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Heidelberger Zeitung — 1900 (Januar bis Juni)

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Nr. 51-77 (1. März 1900 - 31.März 1900)
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Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Ar. 62. Erstes Klitt.

Miltmih, den 14. Mär?

180«.

Die Verhältnisse im kathol. Religionsunter-
richt in Karlsruhe.
Es unterliegt keinem Zweifel, so schreibt man dem
^chwäb. Merk, aus Karlsruhe, daß, wenn die vom Bad.
^eob. zugestandenen Vorkommnisse wirklich geschehen sind,
der Oberschulrath das Recht hatte, die Enthebung des
Kaplans Evp vom Religionsunterricht zu verlangen, und
daß die Kurie diese nicht verweigern konnte, daß cs also
^richtig ist, von einem „Entgegenkommen" der Kurie zu
^den. Kaplan Epp hat aber nicht bloß gegen die welt-
uche Schulordnung verstoßen, sondern auch gegen die Ver-
ordnung des erzbischöflichen Ordinariats über die religiöse
Unterweisung an Mittelschulen vom 16. Aug. 18-3. Dort
neißt es ausdrücklich in den vorangcstellten Grundsätzen:
«Wer sich einem höheren Lebensbcrus zuwendet, der soll
? der Jugend gründlich und nach einer Methode, die
Iriner übrigen Geistesbildung verwandt ist, in der Religion
Onterrichtel werden." Kaplan Epp hat den Unterricht nicht
'n diesem Geiste ertheilt, sonst hätte er nicht den deutschen
-kationalhelden Bismarck in den Augen seiner Schüler
^rabgewürdigt. Er mußte wissen, daß dies der übrigen
Geistesbildung der Primaner widersprach und ihren Wider-
spruch herausforderte, und auch die abfälligen Bemerkungen
p.bcr die Flottenverstärkung waren gegenüber einer vater-
Mdjsch fühlenden Jugend unangebracht. „Die Primaner",
^gt die erzb. Verordnung, „sollen mit hoher Achtung vor
, ^ Religion erfüllt werden", aber das Benehmen des Kap-
?ns Epp war gerade dazu gewiß nicht geeignet. „Sie sollen
i'E Ueberzeugung erlangen, daß alle Einreden gegen den
Dauben widerlegt werden können und widerlegt worden
Und.« Epp hat Erörterungen mit Schülern hervorgerufen,
denen er entschieden den Kürzeren zog, wie der Beob.
Zischen den Zeilen wohl erkennen läßt. Die Verordnung
Enthält sehr in's Einzelne gehende Vorschriften, die großen-
NEils nicht beachtet wurden. Wir können hier nicht alle
^nszählen, wollen aber doch Einiges noch hervorheben:
"Uebcrhaupt suche der Religionslehrer seinen Vortrag in-
.EEessant zu machen und die Herzen der Schüler für den zu
handelnden Gegenstand zu erwärmen." Epp hat kaltes
Hasser auf die Begeisterung der Schüler gegossen, denn
-Esligion und Vaterlandsliebe sind nahe verwandt. Und
'E konnte er die Herzen erwärmen, wenn er Söhne aus
ÜEWischten Ehen aufforderte, den nichtkatholischen Eltern-
pE>l weniger zu lieben? Ferner steht in der Ver-
tonung: „Mit allen moralischen Mitteln ist dahin zu
'tken, daß die Schüler den Gottesdienst besuchen." Mit
hraljscheir Mitteln: das heißt doch nicht mit der An-
Eohung, er werde durch schlechte Noten die Versetzung
hr gar das Bestehen des Abituriums verhindern! „Aus
h ,Empfang des heiligen Sakraments der Buße sind die
wüler jedesmal in der vorausgehenden Stunde besonders
d ^"bereiten." Nirgends wird aber verlangt, daß nach-
sih.'che Schüler von unbescholtener sittlicher Führung, die
^ Einer religiösen Krisis befinden, durch äußeren
svhüg zum Empfang des Sakraments genöthigt werden
i, En. Das waren schwere, fast unbegreifliche Mißgriffe
tz. Kaplans Epp. „Persönliche Rücksprache mit den
tj Ein oder Fürsorgern der Schüler ist bei allen wich-
sten Veranlassungen zu empfehlen." Das besagt nicht,
ih,den Eltern Briefe geschrieben werden sollen, und noch
eim^Er ist die Rede davon, daß vor dem Umgang mit
.Seinen, dem Religionslehrer mißliebigen Schülern zu
kehr " 'st, "der daß Mitschüler auszufordern sind, Be-
rhhvgsversuche an jenen zu machen. Aus der Verglei-
der erzb. Verordnung und der Kaplan Epp'schen
Sek» den Religionsunterricht in Prima zu ertheilen,
Eejn Unzweifelhaft hervor, daß Epp sowohl gegen den
de»?' "is vielfach gegen den Buchstaben der Verordnung
dgz Open hat und mit Recht seines Amtes enthoben wurde,
such ^"E zu schnüre Bürde für ihn war. Wer den Ver-
tzers'^ernommen hat, die Kurie zur Zurücknahme ihrer
ein zu bestimmen, ist leicht zu errathen. Es bleibt
Edauerliches Zeichen für das Bestehen einer kirchlichen
ky„hsEgieruiig, daß dieser Versuch Erfolg hatte, und man
i„ A ^ uur freuen, daß die zweite Verfügung zu spät
don "*lsruhe eintraf, nämlich als die Enthebung schon
streit ^ *var. Andernfalls wäre ein ernster Zuständigkeits-
dvlix Entstanden, in dem übrigens der Staat in seinem

