Nummer 279. H. Jahrgang.
Mittwoch, 28. November <894.
General-GAnmger
Expedition: ^cnrptttratze Mr. LS.
Expedition: Hauptstraße Mr. LS.
GeLessMftES VLatt im SLerdL m. ArrrL HeideMe^g rrird NMTDSHend. Grstztsr GvfsLs fÜV Inserate
Abonnementspreis r
mit Sseitigem tlluSrtrte« Sonutagrblatt: monatlich
LS Pfennig frei in'S HauS, durch die Post bezogen
vierteljährlich 1 Mark ohne Bestellgeld.
Jnsertionspreisr
die Ispaltige Petttzeile oder deren Raum S Pf-.,
für auswärtige Inserate 10 Pfg., bei öfterer Wieder-
holung entsprechender Rabatt.
für Heidelberg und Umgegend
(Würger-Zeitung).
IE Telephon-Arrfchlrrk Nr» 108.
Um 34 W.
für den Monat VszsiltbSV kostet der
Neue
General -Anzeiger
für Heidelberg und Umgegend
(Bürger-Zeitung)
nebst Jllustr. Sonntagsblatt am Po st schal ter
abgcholt.
(VomBricfträger in'S Haus gebracht 13 Pfg mehr.)
In Heidelberg und den nächsten Orten der
Umgebung kostet der „Neue General-Anzeiger
für Heidelberg und Umgegend"
monatlich nur 40 Pfg.
frei in s Haus.
Bestellungen werden von unfern Trägern und
Trägerinnen, sowie von allen Po st an st alten
forwäbrend angenommen.
Das Ende des ostafiatischen Krieges.
Es ist ein Eigenes um Völkersympathien.
Die eine Nation mag thun und treiben, was sie
will, jede ihrer Lebensäußerungen vermehrt die
Sympathien für sie. Die andere mag sich mühen,
wie und lassen, was sie will, sie wird dem Fluche
der Unbeliebtheit nicht entgehen. Die Richtigkeit
dieser Behauptung wird gegenwärtig wieder durch
das Verhalten der internationalen Sympathien
gegenüber China und Japan beobachtet.
Seit Jahrhunderten besteht ein reger Verkehr
zwischen den europäischen Völkern und den Chi-
nesen einerseits, den Japanern anderseits. Europa
anerkannte die uralte Kultur der Chinesen, schätzte
ihr Porzellan, ihre Tusche, ihre Seide und ihre
Bronzen. Aber sympathisch sind die bezopften
Söhne des Reiches der Mitte den Völkern kauka-
sischer Rasse uie geworden. Als Japan auf dem
Weltmärkte erschien, eroberte es sich mit einem
Schlage die Freundschaft der Nationen Europas
und Amerikas. Dieses zweifache Maß der Sym-
pathien gegenüber Japan und China brachte cs
mit sich, daß alle Völker ohne Ausnahme geistig
Partei für die Japaner ergriffen, obgleich diese
im Grunde genommen den Krieg mit China vom
Zaune gerissen haben. Selbst die öffentliche
Meinung Englands stand und steht auf ihrer
Seite, trotzdem die englische Regierung die In-
teressen Albions in Ostasien in der intakten Er-
haltung Chinas am sichersten gewahrt erachtet.
In Folge dessen werden die Nachrichten vom
ostasiatischen Kriegsschauplätze in Europa und
Amerika mit unverhältnißmäßigem Interesse ge-
lesen und jeder Erfolg der Japaner, der ja übrigens
ein Erfolg der westlichen Civilisation ist, wird wie
der Sieg eines connationalen Staates begrüßt.
Man wünscht Japan den Sieg und gönnt ihm
die volle Ernte seiner Siegessaat. Und diese
ist allem Anscheine nach der Reise nahe gediehen.
Wie eine Depesche aus Tientsin meldet, ist
der dortige Zolldirektor Detring nach Japan ab-
gereist, um wegen der Friedensbedingungen zu
unterhandeln. Nach der gegenwärtigen, im Nach-
stehenden geschilderten Sachlage kann man wohl
auf einen Erfolg des Vermittlers rechnen, voraus-
gesetzt, daß die Chinesen mürbe genug sind, um
die janischen Forderungen voll und ganz zu er-
füllen. Bisher ist China nur zu pekuniären Zu-
geständnissen bereit. Die chinesische Regierung
bietet den Japanern 100 Millionen Taels —
eine schöne Summe — etwa fünfhundert Mill. Mk.
und den Ersatz der Kriegskosten an. Die Unab-
hängigkeit Koreas scheint sie stillschweigend zuzu-
geben. Allein die Japaner wollten sich ohne
eine Landabtretung nicht zufrieden geben und
fordern die Insel Formosa als Preis ihrer Blut-
arbeit. Davon aber will China bis jetzt nichts
hören. Der Ausgang der Verhandlungen hängt
also davon ab, ob die chinesische Regierung auch
in Bezug auf die Abtretung der Insel Formosa
mürbe genug für den Frieden ist, oder ob sie in
die erwünschte Stimmung erst durch weitere Er-
folge Japans gebracht werden muß.
