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Heidelberger Zeitung — 1900 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
Nr. 127-149 (1. Juni 1900 - 30. Juni 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.37613#0669

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Die Wirren in China.
Aus Peking liegt auch heute noch keine Nachricht
vor. sodaß man nicht weiß, ob wirklich die dortigen Ge-
sandtschaften eingenommen und der Vertreter Deutschlands
oder irgend einer anderen Macht ermordet worden ist. Gerücht-
weise wird zu dem Bisherigen noch gemeldet, daß alle Ge-
sandtschaften genommen worden seien und alle aus-
ländischen Diplomaten sich in den Händen des Pöbels
befänden.
Auch über die nach Peking aufgebrochene internationale
Schutztruppe liegt heute keine weitere Meldung vor. Sie
mußte bekanntlich nach Tientsin zurückkehren und ist dort
von der Verbindung mit Peking, sowohl wie mit der Küste ab-
geschnitten. Da indessen die Truppen der Mächte die
Forts bei Taku zerstört haben, so wird die Verbindung
mit Tientsin ohne Zweifel sehr bald wieder hergestellt sein.
Inzwischen berichten englische Blätter Näheres über
die Vorgänge bei Taku. Danach hielten die ausländischen
Flottenkommandanten bei Taku Samstag Nachmittag an-
gesichts der Thatsache, daß sich starke chinesische Truppen-
massen in den Forts von Taku sammelten, im Flusse
Torpedos gelegt wurden und alle Verbindungen unter-
brochen waren, eine Berathung und beschlossen die Absen-
dung eines Ultimatums, das die Entlassung der Truppen
verlangte und ankündigte, falls nicht bis Sonntag früh
2 Uhr Folge geleistet werde, sollte die Zerstörung der
Forts erfolgen. Gegen 1 Uhr am Sonntag Morgen e r-
öffneten dann die Forts plötzlich das Feuer auf
die der Küste zunächst ankernden Kanonenboote „Algerine"
(britisch), „Iltis" (deutsch), „Atago" (japanisch), „Jork-
lown" (amerikanisch), „ManLschur" (russisch). Die ersten
Granaten der Forts blieben ohne Wirkung, dann aber
fanden die chinesischen Geschütze ihr Ziel und „Algerine"
und „Iltis" wurden dreizehn oder Vierzehnmal getroffen
und übel zugerichtet, hierauf erwiderte die ganze
Flotte mit einer schrecklichen Kanonade, es wurde
gut geschossen und die Forts wurden buchstäblich zer-
schmettert. Die russischen Truppen sollen von der
Landseite der Forts den Angriff unterstützt haben, der bis
zum Hellen Morgen andaucrte. Alsdann wurden die Werke
durch starke Landungsabtheilungen, die die Chinesen mit
dem Bajonett angriffen, besetzt. Hunderte der Vertheidiger
fielen auf der Flucht nach Norden. Die Hauptstärke an
Truppen bei dem Angriff entfalteten die Russen, die bisher
10 000 (?) Mann bei Taku gelandet haben. Die Kanonen-
boote wurden durch den ersten Angriff vollständig über-
rascht. Eine Granate schlug in die Munitionskammer des
„Mandschur" ein und sprengte das Schiff, das zahlreiche
Todte und Verwundete hatte, in die Luft. — Der Kom-
mandant des „Iltis" soll schwer verwundet sein.
Die Forts von Taku haben schon in dem Kriege, den
die Franzosen und die Engländer 1860 gegen China führ-
ten, eine Rolle gespielt. Am 21. August 1860 nahmen
die vereinigten Streitkräftc der Engländer und Franzosen
die Forts im Sturm. Obschon damals während des Ge-
fechts um das große Nordfort eine furchtbare Pulver-

