Erscheint tätlich.
Sonntags ausgenommen.
Preis
mit Familienblättern
monatlich SO Pf.
ftei in's Haus gebracht.
Durch die Post bezogen
vierteljährl. 1.25 Mk.
ausschließlich Zustellgebühr.
Fernsprech-Anschluß Nr. 82.
Jnsertionsgebühr
IS Pf. für die Ispaltige
Petitzeile oder deren Raum.
Für hiesige Geschäfts- und
PrivatanzeiAen bedeutend
ermäßigt.
Gratis-Anschlag
der Inserate auf den Plakat-
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäulen.
Fernsprech-Anschluß Nr. 82
Xr. 142.
Aliixittstiiz, de» 21. Jim
ISS«.
Bestellungen
auf die Heidelberger Zeitung für das III. Vierteljahr 1900
werden bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den
Agenten, bei den Trägern in der Stadt, sowie in der
Expedition, Untere Neckarstr. 21, angenommen.
Bezugspreis: monatlich nur 50 Pfg., frei in's Haus
gebracht; durch die Post bezogen Mk. 1.25 vierteljährlich,
mit Zustellgebühr Mk. 1.65.
Chronik.
(Vom 3. bis zum 16. Juni.)
Juni 3.: Das deutsche Detachement, bestehend in 1 Offi-
zier und SO Mann, trifft in Peking ein.
„ 5.: Die Engländer besetzen Pretoria.
„ 6.: Der Kolonialdirektor Buchka wird durch den Ge-
sandten Stübel ersetzt.
„ 6.: Der Reichstag nimmt den §1 der Flotten-
vorlage in zweiter Lesung mit 1S3 gegen 49 Stim-
men an.
„ 6.: In Berlin findet eine Konsercnz zur Reform
des höheren Schulwesens in Preußen statt.
„ 8.: Die in China von der Gesellschaft der Boxer aus-
gegangene Bewegung gegen die Fremden nimmt einen
großen Umfang an. Die Bahnverbindung nach Peking
ist unterbrochen.
, 9.: Von Tientsin geht eine internationale Truppe
von 1500 Mann nach Peking ab.
„ 12.: Der Reichstag nimmt die Flottenvorlage
nebst den dazu gehörigen Steuergesetzen in dritter
Lesung an und wird dann geschlossen.
„ 13.: Der Grobherzog von Oldenburg stirbt.
„ 14.: Es herrscht in Europa große Sorge wegen des
Schicksals der Gesandtschaften in Peking. Da Eisen-
bahn- und Telegraphenverbindung unterbrochen sind,
ist man auf mehr oder minder glaubwürdige Gerüchte
angewiesen.
„ 16.: In Gegenwart des Kaisers wird der Elbe-
Trave-Kanal eröffnet.
Zn den Wirren in China.
In der Gesellschaft zur Verbreitung des Evangeliums
in Exterhall sprach am 19. d. der englische Premierminister
Lord Salisbury ein treffendes Wort. Er sagte, daß
der Regierung häufig Schwierigkeiten durch die Missionare
in fremden Gegenden erwüchsen. Er fordere, daß die
Missionare angehalten würden, mit äußerster'Vorsicht zu
handeln. Sie sollten stets eingedenk sein, daß Jeder, der
sich dem Märtyrertode aussetze, auch das Leben von solchen
auf's Spiel fetzen könne, denen er das Evangelium
predigte und daß er damit die Ursache werden könnte, daß
das Blut seiner eigenen Landsleute vergossen würde.
Wir gehen noch weiter und sagen: Die Versuche,
Leuten mit alter Religion und alter Kultur, wie den
Indiern und den Chinesen, das Christenthum aufdrängen zu
wollen, sind ungehörig und von Uebel. Was würden wir
wohl dazu sagen, wenn indische oder chinesische Missionäre
sich bei uns niederlassen wollten, um uns zu den Lehren
Buddhas oder des Confucius — und das sind an sich
keine schlechten Lehren — zu bekehren? Wir würden uns
dadurch doch sehr peinlich berührt fühlen.
Wenn jedoch die Chinesen sich gegen die abendländischen
Neuerungen überhaupt sträuben, wenn sie die Eisenbahnen
abreißen und die Erbauung neuer zu verhindern suchen,
dann kämpfen sie gegen den Zeitgeist selber, und dieser
Kampf muß nothwendigerweise mit ihrer Niederlage enden.
Ein Volk von 450 Millionen, das weitaus zahlreichste
Volk der Welt, kann in der Zeit der Eisenbahnen, der
Dampfschiffe und der Telegraphie sich nicht von den
anderen abschließen. Das moderne Leben, das durch die
Staaten abendländischer Kultur strömt, hat den Drang,
sich der ganzen Welt mitzutheilen. Es hat auch die Kraft
dazu, Wie China bald einsehen wird. Die kleinen Japaner
Die Irre von Sankt Rochus.
Kriminalroman von Gustav Höcker.