Nachdem Port Arthur gefallen, wird Zoll-
direktor Detring mit seiner Mission als Friedens-
engel voraussichtlich leichtes Spiel haben.
Fürstin Johanna v. Bismarck f.
Varzin, 27.Nov. Die Fürstin Bismarck
ist heute früh um 5 Uhr gestorben. Graf
Herbert Bismarck ist Nachts hier eingetroffen, die
übrigen Familienangehörigen und Verwandten werden
erwartet. Ueber die Beisetzung ist noch nichts
bekannt.
Die Meldungen von dem immer mehrBesorg-
niß erregenden Zustand der Fürstin Bismarck fießen
in diesen Tagen das Schlimmste befürchten. Nun
ist es eingetreten: Die treue muthige Lebensge-
fährtin des großen eisernen Kanzlers, die ihm durch
47 lange Jahre eine starke Stütze, eine tüchtige
Hausfrau, eine Mttratherin und Mitsorgerin war
in mancher schweren Stunde, die ihm stolz und
dennoch bescheiden zur Seite stand in den Tagen
des Glückes, der Triumphe, die auch jene Jahre der
Schwere mit ihm zusammenempfunden, als zwischen
dem Kaiserschlosse zu Berlin und den Gutshäusern
im Sachsenwalde und in Varzin eine Entfremdung
stattgefunden, — Fürstin Johanna v. Bismarck
weilt nicht mehr unter den Lebenden.
Gewaltig schwer muß es dem greisen Fürsten
den Nacken beugen, der aufrecht blieb in allen
Zeiten des Leides.
Das grausame Geschick, von der Begleiterin
seines thatenvollen Lebens scheiden zu müssen, wird sein
Herz schmerzvoll treffen. Es ist ein Achtzigjähriger,
von dessen Seite die Siebzigjährige gerissen wird.
Wohl hatte der Fürst das Fortschreiten des Leiden-
seiner Gattin bangen Auges lange verfolgt und sich
wehmüthig im letztvergangenen Sommer darüber
geäußert. Aber nicht minder schwer wird ihn das
herbe Ereigniß, ob auch längst gefürchtet, darnicdcr-
drücken.
Die Fürstin Johanna v. Bismarck war eine
geborene v. Puttkammer, die Tochter eines
frommen Hauses, selbst gottesfürchtig erzogen und
lebhaften Geistes. Bekanntlich waren, als sie den
Eltern ihre Liebe zu dem tollen Junker Bismarck
auf dem Kniephof gestand, dieselben im Anfang
wenig geneigt, sie dem Ungestümen anzuvertraucn,
aber der Tochter Liebe und Standhaftigkeit über-
wandt jeden Wiederstand, schon damals, und hat
sich auch für die Folgezeit bewährt.
Es ist bekannt, wie Bismarck seine Gattin
hochgestellt, wie er auch manche politischen Sorgen
ihr anvertraut und namentlich aus seinen Briefen,
die er ihr als Bundestagsgesandtcr ec. schrieb, geht
cs hervor, wie er sich daran gewöhnt hat, gleich
einem ebenbürtigen verständnißvollen Freunde ihr
alle seine Beobachtungen anzuvertraucn. Drei
Kinder hat die Fürstin ihrem Gatten geschenkt:
Gräfin Marie (geb. 21. August 1848), bekanntlich
vermählt mit dem Grafen Rantzau, Graf Herbert
(geb. 28. Dezember 1849) und Graf Wilhelm
(geb. 1. August 1852).
„Mit echter Frauenhand", so schrieb einmal ein
Biograph über sie, „schuf die Fürstin ihrem Gatten
überall, wo sein Beruf ihm längeren Wohnsitz an-
wies : im alten Herrenhaus über dem Park von
Schönhausen, in der Gartenvilla zu Frankfurt, im
Gesandtschaftshotel an der Newa, dann im Aus-
wärtigen Amt und im Reichskanzlerpalais zu Berlin,
zuletzt in dem Schlößchen zu Varzin und im Sachsen-
walde, ein Heim, das Behagen und wohlthuende
Wärme athmete . . . . "
Nun ist sie dahingeschieden, die des Hauses
Bismarck „Licht und Ehre" war.
DeMMsS Keich.
Berlin, 28. November.
— Die „Nordd- Allg. Ztg." erklärt gestern
ihre Mittheilung, cs bestehe die '.Absicht, dem
Reichstage beim Zusammentritt nur die Um-
sturzvorlage zugehen zu lassen, nach näheren
Erkundigungen für irrthümlich. Man habe viel-
mehr allen Grund anzunehmen, es werde an der
bisherigen Uebung festgehalten werden, wonach
dem Reichstage beim Beginne der Tagung sämmt-
liche bis dahin fertigen Vorlagen, also namentlich
dem Etat, sogleich überwiesen werden.
