Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung — 1900 (Januar bis Juni)

DOI chapter:
Nr. 78-100 (2. April 1900 - 30. April 1900)
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.37613#0466

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
finden; in Mannheim sei beispielsweise der Zudrang so groß i
gewesen, daß die Vorlesungen doppelt gehalten werden mußten.
Abg. Dr. Fieser weist auf die Unzulänglichkeit des Aversums
für die Frauenklinik in Freiburg hin, das zum größten Theil
durch die Beschaffung der Instrumente aufgezehrt werde. Einen
wesentlichen Antheil an der Hebung unserer Hochschulen mißt
Redner dem gegenwärtigen Leiter des Unterrichtsministeriums
zu. Fihr. v. Storckhorner wendet sich gegen die Aus'
Führungen des Abg. Rohrhurst. Daß die Heidelberger theologische
Fakultät so lange Zeit geschlossen war, sei kein Ruhmesblatt.
Eine Frau bom Lande habe einmal gesagt: „Wir müssen wieder
solche Pfarrer haben, daß unsere Männer wieder in die
Kirche gehen." Die protestantische Kirche hätte einen viel
gröberen Nutzen gehabt, wenn an der theologischen
Fakultät positive Vertreter gewesen wären, jedenfalls
wäre die Sozialdemokratie nicht soweit gekommen. Abg. Robr-
hurst bedauert, daß v. Stockhorner für eint Fakultät, in der
Männer, wie Rothe, saßen, keine Anerkennung habe. Wie er dazu
komme, die Heidelberger Fakultät für das Anwachsen der Sozial-
demokratie verantwortlich zu machen, sei ihm geradezu unbegreiflich.
Ties sei eher eine Folge der dogmatischen Kämpfe, um
Welche man sich auf dem Lande weniger kümmere. Die Heidel-
berger theologische Fakultät sei stets bestrebt gewesen, das kirch-
liche Leben zu fördern und der Kirchenbesuch lasse dort nichts zu
Wünschen. Bei uns stehe das kirchliche Leben auf einer höheren
Stufe als z. B. im orthodoxen Mecklenburg. Er sehe nicht ein,
warum die positiven Geisilichen besser sein sollen als die libera-
len. (Beifall bei den Nationalliberalen.)
Damit ist die allgemeine Berathung erledigt. — Fortsetzung
der Berathung: morgen. Mit der Berathung über Titel X
(Künste und Wissenschaften) wird die Beantwortung der Inter-
pellation Muser u. Gen. betr. die lex Heinze verbunden.
Sachsen-Koburg. Ko bürg, 24. April. Herzogin»
Witlwe Alexandrine (Schwester des Großherzogs von
Baden) ist in Nizza nicht unbedenklich erkrankt.
Der hiesige Arzt Dr. Florschütz wurde gestern Abend
telegraphisch ans Krankenbett berufen.

Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben dem
Amtsdiener Martin Kienle m Ettenheim die kleine
goldene Verdienstmedaille verliehen, den Steuerinspektor
Wilhelm Schnurr in Karlsruhe zum Hauptkassier der
Amortisationskasse ernannt, dem Oberförster Eduard Weiden-
bach in Radolfzell das Forstamt Neckarsckwarzach und dem
Oberförster Wilhelm Menzer in Neckarschwarzach das
Jorslamt Radolfzell übertragen.
— Mit Entschließung Großh. Ministeriums der Finanzen
Wurde der Sekretär dieses Ministeriums Adolf Pro ko pp
mit der Wahrnehmung der Geschäfte eines Steuerinspekiors
ernannt.
— Forstassessor Rudolf Woll in St. Blasien wurde
nach Neustadt versetzt und mit der Leitung des Forstamls-
dienstes daselbst betraut.

