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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) (2) — 1894

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Nr. 291 - Nr. 300 (12. Dezember - 22. Dezember)
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Ausland.
Paris, 19. Dez. Vor demKriegsgericht
begann heute Mittag der Prozeß gegen Kapitän
Dreyfus. Die Zugänge waren polizeilich be-
wacht. Außer den Zeugen erhielten nur die Jour-
nalisten Zutritt. Um 1 Uhr eröffnete Oberst Maurel
als Vorsitzender die Sitzung. Dreyfus wurde durch
zwei Offiziere in den Saal geführt. Er befand
sich in großer Erregung und hielt nur mit Mühe
die Thränen zurück. Nachdem die Personalien des
Angeklagten festgestellt waren, verlangte der Re-
gierungskommissar den Ausschluß der Oeffentlich-
keit. Als der Vertheidiger Demange die Öffent-
lichkeit forderte und auf den Inhalt der Anklage
dabei eingehen wollte, wurde er vom Vorsitzenden
unterbrochen. Der Regierungscommissar erklärte,
in dieser Angelegenheit kämen noch andere Interes-
sen als die Verth eidigung des Angeklagten in Frage.
Der Gerichtshof beschloß nach kurzer Berathung
einstimmig, die Oeffentlichkeit auszuschließen. — Von
dem Vertreter der Anklage sind 22 Zeugen, größten-
teils dem Kriegsministerium zugetheilte Offiziere
ferner vier Schreib-Sachverständige vorgeladen.
Der Verteidiger benannte 12 Zeugen, darunter
mehrere Offiziere, welch- über die Führung des
Angeklagten aussagen sollen, ferner Freunde und
Verwandte des Angeklagten, darunter der Groß-
rabbiner Dreyfus und der Industrielle Köchlin. —
Von Mittag an hatten sich Neugierige am Ge-
fängniß in der Rue du Cherche-M'di angesammelt,
in der Hoffnung, des Kapitäns Dreyfus ansichtig
zu werden. Der Angeklagte war aber bereits seit
7 Uhr früh in das Zimmer gebracht worden, das
an den Saal stößt, in dem die Verhandlungen des
Kriegsgerichts stattfinden. Punkt 1 Uhr erschienen
die Mitglieder des Kriegsgerichts, und die Sitzung
begann. Oberst Maurel nimmt den Vorsitz ein.
Beisitzer sind ein Oberstlieutenant, drei Majors
und zwei Hauptleute. Hinter dem Stuhl des
Präsidenten haben die Ergänzungsrichter Platz ge-
nommen. Die Anklage wird durch den Major
Brisset als Regierungskommissar vertreten. Mehrer-
Verwandte des Kapitäns Dreyfus wohnen der
Sitzung bei. Der Saal ist dicht gefüllt. Der
Angeklagte wird 5 Minuten nach 1 Uhr durch
einen Lieutenant der republikanischen Garde herein-
geführt. Der Vorsitzende verliest die Bestallungs-
urkunde der Richter und nimmt den Zeugenaufruf
vor. Auch der Chef des Generalstabs, General de
Boisdeffre, wird aufgerufen und ist zur Stelle.
Der Regierungskommissar stellt den Antrag auf
Verhandlung bei geschlossenen Thüren, was vom
Rechtsbeistand des Angeklagten, Demange, bekämpft
wird. Der Vorsitzende entscheidet sich für die ge-
heime Verhandlung, da die Vertheidigung
sich nur um das einzige Aktenstück des Prozesses
drehe und die Veröffentlichung des Inhalts gefähr-
lich sei. Nach kurzer Berathung beschließt das
Gericht die geheime Verhandlung. Der Saal wird
dann geräumt.
London, 19. Dez. Die auswärtigen G e-
sandten in Peking haben nach Ablehnung
ihres Gesuches, auswärtige Soldaten zum Schutze
der Gesandtschaftsgebäude ausstellen zu dürfen,
Vorbereitungen zur Selbstvertheidigung getroffen.
