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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) (2) — 1894

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Nr. 291 - Nr. 300 (12. Dezember - 22. Dezember)
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4. IVerhnKehts-Aurgabe.
Nummer LSI. H Jahrgang. Netter Mittwoch, 12. Dezember 18S4.

General-GAnmger

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Abonnementöpreis r
Mit SstttiHM illnSrtttem Souutagkblatt: menatlich
LS Pfennig frei tn'S HauS, durch die P-st bezoze«
vierteljährlich 1 Mark ohne Bestellgeld.
Expedition: Kcruptltrcrße Mr. 26.

für Heidelberg und Umgegend
(Mürger-Deitung).

JnsertionSprciör
die lshaltige Petitzrile oder deren Raum S Pf-.,
iür auswärtige Inserate 10 Pfg., bei öfterer Wieder-
holung entsprechender Rabatt-
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Expedition: ^cruptstraße Mr. 26.

GeLeseirfLsS WMt M«rdL rr. AMt HsideLvsVS Ed NMDeDeiird. GVAtzteE OVfoZD fÜV

Zurückgebliebenen würden besser geihan haben, die
Ausrufe der Entrüstung, die sich allerdings nicht
in parlamentarischen Formen hielten, zu ignorien
und vor Allem die nachherige Rüge des Präsidenten,
die durchaus korrekt war und in der Form nichts
Verletzendes hatte, nicht noch durch eine zweite, weit
stärkere Provokation zu erwidern. Die kurze Rede
des Abgeordneten Singer, die vom Präsidenten
wegen der ungehörigen Hin.-inziehung der Person
des Kaisers in die Debatte unterbrochen werden
mußte, machte aber den Eindruck, als hätte dieser
Führer der Sozialdemokratie direkt den Wunsch,
für die Umsturzvorlage Freunde zu werben.
Der neue Reichstag hat also wieder mit einem
Mißton angefangen. Der böse Streit wird so rasch
nicht ausgelöscht sein. Er wird zweifellos seine
Wellenringe weiter und weiter auf der Oberfläche
der Volkserregung ziehen. Soll die Verbitterung
unter den Parteien aber zu einer ständigen Eigen-
thümlichkeit unserer Volksvertretung werden? Wird
nie die Zeit kommen, daß dieser Gegensatz der
Parteien gemildert erscheint und nur ein Prinzip
herrscht in der deutschen Volksvertretung — gemein-
sam zu kämpfen für des Volkes Wohl? Vorläufig
sind die Aussichten dazu sehr schlechte.
BeMche» Reich..
Berlin, 12. Dezember.
— Zu dem Aufenthalte Seiner Majestät des
Kaisers in Hannover wird berichtet, daß der
Monarch nach Beendigung der Tafel im königlichen
Schlosse sich in das Theater begab, wo die Oper
„Traviata" oufgeführt wurde. Der Kaiser saß in
der Mittelloge zwischen dem Oberpräsidenten
v. Bennigsen und dem kommanvirenden General
v. Seebach, sich in den Pausen namentlich mit
Ersterem lebhaft unterhaltend. Der Kaiser wendete
der Vorstellung ersichtlich großes Interesse zu und
applaudirte wiederholt lebhaft. Als der Kaiser nach
beendeter Vorstellung sich erhob, wurden ihm Ova-
tionen dargebracht, für die er durch Verneigen
dankte. Vom Theater aus begab sich Seine Majestät
nach der Wohnung des Kommandeurs seines Ulanen-
regiments, Öberstlieutenant v. Pfucl, um dort den
Thee einzunehmen. — Gestern fand um II Uhr
Parade auf dem Wot'rlooplatz statt.
— Wie die „Pest" meldet, beschloß die Frak-
tion der deutschen Reichspartei einstimmig, für die
Genehmigung der Strafverfolgung der so-
zialistischen Reichstagsabgeordncten, die bei dem Hoch
auf den Kaiser sitzen geblieben waren, zu stimmen.
— Die Geschäftsordnungskom-
mission des Reichstages hat sich am 10. d. M.
unter dem Vorsitz des sozialdemokratischen Abgeord-
neten Singer konstituirt. Dieselbe tritt am 13.
Dezember zur Berathung des Antrages auf Straf-
verfolgung der ^sozialdemokratischen