Ausland.
Oesterreich. Prag. 23. April. (Landtag.) Erste
Lesung des Antrages Pacak tmr. die Durchführung des
gleichen Rechtes der czechischen Sprache bet den Ge-
richts- und Staatsbehörden in Böhmen. Pacak
hält den böhmischen Landtag in erster Linie für kompe-
tent in dieser Frage. Die Deutschen müssen endlich ihre
Superioritätsgelüste aufgeben. Für die Forderung der
Abgrenzung des Landes in ein deutsches und ein czechi-
schcs Sprachgebiet stimmt kein Czeche. Wenn die Ge-
richtsbeamten czechisch können, ist die ganze Frage sofort
gelöst. Ein Ausweg wäre ein fünfzehnjähriges Provi-
sorium, das möglich wäre, aber Dolmetscher nehmen wir
nie an. Abg. Jro verwahrt sich gegen die Behandlung
der Sprachenfrage in dem nicht kompetenten böhmischen
Landtage. Funke betrachtet den Antrag Pacak als in-
konstitutionell, nur der Reichsrath sei kompetent. Ein
Provisorium, wie es Pacak im Sinne habe, sei unannehm-
bar. Die Deutschen ließen sich durch nichts einschüchtern
und würden gegen den Antrag aus formellen und sach-
lichen Gründen stimmen. Fortsetzung morgen.
Rußland. Petersburg, 22. April. Der Schah
von Persien, der seine Reise nach Europa bereits
angetrelen hat, wird den eisten Theil seiner Fahrt
rncognito zurücklegen und erst im zweiten Theil derselben
offiziell auftreten. Vor allem begibt sich der Schah zu
zweitägigem Aufenthalte nach Wladiawkas, sodann verweilt
er zwei Tage in Charkow und zwei Tage in Warschau.
Von hier begibt er sich über Dresden nach Contrexcville,
wo er sich einer einmonatigen Kur unterziehen soll. Er
kehrt dann über Dresden und Königsberg nach Rußland
zurück und bei seiner Ankunft in Wirballen beginnt der
offizielle Theil seiner Fahrt. Der Schah wird in dieser
Grenzstation von den russischen Behörden begrüßt werden
und setzt die Reise nach Petersburg fort, wo ihm ein
feierlicher Empfang bereitet werden wird. Von Petersburg
begibt sich der Schah nach Berlin und nach mehrtägigem
Aufenthalt daselbst setzt er seme Fahrt nach den Haupt-
städten Europas fort, inbegriffen Paris, wo er die Aus-
stellung besuchen wird. Bei der Rückreise wird er Italien,
Griechenland und Konstantinopel berühren. Der Schah
reist mit großem Gefolge.
Moskau, 23. April. In der Nacht zum Ostersonn-
tag begab sich das Kaiser paar aus dem Kremlpalaste
in feierlichem Zuge unter Entfaltung der größten Pracht
in die Heilandskirche. Die Kaiserin trug russische National-
tracht und die Kette des Andreasordens. Nach dem
Gottesdienste wechselte der Kaiser mit den Großwürden-
trägern den dreifachen Osterkuß. Am Ostersonntag Vor-
mittag versammelten sich die Großwürdenträger in der
Jspcnskikathedrale und begaben sich in feierlichem Zuge
nach dem Kremlpalaste, um dem Jarenpaar zu huldigen.
Nach der Begrüßungsansprache des Metropoliten tauschte
das Zarenpaar mit dem Metropoliten und den an der
Gratulationscour theilnehmenden Grobwürdenträgern den
dreifachen Osterkuß aus. Die Kaiserin überreichte Jedem
ein Osterei ans Uraledelstein. Abends war die Stadt
prachtvoll illuminirt.
England. London, 24. April. Der Landwirthschafts-
minister hielt gestern in Liverpool eine Rede, in der er mit-
theilte, die Regierung habe Erleichterungen für die-
jenige» Bürger beschlossen, die sich im Gebrauch
von Gewehren üben wollen; zu dem Zwecke solle
die Zahl der für den Militärdienst tauglichen Männer in

Zeiten der Noth vergrößert werden. Die Regierung habe
fernir beschlossen, den H ilf s str eit kr ä fte n für die
Zukunft größere Aufmerksamkeit zuzuwenden.

