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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) (2) — 1894

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Nr. 151 - Nr. 160 (2. Juli - 12. Juli)
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Nummer 152. H Jahrgang.

Nsnev

Dienstag. 3. Juli 18S4.


General-GAmkiger

für Heidelberg und Umgegend

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Der Nerlag des „Neuen General-Anzeigers",
Hauptstraße 25.

Tas Leichenbegiingnitz des Präsidenten
Carnot.
Paris, l. Juli.
Die Vorbereitungen für die Begräbnißfeierlich-
keiten des heutigen Tages begannen bereits gestern
Abend kurz vor Eintritt der Dunkelheit. In den
Abendblättern war der genaue Weg angegeben, den
der Leichenzug einschlagen soll Anfänglich verlautete,
er werde das Fauburg St. Horrors, die Rue Royale,
von da aus über den großen Boulevard pafsirerr,
um durch das Boulevard Sebastopol, die Rue de
Rivoli, den Pont-Neuf zuerst die Notre-Dame-
Kirche und alsdann über das Boulevard St.-Michel
und die Rue Soufflot und Pantheon zu erreichen-
Später wurde der erste Th eil dieser Route dahin ab-
geändert, daß der Zug aus dem Elvsee sogleich nach
links umbiegend durch die Avenue de Marigny die
Champs-Elysöes gewinnen soll, die er bis zur Con-
corde binabsteigen und durch die Rue de Rivoli
nach dem Innern der Stadt gelangen wird.
Die Trauerfahnen, welche schon die ganze Woche
über zu sehen waren, und sich von Tag zu Tag,
von Stunde zu Stunde gemehrt halten, rahmten
seit gestern Nachmittag fast sämmtliche Fenster, Bal-
kons und Thüren ein. Traurig, wie lodte, bunte
Vögel hingen sie in der fast windstillen Luft an
ihren Stangen, an denen sie am obern, wie am
untern Ende befestigt waren, sodaß kein lustiges

Wehen, und Flattern möglich war. Fast ebenso
reich geschmückt ist die Stadt wie in den heiteren
Tagen der vorjährigen Russenfcste, aber welch ein
Wechsel hat sich seither vollzogen! Schwarze
Trauerflore umgeben oder überragen die Fahnen,
schlingen sich um Balkone und ausgehängten Wappen
schilde und verhüllen die Laternen auf den Straßen.
Der Louvre, die Tuilerien, derKoncordienplatz, die
Ministerien und alle sonstigen Gebäude sind mit
Trauerschmuck versehen. In den Mauernischen ge-
wahrt man ovale blaue Schilde, auf denen das be-
kannte K. I?. prangt, die gleichfalls von Flor um-
geben sind.
Die ganze Nacht über sind Züge von Arbeitern
emsig beschäftigt, die Laternen zu umfloren, schwarze
Gehänge an den Mauern zu befestigen, kurzum,
die letzten Vorbereitungen zu treffen. Schweigend,
wie ein ungeheures Grabdenkmal liegt der niedere,
viereckige Bau des Elysöe da. Von der Avenue
de Marigny und von dem Faubourg Saint-Honorö
aus kann man die OfiupkIIs uräeuts im Glanze
ihrer Kerzen gewahren. Vor dem großen Einfahrts-
thor sind einige Schutzleute unter einem Brigadier
aufgestellt, die das Herantreten an das Gitterthor
verhindern, um Menschenansammlungen vorzubeugen.
Ein freundliches Wort und die vorgewiesene Karte
genügen jedoch, für einen Augenblick die Erlaubniß
zu einem Ausblick zu erhalten. Uebrigens sind
kaum zwei Dutzend Neugieriger um 1 Uhr morgens
vor dem Palaste.
Ostwärts schreitend, durch die Champs-Elysees,
kommt man nach und nach in immer lebendigere
Umgebung. Hier beginnen die zahllosen Platzoer-
miether ihr Wesen zu treiben, indem sie Stühle in
langen Reihen aufstellen, Gerüste errichten, Leitern
in allen Größen und Formen herbeischleppen und
eine wahre Wagenburg aus zwei- und vierräderigen
Karren errichten. Das äußerst einträgliche Geschäft
des Platzvermiethens ist in Paris bei traurigen An-
lässen ebenso im Schwünge wie bei heiteren. Binnen
weniger Viertelstunden erbebt sich längs der Avenue
des Champs-Elysees und darauf dem. Concordien-
platze eine ununterbrochene Höhenkette, deren Rücken
so bequem als eben möglich für die Schaulustigen
eingerichtet wird. Lauter und lauter wird das Ge-
töse der Zimmerleute, der Platzvermiethsr und Aus-
rufer: „Vorlü tznoore (Lnoors! es ist gerade
3 Uhr morgens) eine pluos, uns ball«; plaos,
osnt 8ous la plaas, cgui vvut, mossivurg-Oumes,
ckss pcknves ü vent sorrs . . . . ü trois ....
clsux krunvs . . Dazwischen wieder Zeitungs-
verkäufer, die die letzten Abendblätter, sowie ein
großes Plakat feilbieten, auf dem neben einem Bilde
der Mordszrne der vom Trauerzuge eingeschlagene
Weg verzeichnet ist. Auch der „Cocomann", der
unvermeidliche, ist da, der lauwarmes, unappetit-

