Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) (2) — 1894

DOI Kapitel:
Nr. 291 - Nr. 300 (12. Dezember - 22. Dezember)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44556#0619

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nummer 293. H. Jahrgang.

Aeuev

Freitag, 14. Dezember 18S4.

General-WAmeiger

Abonnementspreis r
mij Lseittßem illaßrtrteur Sormtagrbiatt: mvMtllch
Pfenniq frei in's SauS, durch die Post be-szen
vierteljLbrlich 1 Mark ebne Bestellgeld.

Expedition: Kauptltraße Mr. 26.

für Heidelberg und Umgegend
(ZMrger-Zeitung).

.- . - — ,
Jnsertionsprcisr
die Ispalti.qe Petitzeile oder deren Raum S Pf-.,
für auswärtige Inserate 10 Pfg., bei öfterer Wiedcr-
bolung entsprechender Rabatt.
e t. . .-»»
Ksepedition: K>«uptstrcrße Mr. 26.

GeLeseNsLes VLcrtt im Stadt m. M«t HeideWeVS mmd MmDeSemd. GVZtzteV GufoLg fMV Imse^ate

MN" Te!spho«°Ansch!utz IVS.Nr-
werden von ollen Postanstalten, Landbriefträgern
unseren Agenten und Trägerinnen Abonnemente
entgegengcnommen.

Tie armenischen Greuel.
Der Türkei geht es augenblicklich so wenig
gut. wie im Jahre 1876, da von der englischen
Presse die bulgarischen Greuel aufgedeckt wurden,
aus denen der verlustreiche Orientkrieg entstand.
Damals wurden in Bulgarien von der gegen die
Christen erregten mohamedanischen Bevölkerung
12 000 Waffenlose beiderlei Geschlechts erschlagen
und 58 Ortschaften zerstört. Das Jahr darauf
standen die Russen am Balkan und nach noch
ein paar Monaten vor den Thoren von Konstan-
tinopel. Jetzt kommen aus Armenien ähnliche
Berichte, und alles Beschwichtigen türkischer Or-
gane hat es nicht vermocht, der Wahrheit den
Weg zu verlegen. Von allen Seiten kommen
Berichte, aus denen hervorgcht, daß die türki-
schen Truppen gegen die angeblich aufrührerischen
Armenier die denkbar scheußlichsten Roheiten und
Gewaltthaten verübt haben und wohl auch noch
verüben. Der Bezirk von Sassur war 18 Mo-
nate lang umzingelt und von allem Verkehr ab-
geschnitten. Die Dörfer, die den Eingeschlossenen
Lebensmittel zu bringen wagten, wurden über-
fallen und ihre Bewohner in grausamster Weise
gemartert, vergewaltigt und getödtet. Priester und
Pastoren, Männer und Weiber wurden erschossen,
mit glühenden Eisen gezwickt, zu Tode verbrüht
— genau wie es die Türken vor 18 Jahren in
Bulgarien gemacht haben. Mit Recht verlangt
die europäische Presse eine Sühne dieser Greuel,
welche an der Grenze europäischer Kultur in
einem von Europa geduldeten Staaate begangen
werden. Die Nächsten dazu sind Rußland und
England. Letzteres scheint Neigung zu haben,
auf diesem Umwege über Armenien gewisse Fragen
mit Rußland zu erledigen, und Rußland, welches
zunächst die Engländer noch etwas zappeln lassen
wird, könnte sich wohl bereit finden lassen, wieder
einmal das Amt eines Rächers verletzter euro-
päischer Kultur und Sitte — Sibirien bleibt ja
immer bors oonoours und ist nach Ansicht der
Franzosen „Privatsache" — zu übernehmen und
die Türken beim Schopf zu packen. Seine Vor-
bereitungen sind ja feit Schaffung des Mittel-
meergeschwaders als beendet anzusehen, und auf
dem Wasserwege und über Armenien könnte es
Aussicht auf einen erfolgreichen Kreuzzug gegen
die „ungläubigen Hunde" haben, wenn — —

