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Heidelberger Zeitung — 1900 (Januar bis Juni)

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Nr. 1-26 (2. Januar 1900 - 31. Januar 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.37613#0041

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Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Xr.8.

Mittwoch, den 16. ZMM

19««

Die russische Probemobilmachung.
Die russische Probemobilmachung, von der
Neulich berichtet wurde, hat sich auf vier kaukasische
Schützenbataillone erstreckt, welche als die Vortruppe eines
Zu mobilisirenden Armeekorps gedacht wurde. Im Laufe
einer Woche sind diese vier kriegsstarken Bataillone vom
Kaukasus 2000 Kilometer weit nach Kuschk befördert
worden, gewiß eine Thatsache, die den Engländern zu
denken giebt. Die politische Bedeutung dieses Piobetrans-
Vorts erhöht sich noch dadurch, daß die russisch: Tele-
graphenagentur, selbstverständlich auf Veranlassung der
russischen Regierung, sehr kühl und offen ausspricht, dieser
Versuch habe stattgefunden mit Rücksicht auf die Mel-
dungen über die Lage in Afghanistan und die Gährung
Unter den Hindus. Das heißt mit andern Worten:
Wenn in Afghanistan Unruhen ausbrechen oder wenn die
Gährung unter den Hindus fortschreitet, so kann dadurch
eine Lage gegeben werden, die die russische Regierung ver-
anlassen könnte, diesen Ereignissen militärisch näher zu
treten. Nun ist es ja nicht unbekannt, daß Rußland sich
seit Jahren an der afghanischen Grenze militärisch vorbe-
reitet und daß die dort gebauten Eisenbahnen, die heule
bis zum Fuße des Pamirplateaus vorgestoßen sind, fast
ausschließlich strategischen Zwecken dienen. Hierüber ist
jeder Zweifel ausgeschlossen, und diese Lage ist keineswegs
neu. Einigermaßen überraschend ist es aber, wenn die
russische Regierung gerade jetzt eine Art von Probemobil-
machung vornimmt und noch dazu Sorge trifft, daß sie
in aller Form und auf beschleunigtem telegraphischem Wege
veröffentlicht wird.
In England hat dieser Probetranspoct sehr unange-
nehme Gefühle erweckt. Die Times bemüht isich, nachzu-
wcisen, daß die Lage in Afghanistan durchaus keinen Grund
für solch eine Unternehmung geboten habe. Sie schreibt:
„Ueberall in Afghanistan herrscht vollständige Ruhe.
Die Gerüchte, wonach bedenkliche Unruhen ausgebrochen
seien, sind vollständig unbegründet. Die Gesundheit des
Emirs flößt nicht die geringste Besorgniß ein. Die Ver-
waltung in Kabul funktionirt regelmäßig und zur allge-
meinen Zufriedenheit. Die diplomatischen Beziehungen
zwischen dem Emir und dem Gouverneur von Indien sind
ausgezeichnet."
Die russischen Blätter lachen natürlich ob solcher Aus-
einandersetzungen. Die deutsche St. Petersb. Ztg. schreibt
humorvoll:
Bei der Dislocirung der Avantgarde des kaukasischen
Armeekorps von Tiflis nach Kuschk hat es sich selbstver-
ständlich nur um die Lösung einer akademischen Aufgabe
gehandelt, worin keine Drohung gegen England er-
blickt werden soll. Falschmeldungen aus Afghanistan und
Alarmberichte aus Indien haben wohl den unmittelbaren
Anlaß gegeben, den russischen Truppen die interessante
Aufgabe zu stellen, deren Lösung allseitig mit Genugthuung
ausgenommen worden ist. Zu anderen Zeiten würde die
englische Regierung eine ähnliche Meldung mit einem un-
berechtigten Kriegsschrei begleiten. Heute wird sie eine
Lehre daraus ziehen und begreifen, daß das Pochen auf
die unbestrittene Seeherrschaft Rußland gegenüber so wenig
nutzt, wie gegen die beiden südafrikanischen Republiken. Es
wird sich gegenüber der russischen Regierung in den Ver-
handlungen gefügiger zeigen, als sonst zu erwarten ge-
wesen wäre. Es versteht sich, daß Rußland auf diese
Wirkung nicht abgeziclt hat, daß es aber England über-
iassen bleibt, die nölhigen Folgerungen aus der Sache zu
ziehen.
Und der Herold, der neuerdings aus deutschen in

