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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) (2) — 1894

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Nr. 281 - Nr. 290 (30. November - 11. Dezember)
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Kummer 287. LL« IahrgEg.

A SttSV

Freitag, 7. Dezember 1«S4.




General

nrerger

Expedition: ^crnptstrcrtze Mr. 26.

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die tspaltige Petitzeile oder deren Raum 8 Bfg.,
für auswärtige Inserate 10 Pfg., bei öfterer Wieder-
holung entsprechender Rabatt.

für Heidelberg mrd Umgegend
(Würger-Zeitung).

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TeLephsn-AnfchlrrZ Nr. 1VL. 'MU

Pariser Taugenichtse.
Paris hat wieder ein Mal seinen Skandal.
Nicht so ein kleines Boudoirskandälchen, für das
sich höchstens die Herrschaften vom Jockey-Klub
und die übrige Lebewelt intercsfirt, sondern ein
ordentlicher, schöner Riesenskandal, über den
Alles in Hütte und Palast entrüstet den Kops
schüttelt.
Wie das Wasser, in das man einen Stein
hineinwirft, immer größere Kreise zieht, so ent-
stehen auch die Pariser Skandale. Die Wilson-,
die Panama-Affaire, sie begannen damit, daß
irgend eine distinguirte Persönlichkeit kvmprvmit-
tirt erschien und von den Hütern des Gesetzes
beim Kragen gepackt wurde. Das war immer
der Anfang von einem ungeheueren Skandal, der
die ganze Welt monatelang beschäftigte und den
Beweis lieferte, daß unter den „oberen Zehn-
tausend" Frankreichs wenig, aber schon sehr wenig
ehrliche Leute sind.
Diesmal ist es wieder so. Aus kleinen An-
fängen entwickelt sich eine Affaire, die von Tag
zu Tag sentationeller wird und zeigt, daß nicht
nur Manches, sondern so ziemlich Alles faul ist
im Staate Frankreich. Die bis jetzt bloßgestellten
Gauner sind folgende:
Herr Dreyfuß, ein Generalstabsoffizier, der
geheime Dokumente aus den Archiven des Ge-
neralstabs kopirte und diese Kopien an das Ausland
für gutes Geld verkauft hat. Er sitzt bereits hinter
Schloß und Riegel.
Der Militärlieferant Allez. Seine Firma
hatte bei einer großen Militärlieferung Feldkessel
von zu geringem Gewicht geliefert, deren An-
nahme verweigert wurde- Durch Einsetzung eines
falschen Bodens wurde die Gewichtsdifferenz aus-
geglichen und die derart hergerichteten Feldkcsscl
aufs Neue der Abnahmekommission unterbreitet.
Diese merkte den Betrug und Allez hatte sich ge-
richtlichen Verfolgungen auszusetzen. Ein „Syn-
dikat" von fünf Chefredakteuren Pariser Blätter
erbot sich nun, gegen Zahlung von 100 000 Fr.
die Sache zu unterdrücken. Sollte der Kriegs-
minister den „Fall" weiter verfolgen, so sollie
er durch eine Kammerclique gestürzt werden.
Das Haus Allez zahlte, verlangte aber die Bei-
träge wieder zurück, weil der Schwindel verrathen
wurde.
Herr Portalis, Baron, Chefredakteur des
XIX. Siecle und Enkel des Justizministers Na-
poleons I. Er hat gegen die Spielhölle von
Paris Erpressungen verübt. Durch Vermittelung
eines „Baron" Hefftler hat Portalis von einem
Cercle-Inhaber Namens Bertrand 60000 Frcs.