Französische Offiziere sollen in der Nähe von
Peking ein Fort errichten. Eine Depesche der
„Agentur Dalziel" aus Shanghai meldet, der
Aufruhr in Tehol nehme zu. Li-Hung-Tfchang
versuche, eine Armee von 5000 Chinesen auszuhe-
Len, um ihn zu unterdrücken, aber die Waffenfehlten.
Shanghai, 19. Dez. Außer gegen den Kom-
mandanten und die in Port Arthur komman-
direnden Generäle wurden Verhastbefehle erlassen
gegen mehrere höhere kommandirende Offiziere und
gegen den Statthalter der Provinz Petschili, weil
er falsche Berichte über angebliche Siege sandte.
Die erste japanische Armee, die den Vormarsch
aus Mukden und Nm Tschuan vorbereitet, rückt
langsam vor. Sie scheint Niu Tschuan oder Shang-
hai Kuan nicht eher erreichen zu wollen, als bis eine
andere Armee bereit ist, Tientsin anzugreifen.

Aus Wcch unö Jern.
' Mannheim, 18. Dezbr. Ein geriebener
Zigeuner hatte sich vor dem hiesigen Schöffengericht
zu verantworten. Als Personalien gab der Bursche
an, der 30 Jahre alte Kesselflicker Anton Franz zu
sein und als Geburtsort nannte er einen Wald bei
Stendal (Altmark). Er kam vor einiger Zeit zu
verschiedenen katholischen Geistlichen der Umgegend
(Neckarau, Feudenheim, Sandhofen, Käferthal) und
fragte nach, ob Reparaturen an Weihwasserkesseln
und dcrgl. nothwendig seien. Er habe in 8 Tagen
ein Kind zu taufen und wolle die Arbeiten umsonst
machen. Tatsächlich wurden die Gefäße schadhaft
befunden, aus dem einfachen Grunde, weil der
Zigeuner sie kurz vorher durchbohrt hatte. Um den
zudringlichen Gesellen loszuwerden, gaben ihm die
Geistlichen denn auch die Kessel zur Ausbesserung,
waren aber nicht wenig verblüfft, als der Kessel-
flicker mit Rechnungen aufwartete, die das Höchste
an Unverschämtheit darstellten. Er berechnete z. B.
für verwendetes Zinn und Kupfer den beiden
Pfarrern in Neckerau 33.50 M., dem Pfarrer in
Feudenheim 22.50 M., jenem in Sandhofen 6 M.
und dem in Käferthal 16.50 M. Nach dem Gut-
achten des Spenglers Busch in Neckerau sind die
Reparaturkosten jedoch nur sehr gering. Franz
erhielt 4 Wochen Gefängniß, von denen 3 Wochen
als durch die Untersuchungshaft verbüßt gelten. Mit
einem devoten „Danke schön!" quittirte der Sohn
der Wildniß über das Urtbeil.
Ilvesheim, 19. Dez. Am 24. Januar
k. I. werden drei Kinder des Joh. Schmitt, zwei
Söhne und eine Tochter, gleichzeitig ihr Hochzeits-
fest begehen.