wegen Majestätsbeleidigung zusammen. Der Abge-
ordnete Singer gibt für diesen Fall den Vorsitz ab.
— Die Elsaß-Lothringer brachten im
Reichstag einen Antrag auf Einführung allgemeiner
direkter Wahlen mit geheimer Abstimmung zum
Landesausschuß ein.
Karlsruhe, 11. Dez. Seine König!. Hoheit
der Großherzog empfing heute Vormittag den Prä-
sidenten des Evangelischen Oberkirchenraths, Geheim-
rath Dr. v. Stoesser, den Minister von Brauer
und den Major v. Oven zum Vortrag. Nach-
mittags hörte derselbe die Vorträge des Geheimraths
Freiherm v. Ungern-Sternberg und des Legations-
raths Dr. Freiherrn v. Babo. — Seine Exzellenz
der Minister des Großherzoglichen Hauses und der
auswärtigen Angelegenheiten ist gestern Abend von
Berlin wieder hier eingetroffen.
Stuttgart, 11. Dez. Ministerpräsident
v. Mittnacht ist gestern von Berlin hierher zu-
rückgekebrt.
München, I I. Dez. Der Antrag auf Ver-
folgung der sozialdemokratischen
Reichstagsmitglieder wird von der kleri-
kalen und liberalen Presse Bayern's als aussichtslos
betrachtet; auch die „Allgemeine Zeitung", die sonst
ein kräftiges Vorgehen gegen die Sozialdemokratie
befürwortet, befürchtet, der Antrag werde selbst den
nationalen Kreisen bedenklich erscheinen und den
Verdacht einer beabsichtigten Antastung parlamen-
tarischer Vorrechte erregen.
Deutscher Reichstag.
Berlin, 12. Dezember.
Das Schreiben des Reichskanzlers wegen
Strafantrags gegen den Abgeordneten
Liebknecht wird der Geschäftsordnungskommisston
zur schleunigen Behandlung überwiesen.
Der Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe er-
klärt, bei seinem Eintritt in das Amt handle es
sich nicht um einen Sy st em wechsel. Er
werde nicht überall die Wege seines Vorgängers
gehen, aber mit den vorhandenen Thatsachen rech-
nen und die eingegangenen Verpflichtungen loyal
erfüllen. (Bravo rechts.) Der Redner betont die
Nothwendigkeit einer Finanzreform, das Festhalten
an der Kolonialpolitik, die Nothwendigkeit der Ver-
stärkung der Marine und sagt die Erfüllung der
berechtigten Wünsche der Landwirth-
schaft zu. (Bravo rechts.) Auf dem sozialen
Gebiete soll der Schutz der Schwachen im Vorder-
grund stehen. Er werde streben, den Frieden
des Staates und der Kirche aufrechtzuer-
halten. (Bravo rechts.)
Schatzsekretär des Reichsschatzamts Dr. Graf
v. Posa dowsky-WehnerleitetdieBesprechung
des Etats ein. Der Schatzsekretär erläutert den
dessen Gesamtbild trog mancher