Schweigegelder herausgeschlagen. Portalis ist
durch seinen Helfershelfer und „Mitredakteur" de
Clerq verrathen worden. De Clerq ebenso wie
Girard, Verwalter des XIX. Siecle, wurden ver-
haftet, während Portalis sich durch die Flucht
vor Verfolgungen zu entziehen wußte. Man be-
hauptet, er wäre noch in Paris, um sich den
weiteren Verlaus der Geschichte anzusehen. Das
Lustigste daran ist, daß de Clerq, der Helfers-
helfer von Portalis, der wegen Erpressung vorbe-
strafte Verbrecher, gleichzeitig Geheim-Agent der
Polizei war, um die Redaktion des XIX. Siecle
zu überwachen. Wie in der Kammer festgestellt
wurde, sitzt in jeder Pariser Zeitungsredaktion
mindestens ein Polizeispitzel. Portalis lebte mit
dem Petit Journal in heftigster Zeitungsfehde.
De Clerq verschaffte sich Dank seiner Verbin-
dungen mit der Polizeipräfektur die Geheimakten
von den Redakteuren des Petit Journal und be-
nutzte dieselben zu seiner Zeitungspolemik. Man
hat wegen dieses unqualifizirbaren Vertrauens-
mißbrauchs einen Subalternbeamten entfernt.
Die Stadträthe von Toulouse. Sie haben
unter Zustimmung des Präfekten seit Jahren die
Wahllisten gefälscht, einzelne Radikale bis zu
zwanzig Mal wählen lassen, deßgleichen Todte
als Wähler aufgesührt, politische Gegner dagegen
von den Listen gestrichen. Die Regierung hat
den Stadtrath aufgelöst, den Präfekten versetzt,
und die Gerichte verhandeln jetzt gegen die Schul-
digen.
Man sieht, es geht recht lustig zu in Paris
und im umliegenden Frankreich. Das Merk-
würdigste dabei ist, daß dieselben Blätter, die vor
bald drei Jahren den Panamaschmutz aufwühlten,
heute als Organe erwerbsmäßiger Erpresser ge-
brandmarkt werden-
In der Kammer hat nun die Regierung vor
einigen Tagen wohl versprochen, der Gerechtigkeit
freien Lauf zu lassen, aber das darf nicht allzu
wörtlich genommen werden. Man wird ein paar
kleine Diebe hängen, die großen aber weislich
laufen lassen. Niemand hat eben ein Interesse
daran — die Regierung zu allerletzt —, daß
der Skandal wieder wie beim Panama auf das
Parlament übergreift, und die Häupter der Re-
volver-Journalistik sind im Besitze zu gefähr-
licher Geheimnisse, die eine Unzahl von Abge-
ordneten kompromittiren können, als daß man
ihnen kurzer Hand den Prozeß machen könnte.
Es wird also Alles wieder hübsch beim alten
bleiben und die „Spitzen" der Pariser Gesellschaft
werden wieder ruhig weitergaunern. Wie lange?
Das kommt darauf an, wie lange die französische
Nation sich das gefallen läßt.

DeMHes Kxich.
Berlin, 7. Dezember.
— Der dem Reichstage gestern zugegangene
Etat schließt in Einnahmen und Ausgaben mit
1 247 256 063 Mk. ab, nämlich 1 100 554 613
fortdauernden, 98 844 584 einmaligen ordentlichen
und 47 856 866 einmaligen außerordentlichen Aus-
gaben. Der Miliiäretat fordert 471 238465
fortdauernde Ausgaben, gegen den vorjährigen
8 783 440 weniger, einmalige ordentliche Ausgaben
55 113 540 oder 16 780 600 gegen den vorjäkrigen
mehr, an einmaligen außerordentlichen Ausgaben
34 167 892 oder 58 560 533 gegen den vor-
jährigen weniger. Der Marineetat fordert
35 994 656 fortdauernde Ausgaben, 5 298 532
gegen den vorjährigen mehr, 23 025 050 einmalige
Ausgaben, 4 029 400 gegen den vorjährigen mehr,
7 342 800 außerordentliche oder 3111 600 mehr.
Der Voranschlag der Einnahmen weist aus den
Z ö llen u. V e r brau ch s steu ern 623 140 420
auf, gegen den vorjährigen 1 204 860 mehr, die
Bruttoeinnahme aus Post und Telegraphen
279 138 390 oder 8 369 990 mehr, der Ueberschuß
beträgt 27 932 879 oder 471 138 weniger. Der
Etat der Schutzgebiete balancirt mit 9 052 000.
Unter den Einnahmen sind die Zölle auf 2 577 000
veranschlagt, der Reichszuschuß beträgt 6 Millionen.
Das An lei hege setz für Heer und Marine und
Eisenbahnen sieht einen Anleihebetrag von 43 997692
Mark vor.
— Die Centrumsfraktion brachte gestern wie-
derum den Antrag auf Aufhebung des
Jesuitengesetzes im Reichstage ein.
— Die Ausdehnung des Dienstalters-
stufensystems soll, wie verlautet, nicht bloß
für den Gesammtkörper der Post- und Telc-
graphenverwaltung, sondern auch für die höheren
Reichsbeamten beabsichtigt sein. Ausgenommen
davon würden nur vereinzelte Beamtenklasfen
sein, wie die vortragenden Rüthe der Reichskanzlei
und wenige andere. Daß sich dabei die Verhält-
nisse für einzelne Klaffen der Post- und Tele-
graphenbsamtcn verschlechtern müssen, liegt auf
der Hand. Zur Verhütung einer solchen Ver-
schlechterung sollen darum, wie die „Berl. Pol.
Nachr." hören, besondere Ausnahmen getroffen
werden. Hauptsächlich sollen diese Ausnahmen
für die Pvstunterbeamten in Frage kommen.
Den in den Resolutionen des Reichstages vom 6.
März 1893 und 10. Februar 1894 ausgedrückten
Wünschen, daß speziell bei dieser Kategorie, die
vielfach ungewöhnlich schnell im Gehalt aufgerückt
ist, nicht bloß die thatsächlich erreichten Gehalts-
sätze, was selbstverständlich ist, jedem erhalten
bleiben, sondern auch in den Aufrückungsaus-
sichten keine Schädigungen eintreten möchten, soll