liches Getränk feilbietet und den Bierverkäufern den
Rang abzulaufen sucht. Nach und nach kommen
Frauen und Mädchen aus den Vorstädten an, die
Butterbrote und halbvertrocknete Biscuits und Kuchen
anpreisen. Das ganze mit seinem Lärm, seinem
wüsten Durcheinander, den Eßwaareu u. s. w.
macht eher den Eindruck eines Jahrmarktes, als den
einer Stadt in Trauer, die ihrem Präsidenten Lebe-
wohl auf immer sagen will.
Wunderbar ist der Erfindungsgeist der
Pariser bei Anlässen wie der heutige. Wollte
man alle Kunstgriffe und Vorrichtungen auf-
zählen, die er entdeckt hat, um einen guten
Aussichtspunkt aufzuspüren und zu erobern,
so müßte man das ganze Blatt in Anspruch
nehmen. Hier erkletterten einige Burschen mit
affenartiger Behendigkeit einen Mauersims, der
sich 6 Meter hoch über dem Erdboden befindet;
dort bringt ein „Unternehmer" eine Hängematte
zwischen zwei Balkons an, um sie für 20 Franken
zu vermiethen; wieder anderswo übersteigen
Männlein und Weiblein eine schräge Treppen-
rampe, wodurch sie schon um 5 Uhr morgens
in den geschlossenen Tuileriengarten gelangen und
die vordersten Plätze an dem Gitter mit Beschlag
belegen können. Leiterträger überbieten sich für
50 Cts. oder 1 Franken, den Aufstieg auf die
Einfassungsmauer des Tuleriengartens zu ermög-
lichen. Wer aber klug ist, lehnt dieses groß-
müthige Anerbieten ab, so verlockend es auch er-
scheinen mag; denn obwohl die Aussicht dort
oben unvergleichlich ist, so bleibt der einmal dort
angelangte doch unerbitterlich gefangen bis 4 Uhr
nachmittags, denn in der dichten Menschenmenge,
die alsdald Platz und Straße füllen wird, ist an
Herbeischaffen von Lebensmitteln nicht zu denken.
Um das vielumstrittene Denkmal ckoaimo ä'^ro
drängen sich bereits jetzt, 6 Uhr morgens, dichte
Haufen; wie wird das erst um 10 Uhr sein!
Ja, es sollte einem nicht wundern, wenn sich
einige waghalsige Burschen bis hinauf auf das
Standbild versteigen sollten, um sich rittlings
vor die Jungfrau iu den Sattel des ehernen
Rosses zu schwingen. Daß alle Bäume der Champs-
Elysees und des Tuileriengartens seit 2 oder 3
Uhr morgens mit lebenden Massen behangen sind,
versteht sich natürtich ganz von selbst. Mit der
größten Unverfrorenheit strecken sich unheimlich
ausschauende Gestalten auf den Steinsimsen und
in den Nischen der Länge nach aus, und wenn
man sie auffordert Platz zu machen, antworten
sie mit größter Seelenruhe, daß diese Theile der
öffentlichen Gebäude heute ihnen gehören (kraft
welchen Rechts?,) für 5 oder 10 Franken wollen
sie dieselben aber gern „vermiethen".
Von Stunde zu Stunde schwillt die Menschen-