slawische Hände übergegangcn ist, bezeichnet die Probe-
mobilmachung mit beißendem Spott „als einen handgreif-
lichen Beweis für die Festigkeit der russischen Friedens-
liebe und als Bürgschaft für die Fortdauer des Friedens".
Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, daß Rußland seine
Truppen in Asten in der letzten Zeit wesentlich verstärkt
hat. Mit Ende September sind für Asien an Neubildungen
angeordnet worden: 1. 1 Reserve-Artillerie-Brigade mit
2 leichten Batterieen im Frieden. 4 Brigaden mit 8 Bat-
terieen im Kriege; 2. Umwandlung des Lokalkommandos
Barnaul, Bezirk Tomsk, in 1 Reservebataillon. 3. Auf-
stellung von je einem Regiment zu 5 Bataillonen, für
welche im Frieden die Cadres bestehen, bei jedem der 7
Reserve-Bataillone in Sibirien. Da die beiden Reserve-
bataillone in Priamur je 1 Regiment zu 4 Bataillonen
und 1 Rcservebataillon, die beiden in Turkestan 7 Ba-
taillone liefern, so hat man in Asien 52 Reservebataillonc
statt der früheren 38. Da nun, wie der Probetrans-
port gezeigt hat, ohne Schwierigkeit größere Truppenmassen
aus Europa nach Asien geworfen werden können, so darf
man schon heute die militärische Macht Rußlands in
Centralasien als die maßgebende bezeichnen.

Deutsches Reich.
— Auf die Beschwerden wegen der Beschlag-
nahme deutscher Dampfer durch englische Kriegs-
schiff: ist, wie der Franks. Ztg. aus Berlin gemeldet wird,
gestern (Dienstag) aus London eine Antwort einge-
gangen, welche die Angelegenheit allerdings nicht endgiltig
erledigt, da namentlich noch Meinungsverschiedenheiten
wegen der Rechtsfrage obwalten, die aber doch die
Grundlage für weitere Verhandlungen mit der Aussicht
auf eine Verständigung bieten. — Wie der
Kaiser die jüngsten Ereignisse auffaßt, das ist aus
seinem Telegramm an den König von Württemberg (siehe
unter Württemberg) zu ersehen.— Der Dampfer G ene ra l
ist in Aden völlig durchsucht worden; er hat die ganze
Ladung löschen müssen; man hat aber nichts gefunden.
Der Dampfer Bundes rath hat am Montag begonnen,
auszuladen, da auch seine Ladung genau untersucht werden
soll. Das Aus- und Einladen kostet Zeit und Geld. Die Kauf-
leute werden fortan Bedenken tragen, deutsche Schiffe nach Ost-
afrika zu benützen, und so erleidet Deutschland großen Schaden.
— Auf dem DampfcrHerzo g, der im Norden der Delagoa-
Bai beschlagnahmt wurde, befand sich der portugiesische
Gouverneur des Sambesidistrikts. — Selbst die Londoner
Daily News finden, daß die englische Regierung sehr
langsam mit der Aufklärung der Sache verfährt. Sie
schreiben, es sei sehr thöricht, die Eigenthümer der Schiffe
warten zu lassen, während diese ihre eigene Regierung um
Abhülfe bestürmen. Man solle es nicht dahin kommen
lassen, daß die Angelegenheit infolge dieser Verzögerung
zu einer Quelle der Mißstimmung zwischen beiden Ländern
werde.
— Ueber eine bemerkenswerthe Verbrüderung von
Deutschen und Franzosen auf dem südafrikanischen
Kriegsschauplätze meldet die Deutsche Wochenschrift aus
den Niederlanden: Das deutsche Kommando zu Felde
empfängt fast täglich von der französischen Kolonie Preto-
rias die herzlichsten Sympathiebeweise in der Form von
flüssigen und kompakten Liebesgaben. Verschiedene Fran-
zosen sind in das Korps eingetreten und
kämpfen Schulter an Schulter mit den Deutschen. Auch
Ungarn und Slaven vergessen den Parteistreit in der
Heimath und kämpfen auf deutscher Seite. Die War-

