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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) (2) — 1894

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Nr. 161 - Nr. 170 (13. Juli - 24. Juli)
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klärung die unveränderte Annahme des zwischen
ihr und dem Ausschüsse vereinbarten Wortlautes
des Entwurfes fordern würde. Alle noch nicht
besprochenen Besserungsanträge sollen von der
Regierung abgelehnt werden. Im Einverständniß
mit dem Minister gab der Ausschuß noch dem
Abschnitt 2 des Artikels 2 einen Zusatz, wonach
die Strafen, die in dem vorhergehenden Absatz
ausgesprochen werden, selbst in denjenigen Fällen
anwendbar sind, in denen die Aufreizung keinen
anarchistischen Charakter hat; in diesen Fällen
jedoch kann die im folgenden Artikel ausgesprochene
Nebenstrase der Verschickung nicht verfügt werden.
Aus Verlangen des Ministers ward Artikel 3
folgendermaßen umgeändert: „Die Strafe der
Verschickung kann nebenbei gegen die kraft Artikel
1 und 2 dieses Gesetzes zu einer längeren als
einjährigen Gesängnißstrafe Verurtheilten ausge-
sprochen werden, die in den vorhergehenden 10
Jahren (u. s. w. wie oben) verurtheilt worden
sind. Demnach nur gegen Rückfällige soll die
Verschickung ausgesprochen werden. Zu Artikel
5 hat der Ausschuß eine Aenderung vorgeschlagen,
wonach die Veröffentlichung oder Verbreitung von
Aktenstücken oder Lersahrensakten nur dann straf-
bar sein soll, wenn sie eine Gefahr für die öffent-
liche Ordnung bietet.
Rom, 22. Juli. Bonghi erklärt in einem an
den „Fanfulla" gerichteten Schreiben, daß bei der
Unterredung zwischen dem Präsidenten der franzt
fischen Republik und ihm weder Casimir-Pärier
noch er über den Dreibund gesprochen habe.
Der Präsident Casimir-Porier habe, im Gegentheil
sein volles Verträum zu der Erhaltung des Friedens
in Europa ausgedrückt.

Aus Wcrh unö Jern.
* Mannheim, 22. Juli. Zum zweiten Bürger-
meister wurde heute Polizeiamtmann Martin mit
großer Mehrheit gewählt.
* Weinheim, 23. Juli. Die Gewerbevereine
des Pfalzgauverbandes hielten heute hier ihren dies-
jährigen Verbandstag ab. Derselbe war sehr stark
besucht und hatte sich mit verschiedenen für den
Handwerkerstand hochwichtigen Fragen zu beschäftigen
Den Verhandlungen wohnte Ministerialrath Braun
von Karlsruhe bei. Nach Erstattung des Jahres-
berichtes wurde die Frage der höheren Besteuerung
der Hausirer und Detailreisenden verhandelt. Die
Versammlung nahm eine diese höhere Besteuerung
fordernde Resolution an. Eine eingehende Er-
örterung entspann sich über den nächstliegenden
Punkt der Tagesordnung „die Sicherung der Bau-
handwerker bei Neubauten". Von verschiedenen sach-
verständigen Rednern wurde dargelegt, daß die Hand-
werker ihre Forderungen nicht zu weit ziehen dürften.