menge auf dem ganzen 3 oder 4 Kilometer
langen Wege an; eine Völkerwanderung ergießt
sich aus den westlichen, nördlichen, östlichen und
südlichen Stadttheilen nach dieser großen mittleren
Verkehrsader von Paris, und je höher die Sonne
steigt, desto reicherund geschmackvoller werden die
Toiletten der Frauen; auf die Arbeiter folgen
die Kleinbürger, nach und nach mehren sich die
Cylinderhüte und Gehröcke. Die Polizei ist
musterhaft bei ihrer anstrengenden Arbeit. Ueberall
greift sie ordnend, befehlend, beaufsichtigend, aber
stets in höflicher Weise ein.
* * *
Paris, 30. Juni. Während des ganzen Tages
dauerte das Defile fort. Wohl über 50000
Personen erschienen vor dem Katafalk. Durch
das Gedränge und die Hitze kamen zahlreiche
Ohnmächten vor. Lady Duffe rin reichte zwei
Stunden lang an dem Gitter der englischen Bot-
schaft Erfrischungen an die dort stehende Menge.
Viele Personen kauften kleine Sträußchen und
warfen sie beim Vorbeigehen in die obambro
arckouto. Der dienstthuende Offizier ließ alle
Blumenspenden sorgfältig aufheben. Frau Car-
n o t besichtigte weinend die eingelangten Kränze.
Die Zahl derselben beläuft sich auf circa Tausend
und fortwährend langen neue ein, darunter Viele
von hohem Werthe und großer Kunstschönheit.
Sie werden aufeinander geschichtet. Kränze
sandten: der deutsche, der österreichische und
der russische Kaiser, die Königin von England,
der Prinz von Wales, die Königin von Spanien,
die Könige von Dänemark, Belgien, Portugal,
Italien und Griechenland, alle südamerikanischen
Republiken, der Erzbischof von Paris, Elsässer
aus Straßburg und Metz, elsässische Damen aus
Straßburg und Mühlhausen, die Pariser deutsche
Kolonie, die meisten französischen Gemeinden, alle
Behörden der französischen Kolonien und viele
auswärtigen Städte. Der erste Kranz im mor-
gigen Zuge wird der zwei Meter hohe Casimir-
Periers sein. Der Erzbischof wies alle Pfarrer
der Diözese an, im Ornate am Leichenzuge theil-
zunehmen; auch mehrere Erzbischöfe betheiligen
ich offiziell am Leichenzuge. Der Erzbischof
von Bordeaux erläßt einen Hirtenbrief,
in dem er die besondere Genugthuung darüber
hervorhebt, daß der Erzbischof von Lyon die ein-
geschlummerten Ueberzeugungen des Sterbenden
wiedercrwecken gekonnt habe. Durch den christ-
lichen Tod habe Carnot Frankreich die letzte Lehre
gegeben, daß die Gottesdiener besonderen Respekts
würdig und nur vor Gott verantwortlich seien.
Paris, 1. Juli. Der Leichenzug des
Präsidenten Carnot war vielleicht der großartigste
Zug dieser Art, der je gesehen wurde. Augenzeugen