explosion im Fort erfolgte, vertheidigten sich die Chinesen
auf's tapferste; sie ließen ungefähr 2000 Mann auf dem
Platz, während die Engländer einen Verlust von 200, die
Franzosen von 130 Mann an Tobten und Verwundeten
hatten. Nachdem damals das große Nordfort erstürmt
war, ergaben sich die übrigen, ohne Widerstand zu leisten.
Vor zwei Jahren hat der Weltreisende der Frkf. Ztg.,
Herr Goldmann, die Forts besucht und sie in seinem Blatt
geschildert. Er schrieb damals u. A.: Sechs Vertheidi-
gungswerke sind bei Taku angelegt, um die Mündung des
Peiho zu sperren. Doch die Barre sperrt jedenfalls besser
als die Forts. Zur Armirung der letzteren hat Krupp
vortreffliche Kanonen geliefert. Die Geschütze werden gut
in Stand gehalten, aber die Befestigungen, auf denen
sie aufgestellt sind, bestehen aus lockerem Sand.
Es ist sicher, daß unter den ersten Schüssen eines
feindlichen Kanonenboots die Forts zusammenbrechen
müssen, allein es ist wahrscheinlich, daß sie bereits
vorher infolge der Erschütterung einstürzen, die durch
die Schüsse ihrer eigenen Kanonen hervorgerufen wird.
... Von Weitem erschienen die Taku-Forts wie eine horizon-
tale Linie am Rand des Meeres. Das Schiff fährt näher
heran, ein Einschnitt in der Linie wird sichtbar, und bald
zeigt sich, daß die Befestigungen zu beiden Seiten des
Flusses liegen. Das Wasser nimmt jetzt die Farbe der
Chokolade an, einer etwas Hellen, stark verdünnten Choko-
ladc. Aus demselben Sande, der dem Flusse diese
Nuance gibt, sind auch die Festungswerke erbaut. Der
Chokoladefluß wird also durch Chokolade-Forts vertheidigt.
Trotzdem ist das Alles nicht sehr appetitlich. Die Be-
festigungen sind große und weite Anlagen und nehmen
sich mit ihren runden und eckigen Schanzen ungemein
martialisch aus. — Der englische Admiral Beresford be-
zeichnet die Forts als mächtige Vertheidigungswerke mit
Geschützen bester Konstruktion.
Alle Mächte gehen nun daran, ihre Streitkräfte in
China zu vermehren. Die Japaner wollen in der Zahl
der Truppen, die sie landen, mit den Russen gleichen
Schritt halten. Die französische Regierung gab Befehl,
daß in Toulon zwei Kreuzer sich zur Abreise bereit Hallen,
ebenso zwei Bataillone und zwei Batterien. Die Ver-
einigten Staaten wollen drei weitere Regimenter von den
Philippinen nach China entsenden. Die italienische Regie-
rung gab Befehl, daß die Panzerkreuzer „Carlo Alberto",
„Stromboli" und „Vesuvio" ihre Ausrüstung zur Ab-
fahrt nach China schleunigst fertig stellen. Ueber die von
Deutschland getroffenen Maßnahmen wird weiter
unten besonders berichtet.
Im französischen Ministerrath im Elysse machte
Minister Delcasss gestern Mittheilung über die Vorgänge
in China und stellte fest, daß zwischen allen Mäch-
ten vollkommene Uebereinstimmung in allen Punkten
herrsche. Das ist sehr wichtig. Bleiben die Mächte
einig, dann muß China in kurzer Zeit nachgeben. Sollten
die Chinesen sich an den Gesandtschaften oder gar an den
Gesandten wirklich vergriffen haben, so werden sie es
schwer büßen müssen.