Es sei nicht angängig, das Guthaben der Bau-
handwerker vor die Hypothekargläubiger zu setzen,
wolle man nicht unser ganzes Kreditwesen auf den
Kopf stellen, denn 90 Proz. aller Bauten kämen
nur durch Aufnahme von Hypotheken zur Aus-
führung. Jedoch sollen die Bauhandwerker inso-
fern eine Besserstellung gegen jetzt erfahren, als
alle unberechtigten Zwischeneinträze hinter die For-
derung der Bauhandwerker kommen. Ministerial-
rath Braun warnte ebenfalls davor, zu weitgehende
Forderungen zu stellen. Man möge, sagte er,
einen Mittelweg suchen, und dann werde die groß-
herzogliche Regierung gern bereit sein, diese Be-
strebungen zu unterstützen, sei es beim Bundesrath
oder beim Reichstag oder bei einer anderen Gelegen-
heit. Uebrigens sei in das bürgerliche Gesetzbuch
bei der zweiten Lesung desselben eine Bestimmung
ausgenommen worden, welche den Wünschen der
Bauhandwerker entgegen komme. Die Versamm-
lung ernannte schließlich eine Kommission zur Aus-
arbeitung geeigneter Vorschläge. Der nächste Punkt
der Tagesordnung betraf den unlauteren Wettbe-
werb in Handel und Gewerbe. Von den ver-
schiedenen Rednern wurde nachgewiesen, daß die
französische Gesetzgebung viel energischer und strenger
gegen die unlautere Konkurrenz verfahre. Die Ver-
witzige Reiter das todesmatte Thier. Zähneknir-
schend, mit einem bösen Fluch auf den Lippen,
läßt er die Peitsche unbarmherzig auf den Leib des
„Schnellläufer" niederfallen. Allein es war vor-
bei, die zehnstündige Tyrannei hatte die Riesen-
kräfte des Rappen gebrochen, aber auch Hans Ullrich
sank schlaff in sich zusammen, die Zügel entfielen
feiner Hand. Roh und Reiter stürzten nieder, und
„Schncllläufkr" begrub den Wahnsinnigen unter
seinem schweren, in Todeskampf zuckenden Leibe.
Weitab von diesem jammererregenden Unfall,
am Fuße des Schloßberges Ulestein, etwa um die-
selbe Morgenstunde erregte eine Schaar krächzerdcr,
wild um eine und dieselbe Stelle flatternder Raben
und Dohlen die Aufmerksamkeit einiger Holzfäller.
Doch erst nachdem sie Schaufel und Besen zu Hilfe
genommen und den fußhohen Schnee entfernt hatten,
zeigte ihren erschreckten Blicken der leblose Körper
eines Weibes.
„Erfroren nickte ein mitleidiger Mann, „wer's
wohl sein mag?" Der andere steckte die kurze
Pfeife fort und holte einen Handschlitten, den sie
zu ihrer Arbeit gebrauchen wollten.
„Das ist einerlei, hilf anfossen!" Sic luden
die Tobte auf und schweigend fuhren sie die Ent-
seelte nach dem kleinen hölzernen Leichenhause.
Hatte die Unglückliche den Tod gesucht, nachdem sie,
von mahnenden Gewissensbissen gefoltert, ihr sün-
diges Herz freigesprochen hatte von aller Seelen-
pein und sie sich in ihrem letzten Hoffen und
Sehnen, den Sohn in die verlangenden Mutter-
arme schließen zu dürfen, so grausam getäuscht sah?
Oder waltlte hier eine höhere Macht? Wer dürfte

sammlung nahm einen Antrag all, ibostach dein
Verband der deutschen Gewerbevereine der Vor-
schlag unterbreitet werden soll, beim Bundes-
rath und Reichstag dahin vorstellig zu werden,
daß mindestens in denjenigen Landcstheilen,
in welchen der Oocke iölapolson noch in Gel-
tung ist, nach demselben in Bezug auf den
unlauteren Wettbewerb Recht gesprochen werden
soll, so lange das deutsche bürgerliche Gesetzbuch
noch nicht in Kraft getreten ist. Noch wünschens-
werther sei aber der Erlaß einer provisorischen Be-
stimmung für das ganze deutsche Reich, die bis
zum Jnkraftreten des neuen bürgerlichen Gesetz-
buches, welches Bestimmungen gegen den unlauteren
Wettbewerb enthält, Geltung haben soll. Auch d r
nächste Punkt der Tagesordnung: „Ausdehnung
des Lokalzugsverkehrs" rief eine lebhafte Verhand-
lung hervor, in der auf den engen Zusammenhang
in der Erweiterung des Lokalbahnnetzes und der
Lösung der Arbeiterwohnungsfrage, dieses Kardinal-
punktes der ganzen sozialen Frage, hingewiesen
wurde. Ministerialrath Braun gab die Versicherung,
daß die großherzogliche Regierung diese hochwichtige
Frage wohl zu schätzen wisse, und daß die groß-
herzoglichen Staatseisenbahnen jeden hierauf bezüg
lichen Wunsch erfüllen würden, so weit dies irgend
möglich sei. Der letzte Punkt handelte von der
ErrichtungvonLehrlingsheimen. MinisteralrathBraun
gab seiner Sympathie für dieses Streben Ausdruck,
wenn er nach wie vor als das Ideal einer richtigen
Lehrlingsfürsorge die Aufnahme der Lehrlinge in
die Familie des Meisters betrachtet. Redner ist
überzeugt, daß die Regierung auch finanziell die
Lehrlingsheime unterstützen werde.