thunlich nachgekommen werden. Es soll beispiels-
weise beabsichtigt sein, durch die Vereinigung der
bisher minderbesoldeten Orts-Unterbeamtenllafse
(Packetträger und Stadtpostboten) mit der besser
besoldeten Schaffnerklasse zu einer gemeinsamen,
von 860 bis 1500 Mk- aufsteigenden Klasse,
also unter Erhöhung des Anfangsgehaltes für
die erstere, die Wirkung zu erzielen, daß die bis-
her gerade in der ersten Zeit, nach dem Eintritt
in Etatsstellen besonders rasch vermehrten Bezüge
den Betheiligten auch künftig bald nach diesem
Eintritt oder sogleich zufallen. Es sollen ferner
für die Schaffner- und Landbriefträgerkategorien
besondere Bestimmungen getroffen werden. Auch
soll allen Postunterbeamten regelmäßig das
Dienstalter, mit welchem sie vor dem 1. April
1895 nach den bisherigen Reglements angestellt
sind, auch bei Einreihung in die Altersstufen be-
lassen werden. Auch für andere Kategorien als
die Untcrbeamten sollen besondere Vorschriften
vorgesehen sein. Für Postverwalter soll sogar
eine ausnahmsweise erhebliche Gehaltserhöhung
in Aussicht genommen sein. Für Postassistenten
und Telegraphenassistenten liegt gleichfalls ein all-
gemeiner Vortheil in der Neuregelung.
Karlsruhe, 6. Dez. Seit der Ankunft Ihrer
Königlichen Roheit der Kronprinzessin V-ktoria in
Rom sind den hohen Eltern derselben im Ganzen
befriedigende Nachrichten über Höchst ihr Befinden
zugekommcn. Ihre Königliche Hoheit war in der
ersten Zeit von sonnigen und warmen Tagen be-
günstigt und konnte Sich daher zu Fuß und zu
Wagen im Freien bewegen. Das Wetter änderte
sich indessen und es ist eine Regenperiode gefolgt,
welche wechselvolle Temperaturen im Gefolge hatte
und die freie Bewegung hemmte. Wenn auch der
Aufenthalt in den milderen klimatischen Verhält-
nissen eine wohlthätige Wirkung auf das Allgemein-
befinden ausübt, so ist doch der Gesundheitszustand
der Kronprinzessin noch sehr schonungsbedürftig.
Ihre Königliche Hoheit ist in dem „Grand Hotel"
vorzüglich untergebracht, sowohl bezüglich der sonni-
gen Wohnung als der günstigen hohen Lage des
sehr gut gebauten geräumigen Hauses. Der Auf-
enthalt daselbst wird wohl den größten Thei! des
Winters umfassen.
Deutscher Reichstag.
Berlin, 6. Dezember.
Präsident v. Levetzow eröffnet die erste
Sitzung iw neuen Gebäude mit Dankesworten für
den genialen Baumeister. „Das Haus", so sagte
der Redner, „erinnert an eine große Zeit, an die-
jenigen, welche für die Aufrichtung des Reiches
gekämpft und geblutet haben, und hat als Denk-
mal jener Helden hohen vaterländischen Werth.
Diesen Werth zu erhalten und zu pflegen, ist die