nungcn der Konsuln werden mit Achselzucken beantwortet.
Der Hab gegen die Engländer ist eben zu groß.
— General der Infanterie v. Mikusch-Buchbcrg, com-
mandircnder General des VII. Armeccorps, hat sein
Abschiedsgesuch eingereicht.
— Der nationalliberale Reichstagsabgeordnete und
bayerische Landtagsabgcordnete v. Fischer, bis vor
Kurzem erster Bürgermeister von Augsburg, ist, 67 Jahre
alt, am 9. d. gestorben.
— Die Str e ik d rohn en der So zialdcmokratie ver-
spüren eine schmerzliche Leere ihrer Po rtemonnaics. Es
muß schleunigst Rath geschaffen werden, diese Herren vor
der bitteren Alternative, entweder darben oder sich ihren
Lebensunterhalt durch ihrer Hände Arbeit erwerben zu
müssen, zu bewahren. Also neue Streiks um jeden Preis.
Am eifrigsten wird in der Bauarbeiterschaft gehetzt, aber
auch andere Arbeiterkatcgorien werden aufs Korn ge-
nommen. Ueber 18 000 Mark hat den Arbeiterorgani-
sationen der große Putzerstreik in Berlin und Umgegend
gekostet. Zur erneuten Füllung der Streikkassen werden
kräftige Anstrengungen gemacht.
Kiel, 9. Jan. Prinzessin Heinrich von Preußen
ist heute von einem Knaben glücklich entbunden worden.
(Der Ehe des Prinzen Heinrich mit Prinzessin Irene von
Hessen, einer Schwester des Großherzogs Ernst Ludwig
von Hessen, sind bereits zwei Söhne entsprossen: Prinz
Waldemar, geb. 20. März 1889, und Prinz Sigismund,
geb. 27. November 1896.)
Deutscher Reichstag. Berlin, 9. Januar. Der
Präsident Graf v. Ballestrem eröffnet die erste Sitzung
des „20. Jahrhunderts" mit einer Begrüßung der Abge-
ordneten und theilt sodann das gestern erfolgte Ableben
des Abgeordneten v. Fischer-Augsburg mit.
Es folgt dann die zweite Berathung des Entwurfes einer
Reichsschuldenordnung.
8 1 wird nach kurzer Erörterung mit einer redaktionellen
Aenderung angenommen, 8 2 an die Commission zurückverwiesen,
der Rest der Vorlage ohne erhebliche Erörterung angenommen.
Der Gesetzentwurf betreffend die Controle des ReichshauS-
haltes, des Landesbaushaltes in Elsaß-Lothringen, der Schutzge-
biete für 1899 werden in zweiter Lesung erledigt.
Es folgen Wahlprüfungen und Petitionen. Die Petition be-
treffend Bereitstellung von Mitteln zum Retchsinvalidenfonds zur
Beihilfe an bedürftige Kriegstheilnchmer wird für erledigt erklärt.
Bet der Petition betreffend Erhöhung des Zolles auf Häringe
wird nach unerheblicher Erörterung ein Antrag Rtckert (frei?.
Vereinig.) auf Uebergang zur Tagesordnung angenommen.
Nächste Sitzung morgen 2 Uhr.
Baden. Karlsruhe, 7. Januar. Die Regierung
hat in der sogenannten Lescbucheingabe nach dem
Bericht des Abg. Armbruster eine so außerordentlich artige
Antwort gegeben, daß darin die Befürchtung in der libe-
ralen Presse geknüpft wird, es liege die Neigung vor, das
Lesebuch künftig den Wünschen entsprechend zu gestalten,
die vor nicht ganz zwei Jahren den Spott der zivilistrten
Welt entfesselten. Kein Volk der Welt, so bemerkt hierzu
der Schwäb. Merkur, ist weniger chauvinistisch als das
deutsche und keines hat seit einem Meuschenaltcr nach
glorreichen Tagen ohne Beispiel diese Friedensliebe prak-
tisch in so mustergiltiger Weise bekundet, ein Friedensvolk
in Waffen. Es wäre doch sehr merkwürdig, wenn das
alle Welk wüßte, mit Ausnahme der bad. Regierung.
Sicherlich werden also in der Lesebuchfragc keine Zuge-
ständnisse gemacht werden, die unvereinbar erscheinen
müßten mit den in der Kammer s. Z. abgegebenen Er-
klärungen des Regierungsoertreters. Immerhin kann man
bedauern, daß die Fassung der Antwort, wie sie im Be-
richt der Petitionskommission niedergelegt ist, geeignet
scheint, die Meinung zu erwecken, als weiche das Unter-
richtsministerium in dieser Frage von seinem früheren