"E" Rechte

^ war.
stgrt zwischen hat am letzten Sonntag in Karlsruhe eine
gefo„j?esuchte Versammlung dortiger Katholiken statt-
Esefer r? "nd erklärt, sie protestire mit dem Ausdruck
dex m V^Eüstung gegen die Angriffe und Beschuldigungen
Wie nd. Landeszeitung und bedauere die Art und Weise,
Er wohllöbliche Stadtrath die Fälle Epp und
liilia behandelt hat. Den Vorsitz in der Versamm-
nprte Expeditionsgehilfe Nerlinger-Mühlburg. Als
n>'d .traten die Redakteure Fiege vom Bad. Beobachter
der stirer vom Ettlinger Landsmann auf. Die Sacke
derso^Een Epp und Anselment ist durch diese Protest-
^Ndiinv ">cht gebessert worden. Die konservative
^Esucd in dieser Hinsicht aus: In einem zum
lisch g?'Eser Versammlung auffordernden, ziemlich hetze-
i>atz ? boltenen Artikel muß der Beobachter selbst zugeben,
^stlsswr Einen, Fall (offenbar dem Fall Anselment) „geringe
Eitungen" vorgekommen sind! Wenn der Beobachter

selbst solche Ausschreitungen, die thatsächlich in regelrechter
Protestantenhetze bestanden, überhaupt schon als solche zu-
giebt, so kann man sich wohl ein Bild machen, wie der
Fall wirklich liegt. Was in zweiter Linie den Fall Evp
betrifft, so ist es Thatsache, daß sich die Behörden mit
demselben befassen mußten und daß der Genannte eine an-
dere Schule zur Ertheilung seines Religionsunterrichts zu-
gewiesen erhalten hat. Ohne Grund ist dies natürlich nicht
geschehen.
Deutsches Reich
— Der Kaiser ging am Dienstag Vorm, in Bremer-
hafen an Bord. Die Nacht hatte er auf dem Panzer-
schiff Kurfürst Friedrich Wilhelm verbracht. Er begab
sich dann nach Bremen und fuhr, nachdem er das Früh-
stück im Rathskeller eingenommen hatte, nach Kiel.
— Die Budgetcommission des Reichstags lehnte die
Forderung von 100 000 M. für die Vorarbeiten der
Centralbahn in Ostafrika ab, sowie die Forderung
von 20000 M. für Telegraphen. Die Commission nahm
dagegen den Antrag Müller-Fulda, 20000 M. für Vor
arbeiten für die Tclegraphenlinie Dar-es-Salaam —°
Killossa zu bewilligen, an.
Deutscher Reichstag. Berlin, 13. März. Dritte
Berathung der „Isx Heinze".
Abg. Roeren (Centr) weist den Vorwurf, die Compromiß-
anträge seien verspätet publizirt worden, zurück. Bezüglich des
Inhalts der Compromißanträge hätten die Antragsteller ans die-
jenigen Punkte verzichtet, welche die Regierung als unannehmbar
bezeichnet, um nicht das Ganze scheitern zu lassen. Wenn einem
tue Pistole auf die Brust gesetzt werde mit dem Rufe: „lla bourss
on Is vis", müsse man das Leben retten. Ihm (dem Redner)
persönlich seien eine Unmasse Zuschriften von gemeiner Schweinerei
zugegangen. Die plumpen Angriffe der Tagesblätter beachte er
nicht. Was die Redeversammlungen anbetrtfft, so hätten sie nur
einen Zweck: Wenn man heute etwas erreichen wolle, so werde
gesagt, man müsse nur schreien, schreien und nochmals schreien!
(Heiterkeit.) Seine Partei habe wiederholt erklärt, daß sie die
reine Kunst nicht treffen wolle, sondern nur die Gemeinheit.
(Beifall rechts und im Centrum; Zischen links.)
Abg. Bassermann (ntl.): Die Protestversammlungen dürften
nicht zu gering veranschlagt werden. Künstler allerersten Namens
und viele gebildete Kreise der Nation haben sich der Protestbe-
wegung angeschlossen. Wenn die Commissionsanträge angenommen
würden, habe er zu erklären, daß seine Partei mit verschwindenden
Ausnahmen gegen das Gesetz stimmen werde. Die heute be-
stehenden Bestimmungen genügten vollkommen. Nach der Er-
klärung des Reichskanzlers ist der Begriff des Unsittlichen nach
dem Gefühl des normalen Menschen bestimmt. Da sei es ja
nöthig, einen eigenen Kunstgerichtshof zu errichten. Die Mehr-
heit der Nationalliberalen werde den Kunstparagraphen ablehnen;
auch den Theaterparagraphen hielte» sie für unannehmbar. Die