— Die „Nordd. Allg. Ztg." bezeichnet die
Blättermeldung, der Reichskanzler Für st
Hohenlohe habe seine Amtsthätigkeit mit eine:
Rundreise an die süddeutschen Höfe begonnen, als
unrickftig. Sie sagt: Der Reichskanzler ging über
München, wo er seine Gemahlin traf, nach Straß-
burg, um den Umzug anzuordnen und sich im
Reichsland zu verabschieden; daß er während seines
zweitägigen Aufenthalts in München dem Prinz-
regenten seine Aufwartung machte, war eine Höf-
lichkcitSpflicht. Eine andere Absicht lag nicht vor.
Bei einer „Rundreise an den süddeutschen Höfen"
wäre der Reichskanzler auch nach Stuttgart gegangen.
Der Besuch beim Großherzog von Baden war ledig-
lich ein Abschiedsbesuch, dessen Anlaß durch die
vielfachen nachbarlichen Beziehungen des Statthal-
ters z>'m großherzoglich badischen Hofe gegeben war.
— Der Führer der bayerischen Sozial-
demokratie ist die Antwort auf die Angriffe
des Abgeordneten Bebel nicht schuldig geblieben. Wie
aus München berichtet wird, sprach dort vorgestern
Herr v. Vollmer in dem von Zuhörern überfüllten
Saale über seinen Streit mit Herrn Bebel. Er
sagte, so, wie es Bebel mache, dürfe es in der
Partei nicht weiter gehen; man erkenne seine Ver-
dienste um die Partei an, aber er müsse es lassen,
Andere meistern zu wollen, und sich damit begnügen,
ein Gleicher unter Gleichen zu sein. Die Ver-
sammlung zollte dem Redner anhaltenden Beifall
und nahm eine Resolution an, welche das Vor-
gehen des Abgeordneten Bebel mißbilligt.
Karlsruhe, 27. Nov. II. KK. HH. der
Großherzog und die Großherzogin hatten die Ab-
icht, sich nach Weimar zu begeben, um persönlich
Ihr Beileid den trauernden Eltern des Erbgroß-
herzogs kundzugeben und sich an der Beisetzungs-
eier zu betheiligen. Aus Rücksicht für die hohen
Leidtragenden verzichteten II. KK. HH. auf
fieses Vorhaben und es wird nun S. K. H. der
Erbgroßherzog seine hohen Eltern bei dieser
Trauerfeier in Weimar vertreten. Der Erbgroß-
herzog verläßt Freiburg morgen, Mittwoch, früh
5 Uhr, hält sich von halb 9 bis 10^ Uhr in
Baden-Baden auf und kann dann Abends 8 Uhr
in Weimar eintreffen. Heute Vormittag nahm
S. K. H. der Großherzog den Vortrag des Lega-
tionsraths Dr. Frhrn. von Babo bis 1 Uhr ent-
gegen, Nachmittags trifft der kommandirende
General des 8. Armeekorps, Generaloberst der
Gesucht unö Gefunden.
Roman von Hermine Frankenstein.
50) (Fortsetzung.)
„Ei, meine Liebe, hat es Dir Armand Elliot
nicht gesagt?" fragte der Graf. „Hat Dich Bat-
hurst nicht davon verständigt, wer der Nächste nach
wir zur Grafenwürde von Tregaron bestimmt ist?"
„Niemand hat wir ein Wort gesagt, Papa",
log Maya. Walter sprach nie ein Wort über diese
Angelegenheit. Soll er also Dein Nachfolger sein?"
— „Walter Bathurst? O nein. Armand Elliot
wird, wenn er lebt, der nächste Graf von Tregaron
sein." Das Mädchen taumelte zurück und lehnte
sich halb sinnungslos an den Grafen. Er drückte
sie an seine Brust, und sie lag einen Augenblick
lang todtenbleich in seinen Armen und ihre Augen
starrten wild empor. Dann ermannte sie sich mit
gewaltiger Selbstbeherrschung, machte sich aus seinen
Armen los und murmelte etwas von einem Schwin-
del. Der Graf war von ihrem scheinbaren Un-
wohlsein sehr beunruhigt, aber sie lachte und machte
sich nichts daraus, während sie sich mit ihren
Fingern krampfhaft an ^dem Rand des Marmor-
deckens festtzielt, um nicht zu fallen.
Hätte Graf Tregaron in ibre Seele blicken
können, während sie dastand, wäre er vor Schrecken
Und Widerwillen von ihr zurückgewichen! Ihre
Seele war von verheerenden Leidenschaften erfüllt,
Haß, Bitterkeit und wilder, und unbezähmbarer
st^uth. Mit ihrer angeborenen Verschmitztheit ver-
stand sie nun, daß Walter Bathurst sie belogen,
^d aus ihrer Habgier und ihrem Verlangen, ihre
Stellung in Belle Jsle zu sichern, Vortheil gezogen
hatte um einen Betrug an ihr auszuführen. Sic
hatte ihn gheirathet, um sich selbstsicher zu stellen
— er hatte sie wegen ihres voraussichtlichen Reich
thums und ihrer Stellung halber geheirathet. Sie
empfand ein mörderischen Ha^ gegen ihn. Sie
hätte ihn in ihrem Zorn und ihrer Wuth jum-
bringen können.
