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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) (2) — 1894

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Nr. 161 - Nr. 170 (13. Juli - 24. Juli)
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Nummer 170. H. Jahrgang.

Ott v

Dienstag, 24. Juli 1«94.


für Heidelberg und Umgegend

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Politische Seitensprünge.
Der italienische Franzosenschwärmer Bonghi
ist wieder einmal an der Arbeit, den Dreibund
zu lösen und seine Landsleute den Franzosen
wieder in die Armee zu führen- Wie die Dinge
liegen, braucht man einstweilen eine so vollständige
Aenderung der politischen Konjunktur keineswegs
zu fürchten. Frankreich hat sich im Laufe der
letzten Zeit, auf politischem und wirthschaftlichem
Gebiet, wahrlich nicht so die italienischen Sym-
pathien gewonnen, daß die öffentliche Meinung
in Italien sich bereits gegen eine Erneuerung des
Dreibundes gekehrt hätte.
So braucht man auch den schönen Verbrüderungs-
reden, die jetzt in Paris um Bonghi geschwungen
werden, nicht viel mehr Bedeutung beizulegen,
als z. B. dem interparlamentarischen Friedens-
kongreß, der nächstens wieder sein gutgemeintes,
über nutzloses Strebe« dokumentiren wird. Daß
die verschiedentlich, ja geradezu bedenklich verschärft
gewesene Spannung zwischen Italien und Frank-
reich besseren Beziehungen weiche, welchen Wunsch
auch der neue Präsident der französischen Re-
publik Casimir-Perier Bonghi gegenüber
vor einigen Tagen ausgesprochen hat, können
auch wir Deutsche im Interesse des.allgemeinen
Friedens nur begrüßen. Wenn der erste Re-
präsentant Frankreichs bei dieser Unterredung,
wie telegraphisch gemeldet wird, sich zu einem
direkten Ausfall gegen den Dreibund, der dem
allgemeinen Verlangen nach Versöhnung entgegen-
stehe veranlaßt gesehen hat, so wäre das wohl
nur eine, allerdings charakteristische Ungeschicklich-
keit, aber nicht als besondere Drohung oder Be-
leidigung zu empfinden. Wenn aber ein deutscher
„Politiker" einem Franzosen gegenüber gleichfalls
der deutschen Politik eine wesentliche Schuld daran
beimißt, daß noch keine deutsch-französische Ver-
brüderung und kein dauernder Weltfriede her-
gestellt sei, so muß man ein solches Benehmen
als eine noch viel größere Taktlosigkeit brand-
marken. Herr Langerhans, Vorstand der Berliner
Stadtverordneten und Reichstags-Abgeordneter,
hat den ihm besuchenden Korrespondenten des
Pariser „Matin" die Fehler, die in dieser Be-
ziehung seiner Meinung nach sowohl dem „alten"
wie dem „neuen" Kurs in Deutschland zur Last