Kunst soll frei sein von Heuchelei und Prüderie. (Beifall bei
den Nationalliberalen.)
Abg. Stockmann (Rp.) bedauert, daß die Nationalliberalen
glauben, den Compromißanträgen nicht beitreten zu können. Der
wahre Künstler habe nichts mit dem Gemeinen zu thun, sonst sei
er kein Künstler. Es sei nicht Aufgabe der Künstler, bloß den
Inhalt des Zeitgeistes zu reproduziren. sondern er soll veredelnd
und bildend auf den Zeitgeist einwirken. Wenn der künftige
Richter das Gesetz falsch interpretire, so folge er nur dem, was
die Linke in das Gesetz hinein interpretirt habe.
Abg Beckh-Koburg (freis. Vp.) beginnt mit den Worten:
Ein geistreicher Freund von mir (stürmische Heiterkeit) hat gesagt,
man könne von dem ganzen Gesetz nur sagen, daß es, ohne un-
züchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletze. Im Ver-
gleich mit London, Paris und Rom seien unsere sittlichen
Zustände recht befriedigend zu nennen. Hinter den Künstlern,
welche gegen die Isx Heinze protcsttren, stehe das deutsche Volk.
(Widerspruch im Centrum.)
Abg. Himberg (cons.): Theilweise seien geradezu Uebertrei-
bungen des Inhalts der lox Heinze ausgestellt worden; das Ge-
setz denke gar nicht daran, die wahre Kunst zu schädigen.
Abg. Schräder (freis. Vg.) vertheidigl die Protestversammlung
gegen die Angriffe des Abg. Roeren ....
Abg. Groeber (Cent.): Professor Eberlein meint, die
heiligsten Empfindungen würden durch dieses Gesetz verletzt; daoer
richtet es sich nur gegen Unsittlichkeit und Schamlosigkeit. Wenn
die Schriftsteller, die an der Spitze der Bewegung stehen, die
ersten der deutschen Literatur seien, dann bedauere er die deutsche
Literatur. (Beifall im Centrum, Lachen links.)
Abg. Bebel (Soz): Bei den Protestversammlungen ist ge-
wiß manches Wort ge,»rochen worden, das über die Schnur ging,
aber der Ausdruck: „Schreien, schreien, schreien" ist agrarischen
Ursprungs Die Abbildungen und Figuren auf der Schloßbrücke
würden zweifellos unter das neue Gesetz fallen. Wer entrüstet
sich über solche Dinge? Dieselben Damen, die tief ausgeschnitten
dis nach unten auf die Hofbälle gehen! Wenn es jemals ein
Zeitalter der erbärmlichsten Heuchelei gäbe, so ist es das jetzige.
Der Arbeitgeberparagraph, der viele Mädchen vor der Prostitution
schütze, werde aber von den Herren fallen gelassen.
Staatssecretär Ni eberding: Er sei an den Compromiß-
verhandlungen nur soweit betheiligt, als er erklärte, welche Punkte
für die Regierung unannehmbar seien, wenn die Beschlüsse der
zweiten Lesung aufrecht bleiben. Es handle sich namentlich um
die Bestimmungen betreffend die Wohnungen der Dirnen lind das
Thealerwesen Ueber das Wohnen der Dirnen habe er erklärt,
die Regierung würde aus dem Fallen der Paragraphen keine
oouäitio siirs aus non machen, sondern der jetzige Zustand würde
bestehen bleiben bei der Ablehnung wie bei der Annahme der
Paragraphen. Ebenso halte die Regierung eine Neuregelung der
Bestimmungen über die Theater nicht für nöthig. Es handle sich
also nur um Compromisse der Parteien unter einander. Bei der
Unterhaltung mit Künstlern habe er erfahren, daß sie theils die
Bestimmungen überhaupt nicht gelesen haben, oder sie vollständig
falsch verstanden hatten. Juristische Logik liege naturgemäß den
Künstlern fern; sie müßten aber immerhin vorsichtig in ihren
Urtheilen sein. ^
Abg. Stöcker: Ein Mann wie Bebel, der das Buch über
„die Frau" geschrieben habe, könne nicht verlangen, als maß-
gebend für die sittlichen Anschauungen angesehen zu werden.
Künstler und Schriftsteller, die gegen »»verstandene Paragraphen
protestiren, hätten sich eher entrüsten sollen, daß ein Gesetz zur
Hebung der Sittlichkeit in so fchamloser Weise öffentlich herunter- I