* Walldorf, 18. Dez. Der hiesige Gesang-
verein „Eintracht", der im letzten Sommer aus
dem Sängerfeste in Neckarbischofsheim mit einem
ersten Preis bedacht wurde, beabsichtigt in Bälde
ein Konzert zu veranstalten. Das Programm ist
ein äußerst reichhaltiges und verspricht den Be-
suchern einen genußreichen Abend. Neben den zum
Vortrag kommenden Männerchören, worunter sich
der schwierige, aber sehr stimmungsvolle Chor Atten-
hofers „Dort liegt die Heimat mir am Rhein" be-
findet, weißt das Programm noch eine Reihe ernster
und komischer Unterhaltungsstücke auf, die sicherlich
ihre Wirkung nicht verfehlen werden. Nach dem
Konzert laden die Weisen und Klänge der hiesigen
Musikkapelle die vereinten tanzlustigen Besucher
zum vergnügten Tänzchen ein. Als das Lokal zum
Abhalten dieses Konzertes hat sich der genannte
Verein die geräumigen Säle des Gasthauses zum
„Goldenen Adler" gewählt. — Die hiesige Casino-
gesellschaft hielt gestern Abend in ihrem Lokale
„Gasthaus z. Sternen" die statutengemäß-General-
versammlung ab. Nachdem der derzeitige Vorstand,
Herr Postvcrwalter Kullmann die Versammlung er-
öffnet hatte, verlas Herr Kaufmann I. P. Mayer,
welcher zur Zeit Kassier des Vereins ist, den
Rechnungsbericht. Hierauf fand die Wahl der
Vorstandsmitglieder statt. Es wurden sämmtliche
bisher zum Vorstande gehörigen Mitglieder wieder-
gewählt. Herr Hauptlehrer Laible bracht- ein drei-
faches Hoch auf den alten und neuen Vorstand, d°m
hauptsächlich das Emporblühen des Vereins zu ver-
danken sei, aus. Im Laufe des Winters sollen
mehrere Vergnügungen stattfinden.
* Neckarbischofsheim, 18. Dezbr. Gestern
wurde das diesjährige Tabakergebniß von hier, brzw.
Helmhof, im Ganzen 13,353 Klgr. verwogen.
* Waibstadt, 18. Dez. Der an Neujahr
dahier in's Leben tretenden gewerblichen Fort-
bildungsschule wird auch von den Handwerks-
meistern der Nachbarorte, wie Neidenstein, Eschcl
bronn rc., großes Interesse entgegengebracht. Es
ist schon oft gesagt worden, daß für die Orte des
Schwarzbachthales eine Gewerbeschule ein schon
längst gefühltes Bedürfuiß sei und man freut
sich nun sehr, daß endlich diesem Bedürfnisse
entsprochen wird. Mit Rücksicht hierauf empfiehlt
es sich auch, daß man die Unterrichtsstunden so
eintheilt, damit auch auswärtige Schüler dieselben

leicht besuchen können. Daß in der neuen Schule
etwas Tüchtiges gelernt werden kann, dafür bürgt
uns die Person des Lehrers, der sich auf diesem
Gebiete die besten Zeugnisse erworben hat. Herr
Nahe besitzt aber außerdem die erforderliche
Autorität gegenüber der reiferen Jugend, was
ebenfalls von Bedeutung ist. (Waibst. Ztg.)
* Sinsheim, 18. Dez. Sicherem Vernehmen
nach wird Herr Amtsrevident Theobald von hier in
gleicher Eigenschaft an das Bezirksamt Wiesloch
versetzt; zum Nachfolger desselben wurde der fest
herige Bürgermeister von Eppingen, Herr Schmelcher
ernannt.
4fi Von der Schwarzbach, 19. Dez. „Ein
infamer Bubenstreich." In dem Orte Agl. (Amt
Mosbach) hatte ein Gauner gestern Nacht zwischen
10 und 11 Uhr die Unverfrorenheit, die an der
Gastwirthschaft zum „Engel" vorübergehend sich
aufhaltende Droschke des Fabrikanten D. aus U.,
mit einem scharfen Messer zu bearbeiten, indem er
dem Verdeck an der Rückseite zwei große winkelige
Schnitt, beibrachte, so daß ein solches wieder neu
ersetzt werden muß. Dem frechen Thäter ist man
zwar nicht auf der Spur, doch nimmt man an,
daß der Polizei cs gelingen wird, solchen habhaft
zu werden, damit denselben die verdiente Strafe
trifft. Jedenfalls liegt hier ein Racheakt vor und
ist es wahrhaftig sehr traurig, daß man mit Ruhe
nicht einmal mehr an verkehrsreicher Straße eines
größeren Ortes sein Fuhrwerk kurze Zeit stehen
lassen kann, ohne daß man Bedenken tragen muß.