* Karlsruhe, 28. Juli. In der Kantine beim
Bahnbau am Durlacherthor entstand zwischen den
Arbeitern Weber und Meurer gestern Nachmittag
ein Streit, welcher in Thätlichkeiten ausartete, wo-
bei Meurer so schwer verletzt wurde, daß er in das
Spital verbracht werden mußte. — Gleichfalls im
Kcankenhause mußte ausgenommen werden der in
der Nähe des Wasserwerkes in Folge eines Schlag-
anfalls leblos aufgefundene Arbeiter Hilberer.
* Karlsruhe, 24. Juli. Sonntag früh um
halb 5 Uhr wurde vor einem Hause der Köfner-
straße der im gleichen Hause im zweiten Stock
wohnende Handschuhmacher Sch. aus Erlangen
mit einer klaffenden Wunde an der linken Seite
des Kopfes, bewußtlos auf dem Trottoir liegend,
aufgefunden. Sch., der verheirathet ist, stürzte aus
einem Fenster des 2. Stocks; seine Wohnung war
von innen verschlossen. Sch. soll einem Zechge
läge bis in die Frühe angewohnt haben; es scheint,
daß er in seiner Trunkenheit sich an das Fenster be-
geben hat, um friche Luft zu schöpfen, aber das
Uebergewicht bekam und herausfiel. Es wurde so-
fort ein Arzt herbeigerufen, der einen Verband an-
legte, worauf Sch. in dem Krankenwagen bewußt-
los ins städt. Krankenhaus verbracht worden ist.
Es wurde ein Schädelbruch konstatirt. In ver-
flossener Nacht ist Sch. gestorben.
* Karlsruhe, 23. Juli. Einige Radfahrer
von hierwurben gestern Abend bei der Heimkehr
von einem Ausflug außerhalb Ettlingens von einer
Gesellschaft junger Leute, welche in Form einer
Kette die Straße speerten, überfallen und zwei der
Herren körperlich mißhandelt, so daß eine vorbei-
fabrende Droschke dieselben aufnahm und hierher
überführte. Die Thäter sollen Mitglieder eines
Gesangvereins von hier und bereits ermittelt sein.
* Wössingen (A. Bretten), 23. Juli. Gestern
Abend entstand gegen 11 Uhr im Gasthaus zum
Löwen hier unter den italienischen Arbeitern, die
in den Steinbrüchen beschäftigt sind, eine Schlägerei.
Herr Löwenwirth Fiesel, der abwehren wollte, wurde
von einigen Italienern gehalten, unterdessen andere
die ganze Wirtschaft demolirten. Als Herr Fiesel
wieder frei wurde und einige Nachbarn ihm zu
Hilfe kamen, machten sich die Italiener aus dem
Staube. Beim Nachhaufegehcu stach einer der-
selben den ledigen Karl Knaus so, daß er von
einigen Männern nach Hause getragen werden
mußte und hoffnungslos darnieder liegt.

es wagen, ein Urtheil zu fällen? Wer den Stab
brechen über den Beklagenswerthe?