Kefübn 1.
Roman von H. von Gabairr.
10) (Fortsetzung.)
„Wer schickt die Equipage?" fragte Olga scharf
abweisend, nachdem ein Diener seinen langen, unter-
thänigen Bericht beendet hatte.
„Seine gräflichen Gnaden, der Herr Reichsgraf
Hafar-Ulestein," wiederholte der Lakai noch einmal.
„Ab, wir bedau —" Da trat Frau von Adrino-
witsch hinzu und acceptirte freundlich herablassend
den gesandten Wagen.
„Mama, wie konntest Du?" sprach Olga in
vorwurfsvollem Ton, als die Thür sich hinter dem
reich Gallonirtcn geschlossen hatte. „Wie kann der
Mann es wagen, uns das zu bieten und stellen
wir uns mit der Annahme nicht ein trauriges Ar-
muthszeugniß aus?"
„Vor der Hand dürfen wir nicht abwägen, nicht
Prüde sein," verwies die andere, später bin ich die
Frau, so ganz dazu geschaffen, jede unzarte Zu-
muthung abzuweisen und dem Herrn Grafen ver-
ständlich zu machen, was Madame Etiquette vor-
schreibt."
Der letzte Knopf der zartfarbigen Handschuhe
war endlich geschlossen; in fieberhafter Hast warf
die Baronin, jedes zartere Gefühl von sich weisend,
einen langen dunklen Mantel um, knüpfte ein
schwarzes Spitzentuch über den hoch frisirten Kopf
und eilte der Tochter voran, die Treppen herunter.
Sehr langsam von Widerwillen gegen die ihr auf-
gedrungene Rolle erfaßt, folgte Olga, so daß die
Baronin sich veranlaßt fühlte, ihre laute, befehlende

Stimme vom zweiten Treppenabsatz noch einmal sehr
nachdrücklich erschallen zu lassen.
In den hell erleuchteten Festsälen hatte sich schon
eine glänzende Versammlung aus der Creme der
Gesellschaft vereinigt, als die bohen Flügelthücen
sich öffneten und die Baronin von Olga gefolgt,
das Haupt voll Selbstbewußtsein in den Nacken
geworfen, den Empfangssaal betrat. Olga hingegen
fühlte sich peinlich durch die sie firirenden Blicke
berührt und so kam es, daß Röthe uno Blässe,auf
ihrem alabasterzarten Antlitz wechselte. Das von
goldigen Haarwellen umrahmte Köpfchen neigte sich
ein wenig zur Seite, die großen, blauen Augen er-
widerten nur schüchtern die Blicke, um in der
nächsten Sekunde die langen Wimpern herabzu-
ziehen. So schritt Olga unbewußt, daß gerade
diese mädchenhafte, scheue Haltung ihr einen seltenen
Zauber verlieb, durch die Reiben der Anwesenden,
ohne das Flüstern und Tuscheln zu hören, daS
Naserümpfen und verächtliche Achselzucken zu sehen,
das ihrer bescheidenen Toilette galt.
Graue Wolle, garnirt mit Creme-Streifen, als
einziger Schmuck Breche und Armspange von
Silberfiligran gab freilich unter den buntfarbigen
Atlas-Roben, den schweren Sammelschleppen und
reichgestickten, glitzernden Balltoiletten ein bescheide-
nes Alltagskleid für die an irdischen Gütern Be-
vorzugten ab, allein den Reiz einer vollendeten
Schönheit, was Gestalt und Herzenstiefe betraf,
konnte ihr kaum Jemand streitig machen.
Unter dem strahlenden Licht der Gaskrone, die
an vergoldeten Ketten am Plafond herabhing, stand
die Präsidentin, nach allen Seiten hin sich ver-