21) (Fortsetzung.)
»Also wirklich der alte Verbündete Wippach'sl" rief
Doktor Gerth, dessen Auge unverwandt an den Lippen des
Detektivs gehangen hatte. »Ich muß staunen, zu welchen
Resultaten ein nicht abgetieferter Brief Sie geführt hat, und
nehme meine vorlaute Bemerkung, daß Sie einem einfachen
Versehen zu viel Gewicht beigelegt haben könnten, reumüthig
^"^Jedenfalls ist die Wahrscheinlichkeit vorhanden," sagte
Allram, »daß die Ermordung Georais auf eine gemeinsame
Aktion seines Neffen und Grotjans zurückzuführen ist. Gab
Grotjan sich einst zum Hehler Wippacks her, so kann er sich
auch zu dessen Mordgesellen hergegeben haben. Er hat d;e
That vollbracht, mit dem unbequemen Briefe an Therese
Zeidler in der Tasche, als er am 17- Februar Morgens
zwischen acht und neun im Hause war. Welchen Lohn
für diesen blutigen Dienst er sich von dem Enterbten ver-
sprechen konnte, welchen Gewinn dieser selbst sur sich er-
hoffte. - das bleibt dunkel. Ich muß diese Burschen finden,
den einen wie den anderen, und sollte ich sie am Nordpol
suchen I"
Allram erhob sich.
Doktor Gerth versah ihn, vorläufig nur zur Kostendeckung,
Wie er hinzufügte, mit einer größeren Anweisung auf seinen
Bankier, und fand nicht Worte genug, ihm für die bereits
erzielten Erfolge seinen Dank auszudrücken.
Er führte dann den Detekliv in der Anstalt umher. »Es
war nicht überflüssig, daß ich zu meinem Besuche diese
Maske genommen habe." äußerte Allram. als beide eben eine
wit freundlichen Garienanlagen versehene Abtheilung be-
sichtigt batten, in welcher sich nur Kranke höherer und be-
hüben das rechtzeitig eingesehen, sie haben mit großem
Talent sich den abendländischen Neuerungen angeschmiegt
und unleugbar große Fortschritte gemacht. China wird
ebenfalls dazu gelangen, wenn auch viel später. Wie sich dann
das Weltbild ändern wird, das kann man sich ungefähr
vorstellen. China wird dann eine der herrschenden,
vielleicht die herrschende Weltmacht werden.
Um indessen den Blick auf die Gegenwart zu lenken,
so sei bemerkt, daß der Schauplatz der zur Zeit am schwersten
wiegenden Ereignisse in China nicht bei Taku liegt, wo
Geschütze gedonnert haben und Forts in Schutt ge-
sunken sind, sondern in der Ge sandtschaftsstraße in
Peking. Das ist eine breite, staubige und löcherige
Straße, die sich nicht wesentlich von den übrigen Ver-
kehrswegen der chinesischen Hauptstadt unterscheidet und sich
wie diese in einem ganz unglaublichen Zustande der Ver-
nachlässigung befindet. Sie zieht sich am Südende der
Tatarenstadt, südöstlich von der kaiserlichen oder verbote-
nen Stadt von Osten nach Westen, parallel mit der
Mauer der nahe anschließenden Chinesenstadt. Die deutsche
Gesandtschaft liegt an der südlichen, die meisten übrigen
an der nördlichen Straßenseite, der deutschen schräg gegen-
über die japanische Gesandtschaft und etwas weiter nörd-
lich in einer Seitenstraße die englische Gesandtschaft. In
der Nähe befindet sich auch in einem großen Garten die
Direktion der Seezölle und die Wohnung Sir Robert
Harts. Der deutschen Gesandtschaft gegenüber liegt das
Hotel de France, der einzige europäisch geführte Gasthof
Pekings und nicht weit davon auf derselben Seite wie
die Gesandtschaft der internationale Club und der Lawn-
tennisplatz. Die Gesandtschaften sind alle in ehemaligen
Damen, chinesischen Rcgierungsgebäuden, untergebracht, sie
sind einstöckig und unterscheiden sich äußerlich nicht von
chinesischen Bauten. Das Viertel, in dem die Gesandten
und, von den Missionaren abgesehen, die meisten Euro-
päer wohnen, ist also keineswegs eine besondere von
Fremden gebaute Niederlassung wie die Settlements in
den Vertragshäfen, sondern es sind Straßen der Stadt
wie alle anderen, in denen auch zwischen den Gesandt-
schaften Mansch» und Chinesen ihre Häuser haben. Da-
durch sowie durch die an die Gesandtschaften anstoßenden
Gärten wird deren Vertheidigung bedeutend erschwert.