Nationalliberale Bersammlung.
Heidelberg, 25. April. Gestern Abend fand in der
Harmonie eine nationalliberale Versammlung
statt, die erfreulicher Weise so stark besucht war, daß sie im
großen Saale abgehalten werden mußte.
Stadtrath Ammann eröffnete die Versammlung mit einigen
Worten der Begrüßung, worauf der Reichstagsabgeordnete,
Oberamtmann Beck, Bericht über seine bisherige Thätigkeit im
Reichstag erstattete.
Herr Beck leitete sein Referat mit Worten dankbaren Ge-
denkens an die verdienten verstorbenen Parteifreunde Geh. Rath
Meyer und Stadtrath Leimbach ein und wandte sich in seiner
Berichterstattung dann zunächst den wirthschaftlichen Fragen
zu- Wenn wir, so führte er aus, die heutigen wirthschaftlichen
Verhältnisse betrachten, so ist es nicht zu verwundern, wenn wir
in erster Linie an die Landwirthschaft denken, die eine schwere
Krisis durchmacht und sie noch nicht überwunden hat. Wenn im
Unmuth über die mißliche Lage eine lebhafte agrarische Bewegung
ausgebrochen ist, welche geeignet ist, Bedenken zu erregen, so
werden wir das verstehen, begreifen und entschuldigen und alle
möglichen Mittel aufsuchen, um dem vorhandenen Nothstand ent-
gegenzutreten. Gerade die nationalliberale Partei wird in ge-
rechter Würdigung der Bedeutung der Landwirthschaft für das
Staatswesen bemüht sein, dahin zu wirken, daß die Bewegung
aus der bisherigen Erregung in die nothwendige ruhige Bahn
gelangt in der Gewißheit der Berücksichtigung ihrer berechtigten
Forderungen. Daß ein besserer Schutz der Landwirthschaft nöthig
ist, darin ist die gesammte nat.-lib. Fraktion des Reichstags einig.
Aus dieser Auffassung heraus habe ich Stellung genommen zur
Interpellation über die Fleischnoth im vorigen Jahre, die ich
nach reiflicher Prüfung als nicht vorhanden erachten mußte.
Was meine Stellung zum Fleischbeschaugesetz anbetrifft, so billige
ich aus sachlichen Gründen, daß man die Hausschlachtungen vom
Beschanzwang, falls kein Verdacht vorliegt, ausgenommen hat;
auch ist gerade vom süddeutschen Standpunkt aus zu billigen,
daß auf die obligatorische Trichinenschau verzichtet wurde. Was
die Fleischeinfuhr anbetrifft, so waren in dem Regierungsentwurf
dem Bundesrath diskretionäre Vollmachten ertheilt, die Bedenken
erregen mußten und gegenüber der doppelten Beschau im Inland
(vor und nach der Schlachtung) setzte der Entwurf für ein-
geführtes Fleisch nur eine einmalige Beschau fest, was alles
andere nur keine gleichmäßige Behandlung von inländischem und
ausländischem Fleisch ist. Daß gegen die Fleischeinfuhr strenge
volksgesundheitliche Garantie» zu schaffen sind, dafür sprechen
gewichtige Erfahrungen, welche speziell in letzter Zeit, so z. B.
bei der Verpflegung der amerikanischen Truppen im Kriege mit
Spanien gemacht worden sind. Die Kommission war von sich
aus nicht in der Lage, Vorschriften mit gleichwerthiger gesund-
heitlicher Garantie festzusetzen, sie kam so aus hygienischen
Gründen zum Einfuhrverbot. Freigelassen sollen bleiben Schweine-
schmalz, Speck, Oteomargarine und Därme; sogleich verboten
fall die Einfuhr werden von gepökeltem Fleisch sowie von Büchsen-
fleisch und Würsten; von 1904 soll die Einfuhr von frischem Fleisch
und Schinken verboten sein. Trotz der Bedenken, die gegen diese
Bestimmung erhoben werden, habe ich für dieselbe gestimmt aus
gesundheitlichen Gründen und weil eine Theuerung nach meiner
Ansicht nicht zu befürchten ist. Was die gefürchteten Vergeltungs-
maßregeln Amerikas anbetrifft, so ist zu bedenken, daß mit Speck
und Schmalz das hauptsächliche amerikanische Interesse befriedigt
ist. Im klebrigen haben wir keine Veranlassung, Amerika, das
uns so vielfach chicanirt, mit sonderlicher Rücksicht zu begegnen.
Wohl werden durch obige Bestimmungen neben den gesundheit-
lichen auch wirthschastltche Interessen berührt; das soll nicht ge-
leugnet werden. Aber das Ziel ist voller Schutz gegen die
Schädigungen der Bolksgesundheit und Schutz gegen den un-
lauteren Wettbewerb des Auslandes. Redner ging dann zu der
Thätigkeit des wirthschaftlichen Ausschusses über, der sich im
Reichstag gebildet hat, und sprach die Hoffnung auf ein gutes