neigend, oder die hergebrachten Begrüßungsworte je
nach Rang und Stand austheilend. Die lange,
schwarze Sammetschleppe floß in unnachahmlicher
Grazie über das Parket. Gleich einer regierenden
Fürstin, die ihren Vasallen Audienz ertheilt, neigte
sich das dunkelblonde Haupt, wobei der von echten
Steinen funkelnde Haarschmuck, — die zarten
Schwingen wie zum Fluge blähte.
Als Frau von Hannipot die Baronin erblickte,
zog ein vertrauliches Lächeln um den leicht gespitzten
Mund, sie erwiderte, von herzlichen Worten be-
gleitet den tiefen Knir, eilte dann aber mit aus-
gestreckter Hand dem jungen Mädchen entgegen.
„Endlich, mu böllk! Ich fürchtete schon eine
Absage, Sie kleiner Schelm!" Olga stotterte einige
Worte. Etwas Zusammenhängendes vermochte sie
nicht hervorzubringen, denn der feste Händedruck
ließ das Gefühl in ihr aussteigen, als schlüge ein
Adler seine Fänge in das zarte Fleisch des aus-
ersehenen Opfers. Nur einige Schritte entfernt
lehnte der alte Präsident in den weicheniKissen ein s
hohen Armsessels. Niemand verübelte es dem leiden-
den Mann, daß er sich nicht erhob, sondern nur
von seinem geschützten Platze aus die Gäste seiner
Frau durch freundliches Kopfneizen be rüßte."
„Kommen Sie, theure Baronin." Mit diesen
Worten schob die Präsidentin ihren Arm vertraulich
in den der leichtgläubigen, eitlen Frau, nickte Olga
crmuthigend zu und schritt durch die violette
Sammetportiöre nach dem angrenzenden Saal.
Als Olga vor dem Präsidenten eine Verbeugung
machte, flog über die schmerzdurchfurchten Züge ein
väterlich theilnehmendes Lächeln, als wollte er sagen:
„Behüt' Sie Gott, mein schönes Kind." Die

knöcherne Hand hob er sich ein wenig von der
weichen Armlehne, wie wenn sie sich dem Mädchen
entgegenstrecken wollte. Olga fühlte mehr die gütige
Absicht, als daß es dem Auge bemerkbar wurde
und dem Impuls des Augenblicks geleitet, blieb sie
stehen. „Wie befinden sich Erellenz? Ich habe
seit einem Jahre nicht das Vergnügen gehabt,
Sie begrüßen zu dürfen!" Nun streckte sich die
zitternde Hand des hinfälligen Mannes verlangend
nach der zarten Menschenknospe aus.
„Danke, danke, meine liebe Baronesse," nickte
er wohlwollend, die lebenswarme Hand herzlich
drückend. „Mein Aufsehen spricht besser, wie viele
Worte eö vermöchten. Die Gicht ist ein böser
Feind, was der einmal gefaßt bat, läßt er nicht
wieder los. Aber Sie blühen wie eine zarte Blume
des Orients, möchte sich ihr Leben so verlockens
schön gestalten wie das liebe, theilnehmende Herz
es verdient. Hüten Sie sich vor dem Gift, das
uns oft seinen süß betäubenden Hauch entgegen-
weht und dem Hes-e" meist Schmerz und Oual
verursacht, wenn wir Kurzsichtigen, Eitlen es ein-
saugen, indem wir wähnen, es sei Lethe. Lassen
Sie nie den Verstand über das Herz die Ober-
hand gewinnen ! bewahren Sie sich den klaren Blick
für Wahrheit und Lüge. Das wahre Glück steigt
aus dem Herzen empor, den Seelenfrieden kauft man
nicht durch äußeren trügerischen Schein."
Olga hielt noch immer die kalte, welke Hand in
der ihren; die Rührung überkam sie und mächtig
bewegt von den Prophetjschzn Worten berührte sie
mit ihren warmen Lippen die Hand des beredten
Sprechers.
 
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