Vertreter des deutschen Reiches in China ist zur Zeit
der am 12. Juli 1899 als außerordentlicher Gesandter
und bevollmächtigter Minister beim Reich der Mitte be-
glaubigte Legationsrath und Kammcrherr, Clemens August
Posthumus Frhr. v. Kettel er, geboren am 22. No-
vember 1853 in Potsdam, als Sohn des ebendort am
27. Juli 1853 verstorbenen Majors im 1. Gardeulancn-
regiment Frhr. August v. Kettcler. v. Ketteler war zuerst
Offizier, trat aber bald zum Auswärtigen Amt über.
So kam er als Dolmetschercleve nach China und erlernte
dort das Chinesische sehr schnell und gründlich. Später
war er in andern Stellungen in Europa und in Amerika.
Durch seinen langen Aufenthalt in China ist er aber ein
genauer Kenner der chinesischen Verhältnisse geworden.
Als Offizier ist er bei den jetzigen Wirren in Peking erst
recht am Platze. Andererseits allerdings ist die Befürchtung
nicht abzuweisen, daß er als solcher die Vertheidigung der
Gesandtschaften organisirt habe und sich dadurch die besondere
Wuth der Boxer und ihres Anhanges zugezogen haben
wird. Vermählt ist der Gesandte seit dem 24. Februar
1897 mit Maud Cass Ledyard aus Detroit, Nordamerika.
Erster Legationssckretär in Peking ist Dr. jur. v. Prittwitz
und Gaffron, zweiter Dr. v. Bergen. Erster Dolmetscher
ist Frhr. v. d. Goltz, zweiter H. Cordes, Kanzler
O. Fenselau, Gesandtschaftsarzt Dr. Velde.
Weiteres über die Wirren in China.
Wie aus den weiter unten stehenden Nachrichten hervor-
geht, sieht die Lage in China heute weniger gefährlich aus,
vorausgesetzt, daß die Meldungen richtig sind. Darnach
wäre es der internationalen Schutztruppe unter Seymour
doch gelungen, nach Peking vorzudringen, die chinesische
Regierung habe den bekannten Li-Hung-Tschang berufen,
der das Vertrauen der Westmächte genießt; die Gesandt-
schaften sollen unangetastet sein u. s. w. Es handelt sich
aber in allen diesen Fällen um chinesische Nachrichten.
Wie es scheint, haben die Chinesen an der Küste noch
telegraphische Verbindung mit Peking, leugnen das aber
ab und gestatten den Fremden die Benützung der Leitung
nicht. Erst aus Mittheilungen von Europäern wird man
den wahren Sachverhalt erfahren. Nachstehend lassen wir
die wichtigsten Meldungen folgen:
Shanghai, 20. Juni. Wie Daily Expreß von hier
meldet, sind bei dem Kampfe um die Takuforts am
Sonntag 700 Chinesen in Verlust gerathen. Etwa 100
wurden an Land auf dem Rückzuge durch russische und
deutsche Mannschaften abgefangen. Die Deutschen und
die Russen nahmen den neuen chinesischen Kreuzer „Hail-
hang". Hier verlautet, die russischen Entsatztruvpen, die
über zahlreiche Geschütze verfügen, seien vor den Thoren
Pekings eingetroffen und hätten die Stadt sofort von zwei
Seiten angegriffen.
Shanghai, 20. Juni. Die Times meldet: Ein
durch Kuriere überbrachtes Telegramm des Eisenbahndirec»
tors Sheng bestätigt die Nachricht, daß Admiral Seymour
mit den vereinigten Truppen am 17. ds. Mts. in
Peking eingetroffen ist. Es fehlen jedoch Einzelheiten
über etwaige Verluste oder den Stand der Dinge in Peking.
Bezüglich dieser herrscht große Sorge. Für glaubwürdig
gehaltene Nachrichten aus chinesischer Quelle besagen, die
Gesandtschaften in Peking seien noch am 17. Juni
unversehrt gewesen.
Shanghai, 20. Juni. Die Times meldet, daß, um
der dringenden Aufforderung nach Peking zu kommen Folge
zu leisten, Li-Hung-Tschang am Freitag Kanton ver-
läßt. Mit Rücksicht hierauf und da sich auch andere Symp-
tome als Zeichen dafür bemerkbar machen, daß die Mantschu-
partei die Hoffnung aufgegeben hat, de» Mächten Wider-
stand zu leisten, wechselten die eingeborenen Be-
amten vollständig die Front. Um diese Ansicht
zu verstärken, meldet die einheimische Presse, die Regierung
habe die Verhaftung des Generals Tungfuhsiang und des
Vicekönigs von Petschili angeordnet und beide dem Straf-
gericht übergeben.