Einvernehmen zwischen Industrie, Handel und Landwirthschaft
aus, erklärte, daß er für das Reichsbankgesetz und das Münz-
gesetz gestimmt habe und im Sinne jenes Einvernehmens auch
für positive Förderung der Sozialreform eintrete. Ich habe
darum, so führte er aus, mich den Anträgen angeschlossen, welche
wirksamen Schutz »egen Ausbeutung im Hausgewerbe bezwecken,
sowie Ausdehnung einiger Bestimmungen über den Schutz der
Handelsgehilfen in offenen Verkaufsstellen, ebenso für die weitere
Ausgestaltung und Verbesserung des Jnvalidenverstcherungsgesetzes,
für Einrichtung kaufmännischer Schiedsgerichte. Erweiterung der
Gewerbegcrichte und Erhöhung von deren Zuständigkeit als
Einigungsämter. Ich ließ mich dabei von der Meinung leiten,
daß nur auf diesem Wege der soziale Friede zu sichern ist, daß
wir auch hier streben müssen, ausgleichend unter den Gegensätzen
zu wirken. Die arbeitende Bevölkerung soll in dem Bewußtsein,
ein gleichberechtigter Factor zu sein, gefördert werden, sie soll am
Zusammenschluß in Organisationen nicht gehindert werden, aber
wir wollen nicht, daß sie in einen Gegensatz zu den Arbeitgebern
gedrängt werde, wir wollen nicht, daß die gegenseitige Verstän.
digung gehindert werde, sondern daß beide Factoren sich in
Organisationen vereinigen und erkennen lernen, wie die beiderseitigen
Interessen zusammenlaufen. Als Störung auf diesem Wege habe ich
den Gesetzentwurf zum Schutz der Arbeitswilligen empfunden.
Seine Einbringung war ein Fehler. Die Regierung hätte wissen
müssen, daß die Annahme dieser Vorlage ausgeschlossen war.
Vom wirthschaftlichen Gebiet ging Redner sodann zu dem der
geistigen und ideellen Interessen des Volkes über und kam
zunächst auf die lsx Heinze zu sprechen, die durch ganz Deutsch-
land eine so große Bewegung hervorgerufen hat. Man leugne
mit Unrecht den Umfang der Bewegung und die Einigkeit unter
den Künstlern, man verkenne die Kraft der verletzten Empfin.
düngen und die Schwere der Befürchtungen; man gehe soweit,
die Gesinnung und Gesittung der protestirenden Künstler und
Schriftsteller zu verdächtigen, ja sie als Feinde der Religion zu
verschreien. Es müsse schwach um eine Sache stehen, zu deren
Verthetdtgung solche unwürdigen Angriffe nöthig seien. Wohl
seien so manche Erscheinungen aus neuester Zeit aus's entschie-
denste zu verurtheilen, allein man dürfe die Kunst nicht in eine
unnatürliche, ungerechte Moraltheorie zwängen, man dürfe nicht
die Geistesfretheit der Wissenschaft und die Freiheit der Kunst-
ausühung beeinträchtigen. Die Paragraphen, die hier in Frage
kämen, sähen sehr einfach und unschuldig aus und doch seien sie
unglaublich gefährlich und verfänglich, weil sie dehnbare und un-
bestimmte Begriffe enthalten. Es sei erstaunlich, was Alles im
Reichstag in sie hineininterpretirt und htnausinterpretirt worden
fei. Die Dehnbarkeit und Unbestimmtheit sei an einer gesetzlichen
Vorschrift das Schlimmste; hier habe man erlebt, daß die An-
hänger der lsx Heinze Solches als Vorzug gepriesen haben. Eine
bestimmte Antwort auf die Frage, was das Schamgefühl gröb-
lich verletze, ohne unzüchtig zu sein, sei gar nicht zu geben. Die
Entscheidung über die Strafbarkeit würde also aus einem ganz
subjektiven Empfinden heraus zu treffen sein. Redner führte
die bekannten Beispiele von Böcklin's Spiel der Wellen, der
Venus von Milo und der Klassiker der deutschen Literatur an,
die als anstößig im Sinne der lsx Heinze bezeichnet worden sind,
und betonte, daß an Vorschriften, die eine solche Auslegung
finden könnten, man keine Freude haben könne. Wenn man nur
gegen die Frechheiten der Barrtsons, den Unfug der Prinzessin
Ehimay, oder schändliche Photographieen, wie sie besonders vom
Auslande her zu uns kommen, einschreilen wollte, so seien die
gesetzlichen Handhaben hierfür heute schon vorhanden, Er werde
gegen das Gesetz stimmen. Leid thue es ihm dabei um die Be-
stimmungen der iox Heinze über Zuhälter, Kuppelei u. s. w., die
man nur ungern misse. Die Ob>lcuklion der Linken gegen die
lsx habe die nationalliberale Partei nicht mitgemacht auS Ach-