Gesucht nnö Gefunden.
Roman von Hermine Frankenstein.
64) (Fortsetzung.)
Simon Biggs unterbrach seine Mutter mit
einem Fluche und verlangte zu wissen, was sie
denn eigentlich meine. Darauf erzählte ihm seine
Mutter etwas ruhiger die Geschichte von dem Auf-
ruf, den sie in der Zeitung gelesen babe, von ihrer
Reise nach Cornwall und ihrer Rückkehr mit Sinda
und deren Hindudienerin. — „Wahrhaftig, es ist
wie ein richtiges Theaterstück," rief Simon Biggs
aus. „Wo find Deine tausend Pfund." — „Oben
im Koffer, bei den Juwelen", antwortete Frau
Biggs mit zurückkehrender Schlauheit. Und es
liegt ein großes Vermögen in solchen Steinen, ge-
nug, um Dich und mich reich zu machen, Simon.
Aber die alte Heidin droben weigert sich, die Koffer
schlüssel herauszugeben, und Rhoda ist gleich-
falls eigensinnig." — Ich habe Schlüssel, welche
den Koffer schon öffnen werden", sagte Simon.
„Wir wollen es bis morgen Früh lassen und dann
werden wir Rhoda zeigen, w<r ihre rechtmäßigen
Herren sind. Die Hälfte der Steine gehört mir,
Alte. Es wird ehrlich getheilt. Jetzt gib mir
etwas zu essen, denn ich will schlafen gehen."
Frau BiggS setzte ihm kaltes Fleisch und Brod
vor und er verschlang Beides, während seine Mut-
ter von Sinda's früherer Herrlichkeit und Macht
erzählte und in der Schilderung ihres eigenen künf
Ligen Reichstbums schwelgte. Als Simon endlich
aufgegesien batte, stand er auf und sagte: „Ich
werde für die heutige Nacht in das Hinterzimmcr

Die Sache ist eben noch nicht spruchreif, aber es
läßt sich nicht leugnen, daß nach der Aufdeckung
der armenischen Greuel ein schwarzer Punkt am
Horizont erschienen ist.
DeMschss Keim.
Berlin, 14. Dezember.
— Der Generalgouverneur von Deutsch-Ost-
asrika Freiherr von Scheie wird, nachdem er
glücklich von dem Wa hehe-Feldzug ezurück-
gekehrt ist, im Fall er nicht eine sehr starke Gar-
nison in den Forts an der Grenze zurücklassen
muß, die Unterwerfung von Hassan-bin-Omari
vornehmen müssen, der am 7. September, wie
damals gemeldet wurde, in Kilwa eingedrungen,
aber zurückgeschlagen war. Wie der „Voss. Z."
von kolonialer Seite geschrieben wird, befindet sich
der ganze Süden in einem wenig befriedigenden
Zustande. Die Europäer in Kilwa saßen, so
lange die Schutztruppe im Innern verwendet
wurde, dort vollkommen fest und in Lindi herrschte
derselbe für unser Ansehen wenig erquickliche Zu-
stand. Zwar sind seit dem 7. September keine
neuen Uebersälle vorgekommen, aber die kleinen
Zollstationen, die nur niit einem Indier besetzt
sind, werden nach wie vor beunruhigt. So wurde
nach den letzten Nachrichten der indische Zoll-
wächter in Kisuani in seiner Wohnung durch
Empörer schwer verwundet und nach Dar-es-Sa-
lam ins Lazareth gebracht. Zwar fuhr der
„Rovuma" gleich nach Kisuani, um die Leute zu
strafen, diese waren jedoch längst entflohen.
— Auf den Weltpostkongreß des nächsten
Jahres wird dst Erhöhung der Gewichts-,
grenze für einfache Briefe von 15 auf 20
Gramm vorgeschlagen werden, und zwar von der
schweizerischen Postverwaltung. Die bisherigen
vom schweizerischen Handels- und Jndustriever-
ein angeregten Bestrebungen, im Verkehr mit
Deutschland und Oesterreich bis zu 20 Gramm
schwere Briefe zum einfachen Portosatz (25 Zen-
tinies oder 20 Pfennig) zuzulassen, sind ge-
scheitert.
— Die Geschäftsordnungskomwission des
Reichstags berieth heute Vormittag den Antrag
auf strafrechtliche Verfolgung des Abgeordneten
Liebknecht. Abg. v. Kehler (Centr.) führte
den Vorsitz, Referent ist der Abg. Pieschel (natl.)
Correferent der Abg. Roeren (Centr.) Anwesend
war der Abg. Prinz Alexander zu Hohenlohe-
Schillingsfürst. Der Referent ist für die Ab-
lehnung des Antrages, hält aber persönlich eine
Resolution für Wünschenswerth, dahin gehend,
daß der Reichstag künftig eine fchärfere Dis-
ziplin ausübe.. Auch der Correferent spricht sich
gegen den Antrag, aber auch gegen die Resolution
hinaufgehen. Die Juwelen lassen wir bis morgen
Früh ruhen. Ich.bin wabchaftig schon neugierig,
das Mädchen zu sehen. Wenn sie hübsch ist, kann
sie mir nützlich fi'n. Nun, wir werden ja sehen."
Er nahm das Licht zur Hand und der voll- Schein
desselben siel aift sein Gesicht. In seinen ver-
wegenen Zügen, in seinen schlauen Augen las seine
Mutter einen bösen Vorsatz. Sie sah ihm nach,
während er in daö ihm zugcwiesene Hintere Zim-
mer hinauf ging, und murmelte dann für sich:
„Er beabsichtigt, das Mädchen noch heute Nacht
auszuplündern und sich mit dem Raub davon zu
machen und seine alte Mutter zu prellen. „Das
darf aber nicht geschehen, ich lasse mich nicht prel-
len", murmelte Frau Biggs für sich hin. „Ich
will ihm zuvorkommen". Ich habe einen zweiten
Schlüssel zu Rhoda's Thüre. Ich werde ihren
Schlüsse! hinausstoßen, in das Zimmer schleichen
und mir selbst die Steine nehmen!"
Sie wartete noch eine halbe Stunde, bis es im
Hause ganz still geworden, dann zog sie ihre Schube
aus und schlich leise zur Thüre von Sinda's Zim-
mer hinauf. Auf ihrem Weg zu Sinda's Zimmer
blieb Frau Biggs vor der Thüre von ihres Sohnes
Zimmer stehen und lauschte mit angebaltenem
Athem auf ein Geräusch von drinnen. Es war
aber nichts zu hören. Sie legte ibre Augen an
das Schlüsselloch, aber es herrschte tiefe Finsterniß
drinnen. — „Ah, er ist gerade wie ich!" dachte
sie. „Er ist schlau! Ec spielt jetzt Komödie und
thut, als wenn er schliefe. Aber er hat vor, in
einer Stunde aufzustehen und die Steine zu stehlen
— denn er kann sie jetzt noch nicht gestohlen
haben, es ist rein unmöglich. Es kann Nichtsein,