Während sie noch immer mit ihrer heftigen
Aufregung kämpfte, rieb ihr der Graf die Hände
und bemühte sich, sie ihrem brütenden Stillschweigen
zu entreißen. — „Es ist schon wieder vorbei, Papa.
Mir ist jetzt ganz wohl", rief Maya ungeduldig
aus. „Es war nur ein plötzlicher Schwindel. Ich
leide daran. Wovon haben wir doch gesprochen?
O, von Deinen Erben. Du sagtest, daß Herr El-
liot der nächste Graf von Tregaron sein werde?"
— „Ja, meine Liebe; laß mich Dich lieber in den
Salon zurückführen. —" — „Nein, nein!" rief
Maya ungestüm. „Ist Walter Bathurst reich?'
— „Nein; er wird von mir für seine Verdienste
bei dieser indischen Expedition glänzend belohnt
werden, aber er hat kein anderes Vermögen, als
diese Belohnung, und so viel ich weiß, von seinem
Vater auch nichts zu erwarten " — „So ist er
also arm?" — „So ziemlich. Du interesstrjt Dich
feer für ihn, Katharine." — „Nein, gar nicht be-
sonders, Papa. Nur ist es doch natürlich, daß,
da er und Herr Elliot mich auffanden, ich an
Beiden eigenes Interesse nehme", sagte Maya sehr
vorsichtig.
Ihre Hand lag noch immer in d?r des Grafen.
Er drückte sie zärtlich und schaute sie dann müssig
an. Es war eine weiße, wohlgepflegte.^and, aber
sie war groß und derb geformt, mit plumpen
Knöcheln und dicken Fingern; eine breite, unschöne
Hand, wie man sie bei einem sonst zart gebauten
Wesen wie Maya kaum erwartet hätte. Sie sah
aus wie die Hand eines Abkömmlings von dem
Arbeitergeschlechte und der Graf erschrak und be-
trachtete seine aristokratische Hand. Maya sah seinen
Blick und zog ihre Hand hastig weg. Der Graf
machte keine Erwähnung, aber er erinnerte sich der
kleinen Hand der verlornen Gattin und wunderte
sich, daß seine Tochter eine Hand hatte, die von
denen ihrer Eltern so total verschieden war. —
„Kehren wir jetzt in den Salon zurück", sagte
Maya fröstelnd. „Der Duft von einigen dieser
Blumen berührt mich sehr unangenehm. O, Papa,
fügte sie hinzu, als sie wieder zwischen Pflanzen
dahinschrittcn, ich bin so froh, daß ich Dich wieder
gefunden habe. Ich liebe Dich so sehr!"
Der Graf blieb stehen und küßte sie zärtlich.
— „Mein Liebling", antworte er, „wir werden
sehr glücklich zusammen sein. Du solltest Meister
in Musik und anderen Gegenständen, haben und
Miß Sinda soll alle Deine Vortheile mitgenießen.
Aber ich muß Dir sagen, daß ich auch so, wie Du
bist, stolz auf Dich bin. Du bist zu mir gekom-
men, wohl erzogen, fein gebildet, eine Dame, reich
und lieblich, die ich in jedem Salon Englands mit
Stolz als meine Tochter vorstillen kann! Aber noch
besser als Deine liebliche Außenseite ist die That-
sache, daß Du so arglos und unschuldig bist, so
liebevoll und vertrauend, so Endlich. Es ist, als
ob meine kleine Käthe zu mir zurückgekehrt wäre
mit ihrem einfachen, vertrauensvollen, liebend hin-
gebenden Wesen, gänzlich unberührt und unverändert,
seit ich sie verloren habe." Er küßte Mayr wieder
mit inniger, tiefer Zärtlichkeit uud sie traten zu-
sammen in den Salon, während das Herz des
Mädchens triumphirend aufhüpfte, seine gute
Meinung so sehr gewonnen zu haben. — „Ich bin
sicher', dachte sie. „Er hält mich für einen Engel.
Aber Walter Bathurst soll die Erfahrung machen,
daß ich kein Engel, sondern ein Teufel bin!"
Neunundzwanzigstes Kapitel.
Ein quälender Blick.
Es war etwas später am selben Abend, als
Graf Tregaron sich plötzlich an Sinda's Seite sah
welche in einer hellcrleuchteten Ecke des Salons
auf einem gelben Atlassopha saß und in einer
Mappe mit Stahlstichen blätterte. Maya saß vor
dem großen, prachtvollen Piano und spielte müßig
mit den Tasten, während Elliot sich ü^er sie neigte
ihr Aufklärungen über das Klavierspiel gab und
mit ihr von Musik plauderte. Walter Bathurst stand
zwischen den Atlas- und Spitzeuvorhängen eines
der Fenster und starrte einen berechnenden Ausdruck
in seinen Gesichtszügen in die Sommernacht hinaus.