Für die Ermittelung des Thäters hat der Beschä-
digte 30 Mark Belohnung ausgesetzt.
* Reichartshauseu, 19. Dezbr. Vorige Woche
wurde hier eine Darlehnskasse gegründet und nach
der Wahl die erste Generalversammlung abgehalten.
41 Ortseinwohner traten als Mitglieder bei. In
den Vorstand wurden gewählt: die Herren Pfarrer
Eckhardt, Bürgermeister Hauck und Gemeinderath
Klemm. Das Geschäft soll am 1. Januar 1895
begninen.
* Daisbach, 18. Dezbr. Bei der heutigen
Tabakverwieguug kamen nahezu 500 Ztr.
zur Ablieferung. Das Geschäft ging seitens der
Käufer fo ziemlich glatt ab. Der Tabak wurde
durchschnittlich zu trocken abgehängt, so daß bei
manchem Pflanzer das Gewicht unter seiner
Schätzung blieb. — Am letzten Samstag brachte
eine Frau in Flinsbach den einen Arm so
unglücklich in die Dreschmaschine, daß derselbe am
andern Tage abgenommen werden mußte.
* Sennfeld, 19. Dez. Wegen Auftretens von
Masern wurde heute die hiesige Volksschule bis auf
Weiteres geschlossen.
' Tauberbischofsheim, 16. Dez. Dem von
hier nach Külsheim versetzten Herrn Hauptlehrer
Stelz bereiteten seine Kollegen und die Vereine,
denen derselbe angehörts, eine solenne Abschiedsfeier.
* Tauberbischofsheim, 14 Dez. In der
gestrigen Sitzung für die Eisenbahn Tauberbischofs-
heim—Hardheim—Walldürn erklärte lt. „Tbrztg.,"
der Vorsitzende, Herr Bürgermeister Kachel, sämmt-
liche Gemeinden hätten ihre kräftige Mithilfe zu-
gesagt. Es wurde beschlossen, auf den 17. Januar
k. Js. eine größere Versammlung hieranzuberaumen.
* Boxberg, 18. Dez. Der Dienst des Gr.
Stcuerkommissärs für den Bezirk Sinsheim
ist dem Steuerkommisfär Löser in Boxberg und
der Dienst des Gr- Steuerkommissärs für den
Bezirk Boxberg dem Steuerkommissar Richter in
Wiesloch übertragen worden.
* Aus dem Kreise Baden, 19. Dez. Ge-
genwärtig ist bei den Verwaltungsgerichten ein Streit
anhängig, der eines gewissen Interesses nicht ent-
behrt. In einer Gemeinde unteres Kreises war
Jemand, der nicht in dieser Gemeinde wohnhaft,
aber begütert ist, mit all' seinen Stcuerkapitalien
zur Gemeindeumlage herangezogen. Durch irgend
welchen Umstand wurde die Sache wegen unrichtiger
steuerlicher Behandlung bei der Steuerdirektion an-
hängig, welche dahin entschied, daß der betreffende
Steuerpflichtige mit weitaus dem größten Theil seines
Steuerkapitals (Rente und Einkommen) in dem

Orte seines Wohnsitzes zur Steuer zu veranlagen
ist- Zn Folge dieser Entscheidung hätte die Ge-
meinde für einen Zeitraum von etwa 3 Jahren
ca. 20 000 Mk. Umlage herauszuzablen. Die
Sache kam nun vor Kurzem bei dem Dezirksrathe
in A.zur Verhandlung, welcher die Ge-
meinde zur Zahlung verurtheilte. Zu diesem Streit
wurde nun auch der Kreisverband Baden beigeladen,
weil er seiner Zeit von der betreffenden Gemeinde
die Kreisumlage auch von dem ungebührlich veran-
lagten Theil erhoben habe und den verbältnißmäßigen
Theil der Kreisumlage an die beklagte Gemeinde
auch zurückzahlen solle. Was nun diese Frage be-
trifft, so steht außer allem Zweifel, daß nach den
bestehenden Vorschriften der Kreisverband hierzu
rechtlich nicht veranlaßt werden kann. Steuerab-
gänge und Zugänge influiren auf die Steuerkapi-
talien nur insofern, als hiernach für das kommende
Jahr die letzteren auf den neuesten Stand festge-
stellt werden. Der vorliegende konkrete Fall ist
für die betreffende Gemeinde hart, aber ohne Ein-
fluß auf das Verhältniß der Gemeinde zum Kreis-
verband für die zurückliegende Zeit. (Bd. W.)