Nahezu 5 Meilen von der Residenzstadt Z.
entfernt, lag das Landgut des Banquier von Rach-
witz. Seine Mittel erlaubten es ihm, dort ein
Elysium zu schaffen, wie es kaum ein zweites gab.
Aus dem kleinen, verfallenen Wohnhaus entstand
ein reizendes Schlößchen. Es war besonders Nuth's
Verdienst, daß Kunstsinn und originelle Erfindungs-
gabe hier etwas schuf, das unverkennbar an Klein-
Trianon erinnerte, selbst der zwischen Gebüschen
versteckte See fehlte nicht.
Im Garten waltete gleichfalls vorwiegend fran-
zösischer Geschmack und gern sügte man sich den
Wünschen der schönen Banquiertochter, wenn sie am
Geburtstag des Vaters die Parole gab, indem die
Gäste in altdeutschen Kostümen, in den gepuderten,
hochfristrten Haaren Blumen nnd Juwelen, er-
schienen. Nur eins stimmte nicht mit dem seiner
Zeit so berühmten „Klein-Trianon" und brachte
einen bösen Mißklang in die verlockende Harmonie
des Ganzen. Anstatt des kleinen Müllerdörfchens,
in dem Marie Antoinette ihre bekannten Schäfer-
spiele aufführte, erhob sich kaum einen halben Kilo-
meter vom Herrenbaus entfernt, ein Compler von
massiven Gebäuden. Es war die Privat-Irren-
anstalt des Dr. Sildcnfild. Unheimlich wirkte der
Anblick dieses Ortes auf Ruth, wenn sie den Blick
hinüberschweifen ließ über die sonnige Landschaft;
ihr mildes Herz zog sich alsdann krampfhaft zu-
sammen, denn sie vergegenwärtigte sich deutlich, wie
nur die Nachtseite des Lebens dort vernichtend wal-
tete und der Tod seine reiche Lese hielt. Wiewohl
der glückliche Besitzer dieses soeben in den Vorder-

* Krefeld, 23. Juli. Bischof Dr. Reinkms
bat vor einigen Wochen eine von der hiesigen alt-
katholischen Gemeinde aus eigenen Mitteln herge-
stellte prächtige Kirche eingeweiht.
* Rotterdam, 23. Juli. Vom 28. bis 30.
August findet hier der dritte internationale Alt-
katholiken-Kongreß statt, wozu bis jetzt
acht Bischöfe ibr Erscheinen in Aussicht gestellt
haben._'
WerrnifchLes.
— Oliviens Grab. Man schreibt der Frkf.
Ztg.: Zu Meißenheim in Baden liegt be-
kanntlich auf dem eingeebneten Kirchhof die
Jugendgeliebte Goethes, Friederike von Sesenheim.
Eine Anzahl deutscher Literaturfreunde hat 1866
aus Anregung Friedrich Geßlers das völlig ver-
wahrloste Grab dieser verklärten Frauengestalt
wiederhergestellt und mit einem Denkstein ge-
schmückt, auf dem Eckarts Verse zu lesen sind:
Ein Strahl der Dichtersonne fiel auf sie,
So reich, daß er Unsterblichkeit ihr lieh!
Von den stillen Besuchern dieses denkwürdigen
Plätzleins ahnten und wußten jedoch nur wenige,
daß die neben diesem Grabe liegende ruinirte
und abgeschliffene Steinplatte, deren einstige In-
schrift spurlos verschwunden ist, die Ruhestätte
jener Schwester Friederikens deckt, die Goethe in
Dichtung und Wahrheit als Olivie gefeiert hat.
Maria Salome war ihr eigentlicher Name; sie
war die ältere, emsige, fröhliche Martha des
Pfarrhauses von Sesenheim; mit ihr tanzte der
junge Goethe oftmals gar muntere Reigen. Sie
starb 1807 als Gattin des neben ihr begrabenen
Pfarrers G. Marx in Meißenheim. Es haben
sich nun vor einiger Zeit, einer Anregung der
Antiquitätenzeitschrift zu Straßburg i. E. zufolge,
einige Literaturfreunde zusammengethan, um auch
dieses Grab seinem armseligen Zustand zu ent-
reißen und es dauerndem Gedächtniß zu erhalten.