Abgeordneten laufenden' Etat,

DM-Erstes Blatt.
Fsrtrvätzrettd
werden von allen Postanstalten, Landbriefträgern
unseren Agenten und Trägerinnen Abonnement)
entgegcngenommen.
Ein hübscher Anfang.
Die Ouvertüre zur „Weihe des Hauses" —
wir meinen das neue Reichstagsgebäude — war
nicht besonders würdevoll.
Daß die Sozialdemokraten am Donnerstag, als
sie bei dem Kaiserhoch sich nickt von ihren Plätzen
erhoben, nach einem vorher wohlüberlegten Plane
gehandelt haben, ist nicht anzunehmen. Sic pflegen
die Provokation der übrigen Parteien bei ähnlichen
Anlässen zu vermeiden und entfernen sich beispiels-
weise regelmäßig beim Schluß der R-ichStagssession
aus dem Saal, wenn der Präsident das Wort
ergreift, um das Kaiserhoch auszubrinaen. Am
Donnerstag schienen sie thatsächlich die Absicht des
Herrn v. Levetzow, mit einem Hoch auf den Kaiser
seine Rede zu enden, nicht gemerkt zu haben.
Vielleicht war es auch von dem Vorsitzenden
nicht ganz den parlamentarischen Gepflogenheiten
gemäß gehandelt, wenn er mitten in einer gewöhn-
lichen, rein geschäftlichen Sitzung ein Hoch auf
das Reichsoberhaupt ausbrachte. Bei der feierlichen
Schlußsteinlegung in Gegenwart des deutschen
Kaisers war es nur natürlich, der Ehrerbietung
gegenüber dem Träger der deutschen Kaiserkrone
einen lauten Ausdruck zu verleihen. Das ist denn
auch -an jenem denkwürdigen Dezember 1894
geschehen und auch nicht der leiseste Mißton störte
die allgemein gehobene Stimmung.
Den ReichstazSprästdenten mag in dem Augen-
blicke, da er den prächtigen Ehrensitz in dem neuen
BerathungSsaale betreten hatte, seine berechtigte und
menschlich-begreifliche Empfindung übermannt haben.
Er verlieh ihr jenen Ausdruck, der einen Widerhall
in Millionen deutscher Herzen findet. Kein gerecht
denkender Mensch wird ihn deßhalb tadeln. Ader
wer an die höchste Ehrenstelle gelangt ist, die ein
Volk zu vergeben hat, der soll auch in den Augen-
blicken höchster Erregung einer kühleren Erwägung
Raum gewähren und nicht unnütz das Herkommen
in der Volksvertretung außer Acht lassen. Man
soll namentlich in einem frei gewählten Parlamente
des Staatsoberhauptes nur dann erwähnen, wenn
es das Herkommen gebietet.
Den Sozialisten kam also das Hoch auf den
Kaiser jedenfalls unerwartet. Die klügeren und
schnelleren Genossen verschwanden immerhin noch
zur rechten Zeit aus dem Saal, als über das Ziel
der Rede kein Zweifel mehr möglich war. Die
Ke sucht und Gefunden.
Rvman von Hermine Frankenstein.
62) (Fortsetzung.)
Elliot fühlte sich stark versucht, auszusteigen u.
sich in dem Hause vorzustellen, aber er unterdrückte
sein Verlangen und fuhr weiter. — „Ich werde
morgen Früh vorsprechen", dachte er. „Ich kann
Sinda in ihrer Ermüdung und ihrem Kummer
heute Abend nicht mehr stören."
Inzwischen führte Frau Biggs Sinda auf ein
Zimmer über dem Wobnzimmer. Es war dem an-
deren sehr ähnlich; aber Sinda trat ein, setzte sich
matt auf einen Stuhl und schlug den Schleier zu-
rück. „Wenn Simon heute Nacht nach Hause zu-
rückkehrt, werden wir morgen ausziehen", erklärte
Frau Biggs. „Aber vielleicht kommt er nicht. Er
bleibt oft viele Nächte lang fort, dann kann man
ganz London durchsuchen, ohne ihn zu finden. Und
hier müssen wir bleiben bis er kommt, was hof-
fentlich bald geschieht, denn ich bin schon sehr be-
gierig, mein neues Leben anzufangen! Ich werde
eine Tafle Thee bereiten und will zum Bäcker
laufen um frisches Brod; ich bin gleich wieder da."
Sie eilte hinaus und ließ Sinda mit ihrer Dienerin
allein zurück. Die Hindu näherte sich ihrer jungen
Herrin und nahm ihr sanft Hut und Shawl ab.
Dann zog sie den lieblichen, goldblonden Kopf an
ihre Brust und bedeckte ihn mit Küssen. „Mein
Lamm, mein armes, süßes Kind", sagte sie, „ich
kann nichts Anderes denken, als daß hier ein Jrr-
thum obwaltet. Diese alte Frau kann nicht Ihre
Mutter sein. Ich habe den Zweifel den ganzen
Tag lang in ihren Augen gelesen, Missy —".—