fallen, dargelegt; Deutschland und Frankreich
seien getrennt durch eine „beklagenswerthe Politik"
Er sagte über die Politik des „neuen Kurses",
sie sei nicht diejenige, die er gerne in seinem
Vaterlande geübt sehe; sie steckte noch im Geiste
der Feudalität. Dieser alte Rest von Feudalität
bilde in gewissem Sinne ein Hinderniß gegenüber
der an sich möglichen und so sehr wünschens-
werthen Verständigung des deutschen und fran-
zösischen Volkes. Es sei ein großes Unglück für
ganz Europa, daß diese beiden großen Nachbar-
völker bis heute noch nicht dazu gekommen seien,
sich näher zu treten. Rückhaltslose Anerkennung
verdiene dagegen die äußere Politik Caprivi's,
denn sie sei eine Politik der Ruhe, der Mäßigung,
selbst des Wohlwollens, wie sie leider nicht immer
in Deutschland maßgebend gewesen. Caprivi sei
aufrichtig friedliebend rc." — Hr. Langerhans
hat als Politiker gar keine Bedeutung, nicht ein-
mal innerhalb der kleinen freisinnigen Volks gartei,
er ist nur ein getreuer Gefolgsmann Eugen
Richter's; bei uns wird man also seine Ergüsse
nach ihrem wahren Werth zu taxiren wissen.
Protestirt muß nur dagegen werden, wenn im
Ausland, namentlich in Frankreich, derlei Kanne-
gießereien eines immerhin in hervorragender Re-
Präsentativ-Sftllung befindlichen Mannes als die
öffentliche Meinung in Deutschland wiederspiegelnd
hingestellt werden.
Deutsches Reich.
Berlin, 24. Juli.
— Die mit der Neueinschätzung der Brennereien
betrauten Sachverständigen der Brennsrei-Berufs-
genossenschaft haben sich diesmal, abweichend von
dem im Jahre 1890.91 befolgten Verfahren, nicht
nur gutachtlich überden Gesammtbottichraum, dessen
Bemaischung für je ein Jahr der abgelaufenen
Zeit als angemessen zu erachten ist, und über die
aus diesem herstellbare Litermenge reinen Alkohols
zu äußern. Sie sollen vielmehr auch unter Zu-
grundelegung eines vom Reichsschatzamte mitge-
theilten Verhältnisses zwischen der in der vergan-
genen Kontingentszeit hergestellten Gcsammtmenge
an Alkohol überhaupt und der in dem gleichen
Zeitraum zu dem niedrigenden Verbrauchsabgaben-
satze hergestellten oder als hergestellt in Ansatz ge-
brachten Alkoholmenge das Kontingent berechnen,
das der Brennerei für den abgelaufenen Zeitraum
zuzuweisen gewesen wäre, falls für sie die Neuver-
anlagung Geltung besässen hätte.
— Eingaben, die aus Handelskreisen an den
Reichskanzler gelangen, weisen auf den im mitt-
leren und kleineren Verkehr empfindlich hervor-
tretenden Mangel an Zehnmarkstücken hin, welches
Geldstück namentlich bei den wöchentlichen Lohnaus-

zahlungen an die Arbeiter schwer zu entbehren sei.
Der Reichskanzler wird nun um eine möglichst baldige
Beseitigung dieses Uebelstandes ersucht. Aehnliche
Gesuche sind früher bereits an den preußischen
Finanzminister gerichtet worden, hatten aber keinen
Erfolg.
— Das Statistische Jahrbuch für das Deutsche
Reich, herausgegeben vom Reichsstatistischen Amt,
berechnet die Bevölkerung des heutigen Reichsge-
biets seit 1816 wie folgt: 1816 14833000,
1820 26 294000, 1830 29 250 000, 1840
32 787 000, 1850 34 397 000, 1860 37 747 000,
1870 40 818 000, 1875 42 729 000, 1890
49 238 000 Seelen. Im Jahre 1890 war die
letzte Volkszählung und da sich die Reichsbevöl-
kerung jährlich um etwa 500000 Seelen vermehrt,
ist ihr gegenwärtiger Stand rund 51 500 000.
Ueber die Hälfte der Bevölkerung gehört dem
Lebensalter von 1—20 Jahren an. Näckstdem
find die Altersstufen von 21 bis 35 Jahren am
meisten vertreten. Eine starke Abminderung be
ginnt bei den 50er Jahren. 95—100 Jahre find
nur 957 Personen und über 100 Jahre nur 78
Personen alt.
— Während es bezüglich internationaler Ab-
machungen zwischen den Regierungen gegen die
Anarchistengefahr allmählich wieder ganz
still geworden ist, verlautet neuerdings, daß sich die
Polizeibehörden der größeren europäischen Staaten
reger aneinander geschlossen hätten und übereinge-
kommen wären, nicht allein alle auf die anar-
chistische Bewegung bezüglichen Nachrichten und Be-
obachtungen gegenseitig auszutauschen, sondern auch
von Zeit zu Zeit besondere Agenten zur Bewachung
ihrer in fremden anarchistischen Mittelpunkten
lebenden Staatsangehörigen auszusenden. Die be-
treffenden Korrespondenzen sollen ohne Vermittelung
der diplomatischen Vertretungen unmittelbar von
Polizeibehörde zu Polizeibehörde geführt werden.
Man verspricht sich von einer scharfen und zweck-
mäßigen Durchführung dieser Vereinbarung gute
Erfolge und ist im klebrigen der Ansicht, daß, so-
lange England und die Schweiz nicht zu einer
grundsätzlichen Aenderung ihres Asylrechtes zu be-
wegen seien, andere internationale Abmachungen
gegen die Anarchisten ohnehin nicht getroffen werden
könnten.
— Der Handelsminister Frhr. von Berlepsch
hat anläßlisch seiner schon erwähnten Reise durch
die Lausitz bei dem Souper, das in Sorau unter
Theilnahme mehrerer Mitglieder der Handels-
kammer stattfand, Gelegenheit genommen, sich
über die geplante Neuorganisation der
Handelskammern zu äußern. Es sei noth-
wendig — so ungefähr lauteten die Andeutungen
des Ministers — wenn die Staatsregierung das