London, 20. Juni. Nach Berichten des Expreß aus
Tschifu erklärt sich der geringe Schaden, den die Flotte
von den Taku-Forts erlitten, hauptsächlich dadurch,
daß die Leitungsdrähte der bis 3 Kilometer vom Ufer
gelegten Torpedos in der Nacht vor dem Bombardement
durch Boote der Schlachtschiffe „Centurion," britisch,
„Sissoi Wiliky", russisch, und von einem spanischen Deck-
kreuzer durchschnitten worden seien. Am meisten litt
der russische Kreuzer „Korejetz" durch Einschlagen einer
chinesischen Granate in die Munitionskammer. Das Schiff
trat trotzdem gleich darauf ins Gefecht, das übrigens fast
ganz auf die nächst der Küste ankernden kleineren Schiffe
beschränkt war, da die großen Schiffe nicht theilnehmen
konnten, um die kleineren nicht zu treffen. Das chine-
sische Torpedogeschwader machte einen entschlossenen
Versuch auszulaufen, wurde aber von den Booten »er
vereinigten Flotten abgefangen. In chinesischen Kreisen
läuft hartnäckig das Gerücht um, der Kaiser von China
sei todt. Die Nachricht über einen nach dem Angriff auf
mitteller Stände befanden, »ich bemerkte da eine alte Bekannte,
die sich meiner aus der Zeit, wo ich geheimer Kriminal-
kommissar war, wohl noch erinnern dürfte, denn ich habe
wiederholt mit ihr zu thun gehabt." Mehr sagte er nicht,
aber der Irrenarzt gab durch ein verständnißvolleS Lächeln
zu erkennen, daß er diese Anspielung auf eine sehr vornehme
Dame bezog, welche wegen »unheilbarer Kleptomanie" von
ihrem unglücklichen Gatten schon zum dritten Male hier hatte
untergebracht werden müssen.
Auch durch den mit Gras bewachsenen, von Kastanien-
bäumen überschatteten Hof, wo die schwerkranken fünfzig
Weiber sich ergingen, führte Gerth seinen Gast. Er brauchre
ihn nicht erst auf den Gegenstand seiner Bemühungen und
Nachforschungen aufmerksam zu machen: es gab nur eine
Einzige hier, die es sein konnte und die wie ein trauernder
Engel sich durch diese Horde stumpfsinniger oder ungeberdiger
Geschöpfe bewegte. Ein theilnahmsvoller Blick auf die Arme
und ein leises Kopfnicken verrieth dem jungen Arzte, daß
Allram Konstanze sofort herausgefunden hatte. Keine
der anwesenden Wärterinnen sollte bemerken, daß der
Fremde der Epileptikerin mehr Aufmerksamkeit schenkte als
den übrigen. Konstanze Herbronn sah den alten Herrn
an der Seite des Arztes wieder verschwinden, ohne die
geringste Ahnung, daß jener die Fäden ihres Schicksals in der
Hand hielt.
Gerth versäumte nicht, einigen seiner Kollegen, denen
man auf diesem Rundzange begegnete, den Doktor Hauser
als Irrenarzt aus einer Heilanstalt der Schweiz vorzu-
stellen- Die Zeremonie wurde stets rasch abgetban;
nur der Direktor von St. Rochus hätte sich mit dem
schweizer Kollegen gern länger unterhalten und lud ihn
ein, zum Diner zu bleiben, was Doktor Hauser jedoch
dankend ablehnte, da er mit dem nächsten Zuge weiter müsse;
vielleicht aber werde er auf seiner Rückreise noch einmal vor-
sprechcn. ... . ,
Der heutige Tag hatte eine schwere Last von Gerths
Herzen gewälzt. Welches Geheimniß auch Konstanzens Mund
verschließen mochte. — von jener Art. wie er geargwöhnt
hatte, konnte es nicht sein, wenn der Detektiv auf der rechten
Spur war.
In das Haus, worin Titus Allram wohnte, trat eine
Dame. Sie ging langsam, eher gemächlich als zögernd. Sie
legte für alles, was sie in dem Hause sah, ein lebhaftes, fast
neugieriges Interesse an den Tag; färben Gräupner, der in
der Hausflur seinen. Verkaufsstand hatte, für die Erbsen,
Linsen, Fadennudeln, Apfelsinen und gedörrten Äepfel und
Zwetschgen in den offenen Säcken und Kistchen, musterte jede
Person, welche ihr auf der Treppe begegnete, und blickte, im
ersten Stock angelangt, aufmerksam umher, obwohl dort nichts
zu sehen war als zwei Thüren, von denen die eine in das
Kontor des Bankgeschäfts, die andere in Allrams Wohnung
führte. Eben als sie. um an die letztere anzu klopfen, die in
einem tadellosen Glacehandschuh steckende Hand erhob, wurde
die Tbür so plötzlich von innen geöffnet und so unversehens
stand die Gestalt eines Mannes vor der Dame, daß sie, was
sehr natürlich war, erschrocken zurücksprang.
Der Heraustretende war Allram. Er hatte einen hell-
grauen Sommerüberzieher über die Schultern geworfen und
diesen am Halse zugeknöpft; es war dies seine Gewohnheit,
wie er auch den breitrandigen Filzhut von gleich hellgrauer
Farbe, der seinen Kopf bedeckte, tief in die Stirn gedrückt
zu tragen pflegte. Unter dem Arme hielt er einen starken,
gewundenen Spazierstock, in der Hand ein kleines braunes
Lederköfferschen.
