dem Ausdrucke des Dankes zu festem
Zusammenhalten ermahnte. Wenn der Kaiser ge-
sagt habe, daß Elsaß-Lothringen um keinen Preis
aufgezeben werden solle, so gelte dies in erhöhtem
Maße von der Provinz Posen. Eher könnten wir
noch das Elsaß entbehren, denn wie ein Feind in
Straßburg und Metz stets München und Stuttgart
bedrohen würde, so würde ein etwaiges polnisches
Reich stets Berlin bedrohen. Eine Gefahr, daß das
Polentum siege, sei nicht vorhanden. Viel läge es
an der polnischen Geistlichkeit, daß keine Ruhe im
Lande sei, aber noch mehr am Adel. Gegen den
polnischen Adel sei zu kämpfen durch Zusammen-
halten der deutschen Elemente. Er hoffe auf einen
Erfolg und wünschte nur, die entmutigen zu können,
„Ich kenne den Menschen nicht, er will auch seinen
Namen nicht nennen und ich würde ihn ohne weiteres
fortgeschickt haben, wenn er nicht behauptet, in betreff
Ihres Brudes Ihnen etwas zu sagen zu haben, was
er indeß nur Ihnen vertrauen will!"
Jertha hatte sich aufgerichtet; mit der Hand mußte
sie sich stützen, während ihre Augen einen gläsernen
Ausdruck annahmen.
„Er weiß also, wer ich bin?"
Die Matrone nickte. „
„Ja," sagte sie, „und das bewog mich eben, ihn
nicht fortzuschicken. Wollen Sie ihn sprechen oder
nicht?" ,
Die Gefahr stählte, wie so oft, Jertha's Muth.
Ja, ich will, ich muß ihn sehen, sagte sie.
„Besser, ich schaue der Wahrheit offen ins Auge als
noch mehr des Geheimnißvollen zu ertragen. Wollen
Sie mich begleiten?" .
„Er will Sie allein sehen, nnr Ihnen allein
das sagen, was ihn hierher fuhrt.
Jertha erbebte, trotz aller Willenskraft, aber sie
faßte sich schnell. ..
„Sei es denn!" ss"mAst-' Rii zu allem
bereit, was es auch ist! ^iw lenne nur eine Lebens-
aufgabe noch und die ist : den gehxiainißvollen Tod
meiner geliebten Mutter zu enthüllen!"
Festen Schrittes kreuzte sie den Korridor; vor der
Thür zu dem NP?,ZEsner aber stockte ihr Fuß
unwillkürlich- Weßhalb erfaßte es sie wie ein Schau-
der? Wie ein Schauder, der das Opfer vor seinem
Henker befallen mag.
Ihre Ha"d- die bereits auf dem Drücker lag, bebte
heftig; dadurch IPrang die Thür auf und so gezwungen,
mit Gewalt stw zu überwinden, überschritt sie die
Schwelle, trat sie in das Gemach und dem entgegen,
was ihr bcvorstand, — dem Ungewissen, das — ihr
Verhängniß — sie erwartete.
21. Kapitel.
Ein zweiter Koup.
Im ersten Moment, nachdem Jertha die Schwelle
überschritten hatte, sah sie nichts; wie ein grauer Nebel
 
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