Es ist Oliviens Grab wie jenes ihres Gatten
im Anschluß an dasjenige Friederikens mit einem
Gitter umschlossen, frisch hergerichtet und mit
einer Steinplatte geschmückt worden, welche die
Inschrift trägt:

Hi ei' rokt
Ilnstsrdlisll lvio l?risäsril^s
Nsrio 8r»Ioms Uorx, Atzb. Lrioo
von 8«8sullöim,
Esb. 1749. 4^4 Esst. 1807.
^"lVer sinsm vielitsr kolck bsASAiist,
vsss Äruos VIeikt lorton Asss^nst.^

LoKcrle MittheiL'ungen
aus Stadt und Amt Heidelberg.
Heivetderg, 24. Juli.
* Heidelbera-LpcUcrer-Cisettbahugcsellschaft.
Nachdem der Vertrag wegen Verkaufs der Heidelberg-
Speyerer Eisenbahn vollzogen worden ist, geht diese
Bahn nunmehr definitiv in den Besitz des Skaates über.
Gemäß eines Ausschreibens der Gesellschaft wird aus
dem Liquidationsergebniß eine Abschlagszahlung von
120 Mk. auf jede Aktie geleistet. Die Auszahlung er-
folgt in Karlsruhe bei dem Bankhause Straus u. Co.
* Die Feier des 70. Geburtstages Tr. Ex-
cellcnz des Herrn Geh. Raths Professor Dr.
Kuno Fischer wurde gestern von der gebildeten Welt,
insbesondere aber von unserer Stadt, der hiesigen
Bürger- und Studentenschaft mit herzlicher Freude fest-
lich begangen. Eine große Zahl von Glückwunsch-
schreiben und Telegrammen und ebenso eine Menge
prächtiger Blumenspeuden sind cingctroffen. Darunter
befindet sich eine Glückwunschdepesche von I. K- H. der
Großherzogin und eine Ankündigung durch den Geh.
Ober-Reg - Rath Dr. Arnsperger von einer besonderen
Auszeichnung von Sr. K. H. dem Großherzoge. Gegen
10 Uhr brach e eine studentische Deputation ihre Gra-
tulation dar nnd um 11 Uhr begab sich eine Abord-
nung der Stadt, die Herren Oberbürgermeister Dr.
Wilckens, Stadtrath Dr. Eisenlohr und Stadtrat Mohr
in die Wohnung des Jubilars, um ihm Namens der
Stadt die herzlichsten Glück- und Segenswünsche aus-
zusprechen. Herr Oberbürgermeister Dr. Wilckens theilte
ihm mit, daß der Stadtrath einstimmig beschlossen habe,
dem gefeierten Gelehrten das Ehrenbürgerrecht

gründ geschobenen Landgutes — dem Ruth that-
sächlich den Namen „Klein-Trianon" beigelegt hatte
— nur seinen Sommeraufenthalt dort nahm, so
gab es doch auch im Winter Ausnahmen von der
Regel. So zum Beispiel heute um die Nachmittags-
stunde, zwei Tage nach dem Fest in Waldfried fuhr
der elegannte Verdeckschlitten mit zwei prächtigen
Füchsen bespannt, durch die Straße von Z., es
galt, draußen für eine größere Jagd mit nach-
folgenden Ballfest Vorbereitungen zu treffen.
„Sende die Einladungen erst in einigen Tagen
ab", nahm Ruth, die im entzückenden, mit weißem
Pelz verbrämten Sammetkostüm neben dem Ban-
quier im Fond saß, muthiz das Wort auf, wo-
bei sie den etwas müden Blick gleichgültig
durch das Fenster über die Passanten schweifen ließ.