* Offenburg, 18. Dez. Zu dem schon ge-
meldeten Raubmordoersuch zwischen Offenburg und
Hofweier berichtet noch der „Orten. Bote" Folgendes:
Frau Jsemann hat bei dem Ueberfall zwei Stiche
und zwar einen in den Hals und einen in den
Rücken erhalten. Wie der Stich in den Hals, so
hätte auch der Stich in den Rücken verhängnisvoll
für Frau Jsemann werden können, wenn die Wucht
desselben nicht durch die dicken Winterkleider ab-
geschwächt worden wäre. Frau Jsemann bat außer
den beiden Stichwunden noch eine leichte Verletzung
rings um den Hals, welche die Vermuthung nahe
legt, daß der Strolch mit der Absicht umging,
der Frau den Hals zu durchschneiden. Wohl nur
die energische Gegenwehr und die ausgestoßenen
Hilferufe der angegriffenen Frau haben den An-
greifer, der während des Angriffs kein Wort ge-
sprochen haben soll, verscheucht.
* Sasbach b. Emmendingen, 18. Dez. Ein
hiesiger Bewohner, Emil Geiger, fand, als er
Nachts von Oberhausen aus nach Hause ging,
auf der Straße von Weisweil nach Wyhl im
Straßengraben ein Kind, das schon ganz starr
und bewußtlos war. Geiger trug das Kind nach
Whhl und ließ es auf seine Kosten iw Gasthaus
zum Engel pflegen. Erst nach geraumer Zeit kam
das arme Kind wieder zum Bewußtsein und gab
an, daß es von Weisweil sei. Das Kind wollte
seiner Mutter entgegen gehen, hat aber diese ver-
fehlt. Es setzte sich an den Graben und schlief ein.
* Dinglingerr, 18. Dez. Ein kolossaler Feuer-
schein, der unsere Kirche grell beleuchtete, allarmirte
gestern Abend kurz vor 7 Uhr die Einwohnerschaft.
Die ganz nahe bei der Kirche gelegene Scheuer
und Stallung des Landwirths Andreas Kopf-
Re i n b o l d brannte. Das Feuer hatte sofort solche
Dimensionen angenommen, daß die vom Abendessen
aufgeschreckte Familie nur mit knapper Noch daS
Vieh retten konnte; zwei Schafe und das Geflügel,
sowie die großen Heu-, Stroh- und Tabakoorräthe
sind verbrannt. Zum Glück konnte das Feuer auf
das Stallgebäude beschränkt werden, das bis auf
den Grund niederbrannte, während bei windigem
Wetter auch das Wohnbaus und die Kirche in
größter Gefahr gewesen wären. Außer der Ding-
linger Feuerspritze waren die Feuerspritze der Cicho-
rienfabrik von C. Trampler, sowie die Mieterheimer
und eine Lahrer Spritze in Thätigkeit. Da aber
das Wasser aus Ziehbrunnen und aus Jauche-
fässern von der Schütter herbeigeschafft werden
mußte, fehlte es an Wasser zu rascher und ausgie-
biger Hilfe. Ueber die Entstehung ist Genaues
noch nicht bekannt. Der Brandbeschädigte ist
versichert.
' Niederwihl (A. Waldshut), 19. Dez. Der
Klapperstorch bescherte einem Ehepaar einen Spröß-
ling. Der hocherfreute Vater hatte nichts Eiligeres
zu thun, als den kleinen Weltbürger als Konrad
beim Standesamt anzumelden. Auch wurde das
Bürschlein auf diesen Namen getauft. Als aber

Dorfe Tregaron wo er ftim Nachforschungen höchst
vorsichtig betrieb.