Der Graf setzte sich an Sindas Seite und schaute
dann mit einem Lächeln stummer Zufriedenheit zum
jungen Paare am Klavier hinüber. Sinda's Blicke
folgten den seinen und ihr strahlend schönes junaes
Gesicht verdunkelte sich ein wenig und sie neigte sich
über den Stahlstich, den sie eben in der Hand
hielt, um den plötzlichen herben Schmerz nicht zu
verrathen, der aus ihren Augen sprach. — „Ich
wollte mit Ihnen über meine Tochter sprechen,
Sinda", sagte der Graf vertraulich ru ihr.
„Sie, die Sie so genau k.'nnen, und so sehr
lieben, können mein Entzücken begreifen, daß ich
Mittwoch, 28. November <894.
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Bestellungen werden von unfern Trägern und
Trägerinnen, sowie von allen Po st an st alten
forwäbrend angenommen.
Das Ende des ostafiatischen Krieges.
Es ist ein Eigenes um Völkersympathien.
Die eine Nation mag thun und treiben, was sie
will, jede ihrer Lebensäußerungen vermehrt die
Sympathien für sie. Die andere mag sich mühen,
wie und lassen, was sie will, sie wird dem Fluche
der Unbeliebtheit nicht entgehen. Die Richtigkeit
dieser Behauptung wird gegenwärtig wieder durch
das Verhalten der internationalen Sympathien
gegenüber China und Japan beobachtet.
Seit Jahrhunderten besteht ein reger Verkehr
zwischen den europäischen Völkern und den Chi-
nesen einerseits, den Japanern anderseits. Europa
anerkannte die uralte Kultur der Chinesen, schätzte
ihr Porzellan, ihre Tusche, ihre Seide und ihre
Bronzen. Aber sympathisch sind die bezopften
Söhne des Reiches der Mitte den Völkern kauka-
sischer Rasse uie geworden. Als Japan auf dem
Weltmärkte erschien, eroberte es sich mit einem
Schlage die Freundschaft der Nationen Europas
und Amerikas. Dieses zweifache Maß der Sym-
pathien gegenüber Japan und China brachte cs
mit sich, daß alle Völker ohne Ausnahme geistig
Partei für die Japaner ergriffen, obgleich diese
im Grunde genommen den Krieg mit China vom
Zaune gerissen haben. Selbst die öffentliche
Meinung Englands stand und steht auf ihrer
Seite, trotzdem die englische Regierung die In-
teressen Albions in Ostasien in der intakten Er-
haltung Chinas am sichersten gewahrt erachtet.
In Folge dessen werden die Nachrichten vom
ostasiatischen Kriegsschauplätze in Europa und
Amerika mit unverhältnißmäßigem Interesse ge-
lesen und jeder Erfolg der Japaner, der ja übrigens
ein Erfolg der westlichen Civilisation ist, wird wie
der Sieg eines connationalen Staates begrüßt.
Man wünscht Japan den Sieg und gönnt ihm
die volle Ernte seiner Siegessaat. Und diese
ist allem Anscheine nach der Reise nahe gediehen.
Wie eine Depesche aus Tientsin meldet, ist
der dortige Zolldirektor Detring nach Japan ab-
gereist, um wegen der Friedensbedingungen zu
unterhandeln. Nach der gegenwärtigen, im Nach-
stehenden geschilderten Sachlage kann man wohl
auf einen Erfolg des Vermittlers rechnen, voraus-
gesetzt, daß die Chinesen mürbe genug sind, um
die janischen Forderungen voll und ganz zu er-
füllen. Bisher ist China nur zu pekuniären Zu-
geständnissen bereit. Die chinesische Regierung
bietet den Japanern 100 Millionen Taels —
eine schöne Summe — etwa fünfhundert Mill. Mk.
und den Ersatz der Kriegskosten an. Die Unab-
hängigkeit Koreas scheint sie stillschweigend zuzu-
geben. Allein die Japaner wollten sich ohne
eine Landabtretung nicht zufrieden geben und
fordern die Insel Formosa als Preis ihrer Blut-
arbeit. Davon aber will China bis jetzt nichts
hören. Der Ausgang der Verhandlungen hängt
also davon ab, ob die chinesische Regierung auch
in Bezug auf die Abtretung der Insel Formosa
mürbe genug für den Frieden ist, oder ob sie in
die erwünschte Stimmung erst durch weitere Er-
folge Japans gebracht werden muß.
Nachdem Port Arthur gefallen, wird Zoll-
direktor Detring mit seiner Mission als Friedens-
engel voraussichtlich leichtes Spiel haben.
Fürstin Johanna v. Bismarck f.
Varzin, 27.Nov. Die Fürstin Bismarck
ist heute früh um 5 Uhr gestorben. Graf
Herbert Bismarck ist Nachts hier eingetroffen, die
übrigen Familienangehörigen und Verwandten werden
erwartet. Ueber die Beisetzung ist noch nichts
bekannt.