Die Mobilisirung der deutsche»» Marine-
Infanterie.
Anläßlich der Vorgänge in China befahl der Kaiser die
Mobilisirung der Marine-Infanterie, bestehend
aus dem ersten und zweiten Seebataillon. Sie geht auf
dem Dampfer „Fürst Bismarck" unter Generalmajor von
Hopfner in kürzester Frist nach China ab.
Kommandeur des ersten Bataillons (Kiel) ist Major

v. Madai, Adjutant Oberleutnant Vitzthum v. Eckstaedt,
Kompagnieführer sind Hauptleute Frhr. v. Seherr-Thoß,
v. Schmid, Frhr. v. Rheinbaben, v. Busse. Der Friedens-
bestand eines Seebataillons beträgt 41 Offiziere, 168
Unteroffiziere, 1038 Gemeine. Die Kriegsstärke des
Bataillons (zu sechs Compagnien) soll 1400 Mann be-
tragen.
Das zweite Seebataillon hat seinen Standort
in Wilhelmshaven. Kommandeur des Bataillons ist
Major v. Krön Helm. Beim 2. Seebataillon stehen die
Hauptleute Wendenburg, v. Falkenhayn, Wellenkamp, Fricke,
Gudewill.
Es ist zum zweiten Male seit Bestehen des Reiches,
daß Marineinfanterie im Colonialdicnste verwendet wird.
Das erste Mal wurde im Frühjahr 1894 ein Detachement
Marineinfanterie zur Dämpfung des Aufstandes nach
Kamerun entsendet.
Das Kanonenboot Jaguar ist am 18. d. vor Taku
eingetroffen, sodaß an diesem Tage mit Ausnahme
des Kreuzers „Irene", der als Wachlschiff vor Tsingtau,
lag, sämmtliche deutschen Kriegsschiffe in Ostasten bei der Peiho-
mündung vereinigt waren. Also Jaguar, Iltis, Gefion,
Hertha, Hansa und Kaiserin, Äugusta. Dem Geschwader-
chef steht in den ostasiatischen Gewässern der neuernannle
zweite Admiral in Ostasien, Kirchhofs, zur Seite, so daß
ein Flaggoffizier sowohl die Operationen zur See wie am
Lande leiten kann. Kirchhofs wird seine Flagge auf der
„Hansa" setzen. Der neue Admiral war bis vor Kurzem
Direktor der Marineschule in Kiel und reiste als Nach-
folger des Kontreadmirals Fritze im April nach China ab.
Auch die Irene hat sich nunmehr gestern von Tsintau
auf den Weg nach Taku gemacht. Sie nimmt 240 See-
soldaten dorthin mit.

Deutsches Reich
— Gestern trafen, von Venedig kommend, die ersten
zurückkehrenden Mitglieder der Sanitätsabordnung des
deutschen Rothen Kreuzes aus Südafrika in
Berlin ein. Es sind dies die Aerzte Dr. Küttner-Tübingen
und Dr. Ringel-Hamburg; die Schwester Luise Westphal
vom Eppendorfer Krankenhaus und 4 Pfleger der Genossen-
schaft freiwilliger Krankenpflege im Kriege. Die Mitglie-
der der Abordnung, die lheilweise selbst an Typhus und
Malaria erkrankt waren, erfreuen sich jetzt der befteu Ge-
sundheit. Augenblicklich sind noch 6 Aerzte, 7 Schwestern
und 9 Pfleger vom deutschen Rothen Kreuz in Südafrika
thätig.
— Dem Militär-Wochenblatt zufolge wurde der Gouverneur
der kaiserlichen Prinzen Generalleutnant v. Deines zum Comman-
deur der 21. Division; Oberquatiermeister Generalleutnant Frhr.
v. Nechenberg wurde zum Direktor der Kriegsakademie ernannt.
Der Jnspecteur der Jnfanterieschulen Generalmajor v. Goßler
wurde mit der Wahrnehmung der Geschäfte eines Oberquarlter-
meisters beauftragt.
— Aus Oldenburg wird berichtet, daß die feier-
liche Beisetzung des verstorbenen Großherzogs Peter dort
Dienstag Vormittag im Beisein des Kaisers, des Prinzen
Heinrich und zahlreicher sonstiger fürstlicher Leidtragender
erfolgt ist. Um 12 Uhr reiste der Kaiser nach Wilhelms-
haven zurück. Dort schiffte er sich um 2 Uhr ein und
ging nach der Unterelbe in See.
Sigmaringen, 19. Juni. Die Fürstin-Mutter
zu Hohenzollern ist heute Morgen gestorben. Fürstin
Josephine von Hohenzollern, königliche Hoheit, geborene
Prinzessin von Baden, war geboren am 21. October 1813
und vermählte sich zu Karlsruhe am 21. October 1834
mit Karl Anton Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen, ge-
storben am 2. Juni 1885 in Sigmaringen. (Durch diesen