tung vor dem Parlamentarismus. Mit ihrer Abstimmung werde
die Partei bezeugen, daß sie die Wege nicht mitgehe, auf welchen
die Freiheit der Kunst und Wissenschaft gefährdet werden kann.
Die freie Bewegung in eigener Selbstzucht und Selbstbeschränkung
habe beide groß gemacht. Wir wollten uns die Freude an dem
Ruhme deutscher Geisteskultur nicht verderben lasten. Zum Schluß
sprach der Redner über die Flottenvorlage im Sinne der
Unterstützung des R-gierungsantrags. Das Thema ist in diesem
Blatt schon mehrmals behandelt worden, so daß wir uns darauf
beschränken wollen, zu konstatiren, daß der Redner all die Mo-
mente, di« aus der wirthschaftlichen und Polnischen Lage Deutsch-
lands heraus für die Vorlage sprechen, klar hervorhob, und zer-
gliederte, was eigentlich durch die Vorlage gefordert werde. Be-
züglich der Deckung der Kosten hob er hervor, daß die national-
liberale Partei die Prüfung der darauf bezüglichen Vorschläge
nicht zurückweisen werde, obgleich diese Frage eigentlich nicht
acut sei. Dem Reichstag bleibe ja die jährliche Bewilligung des
Aufwandes, so daß er jederzeit die Deckungsfrage aufwerfen
könne.
Die sachlichen, von eigener energischer Durcharbeitung deS
parlamentarischen Stoffes zeugenden Ausführungen des Herrn
Abgeordneten fanden lebhaften Beifall bei der Versammlung.
Der Vorsitzende, Herr Ammann, gab demselben noch besonde-
ren Ausdruck.
Direktor S cho tt, der Präsident der hiesigen Handelskammer,
erklärte sich mit dem Abgeordneten dahin einverstanden, daß In-
dustrie und Landwirthschaft gleichmäßig gefördert und in Har-
monie miteinander bleiben sollen. Aus diesem Grunde kann er
das im Fleischbeschaugesetz ausgesprochene Verbot der Flcisch-
einfuhr nicht billigen. Gerade weil die Hauptartikel Speck i'»d
Schweinefett auch fernerhin zugelassen würden, sollte man Amerika
wegen der verhältnißmäßig nicht bedeutenden Einfuhr von Pöckel-
fleisch und Schinken nicht reizen. Was Deutschland von Amerika
beziehe, seien der Hauptsache nach Rohmaterialien, die wir haben
müßten, wie Tabak und Baumwolle, während wir nach Amerika
Fabrikate ausführen; das sollte berücksichtigt werden. Er könne
in dem Fleischeinfuhrverbot keine Maßnahme erblicken, welche
die Harmonie zwischen Industrie und Landwirthschaft aufrecht zu
erhalten geeignet ist. Der Herr Abgeordnete möge die Frage
noch einmal studtren; vielleicht komme er bei der dritten Lesung
zu einer anderen Ansicht.
Hierauf beleuchtete Rechtsanwalt Dr. Schoch die lsx Heinze
vom juristischen Standpunkt aus. Er führte aus, daß man bei ihr
zwei Theile zu unterscheiden hätte, einerseits denjenigen, welcher
eine schärfere und wirksamere Bekämpfung des Zuhälter- rmd
Kupplerthums und der Verderbung der Jugend durch unzüchtige