aus. In der Debatte wird allgemein die Ab
lehnung des Antrages empfohlen. Abg. Singer
verlangt auf Grund des Artikel 27 der Ver-
fassung Ablehnung und spricht den Wunsch aus,
die Kommission solle die Ablehnung damit mo-
tiviren, daß der Reichstag seine Disziplin selbst
regle und jede Einmischung zurückweise. Im
weiteren Verlaufe bethciligten sich an der Debatte
die Abgg. Hallenser, Mirbach, Gamp und Träger.
Nach anderthalbstündiger Debatte lehnte die Ge-
schäftsordnungskommission den Antrag auf Straf-
verfolgung des Abg. Liebknecht mit 9 gegen 4
Stimmen ab. Die von den konservativen Abge-
ordneten vorgeschlagene Entschließung betreffend
die Ausdehnung der Disziplinargewalt des Reichs-
tagspräsidenten wurde gleichfalls abgelchnt, Weil
sie über den Rahmen der der Kommission ge-
stellten Aufgabe hinausgehe. Zugleich wurde eine
Entschließung angenommen, nach der auch in Zu-
kunft derartige Anträge zurückgcwiesen werden
sollen.
— Reichskanzer Fürst Hohenlohe ist seit
gestern genöthigt, wegen Erkältung das Zim-
mer zu hüten. Er.hat sich diese bei der Feier der
Schlußsteinlegung des Reichstagsgebäudes zugezogen.
Sie machte sich im Verlauf seiner vorgestrigen
Rede immer mehr geltend, doch ist die beste Aus-
sicht vorhanden, daß der Fürst-Reichskanzler in
wenigen Tagen soweit wieder hergestellt ist, daß er
wieder ausgehen kann.
Karlsruhe, 12. Dez. Die Presse aller Par-
teien unseres Landes ohne Ausnahme ist einzig der
Ansicht, daß die M 130 und 13 l der „Umsturz-
vorlage" in der Fassung des Entwurfs nickt
annehmbar sind. Wenn je, so ist hierin die Presse
das Spiegelbild der öffentlichen Meinung. Es ist
nicht sehr schmeichelhaft für unsere Rechtsprechung,
daß überall die Frage aufgeworfen und die Besorgnis
ausgesprochen wird: „Was würden unsere Juristen
aus diesem Paragraphen alles hcrauslesen?" Wer
Gelegenheit hat, sich die Anwendung des Reichs-
strafgesetzbuches etwas näher anzusehen und zu
erfahren, welche Auslegung oft den Bestimmungen
gegeben wird, die dem Laienverstand klar und unzwei-
deulig erscheinen, der kann der Möglichkeit, so dehn-
bahre, schlecht begrenzte Begriffe wie „beschimpfende
Aeußerungen über Religion, Mgimrchje, Ehe" oder
„Gefährdung des öffentlichen Friedens" der richter-
lichen Tüftelei zu unterbreiten, nur mit Bangen
entgegensetzen. Vollends die Bestrafung dessen, der
erdichtete oder entstellte Thatsachen, von denen er
(nach Ansicht des Richters) den Umständen nach
annehmen muß, daß sie erdichtet oder entstellt sind,
verbreitet, mit Gefängniß bis zu zwei Jahren,
würde Jedermann der Denunziation und der Gefahr
der Untersuchung und möglicher Bestrafung preis-
daß er mir, seiner leiblichen Mutter, die doch so
schlau ist, schon zuvorg-kommen wäre."
Von einer bösen Ahnung erfüllt, schlich sie sich
zu Sinda's Thüre. Hier lauschte sie wieder und
hörte leises Athmen drinnen. — „Beide schlafen",
dachte sie. „Dann ist mein Weg klar. Ich will
mir die Steine verschaffen u»d sie in meiner Ma-
tratze verstecken, was ich gleich hätte thun sollen,
anstatt Simon in mein Vertrauen zu ziehen, denn
er wird mich ganz gewiß ausrauben '" Sie schaute
durch das Schlüsselloch und sah drinneu auf dem
Tisch eine Kerze mit schwachem Schein brennen.
Sie drückte behutsam auf die Klinke — die Thüre
war versperrt. — „Ich habe einen anderen Schlüs-
sel zu diesem Schloß", sagte sie für sich, denselben
aus der Tasche ziehend. „Und drinnen liegt eine
Matte vor der Thüre und das ist gut, denn ich
muß den Schlüssel hineinstoßen. Und ich habe
ein Stück Eisendraht, mit dem ich den Schlüssel
hineinstoßen kann. Also Muth —"
Schleichend wie eine Katze und sich zwischen
zwei Gefahren fühlend, Sinda und Falls auf einer
Seite, ihren Sohn auf der anderen, stieß die Frau
ihren Schlüssel sachte und fast geräuschlos in das
Schlüsselloch. Der Schlüssel, welcher von innen
bereits steckte, gab nach und fiel drinnen auf die
Matte vor der Thüre. Trotzdem das Geräusch von
dem Falle des Schlüsses durch die Matte stark ab-
gedämpft war, hörte es Frau Biggs dennoch und
kauerte in der Dunkelheit zusammen, aus Furcht,
die Andern könnten es auch gehört haben; aber
die mitternächtige Stille wurde durch keinerlei ihrem
Vorhaben feindlichen Geräusch unterbrochen und sie
ging wieder an ihre Aufgabe, indem sie mit er-