Seinen Hut lüftend, entschuldigte er sich wegen des der
Dame bereilenven Schrecks.
„Wollten Sie zu mir?" frug er-
„Wenn Sie Herr Allram selbst sind, ja," war die
Antwort.
_ (Fortsetzung folgt.)
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werden bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den
Agenten, bei den Trägern in der Stadt, sowie in der
Expedition, Untere Neckarstr. 21, angenommen.
Bezugspreis: monatlich nur 50 Pfg., frei in's Haus
gebracht; durch die Post bezogen Mk. 1.25 vierteljährlich,
mit Zustellgebühr Mk. 1.65.
Chronik.
(Vom 3. bis zum 16. Juni.)
Juni 3.: Das deutsche Detachement, bestehend in 1 Offi-
zier und SO Mann, trifft in Peking ein.
„ 5.: Die Engländer besetzen Pretoria.
„ 6.: Der Kolonialdirektor Buchka wird durch den Ge-
sandten Stübel ersetzt.
„ 6.: Der Reichstag nimmt den §1 der Flotten-
vorlage in zweiter Lesung mit 1S3 gegen 49 Stim-
men an.
„ 6.: In Berlin findet eine Konsercnz zur Reform
des höheren Schulwesens in Preußen statt.
„ 8.: Die in China von der Gesellschaft der Boxer aus-
gegangene Bewegung gegen die Fremden nimmt einen
großen Umfang an. Die Bahnverbindung nach Peking
ist unterbrochen.
, 9.: Von Tientsin geht eine internationale Truppe
von 1500 Mann nach Peking ab.
„ 12.: Der Reichstag nimmt die Flottenvorlage
nebst den dazu gehörigen Steuergesetzen in dritter
Lesung an und wird dann geschlossen.
„ 13.: Der Grobherzog von Oldenburg stirbt.
„ 14.: Es herrscht in Europa große Sorge wegen des
Schicksals der Gesandtschaften in Peking. Da Eisen-
bahn- und Telegraphenverbindung unterbrochen sind,
ist man auf mehr oder minder glaubwürdige Gerüchte
angewiesen.
„ 16.: In Gegenwart des Kaisers wird der Elbe-
Trave-Kanal eröffnet.
Zn den Wirren in China.
In der Gesellschaft zur Verbreitung des Evangeliums
in Exterhall sprach am 19. d. der englische Premierminister
Lord Salisbury ein treffendes Wort. Er sagte, daß
der Regierung häufig Schwierigkeiten durch die Missionare
in fremden Gegenden erwüchsen. Er fordere, daß die
Missionare angehalten würden, mit äußerster'Vorsicht zu
handeln. Sie sollten stets eingedenk sein, daß Jeder, der
sich dem Märtyrertode aussetze, auch das Leben von solchen
auf's Spiel fetzen könne, denen er das Evangelium
predigte und daß er damit die Ursache werden könnte, daß
das Blut seiner eigenen Landsleute vergossen würde.
Wir gehen noch weiter und sagen: Die Versuche,
Leuten mit alter Religion und alter Kultur, wie den
Indiern und den Chinesen, das Christenthum aufdrängen zu
wollen, sind ungehörig und von Uebel. Was würden wir
wohl dazu sagen, wenn indische oder chinesische Missionäre
sich bei uns niederlassen wollten, um uns zu den Lehren
Buddhas oder des Confucius — und das sind an sich
keine schlechten Lehren — zu bekehren? Wir würden uns
dadurch doch sehr peinlich berührt fühlen.
Wenn jedoch die Chinesen sich gegen die abendländischen
Neuerungen überhaupt sträuben, wenn sie die Eisenbahnen
abreißen und die Erbauung neuer zu verhindern suchen,
dann kämpfen sie gegen den Zeitgeist selber, und dieser
Kampf muß nothwendigerweise mit ihrer Niederlage enden.
Ein Volk von 450 Millionen, das weitaus zahlreichste
Volk der Welt, kann in der Zeit der Eisenbahnen, der
Dampfschiffe und der Telegraphie sich nicht von den
anderen abschließen. Das moderne Leben, das durch die
Staaten abendländischer Kultur strömt, hat den Drang,
sich der ganzen Welt mitzutheilen. Es hat auch die Kraft
dazu, Wie China bald einsehen wird. Die kleinen Japaner
Die Irre von Sankt Rochus.
Kriminalroman von Gustav Höcker.
21) (Fortsetzung.)