Schriften, Bilder und Darstellungen bezwecke, andererseits >u>
Wesentlichen die sog. Kunst- und Thealerparagrovhen, welche
lediglich der Prüderie und Heuchelei auf dem Gebiete der Kunst
und Literatur Vorschub leiste» würden. Zum ersten Theil zähste
Redner die Verschärfung der Kuppeleistrafen, den sog. Zuhälter-
und den sog. Arbeitgeberparagraphen und mit Vorbehalt die zu
8 184 des Strafgesetzbuches oorgeschlagenen Aenderungen, welche
einen wirksameren Schutz der Jugend vor geistiger Sitlenverdelb-
niß bezwecken. Sei nun auch gegen diese Vorschriften juristfl«
nichts einzuwenden und vielmehr zu bedauern, daß die hier un'
leugbar vorhandenen Lücken und Mängel der Gesetzgebung »E
geheilt worden seien, so seien doch andererseits die Gefahren, d>-
unserm ganzen Kultuileben aus den sog. Kunst- und Theater-
paragraphen erwachsen könnten, so groß, daß man die Ablehnuus
des Gesetzes in der jetzigen Form mit Freuden begrüßen mulst-
An der Hand des vorgeschlagenen Gesetzestextes wies nun Ren-
ner nach, wie dehnbar und kautschukartig der Begriff der grobe»
Schamlosigkeit sei, (es soll etwas die Schamhaftigkeit verletzen-
ohne unzüchtig zu sein!), und daß schwere Mißgriffe unausbiew'
lich sein müßten, daß aber auch eine Vorschrift, um wirkst«,
Auswüchse zu treffen, nicht nöthig sei, da gegen dieselben HM
Grund der bestehenden Gesetze genügend eingeschritten werde
könne. Er schloß mit dem Wunsche, daß für einen künftig"
Entwurf eines solchen Gesetzes die Worte Bassermanns in d .
Generaldiskusion der dritten Lesung Devise bleiben möchte» '
Wir wollen nicht die Hand dazu bieten, daß Polizei und
richte immer mehr zu Mißgriffen veranlaßt werden, daß ?e >
diskretionären Ermessen ein immer weiterer Spielraum gewab
wird. Wir wollen, daß die Kunst frei sein und bleiben soll, »>
beirrt durch Heuchelei und Prüderie.
Es wurde darauf von der Versammlung folgende Re!
lution angenommen: ,
„Die heutige Versammlung bedauert die Annahme der 88 ^
und b der sogen, lsx Heinze und sieht darin Bestimmung-"
welche, ohne der Unsittlichkeit erfolgreicher als die bisheA
Gesetzgebung entgegenzuwirken, lediglich geeignet sind, die st
Entfaltung von Kunst und Literatur, Kunstgewerbe, Kunst' "
Buchhandel zu hemmen."
Pfarrer Quenzer begründete hierauf in kurzen pa»
Worten folgende Resolution in Sachen der Fw»
Verstärkung: .
„Die heutige Versammlung der nationalliberalen
kennt eine Vermehrung der deutschen Kriegsflotte zum
unserer Handelsflotte, unserer Häfen und Küsten für drM^e
nothwendig; sie erkennt in dieser Vermehrung das einzig st^y-
Mittel, der deutschen Industrie die ihr uothwendigen
gebiete für die Zukunft zu erhalten. Die Versammlung ^
nur in der dem Reichstage oorgeschlagenen Vermehrung
Kriegsflotte den genügenden Schutz unserer nationalen^