Er erfuhr, daß der Graf seme Tochter wieder ge-
funden habe und daß sie jetzt mü ihn,
Schlosse sei; aber von einer Dame welche der
Beschreibung von Frau Elliot entsprach, war nichts
gesehen oder gehört worden. Sre war entweder
gar nicht angekommen, oder sie h^te entdeckt,
daß sie betrogen worden war und ihr atte noch
am Leben sei. Bathurst reiste sofort "ach °ndon
zurück. Er nahm einen durchtriebenen Spitz üben
als Kammerdiener in seine Dienste und fing
den Bahnhof zu bewachen, an welchem er, ww °r
zu seinem Kammerdiener sagte, die Ankunft ft
„armen, irrsinnigen" Frau erwartete. Tag M 9
wachte und wartete er so, von wilder Ungeduld u
wahnsinniger Verzweiflung verzehrt. Er hatte Frauen
bis in ihre Wohnungen verfolgt, indem er glau te,
auf der Spur der verkleideten Frau Elliot zu fern;
er durchspähte jedes Gesicht, das er erblickte, in dem
Glauben, ihre edlen, aristokratischen Züge zu sehen;
er beobachtete Gang und Haltung jeder Dame,
wähnend, ihre Gestalt zu erkennen, deren Bewegungen
so königlich vornehm gewesen waren, ehe die eiserne
Kette und Kugel sie gebeugt hatte.
Und er wachte und wartete vergebens. Während
er jetzt so dastand mit flammensprühenden Augen
und an seinem Barte kauend, von einer fast wahn-
sinnigen Ungeduld verzehrt, erfaßte ihn die Furcht,
daß er vielleicht einer falschen Spur von Indien
nach England gefolgt sei, und daß Frau Elliot
noch dort sei. „Ich kann diese Ungewißheit nicht
länger ertragen" dachte er. „Dieses lange, ver-
gebliche Warten wird mich noch wahnsinnig machen.

Und dennoch ist mir, als ob etwas geschehen sollte.
Wie, wenn sie jetzt mit diesem Zuge ankäme?"
Er drängte hastig vorwärts, um die hinaus strö-
menden Reisenden zu betrachten. Es waren Eng-
länder und Fremde, Familien und einzelne Reisende;
Leute, die aus Indien kamen und Touristen vom
Festlande. Seine brennenden Augen betrachteten
Alle der Reihe nach. Eine alte Frau mit einer
Dienerin machte ihn erschrecken und näher treten
und dann, als er die beiden fremden Gesichter sah,
trat er lächelnd wieder zurück.
Plötzlich erschrak er wieder und athmete kurz
schwer. Eine ganze Familie war aus einem
j^agen i>rst-r Klasse ausgestiegen und winkte einem
-ab. Eg rE ein Herr, eine Dame und drei
, aber es war keine von diesen Personen,
demselben «"starrte. Hinter dieser Familie, aus
kamen zwei Flauen in der Tracht
der barmherzigen Schwestern. Ihre Gesichter waren
unter den weißen Rvnnenhauben verborgen, aber
es war etwas m der Haltung der Einen, was
Bathurst erschreckte, weil es ihn an Frau Elliot
erinnerte. — „Pah!« murmelte er. „Ich glaube,
ich bin verrückt. Sie würde nie an eine solche
Verkleidung denken. Es ist nicht Agnes." Dennoch
fuhr er fort, sie mit außerordentlichem Interesse zu
betrachten.
(Fortsetzung folgt.)
Meines JeuMeLon.