geben. Mit Recht wird darauf hingewiesen, daß
mit solchen Paragraphen der menschlichen Gesell-
schaft, den Ordnungsparteien, welche man gegen die
Umstürzler schützen will, schlecht gedient wäre. Wenn
man einen einzelnen fassen und bestrafen will, weil
er sich rechtswidrige Angriffe erlaubt, so muß man
Mittel anwenden, die ihn allein treffen und darf
nicht mit Kanonen unter die Volksmenge schießen,
in deren Mitte er steht. Gelingt es dem Reichstag
nicht, eine jeden Mißbrauch verhütende Definition
für das zu finden, was in den M 150 und 131
gewollt ist, so bleibt es besser beim Alten. Die
Sozialdemokraten werden ohnedies wieder Wege
finden, auf dem sie der Anwendung der „Umsturz-
vorlage" entschlüpfen können.
Karlsruhe, 13. Dez. Prinz Wilhelm
von Baden reist voraussichtlich heute Nachmittag
mit dem Gotthardschnellzug auf kurze Zeit nach
SanRemo zum Besuche seines erkrankten Neffen,
des Großfürsten Aleris von Rußland.
München, 13. Dez. Der Reichskanzler Fürst
Hohenlohe hat, wie die „Münch. N. Nachr."
wissen wollen, hierher gemeldet, er werde auch als
Reichskanzler den im Mai ihm übertragenen Vor-
sitz auf der nächstjährigen Wanderversamm-
lung bayrischer Landwirthe beibehalten.
Eine Bestätigung dieser Behauptung bleibt obzu-
warten. — In der gestrigen Sitzung des Collegs
der Gemeindebevollmächtigten blieb, als die Mit-
glieder sich zum Dank für die Armenspende des
PrinzregentenLuitpold auf die Aufforder-
ung des Vorsitzenden erhoben, der Sozialdemo-
krat B i r k taktloser Weise sitzenHsBöse Beispiele im
Reichstage verderben gute Sitten von Staütvätern.j
— Der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete o.
Vollmar ist bereits wieder aus Berlin zurückge-
kebrt, da ihn sein chronisches Gallenleiden zwingt,
sich noch einige Wochen lang der perlamentarischen
Thätigkeit zu enthalten. Man glaubt indessen, daß
er nach den Weihnachtsferien wieder in der Lage
ist, den Pflichten seines Mandats zu genügen.