gerissen werde. Nicht gegen die Kunst, sondern gegen die schlechte
Kunst richte sich das Gesetz.
Hiermit schließt die Generaldiseusston, die Special,
discussion wird auf morgen vertagt. Es folgt
die Abstimmung über das gestern berathene Münzgesetz.
8Z 1 bis 3 werden in der Commissionsfassung angenom-
men. Bei Artikel 4 (Einziehung von Landessilbermünzen)
wird zunächst über einen Antrag Arendt auf Ankauf von
Silberbarren abgestimmt; er wird mit 161 gegen 81
Stimmen abgelehnt.
Ein Antrag Schwartze zu Artikel 4, wonach Landes-
silbermünzen insoweit einzuziehen sind, als solche für Neu-
Prägung und deren Kosten erforderlich sind, wird ange-
nommen. Ebenso Artikel 4 mit diesem Antrag. 88 5
und 6 werden in der Commissionsfassung angenommen, ebenso
die Resolution betreffend die vermehrte Prägung von
Kronen.
Baden. Prinz Max von Baden soll sich nach
Meldungen Berliner Blätter bereits mit der Prinzessin
Maria Luise von Cumberland verlobt haben.
L.O. Karlsruhe, 13. März. Die Resi-
denz steht gegenwärtig unter dem Zeichen der Protest-
Versammlungen. Am Sonntag protestirte eine ultra-
montane Versammlung gegen die Angriffe der Bad. Ldsztg.
auf die Kaplänc Epp und Anselment, tagszuvor faßten
die Gewerkschaften eine Resolution, in der sie wegen Verwei-
gerung der städt. Fesihalle zur Abhaltung einer Protest-
versammlung gegen die sog. Zuchthausvorlage dem Stadt-
rath ihr Bedauern aussprachen, und morgen wird die
Künstlerschaft gegen die Isx Heinze eine Protestversammlung
abhalten, in der Akademieprofessor Dill, Geh. Rath
Wendt, Oberbaurath Schäfer, Maler Rein und
Regisseur Kilian sprechen werden. Der Muckerpresse ist
die zuletztgenannte Versammlung ein Dorn im Auge.
Badischer Landtag. L. 6. K arl s r uh e, 13. März.
(44. Sitzung der Zweiten Kammer.) Das Haus trat
heute in die allgemeine Berathung über das Bud-
get des Ministeriums des Innern ein.
Abg. Wacker, der, nach einem kurzen Hinweis des Abg.
Lauck auf den Kommissionsbericht, die Erörterung einleitete,
sprach auffallend kurz und gemäßigt. Er begründete dies damit,
daß er theilweise sein Herz schon bei der allgemeinen Etats-
berathung ausgeschüttet habe, was er sonst noch mit dem Mi-
nister des Innern zu reden habe, könne er bei Berathung der
einzelnen Titel bezw. der Wahlrechtsvorlage nachholen. Die
Frage, ob man nicht bei der praktischen Behandlung dieses Bud-
gets die Consequenzen aus den gespannten Beziehungen des Mi-
nisters zu der Mehrheit des Hauses ziehen solle, liege nahe;
wenn er dennoch eine weitgehende Rückacht übe, so geschehe dies
aus rein sachlichen Gesichtspunkten. Die Regierung möge aber
ja nicht aus seinen Erklärungen den Schluß ziehen, daß diese
Rücksicht für alle Zeiten gelte. Es könne einmal die Stunde
kommen, wo die Opposition sich sage: Jetzt hört die Geduld auf!
Herr Wacker ist also so gnädig, diesmal auf ein Mißtrauens-
votum zu verzichten, wenn die Regierung hübsch brav bleibt.
Auch sein Fraktionskollege Birke nmayer vermied es „zunächst",
politische Fragen anzuschneiden und beschränkte sich darauf, für
die Gemeinden höhere Staatszuschüsse zu fordern- Die Umlagen
seien von 10°/. Mill. Mk. im Jahr 1895 auf 11'/- Mill. Mark
i. I. 1898, die Gemeindeschulden von 38 auf 110'/, Mill. Mark