nicht darüber nach. Sie freute sich über sein Fortgehen denn
sie hatte gehört, daß Frau Breilner erkrankt sei und das Bett
hüte. Sie wollte den Abend im väterlichen Hause zubringen.
und war glücklich, unter den gegebenen Verhältnissen, nicht
erst Warnhöfens Erlaubniß einholen zu müssen. Sie würde
ja viel früher zu Hause sein, wie er. Sie fand ihren Vater
in verdrießlicher, aufgeregter Stimmung, die er nur schwer
bemeistern konnte. Frau Breitner lag in heftigem Fieder.
Sie ersuchte Evi, von ihrem Vater die Erlaubniß zu er-
bitten, daß sie ihre Nichte Martha kommen lassen dürfe.
Diese, ein stilles, fleißiges Mädchen, batte sie schon öfters
bei ihrer Arbeit im Haufe unterstützt. Evi versprach es der
Kranken und verlieb diese beruhigt, um für ihren Vater —
Harry war an diesem Abend nicht zu Hause — das Abendbrod
herzurichten. Als Evi am Tsicbe dem Vater gegenüber saß,
wunderte sie sich, wie er gealtert war. Seine Wangen saheir
grau aus und waren von tiefen Furchen durchzogen. An
den Schläfen war sein Haar fast weiß geworden. Ihr hüb-
scher, stattlicher Papa, auf den sie immer so stolz war!
_ (Fortsetzung folgt.)

IV. Konzert des Bachvereins.
Heidelberg. 10. Januar.
„Was jene auch wirken,
dem ewig Jungen
weicht in Wonne der Gott!"
Hat so Wotan Wolfrums Herzensruf in das neue Jahr-
hundert hineingeschleudert? Mög' es sein Wahlspruch sein!
Das ewig Junge ist da« ewig Schöne, ob es vor hundert Jahren
oder gestern geboren. In der Kunst gibt es keine Götterdämme-
rung, nur eine Götzendämmerung, in ihr sind die Götter ewig,
unvergänglich.
Prof. Wolfrum mag diese Siegfried-Stimmung besouderS
nahe gelegen haben, da er eben von Thaten kam, zu denen er
ausgezogen. Mit aufrichtiger Freude hat man die außer-
ordentlich glänzende Aufnahme des Weihnachtsoratoriums in de»
anspruchsvollsten Musikstädten verfolgt. Besonders die Berliner

6)

Mord?
(Nach einer wahren Begebenheit.)
Novelle von Helene Lang-Anton.
(Fortsetzung.)