Gedeihen von Industrie und Gewerbe thatkräftig
fördern wolle, daß dieselbe im Lande Organe
besitze, welche mit Verständniß und Objektivität
ihre Berichte und Gutachten in allen wichtigen
kommerziellen Angelegenheiten abgäben. Diese
Körperschaften, wie sie hier durch die Handels-
kammern vertreten seien, mit mehr Befugnissen
auszustattcn und dadurch ihren Wirkungskreis
zu erhöhen, sei sein Bestreben, an dem er als
Freund der Selbstverwaltung, die sich im preußi-
schen Staatswesen seiner Ansicht nach bestens be-
währt habe, festhalte. Er beabsichtige, bei den
jetzt vorhandenen kommerziellen Organen, den
Handelskammern, Umfrage zu halten, wie durch
eine Neuorganisation derselben am besten weiter-
hin die Interessen von Handel und Industrie
gefördert werden könnten, und auf Grund dieser
Gutachten, Ansichten und Wünsche werde er dann
der Volksvertretung einen Gesetzentwurf vorlegen,
der hoffentlich zu einer segensreichen Fortent-
wickelung von Handel und Industrie beitragen
werde. Er gehe von der Ansicht aus, daß nicht
nur da, wo sich ein Bedürfniß für die Errichtung
einer Handelskammer zeige, dieselbe zu errichten
sei, sondern daß diese Institution sich auf das
ganze Land erstrecken müsse.
Karlsruhe, 24. Juli. Der Gesammtpachtzins
aus den badischen Domänenjagden betrug im Jahre
1888 43 518 Mk. 77 Pfg. und im Jahre 1893
49 987 Mk. 63 Pfg. er ist somit binnen fünf
Jahren um 6 468 Mk. 86 Pf. — 14,9 Proz.
gestiegen. Unter den Domänenjagden inbegriffen
sind die Rheinvorland- und Wasserjagden, sowie die
Wafferjagden auf Main, Neckar und Bodensee. Die
Verhältnisse über die Rheinvorland- und Wasser-
jagden längs der badisch- elsässischen Grenze wurden
vor kurzem auf Grund der Verhandlungen der
Zweiten Kammer während des 1862er Landtags
neu geregelt.
Ausland.
Soeholt, 22. Juli. Die „Hohenzollern" hat
heute früh Merok im Geiranger Fjord verlassen,
um noch heute Abend vor Oldoeren im Juvik-
Fjord einzutreffen. Nach zweitägigem Regen klärte
sich das Wetter am Freitag Abend auf, sodaß
der Kaiser einen längeren Spaziergang an Land
unternehmen konnte. Am Samstag früh wurde
bei prachtvollem Wetter nach dem 1000 Meter
über dem Meer gelegenen Djubvand ein Ausflug
unternommen, den der Kaiser größtentheils zu
Fuß zurücklegte.
Paris, 23. Juli. In der gestrigen Sitzung
des Anarchistengesetzausschusses theilte Justiz-
minister Guerin mit, daß die Regierung in der
heutigen Kammersitzung durch eine förmliche Er-