Eine Bolkskrankheit des Mittelalters,
welcher Ungezählte zum Opfer fielen, war die Tanz-
wuth. 1374 begannen Frauen und Männer in

Aachens Kirchen und Straßen ein seltsames Schau-
spiel aufzuführen. Stundenlang tanzten sie in
wilder und rasender Hast, bis sie bewußtlos zu
Boden fielen. Mit Fußtritten und Faustschlägen
wurden die Ohnmächtigen von ihren wahnwitzigen
Genauen wieder erweckt und zum weiteren Tanze
gezwungen. Von Aachen aus verbreitete sich diese
Krankheit schnell über die Niederlande; Furcht und
Schrecken, von ihr befallen zu werden, ergriff auch
die höheren Stände. Einen Monat später als in
Aachen zeigte sich die Tanzwuth in Köln, wo schon
am ersten Tage ihres Auftretens über 500 Menschen
als tanzwüthig gezählt wurden; in Metz stieg die
Zahl gleich nach der Ansteckung bis auf 1100.
Landleute, Handwerker, Dienstboten und Bürger
Knaben und Mädchen, verheirathete und unverhei-
rathete Frauen schlossen sich dem unheimlichen
Reigen an, der bald zur Brutstätte wilder Leiden-
schaften wurde. Nach Jahresfrist erst wurde dem
dämonischen Treiben in den rheinischen Städten
Einhalt gethan; gänzlich zu unterdrücken vermochte
man die Tanzwuth noch immer nicht. Die ärztliche
Wissenschaft stand machtlos vor einem ungelösten
Räthsel; die Geistlichkeit glaubte, durch Beschwör-
ungen und Gebete Abhilfe zu schaffen, sie wieder-
setzte sich lange genug jeder Gewaltmaßregel. Riefen
doch die Tanzenden immer den heiligen Johannes
an und gaben so zu dem Glauben Anlaß, daß sie
in seinem Namen, zu seiner und Gottes Ehre
tanzten. Diese Beziehung der Kranken zu Johannes
dem Täufer legt die Vermuthung nahe, daß eine
ausgelassene Feier des Johannistages 1374 nahe
bei Aachen (wie sie ja seit den frühesten Zeiten
als eine Erinnerung an die uralten heidnischen

Nothfeuer begangen wurde) den Anstoß zu der
nervösen Zerrüttung gegeben habe. Der gleiche
Wahnsinn, wie 1374 der Johannistanz, zeigte sich
1418 wieder in Straßburg und bald darauf auch
in allen rheinischen und belgischen Städten. Die
Krankheit trat jetzt noch heftiger auf als das erste
Mal. Obgleich wir beglaubigte Mittheilungen und
Zeugnisse erst aus dem 16. Jahrhundert besitzen,
so ist es erwiesen, daß sich Hunderte der Rasenden
an Felsen und Mauern absichtlich die Köpfe zer-
schmetterten, daß noch viel mehr sich in die Flüsse
gestürzt haben, wo sie den gesuchten Tod fanden.
In allen Städten, in denen sich die Tanzwuth
zeigte, erließen die Obrigkeiten ein Verbot gegen
das Tragen der rothen Farbe, welche die Wuth und
Raserei der Kranken noch steigerte. Nur zwei Mittel
versuchte man anfangs, nicht um zu heilen, sondern
um die Sinnlosen zu bändigen. Man umstellte
sie mit Tischen und Stühlen, zwang sie dadurch
zu so hohen Sprüngen, daß sie bald in äußerster
Erschöpfung zu Boden stürzten. Da lebhafte Musik
die Erregung steigerte, so mietheten die Magistrats
Spielleute, um die Tanzsüchtigen schnell von Kräften
zu bringen und dadurch unschädlich zu machen. Zu
Anfang des 17. Jahrhunderts erst wurde die
Krankheit der Tanzwuth seltener. Noch 1623 be-
richtet man von den Tanzwüthigen in Drefelhausen
bei Weißenstein im Ulmer Gebiet, die Tag und
Nacht bis in den Tod hinein tanzten. In Italien
trat die Tanzwuth als Tarantismus auf und er-
reichte dort ihren Höhepunkt um die Mitte des 17.
Jahrhunderts, als sie in Deutschland bereits für
immer erloschen war.
 
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