gestiegen. Von den großen Ueberschüssen des Budgets könnte
man gut den ärmeren Gemeinden 1 Mill. zuwenden.
Eine schärfere Tonart schlug der sozialdem. Abg. Fendrich
an. Dem Benjamin des Hauses gefiel die dermaltge Hand-
habung des Vereins- und Versammlungsrechts und der Polizei-
strafgewalt nicht. In Mannheim sei der Kunstmaler Koch ver-
hafte! und von einem Schutzmann beleidigt worden, weil er auf
einem öffentlichen Platze eine Skizze malte. In der Zwangs-
anstalt sei neuerdings die Prügelstrafe wieder eingeführt worden,
nachdem man durch moralische Beeinflussung den Zweck nicht er-
reicht hat. In Forchheim und Durlach wurden aus gering-
fügigen Anlässen sozialdemokratische Versammlungen aufgelöst, in
Forchheim die Bürgerausschnßwahl der 3. Wählerklasse um-
gestoßen, in Mannheim die Gedenkfeier für die Freiheitskämpfer
von 1848/49 untersagt. Das seien Zeichen politischer Neuras-
thenie und der Geringschätzung des Volksgefühls.
Minister Dr. Eisenlohr verwahrt sich dagegen, daß man
ihm immer wieder die Hauptschuld an dem gespannten Verhält-
niß zwischen Regierung und Opposition zuschreibe. In allen
Versassungsfragen sei das gesummte Staatkministerium solidarisch.
Birkenmayers Bedenken über die wachsende Belastung der Ge-
meinden stimme er bei. Zur Beruhigung möchte er übrigens
mittheilen, daß die größere Hälfte der Gemeindeschulden, nämlich
64 Mill. Mark auf die großen Städte entfallen. Der Minister
schildert sodann unter Heiterkeit des Hauses den Hergang im Fall
Koch. Der Kunstmaler wollte auf der Straße in belebter Gegend
einen Asphalkkessel malen. Da sich alsbald eine große Menschen-
menge ansammelte und der große Kessel ohnehin ein Verkehrs-
hinderuiß bildete, so wurde Koch das Malen untersagt, und als
er keine Folge leistete, auf's Amtshaus geführt, wo sich zwischen
ihm und dem Schutzmann ein jedenfalls nicht künstlerisches Ge-
spräch entwickelte. Das Bezirksamt beanstandete das Bild, weil
die Badhose eines beim Kessel stehenden Knaben ungenügend ge-
schlossen war. Das Ministerium, dem da« Bild vorgelegt wurde,
fand nichts Bedenkliches. Wie Fendrich dazu komme, ihm wegen
dieser Geschichte Mißachtung der Kunst vorzuwerfen, sei ihm un-
erfindlich. Ohne körperliche Züchtigung werde man in Flehtngen
nicht auskommen; die Anstalt werde übrigens mit der Zeit in
Staatsverwaltung genommen werden. Den Forchheimer Wählern
stehe der Rechtsweg offen, wenn sie die Kassirung der Wahl sich
nicht gefallen lassen wollen. Wenn die sozialdem. Versammlungen
nur aus den von Fendrich angeführten Gründen aufgelöst wur-
den, so könne er es nicht billigen. Gegen einen Grabstein für
die in Rastatt Ersawssenen habe er nie etwas etngewendet, da-
gegen könne er die Errichtung eines Denkmals nicht zulassen,
durch das die Thaten von Revolutionären verherrlicht werden.
Die Gedenkfeier in Mannheim habe er verboten, weil nach seiner
Ansicht Hochverrat!; uno Meuterei nicht verherrlicht werden dür-
fen. Die Mannheimer Genossen hätten übrigens an den Ber-
waltungsgerichtshof appelliren können. Er sei überzeugt, daß die
große Mehrheit des bad. Volkes noch in Erinnerung habe, was
die Thoren von 1849 angerichtet .haben. Furcht vor sozialdem.
 
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