„Sage das nicht, Falls. Ich kann nicht zweifeln, s
Es wäre schlecht und tböricht von mir, zu zweifeln."
— „Aber Sie werden sie nie liebens können." —
„Sie lieben!"
Das Mädchen wiederholte diese Worte mit
einem wahren Schaudern des Abscheues. „Und
wenn sie Ihre Mutter wäre, Fräulein, müßte es
doch eine Spur von Liebe zwischen Ihnen geben,
einen Zug der Theilnahme wenigstens. Es müßte
—" Es wäre so gewesen, wenn ich in ihrer
Lebensspähre wäre erzogen worden", sagte Sinda
hoffnungslos, „aber ich bin so ganz anders erzogen
worden. Und ich kann sie nicht lieb haben — ich
kann nicht! Ich bin wohl recht schlecht, Falls.
Ich will gut gegen sie sein. Ich will wie eine
Tochter an ihr handeln, aber nur lieben kann ich
sie nicht und Mutter nennen! Und jetzt brachen
auch die Thränen in gewaltigem Strome hervor, di:
den ganzen Tag nicht hatten kommen wollen, und
Sinda schluchzte und weinte in leidenschaftlichem
Schmerze. Die alte Fall« beschwichtigte sie zärtlich,
bis der Sturm ihrer Aufregung sich etwas gelegt
hatte und dann bat sie sie Muth zu fassen und
nicht alle Hoffnung zu verlieren. Sinda ermannte
sich ihrer alten Dienerin zu Liebe und die Letztere
begann das Zimmer in Ordnung zu bringen, so
daß es ihr bald gelang, demselben einen wohnliche-
ren Anstrich zu geben.;
Als sie damit fertig war, kam Frau Biggs zu-
rück und brachte eine Tasse Thee und Brode.
Sie stellte die Tasse auf einen kleinen Tisch und
schob denselben vor Sinda hin, die sie mit einer
seltsamen Mischung von Vertraulichkeit und Ehr-
erbietung behandelte. Sie setzte sich, während Sinda
o

den Versuch machte, zu essen und zu trinken, und
sie schwätzte, während ihre Augen mit gierigen
Blicken an dem Koffer hafteten, in welchem Sinda's
Juwelen oufbewahrt waren. — „Das Haus hier
hat eine einsame Lage", bemerkte sie klagend. Es
wäre gerade der rechte Ort zu einem Raub, denn es
gibt keine Polizei in der Nähe. Du thä e dahe r
besser, Rhoda, mir die Juwelen zur Aufbewahrung
zu geben. Sie gehören jetzt ohnedies Deiner
Mutter Sinda stieß die Tasse zurück. — Sie
irren sich Madame", sagte sie in hochmüthigem
Tone, trotz ihres Entschlusses, gegen dieses böse
Weib demüthig zu sein. „Die Juwelen schenkte
mir die Fürstin von Kalsar, meine theuere Pflege-
mutter, die mich adoptirte und als ihr Kind erzog.
Ich kann Ihnen nicht geben, was ich von ihr ge-
erbt habe. Ich kann Ihr Anrecht an ein mir ge-
machtes Geschenk nicht anerkennen. Ich muH die
Juwelen behalten, aber ich werde so viele davon
verkaufen, als nothwendig, um Ihnen ein behag-
liches Leben zu verschaffen. —"
„Papperlapap !" unterbrach sie Frau Biggs zor-
nig. „Wie kann sich mein eigenes Kind unter-
stehen, so zu mir zu reden? Du willst die Ju-
welen nicht herausgeben, die mir gehören! Du
willst nicht — wirklich! Nun, das wollen wir
sehen!" — „Madame", sagte Sinda bittend, ihre
schönen Augen mit flehenven Blicken erhebend,
„verzeihen Sie mir. Ich wollte Sie nicht belei-
digen. Aber ich habe die Juwelen von Derjenigen
bekommen, die mir mehr als eine Mutter war. Ich
kann sie Ihnen nicht geben, wenigstens n'cht alle. Ich
will Ihnen die Hälfte geben —" — „Ich will
alle haben oder gar nichts. Sie gehören mir!" kreischte