den iym seitens der Regierungen oorgeschlagenen Entwurf
FlotteugcsetzeS annehmen werde".
Diese Resolution wurde gleichfalls einstimmig angens»» ^,e,
Herr B e ck dankte dann noch für die freundliche
die er mir seinen Ausführungen gefunden und verwies I»
des Fleischbeschaugesetzes auf das vorher von ihm Gesagt-' piek
erster Linie ständen die Volks gesundheitlichen Gründe, d> Aei»
mit dem landwirthschaftlichen Interesse zusammen gingen-
Wu nsch sei aus Verständigung und auf Ausgleichung »» Ap<
söhnung der Interessen gerichtet. Herr Beck schloß st>»
spräche mit einem Hoch auf das Vaterland. ^ ob-'
Herr Ammann brachte ein Hoch auf Herrn.Be ^ ge-

Dann wurde
schlossen.

die Versammlung — cS war '/«II

Aus Stadt und Land. §
Heidelberg. 25-^
X. Weinbau. Der Stand des Rebholzes in den
läßt in diesem Jahre nichts zn wünschen übrig. Die
vereine in Hessen, in der Pfalz, im Rheingau und a"
haben daraufhin beschlossen, die "erste Rebenspr>v' sp^
der Blüthe vorzunehmen, wodurch sie beabsichtigen, die Per»

Gefahr gänzlich abzuwenden.

t uvz»»--,-..ik-rybf
Selbstmord. Am Schetbenstand beim Bierhelve „ a>.,
sich gestern ein Soldat der 5. Kompagnie Namens ^ /xpot
Wetter an der Ruhr erschossen. Der Grund zu pte
lediglich in privaten persönlichen Verhältnissen su«z - ^ ps ,
Mann veranlaßten. sich das Leben zu nehmen. Als ^ ^esek'
er sich tadellos geführt und war deshalb bei seinen
r-l,. ^ SW-«

sehr beliebt

c oericoi. ^ . keni
* Berichtigung. In dem gestrigen Bericht AuS si ,Heist
ralh findet sich ein Druckfehler vor. Es heißt: Das gioS acht
Herrn Gg. Bester ssv.; statt dessen muß es hew°"',. stad»'
schenk des Herrn Heinrich Beller ssu. an o §
Alterthümersammlung re. ^ „-»erst ^ »p'
— Polizeibericht. Drei Taglöhner wurden gei ^n 1
Erpressung verhaltet. Sechs Personen kamen
sugs und Ruhestörung zur Anzeige.

(
 
Annotationen