In ihrem Zimmer erwartete sie Frau Breitner und es
^urde Evi warm ums Herz, als sie das gute Gesicht der
Alten sah. Schon noch einigen Tagen mußte Evi aus
H-unsch, der fast einem Beseht glich, die treue, aufopfernde
Frau bitten, nicht mehr zu ihr zu kommen. Es ging Evi
'ehr nahe, denn abgesehen davon, daß es ihr unendlich
leid that, der alten Frau Schmerz zu bereiten, wußte sie auch
Kenau, daß sie ihre Gegenwart sehr entbehren würde. Ihr
Elegantes, prächtiges Heim würde ihr dann noch kälter
Md einsamer erscheinen. Aber sie gab nach, des lieben
Friedens willen, auch fürchtete sie die Zornausbrüche ihres
Mannes.
. Harry war zurückgekehrt und es fügte sich glücklicherweise.
Aß Warnhöfen bei dem ersten Wiedersehen der Geschwister
udwesend war. Evi brauchte so ihren Gefühlen keinen
'Owang anzuthun. Es waren seil ihrer Verheiralhung die
-Aen glücklichen Stunden wieder. Als Warnhöfen am
chäten Abend nach Hause kam, fand er den Schwager noch
M. Er hieß ihn zwar kühl, aber höflich willkommen.
Motz dieser erzwungenen Freundlichkeit wollte kein Ge-
brach mehr in Fluß kommen, sodaß sich Harry bald empfahl.
^ Der Abschied, den die Geschwister von einander nahmen,
Mr von überströmender Zärtlichkeit, und Warnhöfen
Mnd mit finsteren Blicken und zusammcngcballter Hand
"aneben.
. Als Evi den feindseligen Blick auffing, den er dem Ab-
-chtednehmenden nachsandte, ergriff sie Unruhe. Sie bangte
M ihren geliebten Bruder, denn sie allein kannte genau
Karnhöfens Tücke, Bosheit und Brutalität.
Von diesem Tage an beschränkte sie ihre Besuche im

Ellernhause nach Möglichkeit. Sie vermied eS, wo es nur
s anging, die Ihren mit Warnhöfen zusammen zu bringen.
! Sie batte eine Angst in sich, über die sie sich selbst keine
Rechenschaft oblegen konnte- Sie wollte ihren Vater und
j ihren Bruder nicht zu klar in ihr häusliches Leben sehen
lassen, sie würden darunter gelitten haben und ihr hätte es
nichts geholfen.
Warnhöfen wurde mit jedem Tage roher und unliebens-
würdiger zu ihr und es gab manchen Abend, wo sie sich mit
dem Wunsche hinlegte, am nächsten Morgen nicht mehr er-
wachen zu müssen.
! Trotzdem gönnte sich das arme, junge Weib keine
Auswrache mit den Ihren, sondern ertrug alles, ohne zu
klagen.
Ihre Hilflosigkeit Warnhöfens gegenüber wuchs mit
jedem Tage, sie war so eingeschüchtert, daß sie in seiner
Gegenwart kaum mehr eine eigene Meinung zu äußern
wagte.
Woringer ließ sich durch EviS Ruhe täuschen, nicht so
Harry. Evis heimlicher Kummer war auf ihr AeußereS
nicht ohne Einfluß geblieben. Ihr rundes, rosiges Kinder-
gesichtchen war blaß und schmal geworden und glanzlos
blickten ihre Augen. Da sie ihm kein Vertrauen entgegen-
brachte, schwieg auch Harry, aber ihr unausgesprochenes
Leid ließ auch ihn zu keiner Freude kommen. Es drängte
ihn, an Warnhöfen hcranzutreten und von ihm das glückselige
Kind, den lachenden Sonnenschein ihres Hauses, der Evi
gewesen, zurückzusordern. Aber mit welchem Rechte!
Evi hatte nicht über Warnhöfen geklagt. Daß sie dies
unterließ, weil sie für Harry zitterte, konnte dieser ja nicht
wissen.
Als Warnhöfen eines Tages nach dem Essen zu Evi be-
merkte, daß er den Abend im Klub zubringen werde und
sie nicht auf ihn warten sollte, sah sie ihn fast erstaunt an.
Diese Rücksichtnahme war ihr neu. Er ließ sie ja so un-
endlich oft warten, ohne sich beim nach Hause kommen auch
nur mit einem Worte zu entschuldigen. Vielleicht hatte seine
Benachrichtigung heute einen besonderen Grund. Sie dachte
 
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