Ke sucht und K efunö en.
Roman von Hermine Frankenstein.
58) (Fortsetzung.)
Es bricht mir das Herz, Sie aufzugeben —
o, wahrlich, ich darf das jetzt sagen — aber ich
werde Sie nie heirathen! antwortete Sinda. Sie
rieß sich mit rascher plötzlicher Bewegung von ihm
los und stand vor ihm mit leichenblaß gewordenem
Gesichte und verzweifelt blickenden Augen. Elliot
flehte sie an, aber vergeblich. Sie beharrte felsen-
fest bei dem, was sie für Recht hielt, aber in ihren
Zügen und in ihrer Haltung verrieth es sich nur
zu deutlich, was ihre Entscheidung sie kostete Sie
standen noch so beisammen, Elliot voll bittender
Zärtlichkeit zu ihr gewandt, als Graf Tregaron,
Maya und Bathurst herbei kamen. Als sie auf
die Brücke traten, blickte Sinda zu ihnen auf, be-
müht, den grenzenlosen Schmerz, der sie erfüllte,
in ihren Zügen nicht merken zu lassen.
„Herr Graf", sagte Elliot, sich an den Grafen
wendend, „helfen Sie mir, Sinda zu beeinflussen.
Sie hat unsere Verlobung gelöst. Sic weigert sich,
ihr Wort zu halten, mich zu heirathen." — Habe
ich nicht Recht?" fragte Sinda in gebrochenem
Tone. „Sie haben Frau BiggS gesehen. Sie
können sich nicht vorstellen, was ihr Sohn sein
Mag. Kann ich Ihren Erben mit solchen Men-
schen in Verbindung bringen?" Graf Tregaron
zuckte zusammen. — „Wenden Sie sich nicht an
mich, Elliot", sagte er in bekümmertem Tone.
»Sie müssen das unter sich allein auömachen, Sie
"nd Sinda." — „Er ist so grohmüthig", sagte
Sinda. „Er möchte mich trotz alldem nehmen,

wenn ich es zulassen wollte. Aber ich weiß, daß
die ganze Welt die Herkunft seiner Frau verhöhnen
und verspotten würde, wenn ich ihn heirathe, ich
weiß, daß er in künftigen Jahren seine Großmuth
vielleicht bedauern würde u. ich kann u. will keinen Vor-
theil au derselben ziehen." —„Sinda hat Recht!
rief Maya aus. „Sie hat Recht, und Du weißt
es, Papa. Ich bin nur ein einfältiges, kleines
Ding, aber selbst ich sehe ganz gut ein, daß Frau
Bigg's Tochter durchaus nicht zur Gräfin passen
würde. Verzeihe mir liebste Sinda, aber da Du
es sebst gesagt hast, weißt Du ja, daß es so wahr ist."
Maya schaute abwechselnd mit flehenden Blicken
von Sinda zum Grafen, als wäre sie höchst er-
schrocken darüber, daß sie ihre Meinung so offen
ausgesprochen hatte. — „Ich möchte lieber Alles auf-
geben, Reichthum, Aussichten, Freunde, Vaterland,
Alles, wenn ich nur Dich behalten kann, Sinda",
rief Elliot feurig, „denn Du bist mir theuerer, als
Alles in der Welt!" — Sinda antwortete nicht.
— „Sinda ist sehr edel", bemerkte Walter Bat-
hurst. „Es ist hart, Elliot, aber ich fürchte, sie
hat Recht." — „Wenn sie meine Mutter ist",
sagte S>nda, noch immer mit gesenktem Kopfe und
in verzweifelter Haltung, „und ich kann nicht da-
ran zweifeln, daß sie es ist, bin ich ihr nach den
göttlichen Gesetzen, sowie nach den Gesetzen dieses
Landes Gehorsam schuldig. Und wenn sie morgen
Früh fortgeht muß ich mit ihr gehen."
„Nein, nein, ich werde Dich nicht gehen las-
sen, Sinda", rief Elliot. „Du gehörst mir trotz
Allem, was Du erklärt hast. Ich werde Dich mit
dieser Frau nicht fortgehen lassen; nein, selbst
wenn sie tausendmal Deine Mutter wäre. Sinda,