»Also wirklich der alte Verbündete Wippach'sl" rief
Doktor Gerth, dessen Auge unverwandt an den Lippen des
Detektivs gehangen hatte. »Ich muß staunen, zu welchen
Resultaten ein nicht abgetieferter Brief Sie geführt hat, und
nehme meine vorlaute Bemerkung, daß Sie einem einfachen
Versehen zu viel Gewicht beigelegt haben könnten, reumüthig
^"^Jedenfalls ist die Wahrscheinlichkeit vorhanden," sagte
Allram, »daß die Ermordung Georais auf eine gemeinsame
Aktion seines Neffen und Grotjans zurückzuführen ist. Gab
Grotjan sich einst zum Hehler Wippacks her, so kann er sich
auch zu dessen Mordgesellen hergegeben haben. Er hat d;e
That vollbracht, mit dem unbequemen Briefe an Therese
Zeidler in der Tasche, als er am 17- Februar Morgens
zwischen acht und neun im Hause war. Welchen Lohn
für diesen blutigen Dienst er sich von dem Enterbten ver-
sprechen konnte, welchen Gewinn dieser selbst sur sich er-
hoffte. - das bleibt dunkel. Ich muß diese Burschen finden,
den einen wie den anderen, und sollte ich sie am Nordpol
suchen I"
Allram erhob sich.
Doktor Gerth versah ihn, vorläufig nur zur Kostendeckung,
Wie er hinzufügte, mit einer größeren Anweisung auf seinen
Bankier, und fand nicht Worte genug, ihm für die bereits
erzielten Erfolge seinen Dank auszudrücken.
Er führte dann den Detekliv in der Anstalt umher. »Es
war nicht überflüssig, daß ich zu meinem Besuche diese
Maske genommen habe." äußerte Allram. als beide eben eine
wit freundlichen Garienanlagen versehene Abtheilung be-
sichtigt batten, in welcher sich nur Kranke höherer und be-
hüben das rechtzeitig eingesehen, sie haben mit großem
Talent sich den abendländischen Neuerungen angeschmiegt
und unleugbar große Fortschritte gemacht. China wird
ebenfalls dazu gelangen, wenn auch viel später. Wie sich dann
das Weltbild ändern wird, das kann man sich ungefähr
vorstellen. China wird dann eine der herrschenden,
vielleicht die herrschende Weltmacht werden.
Um indessen den Blick auf die Gegenwart zu lenken,
so sei bemerkt, daß der Schauplatz der zur Zeit am schwersten
wiegenden Ereignisse in China nicht bei Taku liegt, wo
Geschütze gedonnert haben und Forts in Schutt ge-
sunken sind, sondern in der Ge sandtschaftsstraße in
Peking. Das ist eine breite, staubige und löcherige
Straße, die sich nicht wesentlich von den übrigen Ver-
kehrswegen der chinesischen Hauptstadt unterscheidet und sich
wie diese in einem ganz unglaublichen Zustande der Ver-
nachlässigung befindet. Sie zieht sich am Südende der
Tatarenstadt, südöstlich von der kaiserlichen oder verbote-
nen Stadt von Osten nach Westen, parallel mit der
Mauer der nahe anschließenden Chinesenstadt. Die deutsche
Gesandtschaft liegt an der südlichen, die meisten übrigen
an der nördlichen Straßenseite, der deutschen schräg gegen-
über die japanische Gesandtschaft und etwas weiter nörd-
lich in einer Seitenstraße die englische Gesandtschaft. In
der Nähe befindet sich auch in einem großen Garten die
Direktion der Seezölle und die Wohnung Sir Robert
Harts. Der deutschen Gesandtschaft gegenüber liegt das
Hotel de France, der einzige europäisch geführte Gasthof
Pekings und nicht weit davon auf derselben Seite wie
die Gesandtschaft der internationale Club und der Lawn-
tennisplatz. Die Gesandtschaften sind alle in ehemaligen
Damen, chinesischen Rcgierungsgebäuden, untergebracht, sie
sind einstöckig und unterscheiden sich äußerlich nicht von
chinesischen Bauten. Das Viertel, in dem die Gesandten
und, von den Missionaren abgesehen, die meisten Euro-
päer wohnen, ist also keineswegs eine besondere von
Fremden gebaute Niederlassung wie die Settlements in
den Vertragshäfen, sondern es sind Straßen der Stadt
wie alle anderen, in denen auch zwischen den Gesandt-
schaften Mansch» und Chinesen ihre Häuser haben. Da-
durch sowie durch die an die Gesandtschaften anstoßenden
Gärten wird deren Vertheidigung bedeutend erschwert.
Vertreter des deutschen Reiches in China ist zur Zeit
der am 12. Juli 1899 als außerordentlicher Gesandter
und bevollmächtigter Minister beim Reich der Mitte be-
glaubigte Legationsrath und Kammcrherr, Clemens August
Posthumus Frhr. v. Kettel er, geboren am 22. No-
vember 1853 in Potsdam, als Sohn des ebendort am
27. Juli 1853 verstorbenen Majors im 1. Gardeulancn-
regiment Frhr. August v. Kettcler. v. Ketteler war zuerst
Offizier, trat aber bald zum Auswärtigen Amt über.