ungünstigen Momente erfreulich sei. Immerhin
sei irgend eine finanzreformatorische Maßregel dringend
erforderlich. Die Einzelstaaten müßten endlich zu
einer ruhigen Finanzverwaltung gelangen können.
Der Schatzsekretär schließt, indem er bemerkt, bei
nicht rechtzeitiger Regelung werbe schließlich die
Notwendigkeit einer plötzlichen Regelung eintccten
und damit die Notwendigkeit der Einführung kräf-
tiger Staatsmonopole. Die Reichörcgierung hoffe,
daß der Reichstag sich diesen Erwägungen nicht ver-
schließe (Leifall rechts.)
Abg. Dr. Bachem (Centr.) erklärt, das Centrum
stehe dem Reichskanzler vorurtheilsloS gegenüber
und werde ihn, wenn nötig, stets sachlich bekämpfen.
Er hoffe, der Reichskanzler werde im Reiche die
religiösenVerhältnisse m itdem gleichen
Wohlwollen behandeln wie im Reichs-
lande. Was den Etat anlange, so müsse die
Bilanzirung ohne neue Steuern erfolgen. (Beifall
im Centrum und links.) Bachem schließt, indem
er die Aufstellungen des Etats kritisirt. Er er-
wähnt den Fall Leist, für dm er die Colonialver-
waltung nicht verantwortlich mache, der aber dazu
mahne, gegen etwaige Wiederholungen Maßregeln
zu treffen. (Beifall im Centrum.) Mit einer
Verschärfung des Strafgesetzes erreiche man gegen
die Sozialdemokratie nichts.
Abg. Richter (freis. VolkSp.) führt aus, das
Verhalten des Reichstags gegenüber den Steuer-
plänen der Regierung sei durch die Ergebnisse des
laufenden Etats gerechtfertigt. Der Redner kritisirt
die zu niedrige Veranschlagung der Einnahmen
und die übermäßige Steigerung der Ausgaben, ins-
besondere für militärische und Marinezwecke. Redner
bekämpft die kostspielige Colonialpolitik und die
beabsichtigte Tabaksteuer, durch die bis zu 30 000
Arbeiter brotlos werden würden. Redner wünscht
Auskunft über die Gründe des Kanzler-
wechsels und fragt, was die Rolle des Chefs des
Civilcabinets bei dem Ministerwechscl in der Ueber-
bringung der seidenen Schnur bedeute. (Heiter-
keit.) Redner drückt seine Befriedigung aus, daß
in der Thronrede nichts von der Bewilligung der
Forderungen der Agrarier stehe und wendet sich so-
dann gegen die Umsturzvorlage. Er behauptet,
die Regierungspresse predige die Revolution von
oben. Der preußische Ministerpräsident solle selbst
Vorschläge der gewaltsamen Abänderung der gegen-
wärtigen Zustände gemacht haben. Diese Vor-
schläge seien nur durch Eidbruch realisirbar. Die
Vorschläge müßten eine Revolution von unten
Hervorrufen. Redner vertraut dem Reichskanzler
Fürsten Hohenlohe, daß er die bestehenden Institu-
tionen schützen werde.
Staatssekretär v. Bötticher erklärt gegenüber
dem Vorredner, er habe allerdings die Entlassung
Frau Biggs wüthend. „Gib mir die Schlüssel!—"
Sie trat auf Sinda zu, ihre kleinen Augen sprühten
Funken und ihr heißer Athem verbreitete Brannt-
weindunst — denn sie hatte seit ihr.r Ankunft
tüchtig getrunken.
Es war etwas so schrecklich Drohendes in ihrer
ganzen Erscheinung, daß Sinda entsetzt vor ihr
zurückwich. Das Mädchen winkte Falla, ihr die
Schlüssel auSzulicfern, aber die Hindu verschränkte
in schweigender Entschlossenheit die Arme über die '
Brust und schien durchaus nicht geneigt, Frau
Biggs Wunsch zu willfahren — „Diese Heidin
hat also den Schlüssel, den Du mir, Deiner eigenen
Mutter, verweigerst!" schrie Frau Biggs. „Geben
Sie ihn mir, elendes Geschöpf! — „Ich will
nicht!" sagte die Hindu, sich wie ein Fels vor die
wüthende Frau hinstellend. „Sie sind betrunken,
Madame. Gehen Sie fort. Gehen sie hinab!" —
Frau Biggs wollte nicht gehen; aber Falla erzwang
ihren Gehorsam, indem sie das wutbschnaubende
Weib einfach bei den Armen packte und zur Thüre
hinausschob. Ehe Frau BiggS sich noch zur Wehre
setzen konnte, war Falla bereits wieder im Zimmer
drinnen bei Sinda und hatte die Thüre versperrt
und verriegelt.
„So, jetzt kann sie die Diamanten nehmen,
wenn sie will", sagte Falla rubig. „Grämen Sie
sich nicht Missy. Es ist ganz recht so. Sie ist
betrunken und nicht geeignet, etwas in ihren
persönlichen Schutz zu nehmen." — Frau Biggs
setzte sich draußen vor der Tbüre nicht weiter zur
Wehre, sondern ging die Siieze hinab in ihr
Zimmer und warf sich anzekleidet, w'c sie war, aus
ihr Bett, wo sie sofort in tiefen Schlaf versank und
 
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