sei nicht überspannt. Höre auf mich, auf Graf
Tregaron. Reden Sie ihr doch zu, zu bleiben.
Sagen Sie ihr, daß sie nicht gehen soll. — „Welche
Macht habe ich, ihr das zu sagen, Armand?" riet
der Graf aus. „Sinda ich beschwöre Sie, Ihre
Entscheidung noch zu überlegen. Diese Frau ist
keine passende Beschützerin für Sie. Sie wird Sie
in ihre elenden Schlupfwinkel, zu ihren erbärm-
lichen Genossen bringen. — „Die Gegenwart einer
Mutter sollte für deren Tochter immer der beste
Schutz sein," sagte Sinda. „Wir können sie mit
Geld entschädigen, mein Kind, und sie als Ka-
tharinas geliebte Freundin und Schwester hier be-
halten!" — „Aber, Herr Graf, werden Sie es je,
kann ich es je vergessen, daß ich das Kind jener
Frau bin?" fragte Sinda. Ich bin von ihrem
Blut. Sie beabsichtigte eine Ballettänzerin aus
mir zu machen. Sie hat die Ansprüche einer
Muttter an wich. Ich bin stolz, Herr Graf, zu
stolz, um ihre Gastfreundlichkeit jetzt anzunehmen,
wo ich meine Stellung in der Gesellschaft und der
Welt kenne. Ich bin zu stolz, um als Maya's
Schwester zu bleiben, jetzt, wo es bewiesen ist, daß
ich so tief unter ihr stehe. O, See würden mich
gewiß verachten, wenn ich hier bliebe und die Dame
spielte, wie Sie es von mir verlangen."
Sie schlug ihre Augen zu ihm auf, ihre gro-
ßen, traurigen Äugen, und der Graf wich erstaunt
einen Schritt zurück, sich abermals im Stillen
fragend, wo er solche ausdrucksvolle Augen schon
gesehen hatte. Eine gemarterte, zu Tode gequälte
Seele schaute aus diesen dunklen Tiefen zu ihm
empor, und das Herz des Grafen blutete ebenso
sehr für sie, wie das Herz ihres Verlobten. —

„Wenn Du Dich nur von mir beschützen lassen
wolltest, Geliebte", bat Elliot; „dann könntest Du
Deine schweren Lasten auf mein: starke Schultern
legen. Sinda, wenn Du mich liebst, unterordne
Deinen Millen." —„Wenn ich Sie liebe!" seufzte
Sinda. Die großen, traurigen Augen wandten sich
jetzt mit solch' schmerzvollem Ausdrucke zu Elliot,
daß dieser erschrak.
„Ich bin überzeugt", sagte Maya mit ihrer
silberhellen Stimme, „daß, wenn meine theure
Mama am Leben wäre, ich überall mit ihr hin-
ginge, ob sie nun weise oder unwissend, schön oder
häßlich wäre. Frau Biggs ist Sinda's Mutter
und sie hat ein Recht an ihre Tochter, und ich
glaube, Sinda sollte mit ihr gehen. Sinda sprach
immer davon, daß sie das Volk von Khalsar besser
und aufgeklärter machen wollte. Das Volk von
Khalsar waren aber keine Verwandten von ihr;
Viele darunter waren sehr tief gesunken und ver-
kommen, sie aber liebte sie dennoch. Nun, ich bin
freilich nur ein thörichtes Ding, aber ich glaube,
daß Sinda das, was sie ist, nur durch die Erzie-
hung geworden ist, die sie genossen bat." — Der
Graf wollte sprechen, Maya aber fuhr eifrig fort:
„Bitte, Papa, unterbrich mich nicht! Und ich
glaube, wenn es Sinda ernst meint mit dem Vor-
haben, verkommene Menschen auf einen besseren
Weg zu führen, hat sie jetzt die beste Gelegenheit
dazu! Sie könnte aus Frau Biggs noch eine an-
ständige Person machen, wenn sie sich mit Ernst
und Eifer dieser Aufgabe widmete."
Sinda zuckte unter diesem versteckten Hohne
nicht zusammen. „Es mag fiin, daß ich eine
Pflicht gegen Frau Biggs zu erfüllen habe", sagte
 
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