„Ich denke, Hans Ullrich wird alsdann von
seiner Reise zurück sein", beantwortete sie des Bank
iers fragendrn Blick.
(Fortsetzung folgt).

Meines JeuiLkeLon.
* Eine Stadt ohne Liebe. Aus Petersburg
wird geschrieben: Es gibt eine Stadt auf unserer
alten Erde, in welcher die Herzen nicht für einander
schlagen, die Sinne nicht vor Liebe und Leidenschaft
verwirren, der Flirt nicht einmal dem Namen nach
bekannt ist, der Roman nicht existirt. Diese Stadt
ohne Blut und Sonne heißt Bolskai Maika und
liegt in Sibirien, im Bezirke Jakutsk. Die un-
glücklichen Bewohner, etwa 1000 Männer und
Frauen, gehören der religiösen Sekte der Skoptzy
an, die wegen ihres religiösen Bekenntnisses, das

der Stadt Heidelberg zu verleihen und übergab ihm
eine von Rektor Lender künstlerisch ausgestattete Ur-
kunde. Der Jubilar, über die von der Stadt darge-
brachte Huldigung hocherfreut, dankte gerührt. Die
Urkunde hat folgenden Wortlaut:
Wir haben einstimmig beschlossen,
Seine Exellenz den Herrn Geheimen Rath,
Professor Dr. Kuno Fischer,
unseren hochverehrten Mitbürger, welcher seit 1872
eine der ersten Zierden der Ruperto-Carola ist, gleich
berühmt als Gelehrter wie als Universitätslehrer,
und dessen Name mit dem Gedeihen der Heidel-
berger Hochschule wie mit dem Blühen der von ihm
in unvergleichlicher Weise vertretenen philosophischen
Wissenschaft stets auf's engste verknüpft sein wird,
am heutigen Tage, an welchem er zu unserer auf-
richtigsten Freude nnter uns in Kraft und Frische
das 70. Lebensjahr vollendet, m dankbarer Würdi-
gung seiner treuen Anhänglichkeit an Heidelberg zum
Ehrenbürger
unserer Stadt zu ernennen, worüber diese Urkunde
ausgefertigt worden ist.
Heidelberg, den 23. Juli 1894.
Der Stadtrath:
(Folgen die Unterschriften.)
Das Handschreiben S. K. H. des Großherzogs, welches
von Herrn Geh. Oberregierungsrath Dr. Arnsperger
Sr. Excellenz Herrn Kuno Fischer überreicht wurde
und mit welchem dem Jubilar die goldene Kette zu
dem innehabenden Großkreuz des Ordens vom Zäh-
ringer Löwen verliehen wird, hat folgenden Wortlaut:
Mein lieber Geheimerath Professor Dr. Kuno
Fischer! Empfangen Sie meine herzlichen Glück-
wünsche zum Eintritt in ein neues Lebensjahr, von
dem ich hoffe, daß es eine weitere Reihe gesegneter Jahre
eröffnen möge, in denen Sie sich mit ganzer Kraft
dem schönen Beruf widmen können, der ihr bisheriges
Leben zierte. Die reichen Schätze ihres Wissens
und die hervorragende Gabe der Lehre und Dar-
stellung haben ihre Thätigkeit an der ehrwürdigen
Ruperto-Carola zu einer so segensreichen gestaltet,
daß ich nur eine Pflicht der Dankbarkeit erfülle,
wenn ich die Gelegenheit ihres Eintritts in das 70.