Die Irre von Sankt Rochus.

20)

Kriminalroman von Gustav Höcker.
(Fortsetzung.)

Der Irrenarzt schüttelte fortwährend den Kopf.
„Nimmt sich in Magdeburg das Leben," wiederholte er
6ch. an den Fingern zählend," arbeitet dann an mehreren
Orten und wird zuletzt Briefträger beim Merkur. — als ob
die Zeit rückwärts liefe. Offenbar kann es sich hier nur um
eine Verwechslung handeln. Groljan ist ja kein allzu seltener
Name."
„Gewiß nicht," asb der Detektiv zu. „Aber die Vor-
Manien stimmen ebenfalls überein, und es wäre doch höchst
Uierkwürdig, wenn während meiner Fahndung auf den Maler-
vehilfcn Ernst Gabriel Grotjan mir dieser abhanden ge-
Ammen wäre und ein anderer Malergehilfe Ernst Gabriel
grotjan sich mir gewissermaßen in die Hand gespielt hätte,
M welcher der Selbstmörder übrigens auch auf dem Magde-
burger Standesamt in der Sterbejiste eingetragen ist. Offen-
er haben wir es in diesem Grotjan mit einem Menschen zu
saun, der eine Namenssälschung begangen hat und hierzu
Ästigen Grund gehabt haben muß." Allram machte eine
Muse, während welcher er vor sich auf den Fußboden blickte.
Mnn hob er den Kopf wieder und begann von neuem: „Es
soffen nun zwei Momente zusammen, die wohl geeignet sind,
At den auf Georg» begangenen Mord ein neues Licht zu
Arsen. Da ist erstens der Neffe aus Amerika, der von der
Verworfenheit seines Charakters bereits früher einen Beweis
Wiefert hat und nun abermals aufgetaucht ist, und zwar im
Mstande größter Verkommenheit, lind da ist zweitens der
Aerkurbriefiräger Grotjan, der vor Gericht eine Lüge gesagt
die ich nicht auf die leichte Achsel zu nehmen geneigt bin.

Lx


j?Nlt ein Mensch, der sich erhängt und begraben wird und
"Uri wieder unter den Lebenden erscheint, ist im höchsten