Die Meldungen von dem immer mehrBesorg-
niß erregenden Zustand der Fürstin Bismarck fießen
in diesen Tagen das Schlimmste befürchten. Nun
ist es eingetreten: Die treue muthige Lebensge-
fährtin des großen eisernen Kanzlers, die ihm durch
47 lange Jahre eine starke Stütze, eine tüchtige
Hausfrau, eine Mttratherin und Mitsorgerin war
in mancher schweren Stunde, die ihm stolz und
dennoch bescheiden zur Seite stand in den Tagen
des Glückes, der Triumphe, die auch jene Jahre der
Schwere mit ihm zusammenempfunden, als zwischen
dem Kaiserschlosse zu Berlin und den Gutshäusern
im Sachsenwalde und in Varzin eine Entfremdung
stattgefunden, — Fürstin Johanna v. Bismarck
weilt nicht mehr unter den Lebenden.
Gewaltig schwer muß es dem greisen Fürsten
den Nacken beugen, der aufrecht blieb in allen
Zeiten des Leides.
Das grausame Geschick, von der Begleiterin
seines thatenvollen Lebens scheiden zu müssen, wird sein
Herz schmerzvoll treffen. Es ist ein Achtzigjähriger,
von dessen Seite die Siebzigjährige gerissen wird.
Wohl hatte der Fürst das Fortschreiten des Leiden-
seiner Gattin bangen Auges lange verfolgt und sich
wehmüthig im letztvergangenen Sommer darüber
geäußert. Aber nicht minder schwer wird ihn das
herbe Ereigniß, ob auch längst gefürchtet, darnicdcr-
drücken.
Die Fürstin Johanna v. Bismarck war eine
geborene v. Puttkammer, die Tochter eines
frommen Hauses, selbst gottesfürchtig erzogen und
lebhaften Geistes. Bekanntlich waren, als sie den
Eltern ihre Liebe zu dem tollen Junker Bismarck
auf dem Kniephof gestand, dieselben im Anfang
wenig geneigt, sie dem Ungestümen anzuvertraucn,
aber der Tochter Liebe und Standhaftigkeit über-
wandt jeden Wiederstand, schon damals, und hat
sich auch für die Folgezeit bewährt.
Es ist bekannt, wie Bismarck seine Gattin
hochgestellt, wie er auch manche politischen Sorgen
ihr anvertraut und namentlich aus seinen Briefen,
die er ihr als Bundestagsgesandtcr ec. schrieb, geht
cs hervor, wie er sich daran gewöhnt hat, gleich
einem ebenbürtigen verständnißvollen Freunde ihr
alle seine Beobachtungen anzuvertraucn. Drei
Kinder hat die Fürstin ihrem Gatten geschenkt:
Gräfin Marie (geb. 21. August 1848), bekanntlich
vermählt mit dem Grafen Rantzau, Graf Herbert
(geb. 28. Dezember 1849) und Graf Wilhelm
(geb. 1. August 1852).
„Mit echter Frauenhand", so schrieb einmal ein
Biograph über sie, „schuf die Fürstin ihrem Gatten
überall, wo sein Beruf ihm längeren Wohnsitz an-
wies : im alten Herrenhaus über dem Park von
Schönhausen, in der Gartenvilla zu Frankfurt, im
Gesandtschaftshotel an der Newa, dann im Aus-
wärtigen Amt und im Reichskanzlerpalais zu Berlin,
zuletzt in dem Schlößchen zu Varzin und im Sachsen-
walde, ein Heim, das Behagen und wohlthuende
Wärme athmete . . . . "
Nun ist sie dahingeschieden, die des Hauses
Bismarck „Licht und Ehre" war.
DeMMsS Keich.
Berlin, 28. November.
— Die „Nordd- Allg. Ztg." erklärt gestern
ihre Mittheilung, cs bestehe die '.Absicht, dem
Reichstage beim Zusammentritt nur die Um-
sturzvorlage zugehen zu lassen, nach näheren
Erkundigungen für irrthümlich. Man habe viel-
mehr allen Grund anzunehmen, es werde an der
bisherigen Uebung festgehalten werden, wonach
dem Reichstage beim Beginne der Tagung sämmt-
liche bis dahin fertigen Vorlagen, also namentlich
dem Etat, sogleich überwiesen werden.
— Die „Nordd. Allg. Ztg." bezeichnet die
Blättermeldung, der Reichskanzler Für st
Hohenlohe habe seine Amtsthätigkeit mit eine:
Rundreise an die süddeutschen Höfe begonnen, als
unrickftig. Sie sagt: Der Reichskanzler ging über
München, wo er seine Gemahlin traf, nach Straß-
burg, um den Umzug anzuordnen und sich im
Reichsland zu verabschieden; daß er während seines
zweitägigen Aufenthalts in München dem Prinz-
regenten seine Aufwartung machte, war eine Höf-
lichkcitSpflicht. Eine andere Absicht lag nicht vor.
Bei einer „Rundreise an den süddeutschen Höfen"
wäre der Reichskanzler auch nach Stuttgart gegangen.