Deutscher Reichstag.
Berlin, 13. Dezember.
Etatsberathung. Abg. Böttcher be-
grüßt namens der Nat onalliberalen den vom Reichs-
kanzler in seiner Rede angeschlagenen warmen Ton
über die Kolvnialpolitik, widerräth die Erhöhung
der Einkommensteuer, tritt für den weiteren Aus-
bau der Sozialreform im Sinne der Thronrede ein
bekämpft schließlich die Sozialdemokratie und den
Anarchismus. Redner schließt mit den Worten:
Jeder, der es mit dem Vaterlande gut meint, wird
die Hand dazu bieten, die Regierung, welche die
Führung der staatserhaltenden Parteien übernehmen
will, zu unterstützen.

neutem Muthe den Schlüssel im Schlosse umbrehte.
Einen Augenblick später öffnete sie behutsam die
Thüre und schaute in das Zimmer hinein. Eine
Kerze brannte auf einem Tische in einem Winkel
des Zimmers und ihr langer schwärzet Docht hing
zur Seite; das Bett stand im Schatten, aber Frau
Biggs sah sofort, daß Jemand drinnen lag. Sie
schaute mit spähenden Blicken umher und erblickte
die alte Falla, die sich ganz nahe dem Bette auf
drei Stühlen ein Lager zurecht gemacht batte und
scheinbar in tiefem Schlafe lag. Ihre tiefen, regel-
mäßigen Athemzüge beruhigten den mitternächtlichen
Eindrinling.
Frau Biggs blieb einige Sekunden an der Thüre
stehen um einen Operationsplan zu entwerfen.
Der Schlüssel zu dem Koffer, in welchem die Ju-
welen verborgen waren, war in der Tasche der
Hindu — das wußte Frau Biggs wohl und die
alte Falla hatte sich vollständig angckleidet nieder-
gelegt. Die erste Maßregel mußte sein, sich des
Schlüssels zu bemächtigen. Frau Biggs versperrte
leise die Thüre von innen, um sich gegen ein
Eindringen ihres Sohnes sicher zu stellen und
schlich sich dann sachte an die schlafende Hindu.
Ihre rothe, plumpe Hand packte die Falten von
Falla's Kleid, aber die Hände rührten sich nicht.
Frau Biggs heftete ibre trüben Augen auf das
braune Gesicht. Die Augen der Hindu waren
geschlossen und die tiefen regelmäßigen Athemzüge
verriethen einen sehr festen Schlaf der aus Er-
müdung kommt. Frau BiggS faßte Muth und
tappte nach Falla's Tasche. Sie war ganz oben
auf in dem Kleide und Frau Biggö Hand fuhr
sachte hinein und zog einen Schlüsselbund heraus.
 
Annotationen