Z> esüHn L.
Roman von H. von Gabain.
28) (Fortsetzung.)
Gleich einem echten Jünger Gottes stand er
hochaufgerichtet vor dem jungen Mann, hoffend,
das erstarrte Herz würde den göttlichen Funken in
sich ausgenommen haben. Allein wie schmerzlich
batte er sich in diesem von Leidenschaften umgamten
Charakter getäuscht! Hans Ullrich wollte den Kampf
bis auf's Messer aufnehmen. Die Zornesader
schwoll bedenklich auf seiner Stirn, aus seinen Augen
sprach unbezähmbarer Trotz und düstere Entschlossen-
hüt.
„Sorgen Sie für dieses elende Weib, Err-
würden, und Du," ein mitleidiger Blick traf Hans
Ullrich, der gleich einem steinernen Gast unbeweg-
lich mitten im Zimmer stand „Du geh hinaus,
Morgen werden wir über Deine Zukunft berathen.
Dich hat ein schwerer Schlag getroffen, lerne ver-
geben und vergiß nicht, daß die übergroße Liebe
einer Mutter Dir diese Wunde schlug. Du hast
Dich schwer an mir vergangen, Du hast meine
übergroße Güte mißbraucht, das Heiligste, was in
Deinem Herzen' leben sollte, mit Füßen in den
Staub getreten. Die Hälfte meines Vermögens ist
durch Deinen Leichtsinn verpraßt; ich vergebe Dir
alles, alles, denn was ich dafür zurückerhielt, wiegt
tausendfach das verlorene, irdische Gut auf. Geh,
geh," rief der Greis angsterfüllt, als der junge
Mann Miene machte, seine Hand zu ergreifen, „es
ist mein letztes Wort, ich kann nicht — weiter!"
Das Haupt sank unter der Wucht Lieser grausamen

Schicksalsschläge in die Kissen nieder. Ein lange
entbehrter, friedlicher Zug breite sich über das edle
Greisenantlitz, die müden Augen schlossen sich.
„Es wird zu Ende gehen," flüsterte Lendang,
beklommen auf die matten Athemzüge des Reichs-
grafen horchend. Allein dem war nicht so. Ein
milder Engel hielt treue Wacht zu Häupten des
Greises, bis daß er am nächsten Tage von langem
Schlaf erwachte, um das Werk der Barmherzigkeit
an den in ihren Rechten fo hart Geschädigten zu
beginnen, unterstützt und wohl berathen von Len-
dang, der bis zu des Reichsgrafen Tode nicht von
dessen Seite wich.
Während die besorgten Männer sich um den
ermatteten Greis schaarten und flüsternd ihr Be-
denken austauschten, batte sich Frau Schulz, auf
ihren Knotenstock gestützt, von den Knieen erhoben.
Ein unsäglich trauriger Blick umfaßte die Gestalt
des Sohnes, der, im Fieberschauer erhebend, eine
wehrlose B^ute seiner inneren, tobenden Empfin-
dungen, wie angewurzelt an seinem Platz stand.
Gleichsam wie gelähmt an Geist und Körper ver-
mochte er sich nicht aus seinem apathischen Zustände
zu befreien.
»Fritz, Fritz, vergieb!" Es war ein Schrei aus
qualdurchwühltem Herzen, der Jammerruf einer ver-
zweifelten Mutter. Ein mächtiges Beben rüttelte
den Körper des Sohnes, erschauernd zog er sich
zurück, den bläulich gefärbten Lippen entrang sich
ein gellender, unartikulirter Schrei, wie ein Wahn-
sinniger stürmte er aus dem Zimmer. Die ge-
hobene Hand der Schuldbeladenen sank schwernieder,
wie eine Schwerkranke nickte sie vor sich hin, die
Lippen bewegten sich im leisen Selbstgespräch.