Der Besuch beim Großherzog von Baden war ledig-
lich ein Abschiedsbesuch, dessen Anlaß durch die
vielfachen nachbarlichen Beziehungen des Statthal-
ters z>'m großherzoglich badischen Hofe gegeben war.
— Der Führer der bayerischen Sozial-
demokratie ist die Antwort auf die Angriffe
des Abgeordneten Bebel nicht schuldig geblieben. Wie
aus München berichtet wird, sprach dort vorgestern
Herr v. Vollmer in dem von Zuhörern überfüllten
Saale über seinen Streit mit Herrn Bebel. Er
sagte, so, wie es Bebel mache, dürfe es in der
Partei nicht weiter gehen; man erkenne seine Ver-
dienste um die Partei an, aber er müsse es lassen,
Andere meistern zu wollen, und sich damit begnügen,
ein Gleicher unter Gleichen zu sein. Die Ver-
sammlung zollte dem Redner anhaltenden Beifall
und nahm eine Resolution an, welche das Vor-
gehen des Abgeordneten Bebel mißbilligt.
Karlsruhe, 27. Nov. II. KK. HH. der
Großherzog und die Großherzogin hatten die Ab-
icht, sich nach Weimar zu begeben, um persönlich
Ihr Beileid den trauernden Eltern des Erbgroß-
herzogs kundzugeben und sich an der Beisetzungs-
eier zu betheiligen. Aus Rücksicht für die hohen
Leidtragenden verzichteten II. KK. HH. auf
fieses Vorhaben und es wird nun S. K. H. der
Erbgroßherzog seine hohen Eltern bei dieser
Trauerfeier in Weimar vertreten. Der Erbgroß-
herzog verläßt Freiburg morgen, Mittwoch, früh
5 Uhr, hält sich von halb 9 bis 10^ Uhr in
Baden-Baden auf und kann dann Abends 8 Uhr
in Weimar eintreffen. Heute Vormittag nahm
S. K. H. der Großherzog den Vortrag des Lega-
tionsraths Dr. Frhrn. von Babo bis 1 Uhr ent-
gegen, Nachmittags trifft der kommandirende
General des 8. Armeekorps, Generaloberst der
Gesucht unö Gefunden.
Roman von Hermine Frankenstein.
50) (Fortsetzung.)
„Ei, meine Liebe, hat es Dir Armand Elliot
nicht gesagt?" fragte der Graf. „Hat Dich Bat-
hurst nicht davon verständigt, wer der Nächste nach
wir zur Grafenwürde von Tregaron bestimmt ist?"
„Niemand hat wir ein Wort gesagt, Papa",
log Maya. Walter sprach nie ein Wort über diese
Angelegenheit. Soll er also Dein Nachfolger sein?"
— „Walter Bathurst? O nein. Armand Elliot
wird, wenn er lebt, der nächste Graf von Tregaron
sein." Das Mädchen taumelte zurück und lehnte
sich halb sinnungslos an den Grafen. Er drückte
sie an seine Brust, und sie lag einen Augenblick
lang todtenbleich in seinen Armen und ihre Augen
starrten wild empor. Dann ermannte sie sich mit
gewaltiger Selbstbeherrschung, machte sich aus seinen
Armen los und murmelte etwas von einem Schwin-
del. Der Graf war von ihrem scheinbaren Un-
wohlsein sehr beunruhigt, aber sie lachte und machte
sich nichts daraus, während sie sich mit ihren
Fingern krampfhaft an ^dem Rand des Marmor-
deckens festtzielt, um nicht zu fallen.
Hätte Graf Tregaron in ibre Seele blicken
können, während sie dastand, wäre er vor Schrecken
Und Widerwillen von ihr zurückgewichen! Ihre
Seele war von verheerenden Leidenschaften erfüllt,
Haß, Bitterkeit und wilder, und unbezähmbarer
st^uth. Mit ihrer angeborenen Verschmitztheit ver-
stand sie nun, daß Walter Bathurst sie belogen,
^d aus ihrer Habgier und ihrem Verlangen, ihre
Stellung in Belle Jsle zu sichern, Vortheil gezogen
hatte um einen Betrug an ihr auszuführen. Sic
hatte ihn gheirathet, um sich selbstsicher zu stellen
— er hatte sie wegen ihres voraussichtlichen Reich
thums und ihrer Stellung halber geheirathet. Sie
empfand ein mörderischen Ha^ gegen ihn. Sie
hätte ihn in ihrem Zorn und ihrer Wuth jum-
bringen können.
Während sie noch immer mit ihrer heftigen
Aufregung kämpfte, rieb ihr der Graf die Hände
und bemühte sich, sie ihrem brütenden Stillschweigen
zu entreißen. — „Es ist schon wieder vorbei, Papa.
Mir ist jetzt ganz wohl", rief Maya ungeduldig
aus. „Es war nur ein plötzlicher Schwindel. Ich
leide daran. Wovon haben wir doch gesprochen?
O, von Deinen Erben. Du sagtest, daß Herr El-
liot der nächste Graf von Tregaron sein werde?"