So kam er als Dolmetschercleve nach China und erlernte
dort das Chinesische sehr schnell und gründlich. Später
war er in andern Stellungen in Europa und in Amerika.
Durch seinen langen Aufenthalt in China ist er aber ein
genauer Kenner der chinesischen Verhältnisse geworden.
Als Offizier ist er bei den jetzigen Wirren in Peking erst
recht am Platze. Andererseits allerdings ist die Befürchtung
nicht abzuweisen, daß er als solcher die Vertheidigung der
Gesandtschaften organisirt habe und sich dadurch die besondere
Wuth der Boxer und ihres Anhanges zugezogen haben
wird. Vermählt ist der Gesandte seit dem 24. Februar
1897 mit Maud Cass Ledyard aus Detroit, Nordamerika.
Erster Legationssckretär in Peking ist Dr. jur. v. Prittwitz
und Gaffron, zweiter Dr. v. Bergen. Erster Dolmetscher
ist Frhr. v. d. Goltz, zweiter H. Cordes, Kanzler
O. Fenselau, Gesandtschaftsarzt Dr. Velde.
Weiteres über die Wirren in China.
Wie aus den weiter unten stehenden Nachrichten hervor-
geht, sieht die Lage in China heute weniger gefährlich aus,
vorausgesetzt, daß die Meldungen richtig sind. Darnach
wäre es der internationalen Schutztruppe unter Seymour
doch gelungen, nach Peking vorzudringen, die chinesische
Regierung habe den bekannten Li-Hung-Tschang berufen,
der das Vertrauen der Westmächte genießt; die Gesandt-
schaften sollen unangetastet sein u. s. w. Es handelt sich
aber in allen diesen Fällen um chinesische Nachrichten.
Wie es scheint, haben die Chinesen an der Küste noch
telegraphische Verbindung mit Peking, leugnen das aber
ab und gestatten den Fremden die Benützung der Leitung
nicht. Erst aus Mittheilungen von Europäern wird man
den wahren Sachverhalt erfahren. Nachstehend lassen wir
die wichtigsten Meldungen folgen:
Shanghai, 20. Juni. Wie Daily Expreß von hier
meldet, sind bei dem Kampfe um die Takuforts am
Sonntag 700 Chinesen in Verlust gerathen. Etwa 100
wurden an Land auf dem Rückzuge durch russische und
deutsche Mannschaften abgefangen. Die Deutschen und
die Russen nahmen den neuen chinesischen Kreuzer „Hail-
hang". Hier verlautet, die russischen Entsatztruvpen, die
über zahlreiche Geschütze verfügen, seien vor den Thoren
Pekings eingetroffen und hätten die Stadt sofort von zwei
Seiten angegriffen.
Shanghai, 20. Juni. Die Times meldet: Ein
durch Kuriere überbrachtes Telegramm des Eisenbahndirec»
tors Sheng bestätigt die Nachricht, daß Admiral Seymour
mit den vereinigten Truppen am 17. ds. Mts. in
Peking eingetroffen ist. Es fehlen jedoch Einzelheiten
über etwaige Verluste oder den Stand der Dinge in Peking.
Bezüglich dieser herrscht große Sorge. Für glaubwürdig
gehaltene Nachrichten aus chinesischer Quelle besagen, die
Gesandtschaften in Peking seien noch am 17. Juni
unversehrt gewesen.
Shanghai, 20. Juni. Die Times meldet, daß, um
der dringenden Aufforderung nach Peking zu kommen Folge
zu leisten, Li-Hung-Tschang am Freitag Kanton ver-
läßt. Mit Rücksicht hierauf und da sich auch andere Symp-
tome als Zeichen dafür bemerkbar machen, daß die Mantschu-
partei die Hoffnung aufgegeben hat, de» Mächten Wider-
stand zu leisten, wechselten die eingeborenen Be-
amten vollständig die Front. Um diese Ansicht
zu verstärken, meldet die einheimische Presse, die Regierung
habe die Verhaftung des Generals Tungfuhsiang und des
Vicekönigs von Petschili angeordnet und beide dem Straf-
gericht übergeben.