„Verzagen Sie nicht, liebe Frau " tröstete der
Geistliche, „morgen wird sich der Aufruhr in Ihrer
Seele gelegt haben. Gehen Sie ins Wirthshaus
herunter, die Rübe thut Ihnen auch Noth!"
„Morgen, morgen," nickte die Alte, „wer den
anderen Tag noch erlebt, Ehrwürden."
Die Thür schloß sich hinter ihr, langsam schleppte
sich das elende Weib bis an den Fuß des Berges.
Heulend tobte der Wind; in dicken, undurchdring-
lichen Flocken fiel der Schnee nieder und hüllte
Wege und Gräben, die ganze Landschaft in eine
ungeheure, wüste pfadlose Masse.
Eine geraume Weile hatte der entlarvte
Grafensohn sinnend auf dem Hof gestanden. Immer-
fort strich er mit der flachen Hand über die
Stirn, als wollte er damit dem wirren Gedanken-
tanz Einhalt thun und der zunehmenden
Schwäche seines Geistes gebieten. Allein das
schwache Nervensystem war zerrüttet von dem
wuchtigen Schlage; die Züge seines Antlitzes
verzerrten sich zur Grimasse; ohne Ueberlcgung,
den düsteren Dämonen verfallen, stürmte er in
den Stall, sattelte eigenhändig sein Reitpferd,
schwang sich mit jähem Ruck in den Sattel
und jagte ziellos, jedes klaren Gedankens be-
raubt. davon. Brausend pfiff der Sturm ihm um
die Ohren; seine glitzernden Krystalle füllten Kopf-
und Barthaare, dichte Schneemasseu lagerden sich
auf seinem Körper: er fühlte nichts von den ihn
umtosenden Elementen, in ihm war es Nacht, wie
ausgestorben sein Hirn für jegliche äußere Empfin-
dung. Stunde um Stunde veran. Die Kraft des
edlen Thieres, das den Verwegenen unzähligemale
bei wahnwitzigen Wetten ans Ziel geführt, erlahmte

mehr und mehr: allein mit eisener Willenskraft
hielt der Reiter den Zügel straff. Wuchtig siel
der Knauf seiner Reitergerte auf den Rücken des
armen Thieres, so daß es in wilden Sätzen, der
eisernen Gewalt gehorchend, weiterjagte. Nur ein-
zweimal schien Hans Ullrich die klare Vernunft
gleich einem Blitz zu durchzucken. Er hielt plötz-
lich inne, er streichelde den Hals des stnaufenden
Rosses, er nannte es beim Namen, er drückte sein
Antlitz auf den Kopf des Schnelläufers" und
ein leises Stöhnen rang sich aus dem übervollen
Herzen bis zu den blutleeren Lippen herauf. Jn-
deß diese kurze Gedankenklarbeit, in der die grau-
sige Erinnerung an die zuletzt verlebten Stunden
wieder so recht zu Tage trat, bewirkte nur, daß
die verzehrende Gluth seiner Augen, die der Spiegel
seiner umnachteten Seele war, zunahm.
„Fort, fort!" schrie der Unglückselige. Die
Jagd nach etwas Unerreichbarem begann auf's neue.
Gleich einem tollkühnen Banditen, der dem Schwert
des Henkers entrinnen will, spornte er den „Schnell-
läufer" an und über hoch anstrebende Berge, durch
Wälder und Schluchten ging es wie die Winds-
braut, sausend, keuchend, dem sicheren Untergang
geweiht.
Trübe schlich der neue Tag heran und wie
wenn unheimliche Gespenster sich zusammengerottete
um die Jagd mitzumachen, thürmten und ballten
schwarzgraue Nebel sich zusammen und hüllten
Roß und Reiter in eine undurchdringliche, Athem
und jegliche Ausschau benehmende Athmosphäre.
Das Pferd keucht, der Leib ist schaumbedeckt, seine,
Augen glühen wie zwei feurige Kohlen, taumelnd will es
in die Knie sinken, aber noch einmal bezwingtder wahn-
 
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