Lebensjahr ergreife, um Ihnen öffentlich kundzu-
geben, für wie werthvoll Ihr Wirken von mir ge-
schätzt wird. Ich thue das, indem ich Ihnen die
goldene Kette zum Großkreuz des Zähriuger Löwen-
ordens verleihe; eine Auszeichnung, welche nur für
besondere Verdienste verliehen wird. Wohl wissend,
daß ein solches äußeres Zeichen der Anerkennung nur
unvollkommen zum Ausdruck bringt, was Geist und
Herz bewegt beim Ausblick zu einer so langjährigen,
hervorragenden Wirksamkeit wie die Ihrige, lieber Herr
Geheimerath, fühle ich mich um so mehr gedrungen, zu
sagen, daß meine Dankbarkeit nur noch von meiner
Befriedigung übertroffen wird, mit welcher mich das
Bewußtsein erfüllt, Sie der Universität Heidelberg
angehören zu wissen. Dieser Empfindung schließen
sich die schönsten und theuersten Erinnerungen an,
von denen wir — Sie nnd ich — als von werthen
Erlebnissen gerne noch in später Zeit Zeugniß geben
werden — Ich aber, mit dem Gefühle unvergäng-
licher Dankbarkeit für Alles, was Sie bei diesen Er-
lebnissen an Liebe, Fürsorge und bedeutungsvoller
Arbeit geleistet haben.
Gott segne Sie und Ihre Wirksamkeit auch ferner!
Mit diesem Wunsch verbleibe ich
Ihr
sehr wohlgeneigter
St. Blasien, Friedrich.
den 20. Juli 1894.
An den
Herrn Geheimerath Professor vr. Kuno Fischer
in Heidelberg.
Gegen 12 Uhr brachte der Großh. Amtsvorstand,
Herr Geh. Regierungsrath Pfister, Namens der hie-
sigen Staatsbehörden und persönlich seine Glückwünsche
dar und ihm folgte Se. Hoheit Prinz Wilhelm ton
Sachsen-Weimar. Sodann erschien Oberstlieutenant
Thieme, um Namens des Offizierkorps zu gratuliren,
und nachdem eine Abordnung, um die Glückwünsche
des akademischen Lehrkörpers zu übermitteln. Gestern
Abend fand zu Ehren des Jubilars ein Fackelzug von
der gesammten Studentenschaft statt. Die Aufstellung
in Rußland streng verboten ist, nach Sibirien ver-
bannt wurden. Den Skoptzy ist die Liebe durch
den Glauben, den sie sich selbst geschaffen haben,
auf das Strengste untersagt. Einer unserer ersten
Forscher, der soeben von einer Reise durch Sibirien
heimgekehrt ist, gibt hochinteressante Aufschlüsse über
das Leben jener traurigen Sekte, die für psycholo-
gische und soziologische Studien ein weites Feld
bietet. Bolskai'a-Ma'ika befindet sich in einem
Zustande musterhafter Ordnung und Sauberkeit,
breite und reinliche Straßen, solide Häuser, meist
hellfarbig, aber ohne jede Spur von künstlerischem
Geschmack, verleihen der Stadt ein fast freundliches
Aussehen. Die Bewohner haben eine Vorliebe für
Helle Farben, besonders für die weiße. Die Möbel
in den Häusern sind weiß oder sehr hell, auch die
Kleidungsstücke — Männer und Frauen tragen
dieselben Gewänder — sind weiß, und die Fahne
die stets auf dem Rathhausdache gehißt ist, ist
schneeweiß, eine ächte Friedensfahne. Was aber
auf den Besucher den tiefsten Eindruck macht, ist
die Grabesstille, die in der Stadt herrscht. Kinder
gibt es in der Stadt natürlich nicht, und die Er-
wachsenen sprechen fast gar nicht miteinander, und
was sie sprechen, wird im Flüstertöne gesagt. Sehr
gastlich und zuvorkommend, bieten sie Alles aust
um den Fremden den Aufenthalt angenehm zll
machen; man wird nur höflich ersucht, nicht zN
rauchen und alkoholische Getränke zu trinken. Der
Besucher findet aber gewöhnlich an einem längeren
Aufenthalte in der merkwürdigen Stadt kein Ver-
gnügen. Wie geht aber die Wiederbevölkcrung von
Bolskaia-Maikan vor sich? Jedes Jahr schwärmen
die Vornehmen der Stadt in Rußland herum und
 
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