London, 20. Juni. Nach Berichten des Expreß aus
Tschifu erklärt sich der geringe Schaden, den die Flotte
von den Taku-Forts erlitten, hauptsächlich dadurch,
daß die Leitungsdrähte der bis 3 Kilometer vom Ufer
gelegten Torpedos in der Nacht vor dem Bombardement
durch Boote der Schlachtschiffe „Centurion," britisch,
„Sissoi Wiliky", russisch, und von einem spanischen Deck-
kreuzer durchschnitten worden seien. Am meisten litt
der russische Kreuzer „Korejetz" durch Einschlagen einer
chinesischen Granate in die Munitionskammer. Das Schiff
trat trotzdem gleich darauf ins Gefecht, das übrigens fast
ganz auf die nächst der Küste ankernden kleineren Schiffe
beschränkt war, da die großen Schiffe nicht theilnehmen
konnten, um die kleineren nicht zu treffen. Das chine-
sische Torpedogeschwader machte einen entschlossenen
Versuch auszulaufen, wurde aber von den Booten »er
vereinigten Flotten abgefangen. In chinesischen Kreisen
läuft hartnäckig das Gerücht um, der Kaiser von China
sei todt. Die Nachricht über einen nach dem Angriff auf
mitteller Stände befanden, »ich bemerkte da eine alte Bekannte,
die sich meiner aus der Zeit, wo ich geheimer Kriminal-
kommissar war, wohl noch erinnern dürfte, denn ich habe
wiederholt mit ihr zu thun gehabt." Mehr sagte er nicht,
aber der Irrenarzt gab durch ein verständnißvolleS Lächeln
zu erkennen, daß er diese Anspielung auf eine sehr vornehme
Dame bezog, welche wegen »unheilbarer Kleptomanie" von
ihrem unglücklichen Gatten schon zum dritten Male hier hatte
untergebracht werden müssen.
Auch durch den mit Gras bewachsenen, von Kastanien-
bäumen überschatteten Hof, wo die schwerkranken fünfzig
Weiber sich ergingen, führte Gerth seinen Gast. Er brauchre
ihn nicht erst auf den Gegenstand seiner Bemühungen und
Nachforschungen aufmerksam zu machen: es gab nur eine
Einzige hier, die es sein konnte und die wie ein trauernder
Engel sich durch diese Horde stumpfsinniger oder ungeberdiger
Geschöpfe bewegte. Ein theilnahmsvoller Blick auf die Arme
und ein leises Kopfnicken verrieth dem jungen Arzte, daß
Allram Konstanze sofort herausgefunden hatte. Keine
der anwesenden Wärterinnen sollte bemerken, daß der
Fremde der Epileptikerin mehr Aufmerksamkeit schenkte als
den übrigen. Konstanze Herbronn sah den alten Herrn
an der Seite des Arztes wieder verschwinden, ohne die
geringste Ahnung, daß jener die Fäden ihres Schicksals in der
Hand hielt.
Gerth versäumte nicht, einigen seiner Kollegen, denen
man auf diesem Rundzange begegnete, den Doktor Hauser
als Irrenarzt aus einer Heilanstalt der Schweiz vorzu-
stellen- Die Zeremonie wurde stets rasch abgetban;
nur der Direktor von St. Rochus hätte sich mit dem
schweizer Kollegen gern länger unterhalten und lud ihn
ein, zum Diner zu bleiben, was Doktor Hauser jedoch
dankend ablehnte, da er mit dem nächsten Zuge weiter müsse;
vielleicht aber werde er auf seiner Rückreise noch einmal vor-
sprechcn. ... . ,
Der heutige Tag hatte eine schwere Last von Gerths
Herzen gewälzt. Welches Geheimniß auch Konstanzens Mund
verschließen mochte. — von jener Art. wie er geargwöhnt
hatte, konnte es nicht sein, wenn der Detektiv auf der rechten
Spur war.
In das Haus, worin Titus Allram wohnte, trat eine
Dame. Sie ging langsam, eher gemächlich als zögernd. Sie
legte für alles, was sie in dem Hause sah, ein lebhaftes, fast
neugieriges Interesse an den Tag; färben Gräupner, der in
der Hausflur seinen. Verkaufsstand hatte, für die Erbsen,
Linsen, Fadennudeln, Apfelsinen und gedörrten Äepfel und
Zwetschgen in den offenen Säcken und Kistchen, musterte jede
Person, welche ihr auf der Treppe begegnete, und blickte, im
ersten Stock angelangt, aufmerksam umher, obwohl dort nichts
zu sehen war als zwei Thüren, von denen die eine in das
Kontor des Bankgeschäfts, die andere in Allrams Wohnung
führte. Eben als sie. um an die letztere anzu klopfen, die in
einem tadellosen Glacehandschuh steckende Hand erhob, wurde
die Tbür so plötzlich von innen geöffnet und so unversehens
stand die Gestalt eines Mannes vor der Dame, daß sie, was
sehr natürlich war, erschrocken zurücksprang.
Der Heraustretende war Allram. Er hatte einen hell-
grauen Sommerüberzieher über die Schultern geworfen und
diesen am Halse zugeknöpft; es war dies seine Gewohnheit,
wie er auch den breitrandigen Filzhut von gleich hellgrauer
Farbe, der seinen Kopf bedeckte, tief in die Stirn gedrückt
zu tragen pflegte. Unter dem Arme hielt er einen starken,
gewundenen Spazierstock, in der Hand ein kleines braunes
Lederköfferschen.
Seinen Hut lüftend, entschuldigte er sich wegen des der
Dame bereilenven Schrecks.
„Wollten Sie zu mir?" frug er-
„Wenn Sie Herr Allram selbst sind, ja," war die
Antwort.
_ (Fortsetzung folgt.)