— „Ja, meine Liebe; laß mich Dich lieber in den
Salon zurückführen. —" — „Nein, nein!" rief
Maya ungestüm. „Ist Walter Bathurst reich?'
— „Nein; er wird von mir für seine Verdienste
bei dieser indischen Expedition glänzend belohnt
werden, aber er hat kein anderes Vermögen, als
diese Belohnung, und so viel ich weiß, von seinem
Vater auch nichts zu erwarten " — „So ist er
also arm?" — „So ziemlich. Du interesstrjt Dich
feer für ihn, Katharine." — „Nein, gar nicht be-
sonders, Papa. Nur ist es doch natürlich, daß,
da er und Herr Elliot mich auffanden, ich an
Beiden eigenes Interesse nehme", sagte Maya sehr
vorsichtig.
Ihre Hand lag noch immer in d?r des Grafen.
Er drückte sie zärtlich und schaute sie dann müssig
an. Es war eine weiße, wohlgepflegte.^and, aber
sie war groß und derb geformt, mit plumpen
Knöcheln und dicken Fingern; eine breite, unschöne
Hand, wie man sie bei einem sonst zart gebauten
Wesen wie Maya kaum erwartet hätte. Sie sah
aus wie die Hand eines Abkömmlings von dem
Arbeitergeschlechte und der Graf erschrak und be-
trachtete seine aristokratische Hand. Maya sah seinen
Blick und zog ihre Hand hastig weg. Der Graf
machte keine Erwähnung, aber er erinnerte sich der
kleinen Hand der verlornen Gattin und wunderte
sich, daß seine Tochter eine Hand hatte, die von
denen ihrer Eltern so total verschieden war. —
„Kehren wir jetzt in den Salon zurück", sagte
Maya fröstelnd. „Der Duft von einigen dieser
Blumen berührt mich sehr unangenehm. O, Papa,
fügte sie hinzu, als sie wieder zwischen Pflanzen
dahinschrittcn, ich bin so froh, daß ich Dich wieder
gefunden habe. Ich liebe Dich so sehr!"
Der Graf blieb stehen und küßte sie zärtlich.
— „Mein Liebling", antworte er, „wir werden
sehr glücklich zusammen sein. Du solltest Meister
in Musik und anderen Gegenständen, haben und
Miß Sinda soll alle Deine Vortheile mitgenießen.
Aber ich muß Dir sagen, daß ich auch so, wie Du
bist, stolz auf Dich bin. Du bist zu mir gekom-
men, wohl erzogen, fein gebildet, eine Dame, reich
und lieblich, die ich in jedem Salon Englands mit
Stolz als meine Tochter vorstillen kann! Aber noch
besser als Deine liebliche Außenseite ist die That-
sache, daß Du so arglos und unschuldig bist, so
liebevoll und vertrauend, so Endlich. Es ist, als
ob meine kleine Käthe zu mir zurückgekehrt wäre
mit ihrem einfachen, vertrauensvollen, liebend hin-
gebenden Wesen, gänzlich unberührt und unverändert,
seit ich sie verloren habe." Er küßte Mayr wieder
mit inniger, tiefer Zärtlichkeit uud sie traten zu-
sammen in den Salon, während das Herz des
Mädchens triumphirend aufhüpfte, seine gute
Meinung so sehr gewonnen zu haben. — „Ich bin
sicher', dachte sie. „Er hält mich für einen Engel.
Aber Walter Bathurst soll die Erfahrung machen,
daß ich kein Engel, sondern ein Teufel bin!"
Neunundzwanzigstes Kapitel.
Ein quälender Blick.
Es war etwas später am selben Abend, als
Graf Tregaron sich plötzlich an Sinda's Seite sah
welche in einer hellcrleuchteten Ecke des Salons
auf einem gelben Atlassopha saß und in einer
Mappe mit Stahlstichen blätterte. Maya saß vor
dem großen, prachtvollen Piano und spielte müßig
mit den Tasten, während Elliot sich ü^er sie neigte
ihr Aufklärungen über das Klavierspiel gab und
mit ihr von Musik plauderte. Walter Bathurst stand
zwischen den Atlas- und Spitzeuvorhängen eines
der Fenster und starrte einen berechnenden Ausdruck
in seinen Gesichtszügen in die Sommernacht hinaus.
Der Graf setzte sich an Sindas Seite und schaute
dann mit einem Lächeln stummer Zufriedenheit zum
jungen Paare am Klavier hinüber. Sinda's Blicke
folgten den seinen und ihr strahlend schönes junaes
Gesicht verdunkelte sich ein wenig und sie neigte sich
über den Stahlstich, den sie eben in der Hand
hielt, um den plötzlichen herben Schmerz nicht zu
verrathen, der aus ihren Augen sprach. — „Ich
wollte mit Ihnen über meine Tochter sprechen,
Sinda", sagte der Graf vertraulich ru ihr.
„Sie, die Sie so genau k.'nnen, und so sehr
lieben, können mein Entzücken begreifen, daß ich