Grade verdächtig. So entstand nun in mir die Frage, ob
wohl diese beiden Individuen einen gemeinsamen Antheil an
dem Morde selbst haben könnten, und ob vielleicht schon
früher eine Gemeinschaft zwischen ihnen bestanden haben
könnte. Das lenkte meine Gedanken wieder auf den Bibel
raub zurück, zu welchem Wippach sich eines Gehilfen bedient
hatte. War cs nicht eine naturgemäße Jdeenverbinduna.
daß ich dabei an Grotjan denken mußte? Ich hatte freilich
meine Zweifel, ick fürchtete, über das Ziel hinauszuschießen.
aber aus einen möglichen Jrrthum durfte es mir nicht an-
kommen. Ob sich der Berliner Antiquar auf die äußere Er-
scheinung des Unterhändlers noch werde erinnern können, ob
ich selbst eine so genaue Beschreibung des Briefträgers
Grotjan werde erhalten können, um ihn einem Dritten kennt-
lich zu machen, und in die Erinnerung zurückzurufen, war
sehr zweifelhaft. Ein hübscher, schlanker Bursche, fast zierlich,
dunkle Augen, schwarzes Haar — das war alles, was ich
erfuhr, und mehr schien man mir auch im Bureau deS
Merkur nicht sagen zu können. Aber plötzlich besann sich der
Bureauvorsteher und deutete auf eine Potographie an der
Wand, ein großes Gruppenbild. „Wir haben zur Feier des
zehnjährigen Bestehens unseres Instituts unser Gesammt-
personal photographisch aufnehmen lassen," erklärte er mir,
„Grotjan befindet sich ebenfalls darunter." Er nahm das
Bild herab, auf welchem außer den Unternehmern des
Merkur und dessen Overbeamten etwa fünfzig bis sechzig
Briefträger in ihrer eigenartigen Dienstkleidung abkonterseit
waren, umgeben von der üblichen landschaftlichen Staffage;
die Hintere Reihe stehend, die vordere sitzende und ganz im
Vordergründe ein halbes Dutzend malerisch hingeftreckt —
alles in allem eine Terrasse von Gesichtern und Gestalten.
Der gefällige Bureauvorsteher, der sich ebenfalls auf dem
Bilde befand und ein Buch in der Hand hielt, zwischen
dessen Blättern er den Zeigefinger geklemmt hatte, fuhr mit
demselben Zeigefinger einmal über die Gruppen hinweg.
„Da ist Groijan I" sagte er und machte bei einer der Figuren
halt, einem bartlosen, allerdings recht hübschen jungen Mann,
der zunächst einem Baume stand. Das Bild mußte ich ein

paar Tage haben, und nach einigen Schwierigkeiten gelang
es mir, den Bureauvorsteher zu überreden. Daß ich ihm
Persönlich bekannt war, hätte hierzu nicht ausgereicht, aber
die schönen Dinge, die ich ihm über sein Porträt, seine vor-
nehme Haltung und das graziöse Spiel seiner Hand mit dem
Buche sagte, wirkten Wunder. Mit dem Bilde reiste ich
nach Berlin und suchte den Antiquar auf. Er zeigte sich mir
entgegenkommend; er wußte, daß ich ihm damals wegen des
nicht ganz sauberen Bibelhandels Unannehmlichkeiten hätte
bereiten können und ihn — freilich aus guten Gründen, die
er nicht kannte — geschont hatte. Ich legte ihm das Bild
vor und frug ihn, ob er unter dieser Gruppe wohl noch den
Mann werde herausfinden können, welcher ihm die Bibel
gebracht hätte. Meine Hoffnung war natürlich gering; fünf
Jahre waren für das Gedächtniß eines so alten Mannes wie
der Antiquar eine geraume Zeit. Aber in einem lange be-
triebenen Geschäft schärten und erhalten sich die Sinne, die
man dazu braucht. Ohne einen Blick auf das Bild zu
werfen, brachte der Antiquar einen älteren Kupferstich herbei,
auf welchem eine historische Szene dargestellt war. Der
Alte wies auf eine im Vordergründe stehende weibliche
Gestalt und sagte: „Betrachten Sie diese Frau mit dem
leisen Zuge von Grausamkeit um den Mund, welcher dem
Antlitz etwas Männliches gibt. Dieser Frau sah jener Mann
ähnlich, und als er mir die Bibel brachte, mußte ich an
diesen Kupferstich denken, der damals sehr beliebt war und
viel gekauft wurde, und ich sagte mir: wenn man diesen
Menschen in die Tracht dieser Frau kleidete, so würde man
glauben, er sei das Modell dazu gewesen. Und nun lassen
L>ie mich sehen, ob ich ihn finde." Der Antiquar betrachtete
das Gruppenbild und brauchte nicht lange zu suchen. „Dieser
hier ist's und kein anderer," bemerkte er und legte den
Finger auf Grotjan."
(Fortsetzung folgt.)
 
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